Sarrazin, ein weiterer Sargnagel für die SPD

Ein Artikel von:

Am Gründonnerstag versuchte die SPD die Causa Sarrazin in der allgemeinen österlichen Ruhe still aus der Welt zu schaffen. Mit einer Erklärung, in der Sarrazin nicht ein Jota seiner sozialdarwinistischen Thesen zurücknimmt, wurde das Ausschlussverfahren gegen ihn eingestellt.
Die Thesen von „Deutschland schafft sich ab“ gelten künftig als von den sozialdemokratischen Grundsätzen gedeckt. Die „gütliche Einigung“ hat nicht nur den Rechtspopulismus in der Gesellschaft gestärkt, sondern er wird sogar noch über die SPD gesellschaftsfähig gemacht. Sozialdemokratische Grundwerte sind damit der Beliebigkeit preisgegeben. Indem sie Sarrazins Thesen, wonach sich Deutschland abschafft, hinnimmt, schafft sich die SPD selbst als integrierende Volkspartei vollends ab. Es lohnt sich den Wortlaut dieser Erklärung einmal genauer zu betrachten. Wolfgang Lieb

Aus der Erklärung Sarrazins:

„1. Ich habe in meinem Buch nicht die Auffassung vertreten oder zum Ausdruck bringen wollen, dass sozialdarwinistische Theorien in die politische Praxis umgesetzt werden sollen.“

Anmerkung WL: Das heißt doch im Umkehrschluss Sarrazin vertritt sozialdarwinistische Theorien, er will nur nicht, dass sie in die politische Praxis umgesetzt werden.

Unter Sozialdarwinismus versteht man (verkürzt gesagt), dass mehr oder weniger viele Teilaspekte der Darwinschen Evolutionstheorie in der Natur auf die menschliche Gesellschaft übertragen werden. Darwin hat das selbst zwar (vielleicht nicht eindeutig genug) abgelehnt, aber schon vor ihm und vor allem in seinem Gefolge (Ende des 19. Jahrhunderts und dann vor allem als Kernelement der nationalsozialistischen Rassenlehre) haben sich vielfältige biologistisch determinierte sozialwissenschaftliche Theorien breit gemacht. Im Kern geht es dabei um das Bild des Überlebenskampfes (der Evolution) der jeweils „Fittesten“, meist verstanden als „Stärksten“ oder „Höherentwickelsten“. Sozialdarwinistisches Gedankengut fand und findet sich in nahezu allen politischen Lagern. So gehört etwa das „Recht des Stärkeren“ zur Ideologie des Wirtschafsliberalismus. Die Betonung der ethnischen Ungleichheit verbunden mit der Zuweisung eines minderen (gesellschaftlichen, rechtlichen) Status für bestimmte Gruppen ist aber ein durchgängiges Merkmal des Rechtsextremismus.

Eindeutig sozialdarwinistisch ist etwa die Aussage Sarrazins:

„So wurde viel zu lange übersehen, dass die Alterung und Schrumpfung der deutschen Bevölkerung einhergeht mit qualitativen Veränderungen in deren Zusammensetzung. Über die schiere Abnahme der Bevölkerung hinaus gefährdet vor allem die kontinuierliche Zunahme der weniger Stabilen, weniger Intelligenten und weniger Tüchtigen die Zukunft Deutschlands.“

Erklärung Sarrazins:

„Es entspricht insbesondere nicht meiner Überzeugung, Chancengleichheit durch selektive Förderungs- und Bildungspolitik zu gefährden; alle Kinder sind als Menschen gleich viel wert.
Ich habe mit meinem Buch keine selektive Bevölkerungspolitik verlangt; der Vorschlag, Frauen in akademischen Berufen und anderen gesellschaftlich hervorgehobenen Positionen Prämien zu gewähren, sollte diesen Frauen lediglich die Möglichkeit verschaffen, ihre Berufe und Tätigkeiten mit der Geburt eigener Kinder zu verbinden.“

