„Die Vertuschung“ – Seymour Hersh äußert sich zu den jüngsten Presseberichten

„Die Vertuschung“ – Seymour Hersh äußert sich zu den jüngsten Presseberichten

„Die Vertuschung“ – Seymour Hersh äußert sich zu den jüngsten Presseberichten

Ein Artikel von: Redaktion

Kurz nach der Veröffentlichung von Seymour Hershs Enthüllungen zur Nord-Stream-Sprengung lanciert die New York Times ihre Version der Geschichte und deutsche Medien zogen nach. Nun wird nicht mehr über Hershs Version, sondern über die pro-ukrainische Privatgruppe gesprochen, die mit einer Segelyacht nach Bornholm aufgebrochen sein soll. Für Hersh ist dies eine klare Ablenkung, um die US-Täterschaft zu vertuschen. Susanne Hofmann hat Hershs jüngsten Artikel „The Cover-Up“ für die NachDenkSeiten ins Deutsche übersetzt.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Die Vertuschung“

von Seymour Hersh

Vor sechs Wochen habe ich einen Bericht veröffentlicht, der Präsident Joe Biden als denjenigen nennt, der die mysteriöse Zerstörung von Nord Stream 2 angeordnet hat – eine neue Pipeline für elf Milliarden US-Dollar, die dazu dienen sollte, das Erdgas-Volumen von Russland nach Deutschland zu verdoppeln. Die Story nahm in Deutschland und Westeuropa an Fahrt auf, wurde aber in den USA medial fast totgeschwiegen. Vor zwei Wochen versuchten US-amerikanische und deutsche Geheimdienste meine Story noch weiter in der Versenkung verschwinden zu lassen, indem sie die New York Times und die deutsche Wochenzeitung Die Zeit mit falsche Geschichten fütterten. Damit wollten sie den Bericht übertünchen, dass Biden und US-Akteure für die Zerstörung der Pipeline verantwortlich waren.

Pressereferenten des Weißen Hauses und der CIA leugnen hartnäckig, dass Amerika für die Sprengung der Pipelines verantwortlich ist, und mit diesen Pro-forma-Dementi gab sich das Pressecorps des Weißen Hauses zufrieden. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass ein einziger der dort akkreditierten Journalisten den Regierungssprecher gefragt hätte, ob Biden das getan hat, was jeder ernstzunehmende Staatschef tun würde: Den amerikanischen Geheimdienst offiziell damit zu betrauen, eine gründliche Untersuchung unter Ausschöpfung all seiner Möglichkeiten durchzuführen und herauszufinden, wer die Tat in der Ostsee begangen hat. Laut einem Informanten in Geheimdienstkreisen hat das der Präsident bisher nicht getan und hat es auch nicht vor. Warum nicht? Weil er die Antwort bereits kennt.

Sarah Miller – eine Energieexpertin und Redakteurin bei Energy Intelligence, einem Unternehmen, das führende Fachzeitschriften herausgibt – hat mir in einem Interview erklärt, weshalb die Pipeline-Story in Deutschland und Westeuropa für große Schlagzeilen gesorgt hat: „Die Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines im September führte zu einem weiteren Anstieg der Erdgaspreise, die bereits mindestens das Sechsfache des Vorkrisenniveaus erreichten“, sagte sie. „Nord Stream wurde Ende September in die Luft gejagt. Einen Monat später, im Oktober, erreichten die deutschen Gaspreise ihren Höhepunkt mit dem Zehnfachen des Vorkrisenniveaus.

Die Strompreise in ganz Europa stiegen und die Regierungen gaben manchen Schätzungen zufolge bis zu 800 Milliarden Euro aus, um Haushalte und Unternehmen vor den Auswirkungen zu schützen. Die Gaspreise, die den milden Winter in Europa widerspiegeln, sind inzwischen auf rund ein Viertel des Oktober-Höchststandes zurückgefallen, liegen aber immer noch zwischen dem Doppelten und Dreifachen des Vorkrisenniveaus und mehr als dem Dreifachen der aktuellen US-Preise. Im vergangenen Jahr haben deutsche und andere europäische Hersteller ihre energieintensivsten Verfahren, wie die Düngemittel- und Glasproduktion, geschlossen und es ist unklar, wann, wenn überhaupt, diese Betriebe wieder öffnen. Europa bemüht sich, Solar- und Windkapazitäten zu schaffen, aber das kommt möglicherweise zu spät, um große Teile der deutschen Industrie zu retten.“ (Miller schreibt einen Blog auf Medium.)

