Wohnungsnot – wenn es den „Alten“ an den Kragen geht, geht es allen an den Kragen

Wohnungsnot – wenn es den „Alten“ an den Kragen geht, geht es allen an den Kragen

Wohnungsnot – wenn es den „Alten“ an den Kragen geht, geht es allen an den Kragen

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Wohnraum ist in vielen Metropolen knapp. Das ist bekannt. Ebenso bekannt sollte sein, dass diese Knappheit so lange ein Naturgesetz ist, wie man das Angebot nicht ausweiten oder die Nachfrage reduzieren kann. Nichtsdestotrotz hat man nun einen neuen oder besser alten Sündenbock für die Wohnungsnot ausgemacht – Altmieter, meist Senioren, die es sich dank Bestandsschutz und Altverträgen noch leisten können, vergleichsweise große Wohnungen in begehrten Lagen zu bewohnen. Damit soll jetzt Schluss sein. So fordert es zumindest der Regierungsberater Steffen Sebastian von der Uni Regensburg. Würde man seine Vorschläge umsetzen, würde es jedoch nicht „nur“ den „Alten“ an den Kragen gehen. Letztlich geht es vielmehr darum, die Wohnraumverteilung weitestgehend dem Markt zu überlassen. Wer die vermeintlich „fairen“ Mieten nicht zahlen kann, hat dann halt Pech gehabt. Von Jens Berger.

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Die Debatte um die Verteilung knappen Wohnraums ist sowohl von liberaler als auch von linker Seite von Idealvorstellungen geprägt, die meist wenig Substanz haben. Es ist Zeit, sich ehrlich zu machen. Wenn in einem Stadtteil, in dem nicht großartig zusätzlicher Wohnraum durch Neubauten geschaffen werden kann, die Nachfrage nach Wohnraum deutlich über dem Angebot liegt, liegt es in der Natur der Sache, dass nicht jeder Interessent die gewünschte Wohnung bekommen kann. Auf die Frage, wie man die Knappheit möglichst gerecht verteilen kann, gibt es je nach ökonomischer und politischer Schule jedoch grundsätzlich verschiedene Antworten. In der ehemaligen DDR wurde Wohnraum nach politischen Kriterien zugeteilt – so genossen beispielsweise Familien mit Kindern bessere Chancen auf die Zuteilung einer der damals begehrten Neubauwohnungen in der Platte als alleinstehende Rentner. Der Gegenentwurf dazu sind reine Marktmechanismen, wie sie beispielsweise in Manhattan gelten. Dort wird der Wohnraum von den Immobilienbesitzern ganz simpel wie bei einer Versteigerung über die Zahlungsbereitschaft der Interessenten verteilt. Diese Verteilung von Wohnraum über den Markt ist zweifelsohne effizient; aber es kann auch kein Zweifel daran bestehen, dass sie ungerecht ist. In der Bundesrepublik versucht man daher seit Jahrzehnten, die goldene Mitte zwischen politischer Zuteilung und Marktmechanismen zu finden – wobei das Pendel seit vielen Jahren in Richtung Markt schlägt.

Nun hat ein Forscherteam des Immobilieninstituts IREBS der Uni Regensburg zum Sturm auf die verbleibenden Mieterschutzinstrumente geblasen, die vor allem in begehrten Lagen den Vermietern schon lange ein Dorn im Auge sind. Die Forderung, den Mieterschutz abzuschaffen und den Wohnungsmarkt noch weiter zu liberalisieren, ist jedoch nicht sonderlich populär. Darum braucht es einen Aufhänger und die Regensburger haben sich dafür den „Generationenkonflikt“ herausgesucht. Oberflächlich betrachtet können sie damit vielleicht sogar punkten. Es mag nicht sonderlich gerecht klingen, wenn eine verwitwete Rentnerin sich „dank“ ihres Altvertrags eine Vier-Zimmer-Wohnung in begehrter Lage leisten kann, während die sechsköpfige junge Familie mangels Wohnraums abends die Schlafsofas im Wohnzimmer ausfahren muss. Diese Geschichte haben wir in letzter Zeit ja häufiger gehört. Die Lösung der Regensburger: Wenn die Mieterschutzinstrumente wegfallen, ist die Rentnerin mangels finanzieller Mittel gezwungen, eine kleinere Wohnung in einer weniger attraktiven Lage zu beziehen und ihre schnieke große Wohnung stünde der Familie zur Verfügung.