Anmerkung WL: Dass er sozialdarwinistischen Theorien tatsächlich vertritt, belegt die Erklärung durch ihre Wortwahl selbst. Sie spricht von „selektiver“ Förderungs- und Bildungspolitik. „Selektion“, also Auswahl oder Auslese ist einer der Kernbegriffe der Evolutionstheoretiker. Darwin prägte den Begriff der „natürlichen Selektion“ und verstand darunter, dass in der Natur diejenigen Lebewesen die eine höhere „Fitness“ (Angepasstheit, nicht etwa Stärke) haben, einen höheren Fortpflanzungserfolg hätten.
Was heißt Chancengleichheit durch selektive Förderungs- und Bildungspolitik zu gefährden? Soll also keine Förderungs- und Bildungspolitik betrieben werden, die z. B. soziale Benachteiligungen wenigstens ein Stück weit auszugleichen versucht? Schließlich gehört unser derzeitiges Bildungssystem nach allen bekannten Untersuchungen zu einem der sozial undurchlässigsten. Sollte also nicht angestrebt werden, dass jeder seine Fähigkeiten bestmöglichst entfalten kann?

Was soll eigentlich die Einschränkung „alle Kinder sind als Menschen gleich viel wert“? Sind Menschen als Erwachsene also etwa nicht gleich viel wert?
In Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Es heißt nicht die Würde der Kinder, auch nicht die Würde der Deutschen, sondern die Würde „des Menschen“. Nach unserer Verfassung haben alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder anderer Merkmale wie Geschlecht, Alter oder Zustand denselben Wert haben, da sie sich alle durch ein dem Menschen einzig gegebenes schützenswertes Merkmal auszeichnen, die „Würde“.

Der Vorschlag Sarrazins, Frauen etwa in akademischen Berufen eine Geburtenprämie von 50.000 Euro zu gewähren, basiert auf der falschen Behauptung, „dass der Anteil der kinderlosen Universitätsabsolventinnen die 40-Prozent-Marke übersteigt“ (Deutschland schafft sich ab, S. 90) (Siehe dagegen auch: „Über 40 Prozent aller Akademikerinnen bleiben kinderlos.“) und deshalb auf der Annahme, dass den „höherentwickelten“ Frauen ein Anreiz geboten werden müsse, mehr Kinder zu gebären, damit nicht die (genetisch oder kulturell) „minderwertigen“ Frauen überproportional mehr Kinder in die Welt setzen und sich dadurch die „natürliche Evolution“ umkehrt und sich die schwächeren nicht so wertvollen Bevölkerungsschichten (also die türkisch oder arabisch stämmigen) durchsetzen und sich dadurch die höherwertigen Deutschen „abschaffen“.
Sarrazin: „Denn ganz gleich, wie die Intelligenz zu Stande kommt: Bei höherer relativer Fruchtbarkeit der weniger Intelligenten sinkt die durchschnittliche Intelligenz der Grundgesamtheit.“ Diese Aussage trifft nur zu, wenn Intelligenz vor allem als genetisch bedingt angesehen wird. Und Intelligenz ist ja laut Sarrazin „zu 50 bis 80 Prozent erblich“.
Sarrazin weiter: „So wurde viel zu lange übersehen, dass die Alterung und Schrumpfung der deutschen Bevölkerung einhergeht mit qualitativen Veränderungen in deren Zusammensetzung. Über die schiere Abnahme der Bevölkerung hinaus gefährdet vor allem die kontinuierliche Zunahme der weniger Stabilen, weniger Intelligenten und weniger Tüchtigen die Zukunft Deutschlands.“

Erklärung Sarrazins:

„Hiermit habe ich auch nicht die Vorstellung verbunden, diese Förderung lediglich Frauen mit akademischen Berufen oder mit bestimmter Nationalität oder Religion zukommen zu lassen.“

Anmerkung WL: Dieser einschränkende Nachsatz schränkt den sozialdarwinistischen Grundansatz nur ein. Damit erweitert Sarrazin nur die Gruppe der „intelligenteren“ Frauen über die Akademikerinnen hinaus und auch auf solche überdurchschnittlich intelligente Frauen anderer Nationalität oder Religion aus.

