Ende der Eiszeit zwischen Saudi-Arabien und dem Iran: Ein cleverer chinesischer Schachzug und eine neue Lage für „den Westen“

Ende der Eiszeit zwischen Saudi-Arabien und dem Iran: Ein cleverer chinesischer Schachzug und eine neue Lage für „den Westen“

Ende der Eiszeit zwischen Saudi-Arabien und dem Iran: Ein cleverer chinesischer Schachzug und eine neue Lage für „den Westen“

Ein Artikel von Jürgen Hübschen

Am 10. März 2023 haben die Außenminister von Iran und Saudi-Arabien, Ali Schamchani und Musaed bin Muhammad Al-Aiban, unter der Vermittlung Chinas in Peking vereinbart, das Verhältnis der beiden Länder auf eine neue Basis zu stellen und innerhalb der nächsten zwei Monate wieder diplomatische Beziehungen aufzunehmen. In diesem Zusammenhang stellt sich nicht nur die Frage, welche Absichten China mit der Übernahme der Vermittlerrolle verbindet, sondern auch, wie diese neue Situation aus westlicher Sicht zu beurteilen ist. Von Jürgen Hübschen.

Die beiden Regionalmächte und ihre wesentlichen Interessenkonflikte

Das Verhältnis zwischen Iran und Saudi-Arabien war bislang im Wesentlichen von folgenden Aspekten, Differenzen und Streitigkeiten geprägt: Die größten Anrainer-Staaten des Persisch-Arabischen Golfes, Saudi-Arabien und der Iran, befinden sich in einem direkten Konkurrenzkampf um die Vorherrschaft in der Region. Das Königreich ist als Bewahrerin der Heiligen Stätten Mekka und Medina die dominierende sunnitische Macht am Golf, während der Iran weltweit und einzigartig sozusagen die Mutter aller Muslime schiitischen Glaubens ist.

Das Verhältnis zwischen den beiden muslimischen Staaten veränderte sich grundsätzlich nach dem Sturz des Schahs und der Umwandlung Persiens in den islamischen Gottesstaat Iran 1979 durch den Revolutionsführer Ayatollah Khomeini. Diese zunächst religiös begründete Rivalität verschärfte sich entscheidend 1987, als 400 schiitische Pilger aus dem Iran bei dem Hadsch in Mekka ihr Leben verloren und die weitere Teilnahme iranischer Pilger für drei Jahre untersagt wurde. Imam Khomeini verkündete damals vor der ganzen Welt, dass er der Herrscherfamilie Saoud niemals verzeihen würde. 2016 wurden der schiitische Prediger Nimr al-Nimr und andere schiitische Geistliche in Saudi-Arabien hingerichtet. Daraufhin stürmten aufgebrachte Iraner die saudische Botschaft in Teheran und setzten diese teilweise in Brand. Es kam zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern.

In ihrem politisch-religiösen Bestreben, die Region zu dominieren, stehen die beiden Staaten de facto in allen Konflikten der Region auf der jeweils anderen Seite. In dem von Saudi-Arabien 2015 vom Zaun gebrochenen Bürgerkrieg im Jemen unterstützt Riad die rechtmäßige Regierung von Maeen Abdul Malek und des Leiters des präsidialen Führungsrates, Rashad al-Alimi, die sich mit der Regierung im saudischen Exil befinden, während der Iran – wenn auch nicht offiziell – auf der Seite der rebellierenden Huthis steht, die ihre Raketen auch immer wieder auf saudisches Territorium abschießen. Nach dem völkerrechtswidrigen Krieg der USA gegen den Irak, in dem der sunnitische Herrscher Saddam Hussein gestürzt wurde, ist der Iran zum engsten Verbündeten der nunmehr schiitischen Regierung des Iraks geworden, was in Riad ein ständiger Anlass zur Sorge ist. Im Libanon sieht sich der sunnitische und von Saudi-Arabien gestützte Premierminister Nadschib Miqati nicht nur einer mittlerweile mehrheitlich schiitischen Bevölkerung gegenüber, sondern befindet sich in einem Dauerkonflikt mit der Hisbollah, die eng verbündet ist mit dem Iran und als stärkste politische und vor allem auch militärische Kraft des Libanons an der Regierung beteiligt werden muss.

