Matt Kennard: Imperialismus und Medien „If journalism was done properly“

Matt Kennard: Imperialismus und Medien „If journalism was done properly“

Matt Kennard: Imperialismus und Medien „If journalism was done properly“

Ein Artikel von Matt Kennard

Investigativjournalist Matt Kennard über seine Arbeit für die Financial Times, die Mainstreammedien und ‚Zensur durch Ausblendung‘. Er schrieb für den Guardian, die New York Times und war Direktor des britischen Zentrums für Investigativjournalismus, bevor er DeclassifiedUK.org gründete. „Man kann über Skandale berichten, Dinge wie Watergate. Man kann sich großer Stories annehmen, aber nicht dem System. Man offenbart nicht, wie das System funktioniert. Man befasst sich mit der Oberfläche und WikiLeaks hat das Gegenteil getan“, erklärte der Brite bei der Julian Assange und WikiLeaks gewidmeten Veranstaltung „NoisyLeaks“ in Berlin. Dominik Wetzel hat Kennards Vortrag und die Fragen des Publikums für die NachDenkSeiten transkribiert.

„Als ich für die Financial Times gearbeitet habe, habe ich Artikel abgeschickt, bei denen ich wusste, dass ich nicht die echte Story reinschreiben kann. Zum Teil, weil deine Leser die Herren des Universums sind. Präsident Obama liest die Financial Times. Es war klar, dass sie nicht den menschlichen Aspekt der Geschichte wollten. Es ging lediglich darum, was für Investoren von Interesse ist. Als ich die FT verlassen habe, bin ich all die Reportagen durchgegangen, die ich gemacht hatte – Haiti, Bolivien, Ägypten, Tunesien, Türkei – und habe das, was mir von den Herren des Universums gesagt wurde, demgegenüber gesetzt, was – wie WikiLeaks enthüllt hatte – wirklich los war. In Haiti zum Beispiel führte mich die Weltbank in einen Sweatshop im Norden des Landes und ich habe eine flüchtige Tour durch diesen ‚wundervollen neuen Sweatshop‘ bekommen, der von USAID und anderen westlichen Organisationen gebaut wurde. Ich bin nicht stolz auf den Text, den ich für die FT geschrieben habe, aber als ich dann in den Cables nachgeschaut habe, habe ich zu diesem Sweatshop recherchiert, und es stellte sich heraus, dass die US-Beamten darüber diskutierten, viele Menschen zu vertreiben, um Platz für diesen Sweatshop zu schaffen. Offensichtlich hatte man mir diesen Teil der Geschichte nicht gezeigt. Diese Gegenüberstellung wäre mir ohne WikiLeaks niemals bewusst gewesen.

Die Mechanismen des Wirtschaftsimperialismus der USA sind sehr tief verwurzelt in den internationalen Beziehungen, doch die Menschen sehen es nicht. Man kann es nicht einmal sagen. Für mich ist der US-Imperialismus die vorrangige Dynamik, die die internationalen Beziehungen antreibt, doch in der Mainstreampresse kann man den Begriff ‚US-Imperialismus‘ nicht einmal verwenden. Ich konnte ihn in der Financial Times nicht finden. Es ist eine bizarre Lage der Dinge, wenn man den Begriff nicht verwenden kann, der am besten beschreibt, wie die Welt funktioniert. Um diese Behörden wie USAID, die Weltbank oder den Internationalen Währungsfonds gibt es so viel Propaganda. Das ist es, was mein Buch vermitteln will. Diese Behörden präsentieren sich alle so, dass sie Entwicklungshilfe betreiben und diese wundervollen Dinge für die Armen der Welt tun.

Tatsächlich sind die Bretton-Woods-Institutionen, Weltbank und IWF, Arme der US-Regierung. Sie erzwingen eine sehr strikte Form des Neoliberalismus und des Wirtschaftsimperialismus, um die Welt sicher zu machen für Kapital und Konzerne. Es herrscht viel Verwirrung unter den Menschen darüber, was diese Organisationen tun. Man bekommt nicht viele Informationen, denn Journalisten machen ihren Job nicht richtig, diese Institutionen kritisch zu analysieren. Im Grunde geben sie einfach Staatspropaganda wieder.

