Gefahr für die Demokratie: Angriffe auf die Meinungsfreiheit

Gefahr für die Demokratie: Angriffe auf die Meinungsfreiheit

Gefahr für die Demokratie: Angriffe auf die Meinungsfreiheit

Ein Artikel von Tilo Gräser

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit wird zunehmend von selbsternannten Moral- und Wertewächtern ebenso wie von staatlichen Stellen und Institutionen missachtet und angegriffen. Die Beispiele häufen sich seit der Corona-Krise und infolge des zugespitzten Konfliktes in der und um die Ukraine. Davor wird seit Langem gewarnt, unter anderem von ehemaligen Verfassungsrichtern. Nun fordert ein Appell von Persönlichkeiten aus den Bereichen der Kultur, Wirtschaft, Publizistik und Wissenschaft dazu auf, die Meinungsfreiheit zu verteidigen. Von Tilo Gräser.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Selbsternannte Moral- und Wertewächter sprechen immer öfter anderen das Recht ab, ihre Meinung frei zu äußern. Das geschah schon vor der Corona-Krise und spitzte sich mit dieser zu. Infolge des Ukraine-Krieges nimmt es immer größere Ausmaße an.

Vor wenigen Tagen traf es in Berlin den „Kulturkreis Pankow“. Dieser wollte in dem Kulturzentrum „Brotfabrik“ in Berlin-Weißensee am 19. März einen zweiteiligen Film von Alina Lipp über die Lage im ostukrainischen Donbass zeigen. Dem sollte am nächsten Tag ein Diskussionsabend zum Thema „Der Ukraine-Krieg und die Krise des Westens“ mit dem Publizisten Hauke Ritz folgen. Es ging darum, andere Sichten und Denkweisen als die vorherrschenden zum aktuellen Geschehen zu zeigen und zu vermitteln. Doch nun mussten beide wie auch die gesamte „Denkraum“-Reihe, zu der Vortrag und Diskussion mit Hauke Ritz gehörten, abgesagt werden.

Das Kulturzentrum verkündet auf seiner Webseite hehre Ansprüche. Im „Selbstverständnis“ der Einrichtung heißt es unter anderem: „Wir stehen ein für eine offene und plurale Gesellschaft.“ Und: „Die Brotfabrik ist mit ihrer über 30jährigen Geschichte auch ein Ort der Reflexion und des Diskurses.“ Wie es darum wirklich steht, zeigte sich, als nach einer Kampagne von proukrainischen Aktivisten über die digitalen Plattformen der Vertrag mit den Veranstaltern gekündigt wurde.

Interessengeleitete Stimmungsmache

Zu den Hetzern und Verleumdern gehören anscheinend auch Journalisten, unter anderem der Zeitung „Der Tagesspiegel“. Die „Brotfabrik“ bedankte sich gar in einem Statement „für die vielen kritischen Zuschriften und Kommentare auf unseren Social-Media-Profilen. Sie zeigen, wie aufmerksam und politisch sensibel die Menschen unserer Mitwelt sind.“ Dem „Kulturkreis Pankow“ warfen sie „politische Instrumentalisierung unseres Hauses“ vor. Dazu wurde betont: „Selbstverständlich lehnen wir die Propaganda von Alina Lipp und anderen Akteuren entschieden ab!“

Die Filme von Lipp – inzwischen wurde ein dritter Teil veröffentlicht – sind alles andere als eine angebliche Verherrlichung des Krieges. Sie zeigen nicht mehr und nicht weniger als das, was der seit Frühjahr 2014 von Kiew geführte Krieg in der Ostukraine dort anrichtet. Zu sehen ist, was das für die Menschen bedeutet. Das spielt seit Jahren in der hierzulande vorherrschenden antirussischen Stimmungsmache keine Rolle. Wer die Filme schon sehen konnte, kann die Vorwürfe dagegen nur als interessengeleitete Stimmungsmache und böswillige Hetze einschätzen. All das gilt umso mehr für den geplanten Vortrag von Hauke Ritz. Davon zeugt unter anderem ein Interview, das das Magazin „Multipolar“ im Juli 2022 mit ihm führte.