Erklärung Sarrazins:

„2. Mir lag es fern, in meinem Buch Gruppen, insbesondere Migranten, zu diskriminieren.“

Anmerkung WL: Wer unseriöse frei „geschöpfte“ Zahlen (Süddeutsche Zeitung v. 1.3.2010) in die Welt setzt, wonach z.B. 70% der türkischen und 90% der arabischen Bevölkerung Berlins den Staat ablehnten, wer entgegen der Polizeistatistik behauptet „in Berlin werden 20 Prozent aller Gewalttaten von nur 1000 türkischen und arabischen jugendlichen Tätern begangen“ (S. 297) der stellt diese Ausländergruppen nicht ohne Absicht in ein schlechtes Licht. Der benutzt auch nicht Formulierungen, wie die von angeblichen „Fäulnisprozesse im Innern der Gesellschaft“

Erklärung Sarrazins:

„Vielmehr sollten meine Thesen auch der Integration von Migrantengruppen dienen, die bislang aufgrund ihrer Herkunft, sozialen Zusammensetzung und Religion nicht bereit oder in der Lage waren, sich stärker zu integrieren. Es entspricht nicht meiner Vorstellung, dass diese Gruppen bei eigenen Anstrengungen und einer ergänzenden Bildungspolitik etwa aus genetischen Gründen nicht integriert werden könnten.
Mir ging es also darum, schwerwiegende Defizite der Migration, Integration und Fehlentwicklungen der Demografie in Deutschland anzusprechen, eine fördernde Integrationspolitik und Demografiepolitik zu entwickeln und dafür insbesondere die vorhandenen Defizite des Bildungssystems zu überwinden.“

Anmerkung WL: Der Integration von Migrantengruppen wird sicherlich nicht dadurch „gedient“, dass,

  • Sarrazin entgegen empirischer Befunde etwa behauptet, dass es bei der Gruppe der Muslime keine positive Entwicklung der Bildungssituation gebe:

    „Besorgniserregend ist, dass die (…) Probleme der muslimischen Migranten auch bei der zweiten und dritten Generation auftreten, sich also quasi vererben, wie der Vergleich der Bildungsabschlüsse (…) zeigt.“ (S. 284)

  • dass falsche und maßlos übertriebene Zahlen über den Hartz IV-Bezug von Menschen mit muslimischem Migrationshingergrund in die Welt gesetzt werden:

    „Bei den muslimischen Migranten entfallen auf 100 Menschen, die ihren Lebensunterhalt überwiegend aus Erwerbstätigkeit bestreiten, 43,6 Menschen, die überwiegend von Arbeitslosengeld und Hartz IV leben (…).“ (S. 282)

    Laut Mikrozensus 2008 (2010) speziell für die Gruppe der Menschen mit türkischem Migrationshintergrund sind es 9,5%.

  • oder dass Muslime oder Türkischstämmige sich nicht bemühten die deutsche Sprache zu lernen.
    Allensbach hat im Jahr 2009 für 70% der Personen mit türkischem Migrationshintergrund gute bis sehr gute Kenntnisse der deutschen Sprache ermittelt.

(Alle Daten aus “Sarrazins Thesen auf dem Prüfstand”)

Sarrazin hat mit solchen Vorurteilen oder gar Vorverurteilungen, latent vorhandene Vorurteile in der Bevölkerung vor allem gegen Muslime gestützt und sie noch weiter verbreitet. Er schiebt die Verantwortung für Defizite oder Versäumnisse bei der Integration nahezu ausschließlich den Migrantengruppen zu, die „aufgrund ihrer Herkunft und Religion nicht bereit oder in der Lage waren, sich (!) stärker zu integrieren.“ Einen konstruktiven Beitrag, wie Integration besser gelingen könnte, leistet Sarrazin höchst selten und in seiner politischen Praxis als Berliner Finanzsenator schon gar nicht.