Natürlich leben wir nicht in einer Diktatur und auch nicht in einem autoritären Staat. Niemand wird dafür ins Gefängnis gesteckt, ein Buch zu schreiben, außer Julian Assange. Doch das System funktioniert, indem es die Leute marginalisiert. Sie lassen so etwas nicht auch nur in die Nähe des Mainstreams. „The Racket“ zum Beispiel, das Buch, das ich über den Wirtschaftsimperialismus der USA geschrieben habe, wurde in nur einem einzigen US-Magazin besprochen. In England wurde es nur im Guardian rezensiert, schlecht. Das ist eine sehr effektive Art, die Ideologie und die Propaganda robust zu halten. Man marginalisiert jede Art von Widerspruch und Analyse.

In England läuft das so ab: Wir haben 2019 mit Declassified UK angefangen. Das war eine ziemliche Überraschung, denn ich habe immer versucht, mich auf die USA zu fokussieren. Sie sind der mächtigste Staat der Welt, zu einem ziemlichen Grad, und offensichtlich ist es wichtig, was sie in der Welt machen. Ich dachte immer, England spielt nur eine kleine Rolle und dass das britische Imperium zusammengebrochen ist. Wenn man sich jedoch anschaut, was England in der Welt macht, erkennt man, dass eine Menge der Institutionen, die das britische Imperium verwaltet haben, noch heute existieren und einen ziemlichen Fußabdruck haben.

Vor kurzem berichtete ich über Bolivien, dort kam es 2019 zum Putsch. Evo Morales wurde 2006 der erste indigene Präsident und transformierte Bolivien, das erste Mal, seit es im 19. Jahrhundert als Staat gegründet wurde. Er hat die 500 Jahre währende weiße Vorherrschaft beendet, er hat die Gesellschaft durch Sozialprogramme ausgeglichen, er hat die CIA und die US-Militärbasen aus dem Land geworfen und die amerikanische Drogenbehörde DEA verjagt. All diese Behörden, die – wie ich sage – erzählen, Gutes zu tun, aber Teil der imperialistischen US-amerikanischen Strategie sind. Er warf sie alle raus und reformierte das Land. 2019 gewann er die Wahl und eine Menge unterschiedlicher imperialistischer Behörden arbeiteten zusammen, um ihn loszuwerden. Die Rolle der USA kam schnell heraus, aber die britische Rolle kam überhaupt nicht an die Öffentlichkeit.

Durch das britische Informationsfreiheitsgesetz bekam ich 30 Seiten Dokumente vom britischen Außenministerium darüber, was sie zu der Zeit in Bolivien getan haben. Die zeigten, dass sie eine britische Firma beauftragt hatten, die Ausbeutung von Lithium zu verbessern, eine Woche nachdem Morales das Land verlassen hatte. Lithium ist ein Metall, das mit der Elektromobilität zunehmend begehrt ist, und Bolivien sitzt mit Chile und Argentinien auf dem sogenannten Lithiumdreieck. Das ist eine enorm wichtige Ressource. Der Putsch gegen Morales wird auch der Lithiumputsch genannt. Morales verwendet meine Geschichte häufiger, denn sie gab ihm den Beweis dafür, dass es, wie er sagte, ein Putsch für Lithium war.

Wir sind ein kleiner Betrieb mit 3 Leuten. Niemand hat wirklich nachgeschaut oder wollte nachschauen, was die Briten in Bolivien machten, was unsere Rolle war, was unsere imperialistischen Strategien waren. Das existiert einfach nicht und zeigt wieder: Wenn Mainstream-Journalisten, diejenigen, die wirklich eine große Öffentlichkeit erreichen, Journalismus richtig machen würden, dann würden unsere Gesellschaften über Nacht transformiert werden.

Und deswegen sind WikiLeaks und Julian Assange auch unter solchem Druck, weil sie es in den Mainstream getragen haben. Er hat diese Informationen mit dem Guardian und der NewYorkTimes und Nachrichtenagenturen auf der ganzen Welt verlinkt und das wurde damit ein massives Problem für die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten.

