Doppelmoral à la Ursula: EU-Kommission plant eigenes „Foreign Agent“-Gesetz – verurteilt aber ähnliche Gesetze in Georgien und Russland

Doppelmoral à la Ursula: EU-Kommission plant eigenes „Foreign Agent“-Gesetz – verurteilt aber ähnliche Gesetze in Georgien und Russland

Doppelmoral à la Ursula: EU-Kommission plant eigenes „Foreign Agent“-Gesetz – verurteilt aber ähnliche Gesetze in Georgien und Russland

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Man fühlt sich unwillkürlich an die Szene in Joseph von Eichendorffs Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erinnert, in welcher die Sentenz „Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt“ („Quod licet Iovi, non licet bovi“) erstmals breitere Bekanntheit erlangte. Wie mehrere EU-Beamte gegenüber dem Europa-Portal von Politico bestätigten, arbeitet die EU derzeit an einem Gesetz, das unter anderem NGOs und akademische Einrichtungen dazu zwingen soll, jegliche Finanzierung offenzulegen, die nicht aus EU-Quellen stammt. Erklärtes Ziel sei es, „gegen ausländischen Einfluss in der EU vorzugehen“. Kurz zuvor hatten sich ranghohe EU-Vertreter vehement gegen die Einführung eines solchen Gesetzes in Georgien ausgesprochen und erklärt, dies würde den EU-Kandidatenstatus des Landes gefährden. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der Gesetzentwurf, der sich am US-amerikanischen Vorbild, dem bereits 1938 eingeführten „Foreign Agents Registration Act“, orientiert, soll laut Informationen von Politico bereits Ende Mai dem EU-Parlament vorgelegt werden. Das Vorhaben ist Teil eines groß angelegten Projektes mit dem Titel „Verteidigung der Demokratie”, welches Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im September letzten Jahres bei ihrer Rede „Zur Lage der Union“ verkündet hatte. Geleitet wird die Arbeit an dem „Gesetzentwurf zur ausländischen Einflussnahme“ von der EU-Kommissarin für Werte und Transparenz, der tschechischen Politikerin Vera Jourová. Es ist nicht ganz ironiefrei, dass die EU-Kommissarin für „Werte und Transparenz“ Spitzenpolitikerin der ANO-Partei ist, deren Gründer und Vorsitzender der tschechische Oligarch und Multi-Milliardär Andrej Babiš ist, welcher im Besitz der auflagenstärksten tschechischen Zeitungen Mladá fronta Dnes und Lidové noviny sowie der Gratis-Zeitung Metro ist. Ebenso verfügt er über bedeutende Anteile an Internetportalen, privaten Fernseh- und Radiosendern sowie Druckereien.

Allein dass in der EU Politiker von solchen Oligarchenparteien in Funktionen wie der einer EU-Kommissarin für Werte und Transparenz aufsteigen können, spricht wohl Bände über die Verfasstheit dieser Institution.

Doch zurück zum „Gesetzentwurf zur ausländischen Einflussnahme“. Der Entwurf sei, so wird ein hoher Beamter der EU-Kommission zitiert, „natürlich eine heikle Angelegenheit“, und man befinde sich „noch in der Anfangsphase, in der wir Informationen von einer Vielzahl von Interessengruppen einholen, um sicherzustellen, dass wir den richtigen Ansatz wählen“.

„Ungünstiges Timing“

„Heikel“ ist aus EU-Sicht übrigens nicht unbedingt das Vorhaben an sich, sondern nur das „ungünstige Timing“, da man just in dem Moment anfing, den Gesetzentwurf auszuarbeiten, als in Georgien Proteste gegen ein ähnliches Gesetz ausbrachen. Dieses sah vor, Nichtregierungsorganisationen und Medien-Plattformen zu verpflichten, sich als „Akteur ausländischer Einflussnahme“ registrieren zu lassen, wenn mehr als 20 Prozent der erhaltenen Mittel aus dem Ausland stammen. Vertreter der EU und auch Washingtons verurteilten dieses Gesetzesvorhaben umgehend und warnten, die Annahme und Anwendung eines solchen Gesetzes würde „die euro-atlantische Integration Georgiens untergraben“ und zudem gegen mehrere EU-Gesetze sowie gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen.

In Reaktion auf das Gesetzesvorhaben kam es zu Protesten in der Hauptstadt Tiflis, die teilweise in gewalttätige Auseinandersetzungen mit den das Parlament schützenden Sicherheitskräften mündeten. So stürmten letzte Woche Demonstranten das Parlamentsgebäude und skandierten unter anderem: „Nein zum russischen Gesetz. Nein zu den Verrätern“.

Die georgische Regierung und Parteienvertreter verteidigten zunächst das Gesetz. So erklärte beispielsweise Irakli Kobachidse, Vorsitzender der Regierungspartei „Georgischer Traum“:

„Wenn jemand Gelder aus dem Ausland erhält, sollte dies für die Gesellschaft transparent sein.“

Zudem verwies er darauf, dass als Vorbild nicht wie behauptet ein russisches Gesetz, sondern der US-amerikanische Foreign Agents Registration Act (FARA) gedient habe.