Erklärung Sarrazins:

„3. Ich habe zu keiner Zeit die Absicht gehabt, mit meinen Thesen sozialdemokratische Grundsätze zu verletzen.“

Anmerkung WL: Im Hamburger Programm der SPD von 2007 wurde bekräftigt, dass „Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität die Grundwerte des freiheitlichen, demokratischen Sozialismus“ seien. Die Idee des demokratischen Sozialismus sei eine „Gesellschaft der Freien und Gleichen, in der unsere Grundwerte verwirklicht sind“. Die Vision einer „freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft“ sei eine „dauernde Aufgabe“.

Wenn Sarrazin behauptet, er habe zu keiner Zeit „die Absicht“ gehabt, mit seinen Thesen diese sozialdemokratischen Grundwerte zu verletzen, so kennt er entweder diese Grundwerte nicht oder er tut so, als habe er diese mit seinen Thesen nur fahrlässig ignoriert – also nicht „absichtlich“ dagegen verstoßen.

Was hat es aber mit „Solidarität“ oder mit einer Gesellschaft der „Freien und Gleichen“ zu tun, wenn Sarrazin diskriminierende Vorurteile gegenüber Migranten vor allem türkischer und arabischer Abstammung und gegenüber Muslimen schürt? Was hat es mit der Gleichheit aller Menschen zu tun, wenn Sarrazin bestimmte Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer genetischen Disposition oder ihrer Religion gegenüber der deutschen Mehrheitsbevölkerung abwertet, sie pauschal als bildungsresistent, als kriminelle Gefahr, als zu erheblichen Anteilen parasitär und letztlich als Gefahr für das Überleben der Deutschen darstellt.

Erklärung Sarrazins:

„Sollten Mitglieder der Partei sich in ihrem sozialdemokratischen Verständnis beeinträchtigt fühlen, bedauere ich dies, auch wenn ich meine, dass mein Buch hierzu keine Veranlassung gegeben hat. Bei künftigen Veranstaltungen und Auftritten in der Öffentlichkeit werde ich darauf achten, durch Diskussionsbeiträge nicht mein Bekenntnis zu den sozialdemokratischen Grundsätzen infrage zu stellen oder stellen zu lassen.“

Anmerkung WL: Sollten sich Mitglieder der Partei in ihrem sozialdemokratischen Verständnis beeinträchtigt fühlen, so bedaure ich dies: Das ist die üblich gewordene Formel einer Selbst-Entschuldigung, die Schuld von sich selbst abweist und sie denjenigen zuweist, die sich betroffen fühlen. Also nur für den für Sarrazin offenbar selbst nicht nachvollziehbaren Fall, dass sich Mitglieder in ihrem sozialdemokratischen Verständnis beeinträchtigt fühlen sollten, bedauert er das. Aber nach seiner Meinung, sind diejenigen, die sich beeinträchtigt fühlen, im Unrecht, denn er meint ja, dass sein Buch hierzu keine Veranlassung gegeben hat. Seine Kritiker in der SPD, wozu auch der gesamte Parteivorstand gezählt werden müsste, sind also diejenigen, deren sozialdemokratisches Verständnis in Zweifel zu ziehen ist.
Sarrazin bedauert nichts von dem, was er geschrieben und darüber hinaus öffentlich erklärt hat, sondern er bedauert die Fehlreaktion seiner Kritiker. Ein Bedauern also, dass letztlich seine Kritiker in der Pflicht wären, ihre Kritik an Sarrazin zu bedauern.

Was ist von der dezidierten und fundierten Kritik des Parteivorsitzenden der SPD, Sigmar Gabriel, übrig geblieben. Muss er nun seine begründeten Vorhalte bedauern? Mehr als durch diesen „Freispruch“ kann man einen Parteivorsitzenden nicht im Regen stehen lassen.