Mir ist nicht bewusst, wie es sich in Deutschland abspielt, aber in England und den USA haben wir ein Mediensystem, wo Propaganda vom Staat und den Konzernen ausgestrahlt wird und nahtlos in die öffentliche Debatte übergeht, ohne kritische Analyse dessen, was vor sich geht. Und deshalb sind WikiLeaks und Julian Assange auch eine so große Bedrohung für diese Machtzentren, weil sie es nicht gewöhnt sind, Journalismus zu haben, der die Massenaufmerksamkeit hat und erklärt, wie die Welt wirklich funktioniert. Wenn man nachsieht, was sie mit Assange gemacht haben, dann haben sie es geschafft, den Journalisten und Verlegern aus aller Welt eine Botschaft zu senden. Ich weiß nicht, was in diesem Fall passieren wird, aber mein Gefühl ist, dass sie ihn nie wieder laufen lassen. Sie wollen eine Nachricht an die Menschen senden, ‚Das ist die Linie, die ihr nicht überschreitet‘, und das ist das Imperium. Du darfst nicht über die Verbrechen des Imperiums berichten, denn wenn du es tust, stecken wir dich ins Belmarsh-Hochsicherheitsgefängnis und dann für den Rest deines Lebens in die Wüste von Colorado. Das ist eine gruselige Angelegenheit. Dieser Präzedenzfall ist wirklich furchteinflößend. Nicht nur für Journalisten, sondern auch für Menschenrechtsorganisationen, Zivilgesellschaft und jeden, der zu Außenpolitik und Nationaler Sicherheit arbeitet.

Ich denke, in diese Richtung bewegt sich die Welt. Die Sache mit WikiLeaks und fortgeschrittener Technologie ist die, dass den Menschen Werkzeuge an die Hand gegeben wurden, Massen an Informationen zu verbreiten, die sie vorher nicht hatten. Mit dem Internet kann eine Person wie Julian Assange komplett die Erzählung verwandeln und den Diskurs verändern, allein mit einem Laptop. Damit haben die Autoritäten ziemlich zu kämpfen, denn sie müssen das eindämmen, ohne als autoritär rüberzukommen. Die Assangeverfolgung ist ein PR-Desaster für sie. Sie wollen es nicht machen, aber sie müssen, weil sie einen Weg finden müssen, die Neugierigen zu stoppen, die offenlegen, wie die Welt wirklich funktioniert.

In England ist Assange ein nebensächliches Thema, was irre ist, weil es die britische Regierung ist, die ihn seit 4 Jahren gefangen hält und 7 Jahre willkürlich in der Botschaft inhaftiert hat. Das ist verrückt. Jeder hat die Recherche von YahooNews gesehen, die den Plan veröffentlicht haben, dass Pompeo, als er CIA-Direktor war, Pläne ausgearbeitet hat, Assange in London zu töten. Denken Sie mal darüber nach. Man würde denken, dass das ein großes Thema für ein Land ist. Es gab einen glaubwürdigen Bericht, dass eine fremde Regierung einen Journalisten auf dem Staatsgebiet ermorden will, weil sie dessen Berichterstattung nicht mag. Der BBC hat nichts darüber berichtet, kein einziges Wort. Es gab keinen Bericht in den Abendnachrichten. Der Botschafter wurde nicht einberufen. Es wurde vollständig ausgeblendet. Wenn man so eine Situation hat, ist das ziemlich beängstigend, denn wenn sie das tun können, können sie die Fakten verschwinden lassen. Dann können sie das mit jedem machen. Doch was überall auf der Welt geschieht, ist, dass unabhängige Medien aufholen und sich mit dem befassen, was der Mainstream tun sollte, der einst gute Arbeit gemacht hat. Deshalb werden die Angriffe auf unabhängige Medien zunehmen.

Wie funktioniert die Zensur oder Selbstzensur in den etablierten Medien?