Das Strafverfahren gegen den Friedensaktivisten Heinrich Brücker ist ein Beispiel dafür, dass inzwischen auch der Staat aktiv gegen andere Meinungen und Sichten vorgeht. Die Friedensaktivistin Laura Freiin von Wimmersperg und der Rechtsanwalt Hans Bauer haben deshalb am 16. März dazu aufgerufen, die Meinungsfreiheit zu verteidigen. In ihrem Appell, unterzeichnet von 40 Persönlichkeiten aus den Bereichen der Kultur, Wirtschaft, Publizistik und Wissenschaft, heißt es unter anderem:

„Wer sich für Solidarität und humanitäre Hilfe für die Menschen im Donbass einsetzt, wird medial diffamiert und unterliegt Sanktionen. Kritische Medien außerhalb des Mainstreams werden in ihrer journalistischen Arbeit durch behördliche Maßnahmen behindert. Russische Kulturschaffende und Wissenschaftler stehen unter Generalverdacht. Normale zwischenstaatliche Beziehungen zu Russland werden abgelehnt. Freundschaft mit Russen macht verdächtig. Das Zeigen sowjetischer und russischer Symbole und Freundschaftsbekundungen zur Russischen Föderation werden staatlich missbilligt oder gar verboten. Andersdenkende werden kriminalisiert.“

Und weiter:

„Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte fordern wir, dieser gefährlichen Entwicklung Einhalt zu gebieten. Wir rufen dazu auf, die grundgesetzlich verbriefte Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit zu verteidigen, wo und wann immer sie eingeschränkt wird.“

Historische Erfahrung

Die Meinungsfreiheit gehört als Grundrecht zu den wichtigsten Gütern der bundesdeutschen Demokratie. Sie ist in Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschrieben. Dort heißt es im 1. Absatz: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Dieses wie die anderen im Grundgesetz festgeschriebenen Rechte basieren auf der Erfahrung mit dem historischen Faschismus in Deutschland. Dieser sollte sich nie wiederholen können. Doch ein Blick in die Gegenwart zeigt: Die Freiheit und mit ihr die Grundrechte sind wieder in Gefahr. Das stellte selbst der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Hans-Jürgen Papier, 2021 in seinem Buch „Freiheit in Gefahr“ fest.

Davon zeugen nicht nur die offenen und verdeckten Angriffe selbst staatlicher Institutionen, zum Beispiel auf die unabhängigen Medien. Auch die NachDenkSeiten sind davon betroffen, wie die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für ihren Förderverein „Initiative zur Verbesserung der Qualität politischer Meinungsbildung e.V.“ (IQM) zeigt. Private Plattformen wie die Google-Tochter Youtube sperrten zunehmend Kanäle, die sich kritisch zur Corona-Politik der Regierenden äußerten. Anfang 2021 gingen mit den Landesmedienanstalten offizielle bundesdeutsche Behörden gegen kritische Medien vor. Dabei wurden die Betroffenen unterschiedslos in einen Topf geworfen, der mit den Etiketten „rechts“ und „Verschwörungstheoretiker“ versehen ist.

Diese Kampagnen halten an. Es traf und trifft große und kleine Veranstaltungen, Intellektuelle und Künstler wie Daniele Ganser, Ulrike Guérot und Roger Waters, Journalisten sowie Wissenschaftler, ebenso Gruppen und Initiativen, selbst solche aus der Friedensbewegung. Die einzelnen Beispiele ergeben eine inzwischen traurig lange Liste. Meist wird dabei von verschiedenen Gruppen über digitale Plattformen Hetze betrieben und öffentlicher Druck ausgeübt. Das geschieht ebenso mit „Gegendemonstrationen“ auf der Straße.

Deutliche Warnung

Der Krieg in der Ukraine hat diese Entwicklung zugespitzt. Bedauerlich und erschreckend bleibt nicht nur das Treiben der Gesinnungsfaschisten, die in der Gesellschaft eine Atmosphäre der Angst und Hetze verbreiten. Sie können nicht anders bezeichnet werden. Der Begriff „Cancel Culture“ ist dafür verharmlosend. Andere Meinungen und Perspektiven niederzubrüllen, mit allen Mitteln zu unterdrücken, gehört zum Faschismus, wie unter anderem Umberto Eco feststellte. Jene, die andere als „Rechtsextreme“, „Verschwörungstheoretiker“ oder „Kriegsverherrlicher“ diffamieren, merken anscheinend nicht, wessen Geschäft sie betreiben – wenn sie nicht gar den für sich selbst beanspruchten Antifaschismus für ganz andere Interessen missbrauchen.