In Syrien bemüht sich der alawitische und damit religiös den Schiiten nahestehende Präsident Bashar al-Assad zwar um ein gutes Verhältnis mit Saudi-Arabien, dürfte sich aber wohl darüber im Klaren sein, dass die jahrelange CIA-geleitete Operation „Timber Sycamore“, die seinen Sturz zum Ziel hatte oder vielleicht immer noch hat, zu einem großen Teil von Saudi-Arabien finanziert wurde und wird. Sie ist Teil der amerikanischen Doppelstrategie in Syrien. Der Iran steht seit 2011, dem Beginn der Auseinandersetzungen, eindeutig auf der Seite des syrischen Präsidenten und unterstützt diesen, in einem engen Bündnis mit der Hisbollah, durch iranische Milizen und die Pasdaran, die Revolutionsgarden Teherans. Es gibt Hinweise, dass auch reguläre iranische Soldaten an der Seite der syrischen Armee kämpfen. Ohne die Unterstützung Russlands und des Irans wäre Assad bereits vor Jahren gestürzt worden, während er heute mit Hilfe dieser seiner wichtigsten Verbündeten den größten Teil Syriens wieder kontrolliert.

Last but not least gibt es zwischen dem Iran und Saudi-Arabien auch noch einen Interessenkonflikt in Bahrain, wo Riad behauptet, Teheran würde die schiitische Bevölkerungsmehrheit zum Sturz des sunnitischen Herrscherhauses anstiften, während Iran Saudi-Arabien vorwirft, den selbsternannten König von Bahrain, Hamad bin Isa Al Chalifa, dabei zu unterstützen, eben diese schiitische Mehrheit zu unterdrücken und politisch und gesellschaftlich nicht zu beteiligen.

Die USA und ihre Beziehungen zu Saudi-Arabien und Teheran

Neben den wesentlichen Interessenkonflikten zwischen den beiden Regionalmächten spielen natürlich auch ihre Beziehungen zu den USA eine wichtige Rolle. Der britische Rückzug „östlich von Suez“ ab 1966 konfrontierte die USA mit einer völlig neuen Lage, weil sie durch den Abzug der britischen Truppen praktisch keine militärischen Verbündeten mehr in der Region hatten, und das auf der Höhe des Kalten Krieges mit der Sowjetunion auf der einen Seite und dem Vietnamkrieg andererseits. Das erforderte für die US-Regierung unter Präsident Nixon die Entwicklung eines völlig neuen sicherheitspolitischen Konzeptes für die Region und war letztlich die Geburtsstunde der sogenannten „Twin Pillar Strategy“. Die eine Säule wurde der Iran unter dem westlich orientierten Schah und die zweite Saudi-Arabien unter seinem damaligen Herrscher König Faisal. Beide Staaten wurden von den USA in der Hauptsache durch massive Waffenlieferungen unterstützt und in Saudi-Arabien wurden zusätzlich amerikanische Militäreinrichtungen geschaffen und US-Soldaten stationiert.

Diese Strategie funktionierte bis zur iranischen Revolution 1979, in der die eine Säule mit der Geiselnahme amerikanischer Staatsbürger in der US-Botschaft in Teheran umgehend und vollständig zusammenbrach. Diese Geiselnahme war der Beginn einer ausgesprochen emotionalen Beziehung zwischen den USA und Teheran. Praktisch bis zum heutigen Tag versuchen die USA, auch wenn Washington das offiziell bestreitet, einen ihrer „berüchtigten Regime Changes“ im Iran durchzusetzen. Vor allem durch immer schärfere Sanktionen wollte und will man auch über innenpolitischen Druck erreichen, dass die iranische Bevölkerung sich gegen das System auflehnt.

Das einseitige Aufkündigen des Atomvertrages durch die USA hat das Verhältnis schwer belastet und dazu geführt, dass der Iran sich nicht mehr an die Auflagen des Vertrages gebunden fühlt. Die Absicht der USA, den islamischen Staat als Ganzes in der westlichen Staatengemeinschaft zu isolieren, scheint, zumindest teilweise, Erfolg zu haben, allerdings mit der Konsequenz, dass sich der Iran deshalb zunehmend in Richtung Russland orientiert und Moskau z.B. in seinem Krieg gegen die Ukraine unterstützt. Neben Sanktionen kam es auch zu Gewaltaktionen wie z.B. der Liquidierung des iranischen Generals Suleimani durch eine amerikanische Drohne bis hin zum Abschuss einer amerikanischen „Global Hawk“-Drohne durch die iranische Luftverteidigung. Es herrscht quasi bis heute auf allen Ebenen ein unerklärter Krieg zwischen den USA und dem Iran.