Niemand sagt dir, was du schreiben sollst. Als ich bei der Financial Times angefangen habe, hatte ich gerade Manufacturing Consent von Noam Chomsky und Edward Herman gelesen, das analysiert und beschreibt, wie ein Großteil dieser Dinge abläuft. Ich denke, es ist eine Kultur, in die man hineingerät und niemand spricht diese Dinge aus. Wenn man zum Beispiel die Hizbullah in der FT diskutiert, würde man sagen ‚vom Iran unterstützte Miliz Hizbullah‘, man würde aber niemals ‚US-unterstützte fundamentalistische Diktatur Saudi-Arabien‘ sagen. Ich erinnere mich, wie ich das ein paar Mal geschrieben hatte und das rausgeschnitten wurde. Meiner Erfahrung nach ist es eine Kultur und wenn man keine kritische Einstellung hat, wenn man reingeht, hinterfragt man sie auch nicht. Ich hatte verstanden, dass es so läuft, bevor ich anfing, also konnte ich die kritische Denkweise beizubehalten. Die andere Sache ist: Wenn man älter wird, nimmt man Hypotheken auf und bekommt Kinder, dann will man nicht so viel Staub aufwirbeln. Da ist die Neigung stärker, die Ideologie der Institutionen anzunehmen. Ich meine, es gibt heute in den Mainstream-Medien kaum einen anti-imperialistischen Kolumnisten, vielleicht ein paar wenige, aber das war‘s.

Der Guardian zerstörte seine Laptops auf Anweisung des britischen Geheimdiensts GCHQ, das taten sie aufgrund von politischem Druck. Ich bezweifle, dass Ihr zu so etwas zustimmen würdet, doch der Präzedenzfall ist geschaffen, oder?

Der Fall des Guardian ist sehr lehrreich. Die erste Geschichte, die wir bei Declassified UK je gemacht haben, drehte sich darum, wie der britische Sicherheitsapparat die oppositionelle Berichterstattung des Guardian lahmgelegt hat.

Das war sehr interessant. Wir fanden einige Aufzeichnungen eines sogenannten D-Notice Committees. Prinzipiell handelt es sich dabei um eine Zensurbehörde, die vom Verteidigungsministerium und den Geheimdiensten betrieben wird. Die treffen sich alle 6 Monate mit einer Reihe von Journalisten und dem Verteidigungsministerium und erklären, was sie schreiben können und was nicht. Das D-Notice Committee sendet auch Warnungen aus – zum Beispiel über die Snowden-Dokumente – in denen steht: ‚Wir denken, dass sie das nicht veröffentlichen sollten‘. Es hat keine rechtsverbindliche Bedeutung, aber es ist eine Form, Druck zu erzeugen. Sie veröffentlichen Auszüge ihrer Treffen auf ihrer Website und dort haben wir einige aus der Snowden-Periode gefunden und sie uns angesehen. Es ist erstaunlich, sie sind durchgedreht wegen dem, was der Guardian getan hat und über eine Periode von 6 Monaten erkennt man, wie sich ihre Beziehungen zum Guardian verbessern. Ich denke, der Guardian kam unter so viel Druck, dass er Reue gegenüber dem Sicherheitsapparat gezeigt hat. Was man heute vom Guardian sieht, ist ein Schatten seines früheren Selbst. Und das wurde aktiv vom Sicherheitsapparat bewerkstelligt.

Da sind ein paar gesellschaftliche Normen, bei denen man vorsichtig sein muss, denn wenn sie anfangen, Journalisten einzusperren – ich weiß, Assange ist im Gefängnis – doch England nutzt die freie Presse, um seine Macht zu bewerben, diese Pressefreiheitskonferenzen dienen der „Soft Power“. In diesem Kontext müssen sie sich zurechtfinden, deshalb werden sie uns einfach ignorieren, anstatt uns wegzusperren.

Auch wir von DeclassifiedUK.org haben ein Schreiben des D-Notice Comittees erhalten. Mein Kollege Phil Miller hat einen ziemlich guten Bericht darüber geschrieben, wie England den Diktator in Kamerun unterstützt, den ältesten Diktator Afrikas, und er enthüllte einige der Leute aus dem britischen Militär, die darin involviert sind. Im Wesentlichen geht es um Krisenpläne für den Diktator Biya, wenn gewisse Dinge passieren, damit er überlebt. Unser Redakteur Mark Curtis bekommt eine E-Mail. Irgendein Beamter des Verteidigungsministeriums sagt: ‚Hallo, ich bin vom D-Notice Committee, wir haben eben ihre Geschichte mitbekommen. Können Sie die Namen rausnehmen?‘ Und Mark antwortet: ‚Was ist das hier? Ist das eine Ermahnung?‘ Und sie antworteten, ‚Nein, es ist keine.‘ – ‚Was ist es dann? Wie nennen Sie das, was Sie hier machen?‘. Es ist sehr interessant, wenn man sich die Korrespondenz anschaut. Sie meinten, kommt schon, nehmt das runter und wir verweigerten. Ich denke, das war das erste Mal, dass ihnen so etwas passierte. Sie haben keine Gegenwehr erwartet. Wir haben einen Artikel darüber geschrieben.

