From Hero to Zero – die jämmerlichen Reaktionen des deutschen Mainstreams auf Seymour Hershs Enthüllungen. Jämmerliche Medien (7)

From Hero to Zero – die jämmerlichen Reaktionen des deutschen Mainstreams auf Seymour Hershs Enthüllungen. Jämmerliche Medien (7)

From Hero to Zero – die jämmerlichen Reaktionen des deutschen Mainstreams auf Seymour Hershs Enthüllungen. Jämmerliche Medien (7)

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Deutsche Medien, die sich noch vor wenigen Jahren mit ihren Elogen über den „besten investigativen Reporter der Welt“ (SZ) und die „Journalismus-Ikone“ (SPIEGEL) überboten, sind nun eifrig damit beschäftigt, das von ihnen mitgebaute Denkmal mit Kot zu bewerfen. Man kritisiert die Arbeitsmethoden, die man früher gelobt hat, führt dabei eine der Grundlagen investigativen Journalismus, nämlich den Quellenschutz, ad absurdum und wirft ad hominem mit Begriffen wie „Verschwörungstheorien“ nur so um sich. Es ist einfach nur jämmerlich. Und doch hat dies System. Solange Seymour Hershs Enthüllungen die Verbrechen „böser“ Präsidenten wie Nixon oder Bush jr. betrafen, war er der Held. Als er jedoch zum ersten Mal den „guten“ Barack Obama angriff, wurde er zum Ausgestoßenen, und nun, wo es um den „heiligen“ Krieg um die Freiheit Europas geht, ist er offenbar der Leibhaftige. Es ist nur noch jämmerlich. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wenn zwei Journalisten des zum Reich des Werbekonzerns Ströer Media gehörenden Nachrichtenportals t-online sich über die Arbeitsmethoden von Seymour Hersh mokieren, so hat das schon etwas Skurriles und erinnert an ältere, beleibte Herren, deren Karrierehöhepunkt der Klassenerhalt mit den Alten Herren der SVG Obertüpfingen war, die sich bierselig über die mangelnden technischen Fähigkeiten eines Lionel Messi beschweren. So regt sich ein gewisser Bastian Brauns auf dem Portal doch tatsächlich darüber auf, dass Hersh „nur eine ungenannte, fragwürdige Quelle“ als Beleg heranführe. Warum die von Hersh genutzte Quelle „fragwürdig“ sein soll, verrät er den Lesern freilich nicht – wie denn auch, ist sie doch „ungenannt“ und ihm demnach gar nicht bekannt. Aber das ist Brauns offenbar egal, da er ja die Nutzung „fast ausschließlich anonymer Quellen“ als Arbeitsmethode generell kritisiert.

Brauns würde sowas freilich niemals tun. In seinem Artikel zitiert er lieber einen ehemaligen CIA-Mitarbeiter und den nennt er sogar namentlich. Und der hält Hershs Aussagen natürlich für „Verschwörungen und Unsinn“. Ja, wenn ein CIA-Mitarbeiter das sagt, der sogar namentlich zitiert werden will, wird das natürlich auch stimmen. Hat die CIA jemals gelogen?

Ach Schuster, wärst du doch bei deinen Leisten geblieben! Natürlich läuft es einem modernen Journalisten, dessen Arbeit darin besteht, sich bei Pressesprechern durchzutelefonieren, um autorisierte Zitate zu sammeln, alleine schon bei der Vorstellung kalt den Rücken runter, so wie Hersh mit einem Whistleblower zu sprechen, der aus verständlichen Gründen nicht namentlich genannt werden will. Davon kann zum Beispiel ein Edward Snowden ein Lied singen – ach nein, Snowden weilt ja mittlerweile in Russland und taugt daher nicht als Beispiel. Wie wäre es mit Chelsea Manning? Nee. Und Julian Assange? Auch nicht, lassen wir das. Whistleblower, zumal Whistleblower, die Verbrechen der US-Regierung aufdecken, sind schon etwas Halbseidenes – sonst würden sie im Land der Freiheit ja nicht verfolgt. Oder? Fall erledigt, Akte geschlossen.

Ins gleiche Horn stieß gestern wenige Stunden später Brauns Kollege David Schafbuch. Dessen Aufgabe bestand darin, den Ruf Seymour Hershs anzugreifen. Ein Drahtseilakt, bei dem Schafbuch dann auch verdient mit Karacho auf den Manegeboden kracht. Denn nicht nur Hershs frühere, mit Preisen ausgezeichnete, Enthüllungen, sondern die meisten großen Enthüllungsstorys basierten auf den Informationen von anonymen Quellen – oft sogar nur einer einzigen. Hätten beispielsweise Bob Woodward und Carl Bernstein ihre Watergate-Enthüllungen nicht schreiben sollen, weil ihr Informant „Deep Throat“ nicht namentlich zitiert werden wollte? Ok, es ist vielleicht unfair, die Watergate-Enthüllungen mit dem typischen T-Online-Content zu vergleichen, der eher um das investigative Abdrucken von halbbekleideten C-Promis kreist.

Aber zurück zu Hersh. Bei der Bewertung dessen Arbeit stoßen wir auf eines dieser komischen Bewertungskriterien zeitgenössischer Journalisten. Als er beispielsweise Nixon mit den Enthüllungen über die Kriegsverbrechen in My Lai in Bedrängnis brachte, war dies gut. Als er Bush jr. mit den Enthüllungen über Abu-Ghuraib in Bedrängnis brachte, war dies ebenfalls gut. Als er dann aber mit den gleichen Methoden kritische Enthüllungen über die Bin-Laden-Tötung und den vermeintlichen Giftgasangriff in Syrien veröffentlichte, die Obama in Bedrängnis hätten bringen können, stürzte sich plötzlich die gesamte Medienlandschaft auf ihn und kritisierte eben jene Methoden, für die sie Hersh zuvor mit Preisen überhäuft hatte. Wen wundert es da, dass er für die Enthüllungen, die Biden in Bedrängnis bringen könnten, keinen Applaus bekommt? Hätte Trump den Anschlag auf Nord Stream befohlen, sähe die Sache sicher vollkommen anders aus.

