Späte Gerechtigkeit: Otto John rehabilitieren

Späte Gerechtigkeit: Otto John rehabilitieren

Späte Gerechtigkeit: Otto John rehabilitieren

Burkhart List
Ein Artikel von Burkhart List

Das Brecht-Zitat von der Dummheit und den Lügen besseren Wissens[*] wird immer aktueller. Tagtäglich. Tausendfach. Bei der ARD bin ich mir nicht sicher. Ist es einfach Dummheit oder schon Verbrechen im Brecht‘schen Sinne? Die Anmache des Senders wird jedenfalls immer dreister, im selben Maße wie die Meinungs- und Pressefreiheit peu a peu in Deutschland eliminiert wird. Deshalb blicke ich einigermaßen überrascht auf die TV-Serie des Senders über Otto John, dem ersten Verfassungsschutzpräsidenten der BRD. „Bonn – Alte Freunde, neue Feinde“. Er scheiterte an den alten Nazi-Seilschaften. Und die Serie zeigt das ohne Wenn und Aber. Auch die begleitende Doku springt nicht aus der Faktenwelt in die Relativierung, um die bittere Wahrheit zu entschärfen, wie es bei heiklen Themen oft der Fall ist. Von Burkhart List.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Otto John war 1954 verschwunden, genauer gesagt nach einer Gedenkfeier zum 20. Juli 1944 in Berlin, wo ihm bewusst geworden war, dass die bewaffnete Geheimorganisation alter SS-Kader, die er aufgedeckt hatte, nicht nur von Reinhard Gehlen angeleitet, sondern auch vom US-Geheimdienst unterstützt wurde. Er tauchte in Ost-Berlin auf und berichtete unverhohlen von der Wiederauferstehung der Nazis in der BRD, unterstützt von den USA gegen die Sowjetunion. Der internationale Skandal war perfekt.

Die Hetzjagd gegen den „Verräter“ war damals nach Art des früheren Propagandaministers. Und Gehlen, der spätere BND-Chef, kommentierte es auch auf diese Weise: „Einmal Verräter, immer Verräter!“. Damit bezog er sich auf Johns Zugehörigkeit zum Widerstandskreis um Stauffenberg.

Nach seiner Rückkunft in die BRD wurde John wegen Landesverrats angeklagt und zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Dass dieses Urteil eine ideologische Inszenierung war von den alten Nazis, angefangen bei Globke und Gehlen und NS-Richtern, die niemals zur Rechenschaft gezogen worden waren, bleibt im Geschichtsnebel weiterhin verborgen. Wie so vieles aus dieser Zeit.

Was ist nun der Anlass für diese Story? Ist doch alles bekannt, oder? Na ja, da gibt es noch einen besonderen Aspekt, der nicht in der Geschichtsbetrachtung über John vorkommt und der viele Jahre später über den langen Arm der Nazi-Seilschaften einiges zu erzählen hat.

Es war im Winter 1986, als mich der Chefredakteur des KURIER, damals die zweitgrößte Tageszeitung in Österreich, Gerd Leitgeb, persönlich zu einem Gespräch bat, um mir einen speziellen Rechercheauftrag zu geben, wie er meinte. Ich sollte über Otto John eine Reportage schreiben. Wie er in seinem Schlösschen in Igls, nahe Innsbruck, mit seiner Frau lebe und wie er seinen Landesverrat heute sähe. Vielleicht könne ich ihn überführen. Meine investigativen Stories wirbelten damals gerade die Republik durcheinander. „Wenn es etwas zu finden gibt, dann werde ich das tun,“ sagte ich. Jedenfalls waren der Spesenersatz, die Diäten und das Honorar ungewöhnlich hoch. Für eine Reportage über einen alten Herrn, der einsam in den Bergen lebt und den niemand mehr kennt? Na gut, schau ma mal.

Mein Wissen zu Otto John beschränkte sich damals auf eine rudimentäre Kenntnis über den Fall des Verfassungsschutzpräsidenten und darauf, dass er als einer der Wenigen aus dem Kreis von Stauffenberg den Häschern entkommen war. Gejagt hatte ihn 1944 Major Otto Ernst Remer. Hitler hat diesen Remer zum Generalmajor befördert. Dieser Mann war mir bekannt. Wie es dazu kam?