Wir haben den Beamten zitiert und uns ist bisher nichts passiert. Ich denke, so funktioniert das System. Weil sie jemanden wie den ehemaligen Guardian-Chef Rubsbridger anrufen können und ein bisschen Druck erzeugen können, obwohl Rubsbridger härter war als andere Redakteure, die sofort umgefallen sind. Das britische Establishment ist der Gentlemans Club. So funktioniert‘s und die Leute bekommen Angst. Wenn das D-Notice Committee dir sagt, da ist eine Bedrohung der Nationalen Sicherheit auf deiner Website, die Konsequenzen, die es hat, so etwas zurückzuweisen, kennen wir nicht, aber sie sind bestimmt ziemlich heftig.

Gibt es irgendwelche SLAPP-Fälle? (Strategic Lawsuits against public participation)

Das sind effektiv Gerichtsverfahren von reichen Leuten gegen Journalisten, um Kritik zu stoppen. Es gibt davon gerade eine Menge. Wir hatten nie einen.

Es gibt die britischen Libel Laws. Menschen kommen aus aller Welt, um Leute in England zu verklagen, weil es so einfach ist. Die sind wirklich gut bekannt.

Wir wurden in unserem ersten Jahr vom Verteidigungsministerium auf die Schwarze Liste gesetzt. Wie beim Assangefall und dem Interessenkonflikt drumherum sind wir ziemlich das einzige Magazin, das irgendeine Art von Investigativrecherche über Englands Rolle im Jemenkrieg gemacht hat. Die ist umfangreich und beinhaltet mehrere Milliarden Pfund an Waffen und logistischer Unterstützung. Effektiv betreiben wir die saudische Luftwaffe.

Ein ehemaliger BAE-Systems-Mitarbeiter hat gesagt, wenn die Unterstützung von England und BAE stoppen würde, wäre die saudische Luftwaffe binnen zwei Wochen am Boden. Das ist wichtig, denn der Jemenkrieg ist die schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt und wir haben eine Menge über die britische Rolle enthüllt.

Tatsächlich gibt es einen britischen Soldaten jemenitischer Abstammung, Ahmed al-Batati, ein beeindruckender Kerl, der in Uniform vor dem Verteidigungsministerium protestierte und von der Militärpolizei verhaftet wurde. In Interviews sagte er, ‚ich habe in Declassified UK darüber gelesen, was England getan hat, und ich dachte, ich kann nicht Teil des britischen Militärs bleiben, wenn wir in diesem Krieg involviert sind‘. Daraufhin wollten wir ein Zitat vom Verteidigungsministerium zu al-Batatis Fall, doch nach einigem Hin und Her sagte ein Beamter der Pressestelle: ‚Wir setzen uns mit ihrem Magazin nicht mehr auseinander‘. Mein Kollege Phil hat den Anruf aufgezeichnet. Sie dachten wohl, wir wären nur ein kleines Medium und nichts würde passieren, aber wegen der Aufzeichnung wurde Index on Censorship involviert, die haben es an den Council of Europe weitergeleitet, die haben einen Medienfreiheitsalarm ausgesendet, also musste die britische Regierung reagieren.

Das Verteidigungsministerium dachte, es wäre keine große Sache. Doch dann musste sich der Verteidigungsminister im Parlament rechtfertigen und hat eine unabhängige Untersuchung angefordert, die von Tony Blairs ehemaligem Sprecher gemacht wurde. Lesenswert. Er liefert einen 2.000 Worte starken Bericht über die Machenschaften der Regierung und was sie über uns redeten. Es gab wohl irgendeinen Offizier, der vorgeschlagen hat, uns auf eine Liste mit feindlichen Organisationen setzen zu lassen. Der Report kam auf der Regierungswebsite und ist dort bis heute. Kein einziges Nachrichtenmagazin hat jemals ein Wort darüber berichtet. Das ist es, womit wir es zu tun haben. Die sind völlig zum Schweigen gebracht.