Sarrazin hat dadurch, dass die Schiedskommission diese Erklärung akzeptiert hat, um das Ausschlussverfahren gegenüber ihm einzustellen, zugestanden, dass er die in seinem Buch und sonstigen öffentlichen Erklärungen vertretenen Thesen in keinem Punkt zu korrigieren, zu revidieren oder wenigstens zu relativieren braucht. Das heißt, wenn Sarrazin künftig das Gleiche behauptet, was er bisher schon behauptet hat, so ist damit sein Bekenntnis zu den sozialdemokratischen Grundsätzen nicht in Frage gestellt. Die Thesen von „Deutschland schafft sich ab“ sind also künftig von den sozialdemokratischen Grundsätzen gedeckt.
Sozialdarwinismus und rechtsextremistische Untertöne sind somit künftig mit den Grundwerten der SPD vereinbar. In Abwandlung eines Goethe-Zitats möchte man sagen: Die SPD hat einen großen Magen. Selbst die konservativ gewirkte Deutsche Bundesbank war da mit der Entlassung Sarrazins aus dem Vorstand konsequenter.

Die Kritiker eines Parteiausschlusses von Sarrazin bringen immer wieder das Argument der Meinungsfreiheit ins Spiel. Sarrazin kann meinen was er will, aber mit seinem beharrlichen Festhalten an seiner Mitgliedschaft beweist er, dass er politisch darum kämpft, dass seine Meinung den Grundsätzen und Grundwerten der Sozialdemokratischen Partei entsprechen soll.

Ich lese, dass diese Erklärung gar nicht von Sarrazin selbst stamme, sondern ihm von der Schiedskommission aufgedrängt und auf Anraten seines Rechts-Beistandes Klaus von Dohnanyi von ihm akzeptiert wurde. Er selbst wollte offenbar viel offensiver vorgehen. Sollte also diese Erklärung von der SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles mitformuliert worden sein, so belegt das nur, das flache sprachliche, intellektuelle und politische Niveau auf dem da verhandelt wurde. Es wurde nicht einmal erkannt, dass Nahles und die Schiedskommission mit ihrer eigenen Erklärung Sarrazin durchgängig zum Gewinner dieses Ausschlussverfahrens machte. An keiner Stelle wurde auch nur der Versuch gemacht, eine argumentative Auseinandersetzung mit den Thesen Sarrazins zu führen.

Nun ist mir nicht unbekannt, dass sich in der Mitgliedschaft der SPD auch viel kleinbürgerliches, ja sogar von rechtspopulistischen Sprüchen leicht ansprechbares Gedankengut finden lässt. Es war jedoch in der Geschichte dieser Partei immer auch deren Leistung, solche Mitglieder politisch mitzunehmen und an sozialdemokratische Grundwerte rückzubinden. Wenn aber künftig auf Parteitagen mit Sarrazins Thesen argumentiert wird, dann gehören solche Aussagen zum in der SPD zu tolerierenden Meinungsspektrum. Die „gütliche Einigung“ hat also nicht nur den Rechtspopulismus in der Gesellschaft gestärkt, sondern er wird damit über die SPD selbst noch gesellschaftsfähig gemacht. Sozialdemokratische Grundwerte sind damit der Beliebigkeit preisgegeben. Und diese Beliebigkeit hat nichts mit Toleranz zu tun, sondern das bedeutet, dass man von vorneherein gar keinen eigenen Standpunkt mehr einnimmt, von dem aus man einen anderen Standpunkt tolerieren könnte. Anders als Nico Fried in der Süddeutschen Zeitung meint, ist das kein Ende mit Schrecken, sondern ein Schrecken ohne Ende.

Die SPD hat unter Schröder mit ihrer Agendapolitik, z.B. mit Hartz IV oder mit der Zerstörung der gesetzlichen Rente bei vielen Arbeitnehmern Vertrauen verloren. Indem sie sich nun nicht einmal mehr von Sarrazin abgrenzt, wird sie auch noch ihre bisherige relative Beliebtheit bei den Migranten verlieren. (Siehe z.B. die Erklärung des geschäftsführenden Vorstandes der Türkischen Gemeine in Deutschland) Dadurch, dass sie Sarrazins Thesen, wonach sich Deutschland abschafft hinnimmt, schafft sich die SPD selbst als integrierende Volkspartei vollends ab.

