Gefährliche Gerüchte aus Berlin

Ein Artikel von Niels Kadritzke

Am gestrigen Montag hat in Athen die leitende Staatsanwältin Elena Raikou eine strafrechtliche Vorermittlung gegen die Redaktion von SPIEGEL-Online in die Wege geleitet. Verfolgt werden soll ein Delikt namens „Verbreitung falscher Nachrichten“, das in Griechenland eine Panik ausgelöst habe. Gemeint ist damit die Publikation vom vergangenen Freitag, wonach die Regierung Papandreou überlege, den Euro aufzugeben und wieder eine eigene Währung einzuführen.
Die Ermittelungen werden wahrscheinlich in einer juristischen Sackgasse enden, aber der Vorgang zeigt, wie intensiv das vom SPIEGEL verbreitete Gerücht die griechische Öffentlichkeit beschäftigt. Dabei sind informierte Beobachter und die seriöse Presse in der Meinung einig, dass hinter der Publikation politische Kreise in Berlin stehen. Das ist nicht unrealistisch, weil SPIEGEL-Online in der Vergangenheit mehrmals als Outlet für Ideen aus der Regierung und speziell aus dem Finanzministerium diente. Von Niels Kadritzke

Über die Motive werden in der Fachpresse mehrere Theorien gehandelt. Eine Vermutung lautet, dass irgendjemand auf einen kurzfristigen Kursverlust des Euro spekuliert hat, was immer sein kann und wie immer nicht zu beweisen sein wird, Interessanter sind zwei andere Vermutungen:

  • Es handele sich um einen Warnschuss nach Athen, der besagen soll: Wenn ihr eurer Sparprogramm nicht einhaltet und eine Umschuldung näher rückt, bedeutet dies über kurz oder lang den Ausschluss aus der Eurozone; eine solche Prognose erscheint angesichts der in Finnland und anderswo sichtbaren Ablehnung weiterer Hilfen an die Euro-Problemstaaten keineswegs abwegig.
  • Es handele sich um einen Testlauf, um zu erkunden, wie stark die Stabilität des Euro leidet, wenn die Möglichkeit eines Ausschlusses von einem (oder mehreren) der Wackelkandidaten angedacht wird; nach dieser Theorie hielt sich die Nervosität „der Märkte“ in Grenzen.

Richtig an der Meldung von SPIEGEL-Online ist zweifellos, dass das griechische Sparprogramm zu scheitern droht, weil die Staatseinnahmen hinter den Planungen zurückbleiben. Das hat vor allem zwei Gründe: Die wirtschaftliche Flaute hält unvermindert an (für 2011 ist ein Minuswachstum von mindestens drei Prozent zu erwarten) und die Finanzämter treiben in Zeiten der Wirtschaftsflaute noch weniger Steuern (und Steuerschulden) ein, und nicht etwa mehr – wie im Sparprogramm vorgesehen (siehe dazu meine Analyse auf den NachDenkSeiten vom 22. Novemer 2010).

Die neuesten Daten sind in der Tat verheerend: Die Steuereinnahmen lagen schon in den ersten vier Monaten von 2011 um 1,88 Milliarden Euro hinter dem Plan zurück. Die Kassenlage ist inzwischen so klamm, dass die Regierung einen großen Stoß ihrer Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Nach einem Bericht der Sonntagszeitung Kyriakatiki Elevtheropia ist der Staat bei seinen Rechnungen mit rund zehn Milliarden Euro im Rückstand. Gläubiger sind zum Beispiel Bauunternehmen (für bereits erledigte Aufträge) oder die Lieferanten der staatlichen Krankenhäuser. Steuerrückzahlungen in Höhe von 2,5 Milliarden, auf die Unternehmen oder individuelle Steuerpflichtige rechtlichen Anspruch haben, werden vom Fiskus nicht geleistet.

Das Wissen um solche weiteren Defizitnester lässt die EU-Partner und den IWF an der Realisierbarkeit des Sparprogramms zweifeln. Aber statt ihr eigenes Konzept in Frage zu stellen, drohen sie nun damit, die fünfte Tranche aus ihrem Kreditfonds, die im Juni fällig wird, nicht auszuzahlen. Wie die Athener Zeitung Ta Nea gestern aus Brüssel berichtete, bewerten die Griechenland-Experten der EU die wirtschaftliche Lage des Landes als „ziemlich katastrophal“. Die Nachricht ist zwar nicht mit Namen unterlegt, aber dennoch legitim und glaubwürdig. Was man von der ominösen Meldung auf SPIEGEL-Online nicht sagen kann.

Denn das Gerücht, die Athener Regierung denke selbst an den Austritt aus der Eurozone, ist schlicht und einfach falsch. Diese Behauptung ist entweder bewusst erfunden, also gelogen, oder sie beweist die ökonomische Inkompetenz des Verfassers bzw. der Redaktion. Weder die Athener Regierung noch die ernst zu nehmenden griechischen Ökonomen wollen die Drachme zurück haben. Und jeder Journalist mit etwas Sachverstand sollte, könnte oder müsste das wissen.