„Für den Ur-Faschismus ist Dissens Verrat“, so Eco 1995 in einem Text über den „Ur-Faschismus“. Dieser wachse und suche sich „Konsens, indem er die natürliche Angst vor dem Andersartigen ausbeutet und vertieft.“ Und: „Der Ur-Faschismus spricht Neusprech.“ Damit werde das Instrumentarium für komplexes und kritisches Denken begrenzt. Was der 2016 verstorbene italienische Autor feststellte, trifft nicht nur auf selbsternannte Meinungshüter zu. Es gilt gleichfalls für das, was regierende Politik und die sie tragenden Parteien ebenso wie die etablierten Medien verkünden – schon in der Corona-Krise und nun zum Ukraine-Krieg.

Bedauerlich, wenn auch verständlich, ist es, dass sich viele von solchem Treiben einschüchtern und Angst machen lassen. Es käme darauf an, zu widerstehen und darauf zu vertrauen, dass die Mehrheit in der Bevölkerung solches Treiben ablehnt. Diese Gesinnungsfaschisten, egal welcher Herkunft, sind in der Minderheit, wenn auch in einer lautstarken. Gegen sie muss das Grundrecht auf Meinungsfreiheit wie jedes andere Grundrecht verteidigt werden – auch gegen jene, die mit vermeintlichen Werten und vermeintlicher Moral gegen andere begründete Sichten auf Ereignisse wie den Krieg in der Ukraine vorgehen.

Klare Erkenntnis

Ex-Verfassungsrichter Papier zitierte in seinem Buch von 2021 aus dem sogenannten Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe von 1958:

„Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. (…) Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist. Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt.“

In dem erwähnten „Lüth-Urteil“ hatte Karlsruhe auch betont, dass es für den Schutz des Grundrechts nicht darauf ankomme, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational sei, ebenso, ob sie als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werde. Der Schutz beziehe sich gleichfalls nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form und die Verbreitung der Meinung. Das Wissen um diese Grundsätze, nachzulesen unter anderem im „Bürgerkommentar“ zum Grundgesetz von Christof Gramm und Stefan Ulrich Pieper, scheint zunehmend in Vergessenheit zu geraten. Das gesellt sich zu der aktuell um sich greifenden Geschichtsvergessenheit.

Der ehemalige oberste Verfassungsrichter Papier warnt vor der Tendenz, aufgrund von Hassreden, Shitstorms und zunehmenden Fake News im Internet die Meinungsfreiheit „neu zu denken“. Dann sei es nur ein „kleiner Schritt zur Forderung“, das Recht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken. Dieses dürfe auch von staatlicher Seite nicht eingeschränkt werden, um eine „bessere Moral“ durchzusetzen.

Der Jurist geht dabei nicht nur auf die Pressefreiheit ein. Er nimmt ebenso die unter dem Stichwort „Cancel Culture“ um sich greifenden Veranstaltungsabsagen in den Blick. Diese erfolgen wie beim jüngsten Berliner Beispiel, um anderen, unerwünschten Meinungen und Sichten den öffentlichen Raum zu verweigern. „Immer mehr Menschen scheinen nicht länger bereit zu sein, anderen ihr Recht auf eine eigene Meinung zuzugestehen, geschweige sich mit dieser zu beschäftigen.“

Papier stellt dazu fest, der Staat müsse auch in solchen Fällen „den Grundrechtsinhaber gegebenenfalls durch geeignete Maßnahmen vor von dritter Seite ausgehenden Beeinträchtigungen“ schützen. Er ist davon überzeugt, dass in einem demokratischen System „Meinungen, mit denen man selbst nicht übereinstimmt“, auszuhalten seien. Statt sie zu verbieten und die Meinungsträger zum Schweigen zu bringen, hält er es für sinnvoller, die geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen zu fördern. Das habe das Bundesverfassungsgericht bereits 1958 beschrieben: „Nicht mehr Verbote sind hier gefordert, sondern wie so oft die Bereitschaft zu mehr Einmischung, Teilnahme an Diskussion und Diskurs – und letztlich mehr gesellschaftliches Engagement.“

Titelbild: Marcos Mesa Sam Wordley/shutterstock.com

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