Zensur durch Auslassung ist – meiner Meinung nach – das mächtigste Propagandamittel, das wir im Westen haben. Damit betreiben sie Gehirnwäsche. Sie lassen die Informationen einfach weg, die man braucht, um so etwas wie ein realistisches Verständnis davon zu haben, wie die Welt funktioniert.

Was bedeutet das, dass man Euch auf die Schwarze Liste gesetzt hat?

Es bedeutet, dass sie sich die Organisationen raussuchen, mit denen sie interagieren, was ihnen nicht erlaubt ist, sie haben damit ein Gesetz für den öffentlichen Dienst gebrochen. Es war sehr dumm von ihnen, so etwas zu tun. Und tatsächlich machen sie das auch nie. Der Verteidigungsminister musste sich entschuldigen, davon gibt‘s auch ein Video. Es war wohl jemand aus den unteren Rängen, der einfach von unseren Berichten genervt war. Ich denke, sie dachten auch, dass es niemanden interessieren würde, wie es ja auch normalerweise läuft.

Ich habe nie die Physik dahinter verstanden, wie Dinge viral gehen, doch diese Geschichte wurde irgendwie größer als gedacht.

Außer der Sache mit dem D-Notice Committee kam nie jemand, der gesagt hat, wir könnten das nicht machen, denn sie würden sich damit selbst ins Knie schießen. Ich denke, das D-Notice Comittee hat erwartet, dass wir sofort umfallen, doch das taten wir nicht, stattdessen haben wir einen Artikel über die Informationen geschrieben, die sie verheimlicht haben wollten. Man nennt das den Streisand-Effekt: wenn man versucht, etwas zu verheimlichen, und es wird größer.

Wir haben jetzt viel über politische Macht gesprochen, doch es gibt auch noch wirtschaftliche Macht. Könnten Sie etwas Wissen mit uns teilen darüber, wie sich die Macht der Konzerne einmischt?

Ich denke, der Staat arbeitet effektiv für die Konzerne. Da gibt es keinerlei Trennung. Wenn man sich Firmen wie BAE Systems anschaut, dann gibt es da eine ganze Einheit im britischen Handelsministerium, die sich nur darauf konzentriert, britische Waffen in alle Welt zu verkaufen. Effektiv ist BAE der größte und wichtigste Waffenproduzent, also subventioniert der Steuerzahler den Privatkonzern BAE Systems. Das passiert auch z.B. mit BP, die sind sehr stark mit dem MI6 vernetzt, waren sie schon immer. Die britische Staatsmaschinerie – und ich denke, das trifft auch auf sehr viele andere Staaten zu – ist darauf ausgerichtet, die Macht der Konzerne auszubauen und die Interessen der britischen Konzerne umzusetzen, da ist gar keine Grenze. Tatsächlich veröffentliche ich nächstes Jahr ein Buch dazu, genannt „Silent Coup“ (stiller Putsch), darin geht es darum, wie Konzerne demokratische Strukturen in Staaten übernommen haben. Das sind Berichte aus der ganzen Welt. Wohin ich auch gehe: Für die einfachen Menschen, die sich gegen die Macht der Konzerne wehren, ist das offensichtlich. Wenn man Bauern oder wen auch immer fragt, ob die Regierung sie in ihrem Anliegen unterstützt, sagen sie, ‚nein, die Regierung arbeitet für die Konzerne‘, die verstehen das. Das ist ein gewaltiges Problem. Ich denke, das ist das größte Thema unserer Zeit, denn all die existenziellen Bedrohungen, denen wir ausgesetzt sind, besonders der Klimawandel, werden nicht angegangen, denn die Staatsgewalt selbst ist in der Hand der Konzerninteressen, der großen Ölkonzerne etc.

Wir haben einiges zu BP und Shell gemacht. Eine jüngere Story dreht sich darum, wie Shell während des Kalten Krieges die Propagandaabteilung in der britischen Regierung finanziert hat.

Können Sie vertrauenswürdige Nachrichtenkanäle empfehlen?