Washington versuchte 1979, den Ausfall des ehemaligen Verbündeten Iran durch verstärkte Waffenlieferungen an Saudi-Arabien auszugleichen und darüber hinaus mit Hilfe Israels zu kompensieren, musste aber erkennen, dass dies wegen der Differenzen Jerusalems mit den arabischen Staaten letztlich keine Lösung war. So setzte man auf den irakischen Herrscher Saddam Hussein und unterstützte diesen in seinem Krieg gegen den Iran. Mit dem Überfall Saddam Husseins auf das Emirat Kuwait brach 1990 auch diese „Ersatz-Säule“ zusammen. Das war de facto das endgültige Ende der „Twin Pillar“-Strategie. Der völkerrechtswidrige Krieg der USA gegen den Irak belastet das Verhältnis zu den arabischen Staaten immer noch, wenn auch nicht ganz so entscheidend wie die einseitige Politik Washingtons gegenüber Israel.

Die US-Regierung von Präsident Biden schien Saudi-Arabien – unter anderem wegen Riads Krieg im Jemen und der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi – zunächst nicht mehr vorbehaltlos zu unterstützen. Das änderte sich aber im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. So war der Besuch des US-Präsidenten im Sommer 2022 der Versuch, das Verhältnis zu Saudi-Arabien auf eine neue Basis zu stellen, muss aber letztlich als gescheitert angesehen werden. Dem Wunsch Präsident Bidens, die Ölförderung wegen der durch den Ukrainekrieg ausgelösten Energiekrise zu steigern, wurde nicht entsprochen. Stattdessen wurde bekannt, dass Saudi-Arabien billiges russisches Erdöl für den heimischen Bedarf importiert und das eigene wesentlich teurere Öl auf dem Weltmarkt verkauft.

Trotzdem erklärte der US-Präsident auf dem Gipfel des Golfkooperationsrates im Juli 2022:

„Lassen Sie mich klar sagen, dass die Vereinigten Staaten ein aktiver, engagierter Partner im Nahen Osten bleiben werden. Wir werden nicht weggehen und ein Vakuum hinterlassen, das von China, Russland oder dem Iran ausgefüllt wird.“

Ob diese Aussage auch den Vorstellungen der Saudis entsprach, sei dahingestellt. Nicht zuletzt die Entwicklungen in den Beziehungen zu den USA scheinen in Teheran und Riad zu der Erkenntnis geführt zu haben, dass es durchaus sinnvoll sein könnte, ihr bilaterales Verhältnis auf eine neue Basis zu stellen und damit die Abhängigkeit von Washington zu verringern.

Ende der Eiszeit zwischen Saudi-Arabien und Iran?

Vor diesem Hintergrund entwickelten Riad und Teheran eine Initiative, die im Oktober 2019 im saudischen Jidda begonnen hatte. Damals trafen sich der damalige pakistanische Premierminister Imram Khan und der saudische Kronprinz Mohammed Bin Salman (MBS), der De-facto-Herrscher Saudi-Arabiens. In diesem Gespräch soll der Kronprinz den pakistanischen Premier mit den Worten, „Ich will verhindern, dass es Krieg gibt“, gebeten haben, mit dem Iran zu sprechen. Wenige Tage später traf sich Imram Khan am Rande der UN-Vollversammlung mit dem damaligen iranischen Präsidenten Rohani. Dieser wandte sich später in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung an die arabischen Staaten mit den Worten: Es ist die Islamische Republik Iran, die Ihr Nachbar ist“, und er ergänzte in Richtung Amerika: Am Ende des Tages werden Sie und wir allein sein. Wir sind die Nachbarn des jeweils anderen, nicht Amerika.“

Wenige Tage nach dem pakistanischen Regierungschef besuchte der damalige irakische Premierminister Adel Abdul Mahdi Saudi-Arabien und sprach mit dem saudischen Kronprinzen ebenfalls über das Verhältnis Saudi-Arabiens zum Iran und erklärte nach seiner Rückkehr vor Journalisten in Bagdad:

„Es gibt eine große Resonanz aus Saudi-Arabien und aus dem Iran, und ich denke, dass diese Bemühungen eine gute Wirkung haben werden.“

Die Antwort gab wenige Tage später Ali Larijani, der damalige Sprecher des iranischen Parlaments:

„Der Iran ist offen für die Aufnahme eines Dialogs mit Saudi-Arabien und anderen Ländern in der Region. Ein iranisch-saudischer Dialog könnte viele der sicherheitspolitischen Probleme in der Region lösen.“

