Griechenland – Schock ohne Therapie

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Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Griechen durch die ihnen von der der EU, der EZB und dem IWF auferlegte Schock-Strategie immer weniger in der Lage sind, ihre Schulden zu begleichen. Griechenland gleitet in eine „Rezessflation“ ab: das wirtschaftliche Wachstum bricht ein, die Inflation steigt, die Steuereinnahmen reichen bei weitem nicht aus, um die Schulden zu bedienen, der Schuldenberg ist weiter gewachsen und die Verzinsung der Kredite steigt in schwindelnde Höhen. Die allgemein gehandelten Lösungsangebote, nämlich „Staatsinsolvenz“, Umschuldung oder ein Austritt aus dem Euro hätten katastrophale Folgen – keineswegs nur für Griechenland.
Kurzfristig müsste die Spekulation auf den Finanzmärkten durch Euro-Anleihen gestoppt werden. Wenn man die Europäische Union erhalten will, führt mittelfristig kein Weg an einer Minderung der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der Währungsunion vorbei. Eine Umkehrung der Lohnstückkostenpfade wäre für die übergroße Mehrheit der Deutschen die weitaus erfreulichste Option. Wolfgang Lieb

Wir haben auf den NachDenkSeiten ausführlich über Fehler und Verantwortungslosigkeiten der griechischen Politik und insbesondere der Finanzpolitik der letzten Jahr berichtet, über Klientelpolitik, über Günstlings- und Misswirtschaft im öffentlichen Sektor, über eine Steuereintreibung die zum Himmel schreit, über Kartelle im Transportwesen oder korrupte Gewerkschaften usw. Es gibt also einen hohen Eigenanteil der griechischen Gesellschaft und der Politik an der derzeitigen Krise.

Trotz allem stellt sich die Frage, ob die von der „Troika“ aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission verordnete Schock-Strategie nur einen Schock ohne Therapie auslöst.

Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die von außen verordnete Austeritätspolitik nur dazu führt, dass die Griechen immer weniger in der Lage sind, ihre Schulden zu begleichen. Nach Meldungen der europäischen Statistikbehörde Eurostat kletterte der griechische Schuldenstand im abgelaufenen Jahr auf 142,8 Prozent des Bruttoinlandproduktes (Zum Vergleich Deutschland: 83,2 Prozent). Die griechische Nettoneuverschuldung lag bei 10,5 Prozent des BIP (Zum Vergleich Deutschland: 3,3 Prozent im Jahr 2010).

Trotz der drastischen Erhöhung der direkten (die durchschnittliche Steuerlast liegt inzwischen bei 41,5 % (!) Quelle: Bild v. 30.4.2011) und indirekten Steuern (die Mehrwertsteuer stieg von 19 auf 23 %) auf breiter Front und einer erheblichen Verteuerung der öffentlichen Dienstleistungen, sind die Steuereinnahmen in Griechenland im Jahr 2010 nur um 5,5 Prozent statt der Zielvorgabe von über 13 Prozent gewachsen. Der Kampf gegen den griechischen „Volkssport“ der Steuerhinterziehung und gegen die Korruption hat trotz sog. „Fakelaki“-Jägern bei weitem nicht den erwarteten Erfolg gebracht.

Die Sparzwänge der „Troika“ haben zu einer drastischen Kürzung der Einkommen im öffentlichen Dienst, bei den staatlichen Unternehmen (DEKOs) und bei den Rentenbezügen um 15 – 20 Prozent geführt. Bei allen Ministerien wurden die Haushaltsmittel um 10 % gekürzt. Auch im privaten Sektor kam es zu einer erheblichen Minderung der Löhne und Gehälter. Mit einer Rückkehr ins „arbeitsrechtliche Mittelalter“ wurden per Gesetz Arbeitnehmerrechte und –Ansprüche abgebaut und es konnten sogar Tarifverträge außer Kraft gesetzt werden. 65.000 Betriebe gingen Konkurs und die Pleitewelle breitet sich weiter aus. Die Arbeitslosigkeit stieg zum Jahresauftakt auf 15,1 Prozent, mehr als jeder vierte Jugendliche ist ohne Arbeit. 20 Prozent der Bevölkerung leben unter der offiziellen Armutsgrenze.