Dieser Darstellung wiederum widersprach umgehend der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, ohne dies allerdings konkret widerlegen zu können:

„Behauptungen, diese Gesetzgebung basiere auf dem Foreign Agents Registration Act in den Vereinigten Staaten, sind offenkundig falsch. Vielmehr scheint dieser Gesetzesentwurf auf ähnlichen russischen und ungarischen Gesetzen zu beruhen.“

EU-Einmischung in Georgien: „Förderung eines günstigen Wahlumfelds“

Nach massivem Druck sowohl von der Straße als auch aus Washington und Brüssel wurde der Gesetzentwurf zurückgenommen. Dass die EU sich nicht völlig uneigennützig gegen das Gesetz in seiner georgischen Variante ausgesprochen hat, zeigen entsprechende EU-finanzierte Projekte, die unter anderem auf der Facebook-Seite der Delegation der EU-Kommission in Tiflis beworben werden und die potenziell unter das neue Gesetz gefallen wären. Dort heißt es unter anderem in einer Veröffentlichung vom 9. Mai 2023:

„Calling Civil Society – we have just launched a new Call for Proposals for Civil Society Organizations as Actors in Governance in the following lots: (…) to promote an enabling electoral environment and support free and fair elections in Georgia.”

Eine ausländische Macht, in dem Fall die EU, finanziert „zivilgesellschaftliche“ Gruppen eines eurasischen Staates mit direkter Grenze zu Russland mit dem Ziel, „ein günstiges Wahlumfeld“ (für wen?) sowie „Engagement der Bürger und der demokratischen Aufsicht im ganzen Land über den Weg der Integration Georgiens in die Europäische Union“ zu fördern. Man stelle sich nur mal vor, die Russische Föderation würde in Deutschland dasselbe tun. Unter dem Einsatz massiver Geldsummen „zivilgesellschaftliche“ Gruppen fördern mit dem Ziel, „ein günstiges Wahlumfeld“ sowie den Weg zu einer Integration Deutschlands in eine „Eurasische Union“ vorzubereiten. Was meinen Sie, wie schnell die Ampelkoalition einen am US-Vorbild angelegten „Foreign Agents Registration Act“ dem Bundestag zur Abstimmung vorlegen würde! Ebenso aufschlussreich die Überlegung, wie wohl die bundesdeutsche Medienberichterstattung wäre, wenn in Reaktion auf diese Gesetzesvorlage Tausende von Demonstranten den Reichstag stürmen und in Anlehnung an die georgischen Slogans skandieren würden: „Nein zum Ami-Gesetz. Nein zu den Verrätern“.

NGOs als „Bedrohung für die Demokratie“ in der EU?

Doch abgesehen von diesem Gedankenexperiment formiert sich tatsächlich bereits Widerstand gegen das EU-Gesetzesvorhaben. Potenziell betroffene NGOs wie etwa Transparency International – eine NGO, die sich die Bekämpfung von Korruption auf die Fahne geschrieben hat – sprechen davon, dass es so wirkt, als wolle die EU Nichtregierungsorganisationen als „Bedrohung für die Demokratie“ darstellen. Beispielhaft verweisen sie auf einen derzeit im Auftrag der EU-Kommission an verschiedene Nichtregierungsorganisationen verschickten Fragenbogen, in welchem die befragten NGOs bereits aufgefordert werden, ihre Finanzierungsquellen außerhalb der EU offenzulegen.

„Die Frage nach der Finanzierung hat viele Leute verblüfft“, erläutert Nick Aiossa, Leiter der Abteilung Politik und Interessenvertretung bei Transparency International, gegenüber Medienvertretern. Aiossa hat nach eigenen Angaben den Fragebogen für seine NGO beantwortet. Sein Fazit:

„Die Leitfragen ließen vermuten, dass sie bewerten wollten, ob Transparency International eine Bedrohung für die Demokratie darstellt.“

Andere Nichtregierungsorganisationen äußerten in diesem Zusammenhang laut Politico die Befürchtung, dass eine EU-Version des US-Gesetzes zur Registrierung ausländischer Akteure „von Machthabern wie dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán als Waffe eingesetzt werden könnte, um gegen pro-demokratische Kräfte in ihrem Land vorzugehen“.

Die NachDenkSeiten werden das Thema auf jeden Fall weiterverfolgen und mit Interesse beobachten, wie deutsche „Leitmedien“, die zuvor ganz empört über das angebliche „Agenten-Gesetz“ (ZDF) „nach dem Muster der russischen Propaganda“ (FAZ) schrieben, die EU-Variante dieses Gesetzes bewerten werden. Die korrekte Übersetzung von „Foreign Agent“ in diesem Zusammenhang ist übrigens nicht, wie ausnahmslos alle deutsche „Qualitätsmedien“ seit Jahren falsch schreiben, „ausländischer Agent“, sondern „Auslandsvertreter“ oder auch „ausländischer Akteur“. Auf diese permanente falsche Übersetzung weist auch das auf EU-Themen spezialisierte deutschsprachige Portal „Lost in Europe“ hin.

Ein kleiner, aber feiner Unterschied im Framing. Denn bei „Auslandsvertreter“ denkt wohl niemand direkt an „Geheimdienstagenten“ und „Verschwörer“, bei Nutzung der (falschen) Übersetzung „Agent“ schon eher.

Selbstverständlich ist von „Agentengesetz“ mit der entsprechend intendierten negativen Assoziation auch nur die Rede, wenn es um nicht genehme Regierungen wie in Russland oder aktuell in Georgien geht. Im Falle der USA und der Mutter aller „Agenten“-Gesetze schaffen es die Redakteure in Berlin, Hamburg und München erstaunlicherweise, dies korrekt zu übersetzen. Ist dort mal vom US-amerikanischen „Foreign Agents Registration Act“ (FARA) die Rede, dann wird dies plötzlich korrekt übersetzt mit „Registrierungsgesetz für Auslandsvertreter“.

Titelbild: shutterstock / Alexandros Michailidis

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