Aber es ist ja nicht nur t-online, die Bäckerblume des Online-„Journalismus“, das plötzlich in barscher Form ad hominem auf Seymour Hersh eindrischt. Besonders tat sich gestern auch einmal mehr die Süddeutsche Zeitung hervor. Dort war es – wem auch sonst? – der transatlantischen Edelfeder Stefan Kornelius überlassen, „die Schattenseiten“ des „abgeglittenen Ex-Stars des investigativen Journalismus“ in einem Meinungsartikel zu offenbaren. Hersh hätte, so Kornelius, „seine Lebensreputation dem Geschäft der Konspiration“ geopfert. Schon diese Formulierung ist eigenwillig, hat Hersh den Artikel doch kostenfrei auf seinem Blog veröffentlicht. Das erscheint mir aber kein gutes Geschäftsmodell mit der Konspiration zu sein. Aber sei es drum.

Bis auf haltlose Ad-hominem-Pöbeleien erfahren wir in der Sache von Kornelius ohnehin nichts. Sein schlagkräftigstes Argument: Weil die US-Regierung die Vorwürfe dementiert, können sie nicht stimmen. Ja, das leuchtet natürlich ein. Jeder Richter sollte sich diese Weisheit zu Herzen nehmen. Wenn der Angeklagte den Vorwurf abstreitet, ist der Vorwurf falsch. Oder? Da gibt es natürlich Ausnahmen! Wenn der Angeklagte Putin, Xi, Assad, Maduro, Orban, Kim oder sonst wie heißt, gilt die Goldene Kornelius’sche Regel natürlich nicht. Dann ist es genau umgekehrt. Aber das spielt ja hier keine Rolle, da Seymour Hersh der US-Regierung etwas vorwirft und die hat – siehe oben – immer recht. Fall erledigt, Akte geschlossen.

Was wohl Kornelius’ Kollegen zu diesen Weisheiten sagen? Immerhin feierte das Politik-Ressort Hersh noch vor wenigen Jahren als „besten investigativen Reporter der Welt“ – na klar, es ging damals „über die Neokonservativen um US-Präsident Bush“ und nicht über die ausnahmslos Guten um US-Präsident Biden. Vor drei Jahren war Hersh für die Süddeutsche immer noch „ein begnadeter Einzelkämpfer“ und ein „Großreporter“. Aber das ist ja nun Geschichte … außer vielleicht Hershs nächste Enthüllung betrifft wieder einen US-Präsidenten, den die Süddeutsche nicht mag; aber das ist aufgrund der immer tieferen US-Liebe der Süddeutschen und Hershs fortgeschrittenem Alter eher unwahrscheinlich.

Eher unfreiwillig komisch fiel indes die erste Reaktion der Tagesschau aus. Dort hatte man den Fall – auch das überrascht nicht – dem windigen hausinternen Faktenchecker-Team übergeben. Und die „widerlegten“ Hersh auf ihre ureigene Art. Da die USA und Norwegen die Vorwürfe zurückweisen, seien sie falsch. Das kennen wir nun schon. Dann folgt ein Drittel des Textes, der lediglich die Reaktionen Russlands und der AfD beschreibt, und wir wissen ja alle, dass alles, was Russland und/oder die AfD sagen, automatisch falsch sein muss. Aber die Faktenfinder wären nicht die Faktenfinder, wenn sie nicht noch einen „Experten“ konsultiert hätten, der die versprochenen Fakten liefert. Doch genau das tut der zitierte Experte der Universität der Bundeswehr in Hamburg – woher auch sonst? – nicht. Amüsant: Der Experte hatte offensichtlich den Artikel von Hersh noch nicht einmal gelesen und „widerlegte“ stattdessen einige kleinere Punkte, die gar nicht so im Artikel auftauchen. Egal. Fall erledigt, Akte geschlossen.

Und jeder, der was anderes behauptet, ist ein Putin-Versteher und Schwurbler. Jede Wette, dass Matthias Meisner uns in den nächsten Tagen im Volksverpetzer noch erklärt, warum Hersh ein Nazi ist und alle, die seinem Artikel Glauben schenken, die AfD unterstützen.

Jämmerliche Medien. Anders kann man es leider nicht ausdrücken. Dass es auch anders geht, zeigt ein kurzer Blick ins Ausland. Als Erstes berichtete nicht etwa Russia Today, wie es faktenwidrig in einigen Artikel deutscher Journalisten heißt, sondern die angesehene britische Times über Hershs Artikel – und dies im Vergleich zu deutschen Medien äußerst informativ und fair. Gleiches gilt für die italienische Repubblica, die französische La Tribune und den australischen Daily Telegraph, um nur einige Beispiele zu nennen.

Es ist schon traurig, dass statt deutscher Journalisten ein US-Journalist die Aufklärung eines Terroranschlages auf deutsche und europäische Infrastruktur voranbringen muss. Noch trauriger ist es, dass deutsche Journalisten diese Arbeit dann entweder ignorieren oder instinktiv in den Dreck ziehen. Ja, der Zustand unserer Medien ist wahrlich jämmerlich.

Titelbild: Anton Vierietin/shutterstock.com

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