Zusammen mit Gerhard Kromschröder[**](STERN) und Gerald Navara (Fotograf) suchten wir ihn als Odal Austria, eine gefakte Nazigruppe aus Wien, um den 8. Mai 1985 auf und verbrachten einen ganzen Nachmittag mit ihm und seiner Frau. Obwohl vor seinem Haus in Kempten ein weißer Wagen mit zwei Polizisten stand, die ihn offenbar überwachen sollten, waren wir über einen Hinterausgang in der Lage, sein geheimes Kellerlager zu besichtigen. Er zeigte es uns stolz und lachte über die „Amtsdeppen“, wie er die Polizisten nannte, vor dem Haus. Im Keller lagen stoßweise Videokassetten „Die Auschwitzlüge“, „private Filmaufnahmen des Führers“, von Eva Braun und anderes Propagandamaterial. Es war bis an den Rand gefüllt mit Nazikram.

Dieser Remer freute sich überschwänglich über den Besuch aus der „Ostmark“ und konnte es sich nicht verkneifen, uns mehrere Packen Briefe anzuvertrauen, die wir am besten in München in verschiedene Briefkästen werfen sollten. So dass sie nicht von den Behörden erkannt und aussortiert werden konnten. Offenbar hatten wir bei dem alten Nazi einen starken Eindruck hinterlassen. Übrigens: Abgeschickt wurde nichts. Die Adressaten der Briefe in Österreich wurden von mir aufgesucht und auf Remer angesprochen. Darunter war auch ein Major am Fliegerhorst in Hörsching bei Linz. Niemand distanzierte sich von Remer.

Der unverbesserliche Nazi war mir also bekannt. Als die Reportagen in STERN und BASTA erschienen waren, kümmerte sich die Polizei sofort um Remer. Sie fand das geheime Lager und beschlagnahmte es. Ein Gerichtsverfahren wurde vorbereitet, wo wir Journalisten als Zeugen geladen werden sollten.

Viele Monate später war dann das Verfolgungsopfer Otto John mein Gesprächspartner. Was sagte doch Remer über ihn? „Den hätten wir wie alle anderen sofort aufgehängt…!“

Von Kempten nach Igls sind es Luftlinie vielleicht 100 Kilometer. Und eine andere Welt. Bei Remers gab es „Eintopf vom Führer“ und bei Johns Earl Grey mit Keksen. Mein Eindruck war unzweifelhaft. Es mag zwar nie wirklich aufgeklärt werden, wie John nach Ost-Berlin gelangt war – er bestand darauf, betäubt und entführt worden zu sein – aber eines stand für mich fest: Er war ein durch und durch anständiger Mensch, kein windiger Spion und schon gar kein Verräter. Einer, der tatsächlich ein antifaschistisches demokratisches Deutschland im Sinn hatte. Bei Remer war hingegen der alte bösartige und antisemitische Nazi präsent.

Meine Story über John für den KURIER wurde fast schon erwartungsgemäß von der Chefredaktion nicht angenommen, aber ein Abstandshonorar bezahlt. Der aus meinen Zeilen authentische Teil des Besuchs kam dann in einem Artikel vor, der die Ansicht von Herrn Leitgeb widerspiegelte. Allerdings viel vorsichtiger, als ursprünglich von ihm erzählt.

Knapp drei Monate später wurde mir klar, weshalb Otto John mitten im Winter ganz plötzlich so aktuell geworden war. Der deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte per 1. Mai 1986 eine Rente dem so ungerecht behandelten Otto John zuerkannt. Der KURIER-Chefredakteur wurde von mir darauf angesprochen, dass er diese Rente verhindern und mich als bekannten antifaschistischen Journalisten als Instrument dafür missbrauchen wollte. Mit seinen deutschen rechten Kameraden im Staatsapparat – er selbst war in einer schlagenden Burschenschaft – habe er das über die „Bande“, über Österreich spielen wollen. Er antwortete nur süffisant: „Na und, an Unschuldigen hätt‘s net erwischt.“

„An Schuldigen,“ um in der Wiener Diktion zu bleiben, hat es anderen Orts erwischt. Nämlich besagten Otto Ernst Remer in Kempten. Aufgrund unserer Zeugenaussage und des Ergebnisses der Hausdurchsuchung wurde er schuldig gesprochen und ihm die Rente aberkannt. Auch eine Form später Gerechtigkeit. Und dass wir Journalisten dazu beitragen konnten, war quasi die Belohnung für eine nicht leicht erträgliche Recherche. Jetzt warten wir nur noch auf die posthume Rehabilitierung von Otto John.


[«*] B. Brecht: „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.“

[«**] Gerhard Kromschröder: „Ich war einer von ihnen“, Eichborn Verlag

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