Guy Burgel: Strauss-Kahn war nicht der Retter Griechenlands

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Inhalte eines am 18. Mai 2011 in der französischen Tageszeitung Le Monde erschienenen Artikels von Guy Burgel, Professor an der Pariser Universität Paris-Ouest-Nanterre-la Défense.
Originaltitel: „Non, M.Strauss-Kahn n’est pas le sauveur de la Grèce“.
Burgel ist Autor eines Buches über die Entwicklung Griechenlands im 20. Jahrhundert („Miracle athénien au XXe siècle, Verlag CNRS Editions 2002“). Übertragen von Gerhard Kilper

Der Fall Strauss-Kahn wirft ganz grundsätzlich die Frage der Kohärenz der weltweit betriebenen Finanzpolitik und deren Auswirkungen auf die Zukunft der Bevölkerung betroffener Länder auf, Griechenland ist lediglich ein exemplarischer Fall.

Der sozialistische griechische Ministerpräsident ist bereit, den ihm von internationalen Instanzen – mit dem IWF an der Spitze – verordneten Kreuzweg zur Sanierung der öffentlichen Finanzen zu beschreiten. Das Paradoxe an diesem linken Politiker ist seine Bereitschaft, in Griechenland seit Jahrzehnten praktizierte Politikirrtümer mit Mitteln korrigieren wollen, die bisher allgemeine Domäne erzkonservativer Regierungen waren: Lohnsenkungen, Erhöhung des Renteneintrittsalters, Einfrieren der Pensionen, Erhöhung der Umsatzsteuer, Verlängerung der Arbeitszeit und vor allem das Ende von Neu-Einstellungen in den öffentlichen Dienst (verbunden mit der Rücknahme öffentlicher Leistungsangebote).

Die Liste unpopulärer Maßnahmen, die in anderen Zeiten zu Massendemonstrationen, zu verstärktem öffentlichen Engagement entrüsteter Gewerkschaften und zu unkontrollierbaren Aktionen von Extremisten geführt hätten, werden im von der Krise ausgelösten innenpolitischen Klima allgemeiner Bestürzung und Lähmung hingenommen.

Der Kranke stirbt vor seiner Genesung – darin besteht das Risiko der von internationalen Institutionen Griechenland verordneten Medizin. Unbestreitbar ist, dass sich rechte wie linke Politiker in Griechenland in der Vergangenheit aus den Pfründen eines überdimensionierten Staatsapparats bedient haben.

Dem öffentlichen Dienst Griechenlands fehlt heute in erschreckendem Maß qualifiziertes Personal im medizinischen Bereich, an den Schulen, im Bereich sozialer Dienstleistungen und im Bereich der Aufrechterhaltung öffentlicher Sicherheit.

Die verstärkte Eintreibung von Steuern ist eine gute Sache, doch müsste auch dafür gesorgt werden, dass das in der Volkswirtschaft zirkulierende Geld in Umlauf bleibt, dass nicht Geschäfte in den Hauptgeschäftsstraßen griechischer Städte nacheinander schließen. Wer diese Entwicklung nicht zur Kenntnis nehmen will, ignoriert, dass die Konsumnachfrage privater Haushalte schon immer Hauptmotor realen Wachstums war (unter der Hand äußern „überzeugte“ Liberale, es käme ihnen nicht ungelegen, sollte eine autoritäre Regierung endlich Ordnung sowohl im Land als auch bei der illegalen Einwanderung schaffen).
Grundirrtum des IWF und seiner Strategen ist, nicht verstanden zu haben, dass der griechische Staat nicht geschwächt, sondern als solcher und im sozialen Bereich neu begründet werden muss. Der IWF und sein Generaldirektor äußerten wiederholt, die Reduktion des griechischen Defizits müsse allererste Priorität haben. Mit drastischen Ausgabenkürzungen werden jedoch nicht, wie behauptet, künftige Generationen entlastet. Ausgabenkürzungen als Kürzungen von Ausgaben für Bildung und Gesundheit verbauen vielmehr die Zukunft künftiger Generationen und mindern deren Arbeitsplatz-Chancen in der realen Wirtschaft.

Der Irrweg, in den Griechenland derzeit getrieben wird, ist jedoch nicht Schicksal irgendeines Landes, die griechische Sackgasse ist auch Ausdruck eines grundsätzlichen Scheiterns der europäischen Linken!

Nur wenn die Krise bewirken kann, dass sich die europäische Linke zu einem alternativen Wachstumsprojekt mit gerechterer Reichtums-Verteilung durchringen kann, wäre das Opfer der Griechen nicht umsonst.

Da die französischen Sozialisten im Jahr 2012 nicht nur Präsidentschaftswahlen gewinnen, sondern auch einen zivilisatorisch-kulturellen Wandel im Land schaffen wollen, ist es für die Linke noch nicht zu spät, in der Finanzpolitik zwischen sachlich gebotener Haushaltsdisziplin und dem üblich gewordenen Finanz-Rigorismus, zwischen angenommener Ökonomie-Rationalität und der Logik des tatsächlichen Funktionierens von Gesellschaften zu unterscheiden.

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