Politische Gefangene – das Imperium schlägt zurück

Politische Gefangene – das Imperium schlägt zurück

Politische Gefangene – das Imperium schlägt zurück

Ein Artikel von Annette Schiffmann & Michael Schiffmann

Am 18. März ist der internationale Aktionstag für die Freiheit politischer Gefangener. Wie etwa den afroamerikanischen Journalisten Mumia Abu-Jamal, der seit über 40 Jahren wegen des angeblichen Mordes an einem Polizisten im Gefängnis sitzt. Davon fast 30 Jahre im Todestrakt, bis 2011 zumindest sein Todesurteil aufgehoben wurde. Seine Unterstützer sagen, er sei unschuldig, denn die ihm vorgeworfene Tat kann so, wie vor Gericht behauptet, nicht stattgefunden haben. Alle Bemühungen um einen neuen Prozess sind bisher gescheitert, obwohl ein solcher auch von Amnesty International gefordert wird. Soll hier an einem widerspenstigen Journalisten ein Exempel statuiert werden? Abu-Jamal lässt sich nicht zum Schweigen bringen und schreibt aus dem Gefängnis Texte zu aktuellen Themen wie der Todesstrafe, den repressiven Tendenzen der US-Strafjustiz, Rassismus oder der Beziehung indigener Gesellschaften zur Ökologie. Viele seiner Essays erscheinen in dem Buch Texte aus dem Todestrakt: Essays eines politischen Gefangenen in den USAnun erstmals auf Deutsch. Abu-Jamal braucht Öffentlichkeit, bis Mitte März wird die Entscheidung der Richterin erwartet, ob der Antrag auf ein neues Verfahren endgültig abgewiesen oder aber neue Beweiswürdigungen und vielleicht sogar ein neues Verfahren zugelassen wird. Annette und Michael Schiffmann beleuchten den Fall Abu-Jamal.

Am 9. Dezember 1981 wurde der weiße Polizist Daniel Faulkner in Philadelphia getötet. Am Tatort wurde der schwarze Journalist und ehemalige Black Panther Mumia Abu-Jamal lebensgefährlich verwundet und dann im Juli 1982 für den Mord an Faulkner zum Tod verurteilt. Seine Mitgliedschaft als Jugendlicher in der Black Panther Party spielte in der Anklage eine zentrale Rolle. Abu-Jamal verbrachte fast 29 Jahre in der Todeszelle, bevor das Büro der Staatsanwaltschaft von Philadelphia schließlich seine Forderung nach Abu-Jamals Hinrichtung fallenließ und ein Gerichtsurteil von 2001 anerkannte, das das Todesurteil als unrechtmäßig aufgehoben hatte. Aber Abu-Jamal ist nach wie vor im Gefängnis, verurteilt zu lebenslänglicher Haft ohne Möglichkeit der Bewährung.

Es gibt erhebliche und starke Zweifel an Abu-Jamals Schuld und es ist offensichtlich, dass sein Verfahren sowohl von Rassismus durchsetzt als auch grundlegend unfair war.

Die Fakten dieses Falls sind minutiös und im Detail in einer Reihe von Essays dokumentiert, nachzulesen auf der Webseite dropthecaseagainstmumiaabujamal.com. Wir empfehlen aus aktuellem Anlass das eben beim Westend Verlag erschienene Buch: Texte aus dem Todestrakt: Essays eines politischen Gefangenen in den USA.

Wir werfen daher hier nur einen kurzen Blick auf die gröbsten Unstimmigkeiten.

Abu-Jamal wurde aufgrund der Aussagen weniger Augenzeugen verurteilt. Die entscheidenden waren eine Prostituierte und ein Taxifahrer, von denen später offenkundig wurde, dass sie erstens beide nicht an der Stelle gewesen sein konnten, die sie angegeben hatten, und zweitens stattdessen jeweils gute Gründe gehabt hatten, den Kontakt mit der Polizei zu meiden und also vulnerabel für mögliche Falschaussagen waren. Eine Fotoserie des ersten Fotografen am Tatort zeigt überdies klar und deutlich eine leere Stelle dort, wo der Taxifahrer behauptete, gestanden zu haben.

