Lügen und Drohungen – die unglaublichen Reaktionen auf Oskar Lafontaines NachDenkSeiten-Artikel auf Twitter

Lügen und Drohungen – die unglaublichen Reaktionen auf Oskar Lafontaines NachDenkSeiten-Artikel auf Twitter

Lügen und Drohungen – die unglaublichen Reaktionen auf Oskar Lafontaines NachDenkSeiten-Artikel auf Twitter

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

In der letzten Woche veröffentlichten die NachDenkSeiten einen Gastartikel von Oskar Lafontaine, in dem er unter anderem an die Opfer des seit 2014 geführten Krieges in der Ostukraine erinnert. Die Erwähnung, dass die Ukraine dort einen Krieg gegen die russisch-sprachige Bevölkerung führt, reichte einigen Prominenten aus dem transatlantischen Umfeld, um auf Twitter jegliche Contenance zu verlieren. Den Tiefpunkt setzte dabei einmal mehr der ehemalige ukrainische Botschafter Andrij Melnyk, der Oskar Lafontaine und seiner Frau Sahra Wagenknecht androhte, man werde sie schon „sehr bald zur Rechenschaft ziehen“. Derlei offene Androhungen von Gewalt gehören offenbar mittlerweile zu den guten westlichen Werten, die „wir“ in der Ukraine verteidigen. Ein Zwischenruf von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Dass Transatlantiker die NachDenkSeiten lesen, ist zugegebenermaßen überraschend. Den Ball für den Shitstorm gegen Oskar Lafontaines Gastartikel brachte niemand Geringeres als Jörg Lau ins Rollen. Lau ist außenpolitischer Redakteur der ZEIT und wurde in der Vergangenheit als Fellow vom German Marshall Fund gefördert – einer, der „auf Linie ist“ und schon vor fast zwanzig Jahren mit Inbrunst gegen Oskar Lafontaine (Lau: „Oskar Haider“) holzte. Nach der Lektüre von Lafontaines Gastartikel auf den NachDenkSeiten tippte Lau erst einmal beherzt in die Tasten und bezeichnete das Zitat über „den jahrelangen Krieg der ukrainischen Präsidenten gegen die russisch-sprachige Bevölkerung in der Ost-Ukraine mit 14.000 Toten“ als „krasse Fake News“.

Das ist – sagen wir es mal diplomatisch – erstaunlich. Schließlich sollte unstrittig sein, dass der ukrainische Staat seit 2014 im Donbass einen Krieg gegen die russisch-sprachige Bevölkerung führt. Zur Zahl der Opfer gibt es unterschiedliche Schätzungen. Die von Lafontaine genannten 14.000 Todesopfer sind dabei die Schätzung, die von offizieller Seite immer wieder genannt wird. So heißt es beispielsweise im offiziellen UN-Bericht der „United Nations Human Rights Monitoring Mission in Ukraine”:

OHCHR estimates the total number of conflict-related casualties in Ukraine from 14 April 2014 to 31 December 2021 to be 51,000–54,0008: 14,200-14,400 killed (at least 3,404 civilians, estimated 4,400 Ukrainian forces, and estimated 6,500 members of armed groups), and 37-39,000 injured (7,000–9,000 civilians, 13,800–14,200 Ukrainian forces and 15,800-16,200 members of armed groups).

Diese Zahl wird übrigens auch von der ukrainischen Regierung verwendet und wurde bei mehreren Gelegenheiten aktiv kommuniziert. Verbreiten die UN und die ukrainische Regierung also auch „krasse Fake News“?

Mit Laus eigenwilliger Interpretation schwappte der Lafontaine-Artikel in die transatlantische Twitter-Blase. Dort wurde er dann unter anderem von Wolfgang Ischinger weiterverbreitet. Ischinger war früher mal deutscher Botschafter in Washington und London und leitete vierzehn Jahre lang die Münchner Sicherheitskonferenz. Aufgrund dieser Vita sollte man ja eigentlich meinen, er kenne die Grunddaten zum Krieg in der Ost-Ukraine zumindest im Ansatz. Doch weit gefehlt. Stattdessen schwadroniert Ischinger auf Twitter von einer „brutalstmöglichen Geschichtsverfälschung“ durch Lafontaine, der „sich schämen solle, weil er die Fakten ja kennt“.

Welche Fakten mag Ischinger da meinen? Diese Frage stellten ihm auch Kommentatoren auf Twitter. Die lapidare Antwort Ischingers: „Alles daran ist falsch“. Na dann.

Den absoluten geistig-moralischen Tiefpunkt der „Debatte“ setzte jedoch einmal mehr Andrij Melnyk, der Lafontaine samt seiner Ehefrau Sahra Wagenknecht als die „schlimmsten Komplizen von Kriegsverbrecher Putin“ bezeichnete und ihnen offen drohte, sie würden „als solche noch zur Rechenschaft gezogen werden. Und zwar sehr bald“.

Das ist nichts anderes als ein unverhohlener Aufruf zur Gewalt. Sollte demnächst ein ukrainischer „Patriot“ oder ein Verrückter aus dem grün-transatlantischen oder rechtsextremen Lager zur „Selbstjustiz“ gegen Lafontaine oder Wagenknecht greifen, hätte auch Melynk Blut an den Händen. Es ist unbegreiflich, warum solche Hassposts, die zweifelsohne gegen das deutsche Gesetz verstoßen, überhaupt von Twitter geduldet werden. Noch unbegreiflicher ist es, warum die deutsche Regierung der Ukraine noch keine Protestnote geschickt hat. Immerhin ist der Hassprediger Melnyk als „Vize-Außenminister“ keine Privatperson, sondern ein offizieller Repräsentant seines Landes. Oder sind das etwa die „gemeinsamen westlichen Werte“, die mit deutscher Unterstützung auch in der Ostukraine vorwärtsverteidigt werden sollen?

Titelbild: keport/shutterstock.com