Anfang März empfing US-Präsident Joe Biden den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz in Washington. Auf der Tagesordnung standen zwei öffentliche Termine: ein kurzer, formeller Austausch von Nettigkeiten vor der Presse im Weißen Haus, bei dem keine Fragen zugelassen waren; und ein CNN-Interview mit Scholz, in dem die Pipeline-Vorwürfe ausgespart wurden. Der Kanzler war also ohne Begleitung der deutschen Presse nach Washington geflogen, ohne dass ein offizielles Abendessen oder eine Pressekonferenz anberaumt wurden, wie es sonst bei derart prominenten Treffen Usus ist.

Stattdessen wurde später berichtet, dass die Unterredung von Biden und Scholz 80 Minuten gedauert habe, die meiste Zeit waren sie unter sich. Danach hat keine der beiden Regierungen ein Statement oder eine schriftliche Erklärung veröffentlicht, mir wurde jedoch von jemandem mit Zugang zu diplomatischen Kreisen gesagt, dass es im Gespräch auch um die Enthüllungsstory rund um die Pipelines ging. Daraufhin wurden gewisse Akteure in der CIA gebeten, zusammen mit dem deutschen Geheimdienst eine Verschleierungs-Geschichte vorzubereiten, welche die US- und die deutsche Presse mit einer alternativen Version der Zerstörung von Nord Stream 2 ausstatten würde. Mit den Worten der Geheimdienst-Community musste die CIA versuchen, die Behauptung zu zerstreuen, Biden habe die Zerstörung der Pipelines angeordnet.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass Bundeskanzler Scholz – ob er nun vor der Zerstörung der Pipeline Kenntnis hatte oder nicht, diese Frage ist noch offen – ganz klar seit dem Herbst eine Mitschuld an der Vertuschung der Operation in der Ostsee durch die Biden-Administration trägt, indem er Letztere unterstützt.

Die CIA erledigte ihren Auftrag und schusterte mithilfe des deutschen Geheimdienstes Stories über eine spontane, inoffizielle Operation zur Zerstörung der Pipelines zusammen und platzierte sie in den Medien. Der Schwindel mündete in einen Bericht in der New York Times am 7. März, in dem ein anonymer US-Beamter zitiert wird. Der behauptet, „neue Informationen legen nahe“, dass eine „pro-ukrainische Gruppe“ in die Zerstörung der Pipeline verwickelt gewesen sein könnte; und ein Bericht in der Online-Ausgabe der Zeit, Deutschlands meistgelesener Wochenzeitung, am selben Tag gibt an, deutsche Ermittler hätten eine gemietete Luxus-Segelyacht aufgespürt, die am 6. September vom deutschen Hafen in Rostock in Richtung der Insel Bornholm vor der Küste Dänemarks aufgebrochen sei. Die Insel liegt wenige Kilometer von dem Gebiet entfernt, in dem die Pipelines am 26. September zerstört wurden.

Die Yacht wurde von ukrainischen Eigentümern angemietet, die Besatzung bestand aus einer sechsköpfigen Gruppe: einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin. Falsche Pässe spielten eine Rolle. (Holger Stark, der Autor des Zeit-Berichts, sagte mir nach der Veröffentlichung seines Artikels, dass er die kriminalpolizeilichen Ermittlungen bezüglich der Yacht und ihres Verbleibs monatelang verfolgt habe und dass er und die Zeitung entschieden, rasch das zu veröffentlichen, was sie wussten, als sie vom Bericht der New York Times erfuhren. Er habe keinen Kontakt zum deutschen Geheimdienst gehabt.)

Beide Berichte machten deutlich, dass es, wie es die Times ausdrückte, „viel gab, was man nicht wisse“. Die neuen Informationen sollen aber auch die Regierungsvertreter „optimistisch“ gestimmt haben, dass man die Täter werde ermitteln können. Das würde allerdings seine Zeit dauern, hieß es vonseiten diverser Spitzenbeamter in Washington und Deutschland. Die Botschaft lautete also: Die Presse und die Öffentlichkeit sollten aufhören, Fragen zu stellen, und die Ermittler ungestört der Sache auf den Grund gehen lassen. Wozu es allerdings nie kommen würde. Der erfahrene Journalist Stark, der die Investigativ-Recherche-Einheit der Zeit leitet, ging einen Schritt weiter und merkte an, dass es einige „in internationalen Geheimdiensten“ gebe, die nicht ausschlössen, dass die Story von der Yacht „eine False-Flag-Operation“ war. Das war sie, in der Tat.