Durch die Verteuerung öffentlicher Dienstleistungen (z.B. wurden die Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr um 30 bis 50 Prozent erhöht) oder die Erhöhung der indirekten Steuern kam es notwendigerweise zu Preissteigerungen; nach Angaben von Eurostat erreichte die Inflationsrate Anfang dieses Jahres satte 5 Prozent. Addiert man die Einkommensminderungen und die Preissteigerungen – ausgedrückt in der Inflationsrate – ergibt sich für den Großteil der Bevölkerung eine Senkung des Lebensstandards um 15 bis 25 Prozent.

Die Wirtschaftsleistung ist dementsprechend im letzten Jahr um 4,5 Prozent geschrumpft und die Talfahrt dauert auch in diesem Jahr an, was die Steuereinnahmen weiter mindern wird.

Wieder einmal zeigt sich, dass Sparwille oder auch Sparzwänge in einer Volkswirtschaft keineswegs auch zu Sparerfolgen führen müssen und auch gar nicht können.

Eine Rezession und eine Inflation kommen in Griechenland zusammen. („Rezessflation“) Die Regierung hat keine gesellschaftliche Mehrheit mehr hinter sich, weil ihre Krisenpolitik als ungerecht empfunden wird.

Kein Wunder also, dass Griechenland immer größere Schwierigkeiten hat seine Schulden zu bedienen und nicht weiter erstaunlich, dass die Verzinsung für neue Kredite in schwindelnde Höhen steigen. Die Rendite für zehnjährige Papiere liegt inzwischen bei 16,40 Prozent, für zweijährige Papiere sogar bei mehr als 25 Prozent (Zum Vergleich: Zweijährige Bundeswertpapiere rentieren mit 1,76 Prozent). Allein diese Zinslast erstickt jede wirtschaftspolitische Maßnahme zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums. Die Zinszahlungen machen derzeit schon ein Viertel der Steuereinnahmen aus. Eine solche Zinslast könnte sich selbst ein prosperierendes Land nicht leisten.

Wenn es zu keiner Abkehr von der eingeschlagenen Schock-Strategie kommt, dann ist kein Ende des „Race to tho Bottom“ (Abwärts-Wettlauf) abzusehen. Was bleibt ist ein Schock ohne Therapie.

Oft hört man nun den Vorschlag, Griechenland einfach pleite gehen zu lassen. Auch ein Ausstieg aus der Europäischen Währungsunion und eine Rückkehr zur bis 2001 als Währungseinheit gültigen Drachme werden diskutiert. Immer häufiger wird ein sog. Hair-Cut, also eine Umschuldung mit einem Teilverzicht der Gläubiger ins Gespräch gebracht.

Alle diese derzeit diskutierten „Auswege“ aus der griechischen Schuldenkrise hätten unabsehbare Folgen. Ein „Staatsbankrott“ (was das auch immer sein mag) hätte nicht nur den Zusammenbruch des gesamten griechischen Bankensystems zur Folge, auch die ausländischen kreditgebenden Banken wären massiv betroffen. Alle deutschen Banken sind nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) mit rund 43 Milliarden Dollar drittgrößter Gläubiger Griechenlands nach französischen (75 Milliarden) und Schweizer Instituten (64 Milliarden).

Bei einer Umschuldung würden die Schulden nur je nach der Höhe des Schuldenschnitts um 30, 40 oder um die Hälfte verringert, Griechenland hat sich aber – anders als damals Argentinien – nicht in einer fremden Währung sondern in seiner eigenen Währung – dem Euro – verschuldet, d.h. die Restschulden würden auch in Euro zurückbezahlt werden müssen. Außerdem würden mit einem „Haircut“ die außenwirtschaftlichen Probleme Griechenlands bestenfalls vertagt. Denn angesichts der oben beschriebenen Spirale nach unten, wäre Athen auch in Zukunft noch weniger in der Lage, den dann vielleicht niedrigeren Schuldenberg abzutragen, die Zinsen würden noch mehr nach oben schießen, wenn es denn überhaupt noch an ausländische Überbrückungskredite für die „Restschuld“ herankommen würde. Und wenn die Anleihezinsen deutlich über den Wachstumsraten liegen, würde auch die Schuldenquote wieder ansteigen.
Man hätte also allenfalls einen Jo-Jo-Effekt.