Danach hatte man lange nichts mehr über die Entwicklung der Beziehungen zwischen Teheran und Riad gehört, wahrscheinlich, weil die Diskussion über den iranischen Atomvertrag die Schlagzeilen beherrschte. Erst 2021 wurde bekannt, dass es am 9. April in Bagdad unter Vermittlung des damaligen irakischen Premierministers Mustafa al Kadhimi ein Treffen zwischen hochrangigen Delegationen der Geheimdienste und Außenministerien aus Teheran und Riad gegeben hat, das nur eine Woche später fortgesetzt werden sollte. Nach einer Quelle, die nicht genannt werden wollte, soll Hauptthema die Wiederaufnahme der 2016 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen und die Wiedereröffnung der Botschaften und Konsulate gewesen sein. Nachdem die Thematik, nicht zuletzt wegen des Ukrainekrieges, aus den Schlagzeilen verschwunden war, weiß man jetzt, dass die positive Entwicklung der Beziehungen zwischenzeitlich offensichtlich weitergegangen war und mit der Vereinbarung von Peking zu einem konkreten Ergebnis gekommen ist, das aber durch die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen quasi noch offiziell bestätigt werden muss.

Welche konkreten Veränderungen könnten sich in der Region durch das neue Verhältnis zwischen dem Iran und Saudi-Arabien ergeben?

Die für die betroffenen Menschen wichtigste Konsequenz aus der Normalisierung der Beziehungen zwischen Iran und Saudi-Arabien könnte eine Beendigung des seit fast acht Jahren andauernden Krieges im Jemen sein, einem Krieg mit Millionen von toten Zivilisten in einem Land, in dem die Bevölkerung entsetzlich unter Hunger und fehlender medizinischer Versorgung leidet. Entscheidend wird dabei sein, dass der Iran die Huthis dazu bringt, Verhandlungen zu akzeptieren und dass auch die Verbündeten Saudi-Arabiens, nämlich Ägypten, Bahrain, Jordanien, Marokko, Katar, Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate und auch der Sudan, die Regierung Saudi-Arabiens dabei unterstützen, zunächst einmal den im Oktober 2022 nicht verlängerten Waffenstillstand wieder einzuhalten.

Der zweite Krisenherd, der ganz wesentlich von den Spannungen zwischen Teheran und Riad bestimmt wird, ist der Libanon. Hier kommt es vor allem darauf an, dass Teheran seinen Einfluss auf die Hisbollah dafür nutzt, sich konstruktiv an einer stabilen Regierung zu beteiligen, und der Iran und Saudi-Arabien auf die Schiiten und Sunniten im Libanon einwirken, das aktuelle politische und in seiner Folge wirtschaftliche Chaos im Land zu beenden.

Der dritte „Kriegsschauplatz“, auf dem Iran und Saudi-Arabien auf der jeweilig gegnerischen Seite stehen, ist Syrien. Iran hat bislang die Kämpfer der schiitischen Hisbollah unterstützt und zusätzlich durch den Einsatz von Kräften der Revolutionsgarden und mit Hilfe russischer Luftunterstützung den Sturz des syrischen Präsidenten verhindert. Auf der Gegenseite hat Saudi-Arabien über Jahre die verdeckte Operation der CIA „Timber Sycamore“ unterstützt, die das Ziel eines Regime Change in Damaskus hatte oder vielleicht immer noch hat, obwohl Washington behauptet hat, sie sei beendet. Sollten sich der Iran und Saudi-Arabien darauf einigen, diese Krisenherde nicht nur zu entschärfen, sondern die Auseinandersetzungen wirklich zu beenden, so hätte das wohl nur dann Erfolg, wenn Washington diese Bemühungen unterstützt und in Bezug auf den Libanon und Syrien auch Israel in eine Lösung einbindet.

Das veränderte Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und Iran und die Konsequenzen für die USA

Diese fundamentale Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern, die einmal die Stützen der US-Politik in der Region waren, wird in den USA sicherlich mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis genommen, vor allem, weil eine damit verbundene Distanzierung gegenüber den USA nicht zu übersehen war. Die Vision der USA eines „New Middle East“ ist zerplatzt und die Folge ist eine völlig destabilisierte Region, in der die Staaten jetzt offensichtlich die Gestaltung ihrer Zukunft selbst in die Hand nehmen.

Ein erster Schritt dazu ist das Beenden einer Rivalität zwischen Iran und Saudi-Arabien um die Vorherrschaft in der Region. Damit stoppen sie die Verschwendung von Ressourcen und reduzieren gleichzeitig die amerikanische Dominanz. Um ein offizielles Scheitern ihrer bisherigen Strategie zu vermeiden, setzen die USA jetzt offensichtlich auf „interne Problemlösung“ durch die Staaten der Region, bei der Iran und Saudi-Arabien eine Schlüsselrolle zukommt. Washington verlangt einen Stopp des Bürgerkriegs im Jemen, der aber nur in enger Abstimmung zwischen Teheran und Riad zu erreichen ist. Dasselbe gilt für den Irak, den die USA zerstört haben, für dessen Zukunft Washington aber offensichtlich ein Konzept fehlt. Die zurzeit auf Eis liegenden Verhandlungen über den Atomvertrag mit dem Iran könnten einen positiven Impuls bekommen, wenn Saudi-Arabien sich von Teheran nicht mehr bedroht fühlt. Gleichzeitig dürfte Washington allerdings nicht der Versuchung unterliegen, weiterhin auf die Kassandra-Rufe des erneut wiedergewählten Premierministers Netanjahu zu hören.