Die SPD hat sich einmal mehr einer vordergründigen Meinungsmehrheit gebeugt (angeblich waren nach Meinungsumfragen 60 Prozent gegen einen Ausschluss Sarrazins), die Quittung wird sie schon bei den Wahlen zum Berliner Senat erhalten. In einer Stadt, mit einem Anteil von 13,5% ausländischer Mitbürger, können sich die Grünen über die Entscheidung der Schiedskommission nur voller Freude die Hände reiben.

Hier noch einmal die Erklärung Sarrazins im zusammenhängenden Volltext:

  1. “Ich habe in meinem Buch nicht die Auffassung vertreten oder zum Ausdruck bringen wollen, dass sozialdarwinistische Theorien in die politische Praxis umgesetzt werden sollen. Es entspricht insbesondere nicht meiner Überzeugung, Chancengleichheit durch selektive Förderungs- und Bildungspolitik zu gefährden; alle Kinder sind als Menschen gleich viel wert. Ich habe mit meinem Buch keine selektive Bevölkerungspolitik verlangt; der Vorschlag, Frauen in akademischen Berufen und anderen gesellschaftlich hervorgehobenen Positionen Prämien zu gewähren, sollte diesen Frauen lediglich die Möglichkeit verschaffen, ihre Berufe und Tätigkeiten mit der Geburt eigener Kinder zu verbinden. Hiermit habe ich auch nicht die Vorstellung verbunden, diese Förderung lediglich Frauen mit akademischen Berufen oder mit bestimmter Nationalität oder Religion zukommen zu lassen.”
  2. “Mir lag es fern, in meinem Buch Gruppen, insbesondere Migranten, zu diskriminieren. Vielmehr sollten meine Thesen auch der Integration von Migrantengruppen dienen, die bislang aufgrund ihrer Herkunft, sozialen Zusammensetzung und Religion nicht bereit oder in der Lage waren, sich stärker zu integrieren. Es entspricht nicht meiner Vorstellung, dass diese Gruppen bei eigenen Anstrengungen und einer ergänzenden Bildungspolitik etwa aus genetischen Gründen nicht integriert werden könnten. Mir ging es also darum, schwerwiegende Defizite der Migration, Integration und Fehlentwicklungen der Demografie in Deutschland anzusprechen, eine fördernde Integrationspolitik und Demografiepolitik zu entwickeln und dafür insbesondere die vorhandenen Defizite des Bildungssystems zu überwinden.”
  3. “Ich habe zu keiner Zeit die Absicht gehabt, mit meinen Thesen sozialdemokratische Grundsätze zu verletzen. Sollten Mitglieder der Partei sich in ihrem sozialdemokratischen Verständnis beeinträchtigt fühlen, bedaure ich dies, auch wenn ich meine, dass mein Buch hierzu keine Veranlassung gegeben hat. Bei künftigen Veranstaltungen und Auftritten in der Öffentlichkeit werde ich darauf achten, durch Diskussionsbeiträge nicht mein Bekenntnis zu den sozialdemokratischen Grundsätzen in Frage zu stellen oder stellen zu lassen.”

Und hier noch einmal die Gedankenwelt Sarrazins in einigen Zitaten:

“Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert. Das gilt für 70 Prozent der türkischen und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin.”

“Ich möchte nicht, dass das Land meiner Enkel und Urenkel zu großen Teilen muslimisch ist, dass dort über weite Strecken Türkisch und Arabisch gesprochen wird, die Frauen ein Kopftuch tragen und der Tagesrhythmus vom Ruf der Muezzine bestimmt wird. Wenn ich das erleben will, kann ich eine Urlaubsreise ins Morgenland buchen.”

“Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate.”

“Es ist nämlich zu befürchten, dass sie zur überdurchschnittlichen Vermehrung jener bildungsfernen und von Transfers abhängigen Unterschicht beitragen, welche die Entwicklungsaussichten Deutschlands verdüstert.”

Zitiert nach Feynsinn.

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!