„Das war ein Lügenmärchen des amerikanischen Geheimdienstes, das man an die Deutschen weitergereicht hat und das dazu dienen sollte, deine Story zu diskreditieren“, sagte mir ein Informant aus amerikanischen Geheimdienstkreisen. Die Experten für Falschinformation in der CIA wissen, dass ein Propaganda-Schachzug nur funktioniert, wenn er auf den verzweifelten Wunsch nach einer Story trifft, die eine ungeliebte Wahrheit verdrängen oder ersetzen kann. Und die Wahrheit ist in diesem Falle, dass US-Präsident Joe Biden die Zerstörung der Pipelines autorisiert hat und seine Probleme damit haben dürfte, dies schönzureden, wo doch Deutschland und seine westeuropäischen Nachbarn darunter leiden, dass Betriebe infolge hoher Energiekosten dichtmachen.

Ironischerweise kam der schlagende Beweis für die Schwäche des New-York-Times-Berichts von einem der drei Reporter der Times, die als Autoren der Geschichte aufgeführt wurden. Ein paar Tage nach der Veröffentlichung der Story wurde der Reporter Julian Barnes auf dem beliebten Podcast der Times interviewt:

Interviewer: Wer war denn nun genau verantwortlich für diesen Angriff? Und wie seid ihr, du und deine Kollegen, dabei vorgegangen, das herauszufinden?

Reporter: Nun ja, während eines Großteils der Recherche haben wir nicht unbedingt die richtigen Fragen gestellt.

Interviewer: Hmm. Und wie lauteten die richtigen Fragen?

Reporter: Nun, wir hatten uns logischerweise zunächst auf Staaten konzentriert.

Interwiewer: Hmm.

Reporter: Wir sind einige Länder durchgegangen – hat es Russland getan? Steckt der ukrainische Staat dahinter? Wir landeten in einer Sackgasse nach der anderen. Und wir haben niemanden gefunden, der uns gesagt hätte, dass es glaubwürdige Beweise gegeben hätte, die auf eine Regierung gedeutet hätten. Und deshalb haben meine Kollegen Adam Entous, Adam Goldman und ich angefangen, andere Fragen zu stellen. Könnte dies die Tat eines nicht-staatlichen Akteurs sein? Könnte dies eine Gruppe getan haben, die nicht für eine Regierung arbeitet?

Interviewer: Eine Art freiberuflicher Saboteure. Wohin hat euch diese neue Fragestellung geführt?

Reporter: Wir fragten uns erstmal, wer könnten diese Saboteure sein? Oder mit wem könnten sie unter einer Decke stecken? Könnte es sich um pro-russische Saboteure handeln? Oder andere Saboteure? Und je mehr wir mit Beamten darüber sprachen, die Zugang zu Geheimdienst-Informationen hatten, desto mehr verfing diese Theorie.

Mein erster Verdacht, es könnte sich um pro-russische Saboteure handeln, stellte sich als falsch heraus. Und wir kamen darauf, dass es höchstwahrscheinlich eine pro-ukrainische Gruppe war.

Interviewer: Eine Gruppe Leute hat das also für die Ukraine getan? Wie kommt Ihr darauf?

Reporter: Um es deutlich zu sagen – wir wissen kaum was darüber. Diese Gruppe bleibt mysteriös. Und sie bleibt auch für die Beamten der US-Regierung, mit denen wir gesprochen haben, ein Rätsel. Sie wissen nur, dass die Leute, die darin verwickelt sind, entweder Ukrainer oder Russen oder eine Mischung sind. Sie wissen, dass sie mit der ukrainischen Regierung nichts zu tun haben. Sie wissen aber auch, dass sie Anti-Putin und Pro-Ukraine sind.

Interviewer: Nach dieser ganzen Recherche habt ihr also rausgefunden, dass die Schuldigen eine Gruppe von Leuten sind, die das Gleiche wollen wie die Ukraine, aber nicht offiziell mit der ukrainischen Regierung zusammenhängen. Mich würde interessieren, wie sicher ihr euch da seid?

Reporter: Nun ja, die Geheimdienste sagen derzeit, sie hängen mit der ukrainischen Regierung nicht zusammen. Und auch wenn uns Beamte sagen, dass der ukrainische Präsident und seine wichtigsten Berater damit nicht zusammenhängen, so können wir uns dennoch nicht sicher sein, dass das stimmt oder dass jemand anderer nicht doch davon wusste.

Die Reporter der Times in Washington waren also von den Beamten im Weißen Haus abhängig, „die Zugang zu geheimen Informationen hatten“. Doch die Informationen, die sie erhielten, stammten ursprünglich von einer Gruppe CIA-Experten für Täuschung und Propaganda, deren Mission darin bestand, die Zeitungen mit einer Ablenkungs-Geschichte zu füttern – und einen Präsidenten zu schützen, der eine unkluge Entscheidung getroffen hat und jetzt darüber hinweglügt.