Im Prozess ging es weiter mit der eindeutig rassistischen Geschworenenauswahl, die dazu führte, dass in einer Stadt mit damals 42 Prozent schwarzen Menschen zehn der zwölf Geschworenen weiß waren.

Beim Plädoyer für die Strafzumessung inszenierte der Staatsanwalt für die Geschworenen ein Verhör mit Abu-Jamal über dessen radikale politische Gesinnung und seine Vergangenheit in der Black Panther Party, bei dem er ihm auf groteske Weise die Worte im Mund umdrehte, um ihn als Gewalttäter hinzustellen.

Der entscheidende Richter hatte bereits über 32 Fälle den Vorsitz gehabt, die in einem Todesurteil endeten, und hielt damit einen grausigen Rekord. 30 der Verurteilten waren People of Color. Derselbe Richter wurde von einer Gerichtsstenografin dabei gehört, wie er zu einem Kollegen sagte: „Ich werde ihnen dabei helfen, den Nigger zu grillen.”

Tatsächlich half er der Anklage in jeder nur möglichen Hinsicht. Ein 32-seitiger Bericht von amnesty international aus dem Jahr 2000 ist nach wie vor eine der besten Zusammenfassungen über die krassen Verfahrensfehler in diesem Fall.

Abu-Jamals jahrzehntelange Berufungsprozesse weisen ein ähnlich korruptes Bild auf.

In seiner derzeitigen und wohl letzten Berufung geht es um entlastende Beweise, die die Staatsanwälte von Philadelphia für über 36 Jahre widerrechtlich zurückgehalten haben. Der Brady Standard im amerikanischen Recht fordert ohne Wenn und Aber, dass die Staatsanwaltschaft entlastende Beweise unverzüglich offenlegen muss. Ironischerweise war es der Oberstaatsanwalt von Philadelphia selbst, der die Aktenkisten bei der Besichtigung aller entlegenen Räume entdeckte.

Ebendieser Staatsanwalt Larry Krasner, der ins Amt gewählt wurde, weil er die Vorgehensweisen seiner Vorgänger als korrupt gegeißelt hatte, lehnt nun mit allen verfügbaren Mitteln Abu-Jamals Berufung ab.

Die Beweise in den gefundenen Kisten betreffen unter anderem die Falschaussagen des Taxifahrers und der Prostituierten gegen Abu-Jamal. Ein Brief des Taxifahrers fordert vom damaligen Staatsanwalt endlich das Geld, das ihm versprochen wurde, und ein Austausch von Memoranden zwischen den Staatsanwälten und Beamten des Justizapparats dreht sich um die Vorschläge dazu, wie man der Prostituierten ihre anhängigen Klagen im Gegenzug für ihre Zeugenaussage erlassen könne.

Im Oktober 2022 verkündete die Richterin Lucretia Clemons in Philadelphia ihre Absicht, die anhängige Berufung Abu-Jamals wegen unterdrückter Beweise ohne Anhörung abzulehnen mit der Begründung, dass Abu-Jamal durch die unterdrückten Beweise kein Unrecht geschehen sei.

Am 16. Dezember ließ sie sich darauf ein, erst binnen ca. 90 Tagen zu entscheiden. Wir warten. Und es bleibt die drängende Frage: Mit welchem Interesse hält das US-amerikanische Justizsystem so viele Gefangene so lang in seinen Kerkern? Ist der biblische Rachegedanke zu Stacheldraht und Stahlbeton geworden und buchstäblich versteinert? Woher kommt das Beharrungsvermögen gegen jede Vernunft und jeden offensichtlichen Beweis? Die wirtschaftlichen Interessen der florierenden Gefängnisindustrie können das alleine nicht erklären. Der Kampf gegen unendlich lange Jahre hinter Gittern ist bislang ein Minderheiten-Anliegen. Es ist an uns, sie dabei zu unterstützen.

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