Bei der Arbeit, die ich mache, schaue ich mir wirklich grundlegend an, wie der britische Staat operiert und dazu will ich eine klare Sicht haben. Wenn man die Nachrichten liest, bekommt man oft so eine verzerrte Sicht und eine Illusion davon, was geschieht. Damit kann ich nicht umgehen. Ich habe die Financial Times allen Zeitungen vorgezogen, weil sie sehr schlank ist, doch auch die ist in den letzten Jahren ideologischer geworden. Ich empfehle die FT, wenn man eine Tageszeitung will, die nicht komplett von der Rolle ist.

Als ich bei der Financial Times war, habe ich einmal Noam Chomsky interviewt und er hat gesagt, die FT ist seine Lieblingszeitung. Ich habe ihn gefragt, warum er sie so gut findet. Neben anderen Dingen hat er gesagt, weil die Herren des Universums ein realistisches Verständnis von der Welt haben müssen, die sie managen und kontrollieren, da bleibt wenig Platz für Ideologie. Außerdem vertrauen sie ihrer Leserschaft. Sie müssen keine propagandistischen Illusionen einsetzen, um den Pöbel unter Kontrolle zu halten, und sagen, was man zu tun hat und was nicht, wie in den Boulevardzeitung oder wo auch immer. Da geht es ums Geld. Die FT habe ich eine ganze Weile gelesen, damit ist man am dichtesten dran.

Was unabhängige Medien angeht, passiert überall auf der Welt gerade viel Interessantes. Ich kenne sie nur nicht im Detail. Was in den USA los ist, ist mir nicht so bewusst, in England ist gerade viel gute Lokalpresse im Kommen.

Euer größtes Problem ist, die Informationen an die Öffentlichkeit zu bekommen, oder? Könnte die Lokalpresse hier helfen, Aufmerksamkeit zu bekommen?

Das ist tatsächlich etwas, worüber wir viel diskutieren. Was unsere Arbeitsweise angeht, machen wir uns keine Sorgen wegen unserer Produkte. Ich will nicht selbstgefällig wirken, aber wir denken, dass die Qualität unserer Kunst und die Qualität unseres Journalismus deutlich höher ist als die der Mainstream-Medien und vieler alternativer Medien. Darüber müssen wir uns also keine Sorgen machen. Woran wir arbeiten müssen, ist die Reichweite, denn das andere Prinzip, das wir haben, ist, dass wir nicht mit den Mainstream-Medien zusammenarbeiten. Das ist ziemlich einzigartig, selbst bei den unabhängigen Medien, doch wir wollten das so. Wir denken, sie sind das Problem. Ich denke, wenn man damit anfängt, verändert es einen in einer Weise, die sich nicht vermeiden lässt. Das ist ein Schutzmechanismus, den wir eingestellt haben, um nicht zu werden wie die Mainstream-Medien. Doch wenn man die nicht nutzt, nur wenig Geld zur Verfügung hat und kein Geld von Konzernen und Regierungen annimmt, wie erreicht man dann die Leute? Doch das ist es, was wir wollen, und das ist die offene Frage, an der wir arbeiten müssen. Die sozialen Medien helfen dabei, erreichen aber kein Massenpublikum, doch lokale Presse ist ein wichtiger Teil. Die meisten Storys, die wir machen, finden jedoch auf der nationalen Ebene statt, das sind keine lokalen Geschichten. Ich weiß noch nicht, wie wir das ausarbeiten. Die Lokalmedien in England wurden auch ausgedünnt in den letzten Jahrzehnten, da ist kaum noch etwas übrig.

Wir haben 5 Gründungsgeldgeber, gute Geldgeber. Sie glauben an das, was wir tun. Denn wegen dem, was wir machen, fasst uns die liberale Stiftungsindustrie nicht an. Deswegen kriegen wir auch kein Geld von Opensociety und ähnlichen Organisationen, das haben wir versucht.

Und das heißt umgekehrt, dass wir ziemlich klein bleiben müssen. Wir werden auch von der Öffentlichkeit finanziert, das ist, was wir wirklich wollen. Bisher sind es ca. 25 Prozent unseres Budgets, das ist wohl die beste Art, wirklich unabhängig zu bleiben. Denn auch Stiftungen verfolgen Agenden. Viele von ihnen sind gut, doch das Geld kommt irgendwoher. Die beste Art, so unabhängig wie möglich zu bleiben, ist deshalb ein Abonnentenmodell, doch das ist nicht so einfach.“

Titelbild: Skorzewiak/shutterstock.com