Die Rückkehr zur Drachme macht nur Sinn, wenn sie einer drastischen Abwertung der griechischen Währung dienen soll. Die Folgen einer solchen Abwertung aber wären für das Land katastrophal:

  • Die griechische Staatsschuld würde noch weiter wachsen, da die Staatsobligationen auf Euro ausgestellt sind; das heißt: die Wirkungen einer möglichen – und immer wahrscheinlicher werdenden – Umschuldung wären auf einen Schlag wieder aufgezehrt. Ein Rechenbeispiel: Falls Griechenland gezwungen wäre, durch eine Umschuldung seine Verpflichtungen gegenüber anderen Staaten, dem EWF, der EZB, ausländischen Banken und privaten Besitzer griechischer Bonds zu halbieren, würde eine Abwertung um 50 Prozent diesen Effekt voll zunichte machen.
  • Die griechischen Banken wären auf einen Schlag am Ende, weil erstens ihre inneren Guthaben abgewertet würden und zweitens weil die Einleger schon im Vorfeld der Rückkehr zur Drachme ihre Gelder abziehen und in die Eurozone transferieren würden;
  • die Rückkehr zur Drachme würde eine inflationäre Spirale in Gang setzen, die vor allem die Bezieher niedriger Einkommen treffen würde;
  • die griechischen Importe würde sich extrem verteuern, und zwar nicht nur die Öl- und Gasimporte, sondern auch Waren des täglichen Bedarfs aus der EU und der Eurozone.

Diesen Nachteilen – die gestern auch in einem präzisen Kommentar von Claus Hulverscheidt in der Süddeutschen Zeitung aufgelistet wurden – pflegen die Fürsprecher einer Rückkehr zur Drachme die Vorteile gegenüber zu stellen, die der griechischen Volkswirtschaft aufhelfen sollen. Aber diese Kalkulation zeugt nur von fahrlässiger Unkenntnis der griechischen Verhältnisse. Denn der mutmaßliche Vorteil Nr. 1: die verbesserten Exportchancen, sind eine Chimäre. Die Exporte machen lediglich 7 (in Worten: sieben) Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts aus, ein Vergleich mit Fällen wie Argentinien (mit Exportschlagern wie Soja und Fleisch) zieht also nicht. Von einer Abwertung profitieren könnte allerdings die Tourismus-Branche. Aber hier ist Griechenland im Billigsektor auf lange Zeit nicht konkurrenzfähig. Zudem wäre gerade für diesen Sektor die zu erwartende Inflation der Drachme reines Gift, weil die realen Erträge der Unternehmen – und damit ihre Lebensfähigkeit – ständig unter Druck wären.

Dem Tourismus-Sektor würde zudem eine weitere Gefahr zeigen, die mit einer Rückkehr zur Drachme vorprogrammiert ist: ein Ausverkauf zu Billigstpreisen an Unternehmen und Individuen, die ein Portfolio in harter Währung haben. Die Profiteure wären vor allem reiche Griechen mit Auslandskonten und das ausländische Kapital.

Seit Beginn der Krise vor 18 Monaten wurden bereits zig Milliarden Euro von griechischen Bürgern, die oft jahrelang keine Steuern bezahlt haben, ins Ausland transferiert (u.a. nach Zypern). Dieses Fluchtgeld würde – gegenüber der Drachme erheblich aufgewertet – nach Griechenland zurückfließen und in Immobilien und Sachwerten angelegt. Schon heute hat der Run auf Hotelunternehmen begonnen, die wegen der Krise nicht mehr liquide sind. An dieser Bonanza würden aber vor allem ausländische Kapitalfonds und Investoren teilhaben, die mit Euro, Pfund oder Dollar griechische Schnäppchen machen könnten.

Im Vergleich zu einem solchen Schreckensszenarios, sind die Pläne der Regierung Papandreou, staatliche Besitztitel (Beteiligung an öffentlichen Unternehmen, Immobilien) möglichst schnell zu verkaufen, eine sehr viel schonendere und ganz sichere klügere Therapie. Bis Ende 2012 will der griechische Fiskus auf diese Weise 50 Milliarden Euro einnehmen, was die Staatsschuld von heute 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) immerhin auf etwa 125 Prozent drücken würde. Zugleich könnte man damit „strategische Investoren“ gewinnen, die das nötige Kapital mitbringen, das griechischen Unternehmen in der anhaltenden Flaute nicht mehr erwirtschaften können.

Aber das wird der Regierung Papandreou kaum gelingen, wenn die potentiellen Investoren davon ausgehen, dass Griechenland früher oder später zur Drachme zurückkehrt. Dann werden sie darauf spekulieren, dass sie demnächst alles viel billiger erstehen können. Auch deshalb erscheinen die gezielten Gerüchte aus griechischer Sicht fast kriminell, ob justiziabel oder nicht.

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