Im Übrigen war die Restrukturierung der Staatsschulden in Lateinamerika und Asien für die Banken ein lukratives Geschäft. Selbst der EZB-Chef Jean-Claude Trichet vermutet deshalb, dass jedenfalls die von einem „Haircut“ nicht so stark betroffenen Banken, einen Schuldenschnitt bewusst herbeiredeten.

Man mag von einem der härtesten Monetaristen in der Europäischen Zentralbank wirtschaftspolitisch wenig halten, aber wenn deren Chefvolkswirt Jürgen Stark warnt, dass ein Bankrott oder ein Schuldenschnitt eine Bankenkrise auslösen könnte, die die „Auswirkungen der Lehman-Pleite in den Schatten stellen könnte“ , dann dürfte das kaum übertrieben sein.

Mit einem Austritt aus der Währungsunion und einer Rückkehr zur Drachme, könnte Griechenland zwar durch Abwertung seine hoffnungslose außenwirtschaftliche Situation besser auffangen (die Importe würden teurer und die Exporte würden billiger), aber mit einer Währung die gegenüber dem Euro kaum noch einen Tauschwert hätte, würde die externe Verschuldung (in eigener Währung) wiederum geradezu explodieren lassen. Ein „Haircut“ der Schulden um 50 Prozent wäre bei einer Abwertung der griechischen Währung um 50 Prozent völlig neutralisiert, die Flucht griechischen Kapitals ins Ausland wäre unvermeidlich, die griechischen Banken wären pleite, die kleinen Sparer würden enteignet. Ob dringend notwendige Auslandsinvestitionen in ein Land mit weicher Währung getätigt würden, ist mehr als fraglich.

Mit einem Austritt Griechenlands aus der EWU würde wahrscheinlich darüber hinaus ein Domino-Effekt angestoßen: Länder mit gleichfalls hohen Verschuldungsquoten (öffentlicher Schuldenstand im Verhältnis zum BIP) würden oder müssten diesem Beispiel folgen: Italien mit 119%, Portugal mit 93% oder gar Belgien mit 96,8% oder Irland mit 96,2%. Die Karawane der Spekulanten würde jedenfalls weiter ziehen, vielleicht auch über Italien Ungarn (80,2%) oder sogar bis nach Großbritannien (80%). Selbst für Deutschland mit einer Verschuldungsquote von 83,2% könnte trotz sinkender Nettoneuverschuldung ins Visier der Spekulanten geraden.

Wenn in Griechenland die Kreditzinsen steigen, dann spiegelt das nicht nur seine fiskalische Notlage wieder, sondern es ist zugleich ein Zerrbild des ungebremsten Spekulantentums. Solange die Spekulanten darauf setzen können, dass ihre Verluste angesichts des „systemischen Risikos“, das eine Staatspleite oder ein Schuldenschnitt für die nationalen Bankensysteme auslösen würde, darauf bauen können, dass sie durch staatliche Rettungsschirme aufgefangen werden, kassieren sie auf doppelte Weise ab. Sie können sich Gelder bei der EZB für einen minimalen Zinssatz abholen und die von der Zentralbank zur Verfügung gestellt Liquidität für einen maximalen Zins verleihen. Und womöglich verdienen dieselben Banken oder Vermittlungsinstitute wie die Deutsche Bank nochmals an den auf die ausgegebenen Kredite gehandelten Kreditausfallversicherungen.

Die in den sog. Euro-Krisenmechanismus eingegangene populistische Idee der Bundesregierung, dass auch Banken oder Fonds ab 2013 mit in Haftung genommen werden sollen, wird es Griechenland oder anderen hoch verschuldeten Euro-Staaten nur noch schwerer machen, an Kredite zu kommen und die Zinsspekulationen noch mehr anheizen.