Was Syrien angeht, muss Washington sein doppeltes Spiel aufgeben und gemeinsam mit Assad, Russland, Saudi-Arabien und Iran eine Zukunftsperspektive entwickeln. Dazu gehört sicherlich auch der Abzug der völkerrechtswidrig stationierten amerikanischen Truppen aus der Ölregion im Nordosten Syriens. Darüber hinaus wäre Washington gut beraten, sich am Wiederaufbau des auch von amerikanischen Streubomben zerstörten Jemen zu beteiligen und sich auch im Libanon mit umfangreicher Wirtschaftshilfe zu engagieren.

Chinas Engagement bei der Aussöhnung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran

Ein Blick auf die Landkarte zeigt, welche Vorteile China zum Beispiel durch eine engere Zusammenarbeit mit dem Iran hat, nachdem Peking erst im Januar dieses Jahres ein umfangreiches Abkommen mit den Taliban in Afghanistan geschlossen hat, einem Land, das im Westen eine 950 km lange Grenze zum Iran hat. Dabei spielt vor allem die weitere Realisierung der chinesischen „Belt and Road Initiative“ (BRI) als Nachfolgerin des Konzeptes der Seidenstraße eine wichtige Rolle. Diese Überlegung gilt auch für Saudi-Arabien, das die Gegenküste des Iran am Persisch-Arabischen Golf beherrscht. Wenn es Peking gelingt, in einem von Iran und Saudi-Arabien stabilisierten Jemen Einfluss zu gewinnen, hätte China nicht nur Zugang in Richtung der Ostküste Afrikas, sondern über die Straße von „Bab al Mandab“ eine mögliche Nutzung von zehn jemenitischen Häfen zum Indischen Ozean und durch das Rote Meer auch zum Mittelmeer. Neben den geostrategischen Aspekten sind natürlich auch die Öl- und Gasvorkommen im Iran und in Saudi-Arabien für China von Bedeutung.

Zusammenfassende Bewertung

Das Engagement Chinas bei der Normalisierung des Verhältnisses zwischen Saudi-Arabien und dem Iran ist eindeutig positiv zu bewerten, weil es zur Stabilisierung der genannten Krisenherde beitragen kann und hoffentlich auch wird. Dass die Initiative Chinas nicht völlig selbstlos erfolgt, ist legitim und nicht zu beanstanden, solange sie friedlich umgesetzt wird und vor allem die Lebenssituation der Bevölkerung in den betroffenen Ländern verbessert.

Leider war es zu erwarten, dass die USA das Abkommen zwar grundsätzlich begrüßen, aber sofort auch ihre Skepsis ausdrücken hinsichtlich der Vermittlerrolle Chinas und der Einhaltung der Verpflichtungen durch den Iran. So sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby: „Wir hoffen auf ein Ende des Krieges im Jemen – das Abkommen könnte dazu führen.“ Es bleibe aber abzuwarten, ob Teheran seinen Teil des Abkommens einhalten werde. Sollte das Abkommen Bestand haben, „begrüßen wir das“ – ganz gleich, wie oder durch wen es zustande gekommen sei, sagte Kirby. Die USA würden Versuche Chinas, „in seinem eigenen egoistischen Interesse Einfluss zu nehmen und anderswo auf der Welt Fuß zu fassen“, aber weiter beobachten.

Washington hat offensichtlich nicht rechtzeitig erkannt, dass der eigene Einfluss und der „des Westens“ in der Welt auf Grund einer verfehlten Politik, geprägt von einer unilateralen oder gar hegemonialen Zielführung, abnimmt und sich die Machtverhältnisse zu Gunsten Chinas verschieben. Bleibt zu hoffen, dass die USA und „der Westen“ auf diese, aus der eigenen Sicht natürlich kritisch zu bewertenden Entwicklung kooperativ und – im handfesten eigenen Interesse – vor allem auch konstruktiv reagieren und man nicht versucht, diese Entwicklung militärisch wieder umzudrehen oder sogar zu stoppen.

Titelbild: shutterstock/Claudio Divizia