Grau ist die Theorie, noch grauer ist jedoch die Realität. Denn wer sagt eigentlich, dass nach dem Wegfall des Mieterschutzes die sechsköpfige Familie die freigewordene Wohnung beziehen wird? Betrachten wir es doch mal mit dem vielleicht nötigen Zynismus: Hätte die Familie die finanziellen Mittel, sich eine große Wohnung in begehrter Lage zu nehmen, würde sie wahrscheinlich heute auch nicht in ihrer kleinen Wohnung leben. Wenn die Wohnung der Rentnerin frei wird, entscheidet nämlich der Markt, wer sie künftig beziehen darf. Und der hat eher ein Herz für zahlungskräftige Besserverdiener – gerne Singles oder Doppelverdiener-Paare ohne Kinder – als für eine sechsköpfige Familie, deren oft lauter Nachwuchs ja auch nicht gerade einen positiven Effekt auf die Mieten der anderen Wohneinheiten in dem Haus hat.

Oma zu vertreiben, hilft der jungen Familie also auch nicht. Und es geht beim Bestandsschutz ja nicht „nur“ um Oma. Gerade in den begehrten Vierteln der Metropolen könnten sich viele Mieter, die noch lange nicht im Rentenalter sind und nicht über herausragende finanzielle Mittel verfügen, ihre Wohnung ohne die vorhandenen Mieterschutzinstrumente nicht mehr leisten. Würde man beispielsweise in Berlin Kreuzberg oder Prenzlauer Berg sämtliche Regulierungen für die Mietsteigerungen abschaffen, würde binnen kürzester Zeit ein großer Teil der Mieter aus den Wohnungen herausgedrängt. Nur: Wenn ich mal in diesen Stadtteilen unterwegs bin, sehe ich kaum Rentner. Stattdessen begegnen mir neben den zahlungskräftigen Zugezogenen immer noch viele Migranten und die leben – man glaubt es ja kaum – oft in größeren Familien. Eine Liberalisierung des Wohnungsmarktes, wie ihn die Regensburger Forscher vorschlagen, würde also gerade in diesen Vierteln in der Realität sogar Familien vertreiben und zahlungskräftige Singles und Paare anziehen. Oma ist hier nur ein politisch opportunes Opfer, das zumindest in den Redaktionen des Mainstreams keine Lobby hat.

Die ganze Debatte um Alte, die angeblich zu viel Wohnraum nutzen, ist unehrlich und vorgeschoben. Natürlich verfügen Alte im Schnitt über mehr Wohnraum als junge Familien. Oft leben sie im über Jahrzehnte abbezahlten Eigenheim. Da will die junge Familie erst einmal in vielen Jahren hin. Oft leben sie auch auf dem Land, wo Wohnraum kein knappes Gut ist und die Mieten noch bezahlbar sind. Aber wer will schon ihre Wohnungen? Dort wo es kaum Jobs, keinen vernünftigen Anschluss an den ÖPNV und keine ordentlichen Kinderbetreuungsangebote gibt, will die sechsköpfige Familie aus verständlichen Gründen auch nicht hin. Darum sind die Mieten dort ja so niedrig. Hier übersteigt das Angebot oft die Nachfrage. Der Wohnraumverteilung ist also kein Jota damit geholfen, wenn hier der vorhandene Mieterschutz wegfällt.

Und wie sieht es in den begehrten Lagen der Metropolen aus? Hier kann man die Fallbeispiele, in denen tatsächlich eine Rentnerin noch in einem 120-Quadratmeter-Appartement in Premiumlage lebt, wohl an einer Hand abzählen. Auch mit Mieterschutzinstrumenten übersteigen die Kosten samt fälligen Nebenkosten die üblichen Renten bei weitem. Es gibt freilich nicht nur normale Rentner, sondern natürlich auch wohlhabende Alte. Aber die reichen Charlottenburger Witwen werden ihre Luxuswohnungen auch zu freien Marktpreisen finanzieren können – und selbst wenn nicht, wären diese Objekte ganz sicher nicht das potenziell neue Zuhause von normalen Familien.

Die Vorschläge von Steffen Sebastian und seinem Team ändern also an der gerechten Verteilung von Wohnraum bezogen auf ihr Fallbeispiel nichts. Sie sorgen vielmehr für eine noch ungerechtere Verteilung von knappem Wohnraum abseits des Fallbeispiels, da sie bislang noch durch Reglementierungen geschützte Mieter in Bedrängnis bringen und ihren Wohnraum denjenigen freimachen, die auch heute schon aufgrund ihrer finanziellen Mittel kein wirkliches Problem bei der Wohnungssuche haben.

Wer vor allem von derartigen Maßnahmen profitieren würde, sind die Vermieter und Immobilienkonzerne. Die könnten losgelöst von gesetzlichen Regulierungen ihren gesamten Wohnungsbestand nach den freien Regeln des Marktes anbieten. Die Opfer davon wären alle Mieter. Da ist es sicher keine Überraschung, dass die „Stifter“ des Immobilieninstituts IREBS der Uni Regensburg sich aus dem who is who der Immobilienbranche rekrutieren.

Titelbild: PeopleImages.com – Yuri A/shutterstock.com