Wer Griechenland helfen will und wer eine Europäische Währungsunion und einen europäischen Wirtschaftsraum erhalten will, müsste als erstes die Spekulation bekämpfen. Die durch Politik und Medien verstärkte Panik der „Märkte“ müsste gestoppt werden. Das wäre durch den (weiteren) Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB etwa zu einem durchschnittlichen Festzins, wie ihn andere europäische Staaten zu bezahlen haben, ohne weiteres möglich; mit Euro-Anleihen von Anfang an hätte es die Spekulationsattacken gar nicht erst geben. Es ist doch angesichts des offenkundigen Desasters, in das Griechenland (durchaus auch selbstverschuldet) geraten ist, absurd „die Finanzmärkte“ dazwischen zu schalten, so dass die EZB nicht direkt, sondern über den Umweg der Refinanzierung der Banken griechische Staatsanleihen kauft. Mit diesem dazwischen geschalteten „Kartenhaus des Bankensystems“ (Flassbeck) ermöglicht man den Finanzmarktakteuren nicht nur die verschuldeten Staaten sondern das europäische Währungssystem insgesamt an die Wand fahren.
Selbst wenn damit die Zinsen für die „Alt“-Gläubiger und derzeitigen Wucherzinsbezieher auch fallen würden, so kämen sie damit immer noch besser davon, als durch einen „Haircut“.

Durch Euro-Anleihen sind natürlich nicht die zurückliegenden Fehler und Verantwortungslosigkeiten der griechischen Politik zu korrigieren. Selbstverständlich müsste Griechenland seinen Öffentlichen Dienst reformieren und seine öffentliche Betriebe rationalisieren, vor allem müsste das Land energisch die Korruption und den unglaublichen Steuerbetrug bekämpfen. Aber selbst wenn diese „Hausaufgaben“ (ggf. mit Hilfe und Druck von außen) erfolgreich erledigt werden könnten, hätten Griechenland und andere europäische Mittelmeeranrainerstaaten – jedenfalls innerhalb Europas – keine Chancen, wenn sie ihre Binnenwirtschaft weiter kaputtsparen müssten und es nicht gelänge, ihre Rezession zu bekämpfen. Dazu müssten vor allem auch die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte zumindest gemindert werden. Griechenland importierte 2008 Waren im Werte von 94 Milliarden Euro und exportierte Produkte im Wert von 30 Milliarden Euro. Das Handelsbilanzdefizit ist seit Jahren katastrophal mit den seit langem erkennbaren Konsequenzen der privaten und – damit zusammen hängend – staatlichen Verschuldung. Die meisten Importe in Höhe von über 13 Prozent kamen übrigens aus Deutschland. Wenn also Griechenland weg bricht, so trifft das auch die deutsche Exportwirtschaft empfindlich.

Deutschland hat folgende politische Optionen:

  • Man bleibt bei der „Schock-Strategie“ und lässt Griechenland in den Abgrund eines „Staatsbankrotts“ oder eines „Haircuts“ oder eines Austritts aus der Euro-Zone stürzen und die Steuerzahler dürfen dann eine weitere Bankenkrise auffangen
  • oder man hilft Griechenland und anderen europäischen Krisenländern über die EZB durch zinsgünstige Überbrückungskredite
  • oder – und das wäre die mittelfristig einzig erfolgreiche Lösungsstrategie in einem vereinten Europa – man würde durch eine raschere Anhebung der Lohnstückkosten gegenüber den EWU-Partnern deren Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, so dass die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der Europäischen Union verringert werden könnten.

Die Verringerung der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte durch eine Umkehrung der Lohnstückkostenpfade packt das Problem nicht nur an der Wurzel an, sie wäre jedenfalls auch der für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung günstigste Weg: Die schwächelnde deutsche Binnenwirtschaft würde gestärkt, die gefährliche Exportabhängigkeit würde verringert, die Löhne und die Kaufkraft der Arbeitnehmer würde erhöht.

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