Habecks Preisdeckel. Billige Energie für Volkswagen, teure Energie fürs Volk

Habecks Preisdeckel. Billige Energie für Volkswagen, teure Energie fürs Volk

Habecks Preisdeckel. Billige Energie für Volkswagen, teure Energie fürs Volk

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Bundeswirtschaftsminister Habeck will die deutsche Industrie mit Strom zum Schnäppchenpreis von sechs Cent beglücken – als „Brücke“ in eine klimafreundliche Zukunft. Kommt es so, hätten Steuerzahler und Normalverbraucher bis mindestens 2030 die Zeche dafür zu zahlen, dass Bayer, BMW und Bosch hemmungslos Energie verpulvern und noch mehr Arbeitsplätze wegrationalisieren. Die Gewerkschaften schreckt die Aussicht nicht, sie sind voll des Lobes ob der Pläne. Der Bundeskanzler ziert sich noch, obwohl er einst sogar vier Cent versprach und der SPD-Chef offen mit 15 Jahren Superrabatt liebäugelt. Wem all das nicht zusagt, muss auf die Beharrungskräfte des Finanzministers hoffen. Von Ralf Wurzbacher.

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Was man halt so sagt als Politiker: „Unser Vorschlag ist die Antwort auf einen deutlichen Wunsch aus der Breite der Gesellschaft“, ließ Robert Habeck dieser Tage die Leute im Lande wissen, die von diesem – ihrem – Wunsch bis dahin womöglich gar nichts wussten. Wie der grüne Bundeswirtschaftsminister am vergangenen Freitag kundtat, plant er die Einführung eines Industriestrompreises für energieintensive Unternehmen, damit die im Standortwettbewerb nicht unter die (Wind-)Räder kommen. Bis voraussichtlich zum Jahr 2030 sollen die Chemie-, Stahl-, Metall-, Glas- und Papierbranche und fast selbstredend Batterie-, Photovoltaik- und Halbleiterfabrikanten von unschlagbar billigem Strom für sechs Cent pro Kilowattstunde (kWh) profitieren dürfen. In einem Arbeitspapier wirbt der Minister für einen „Brückenpreis“ bis Ende der 2020er-Jahre – „für einen klar definierten Empfängerkreis, der aus öffentlichen Mitteln finanziert werden muss“.

Die Jubelbekundungen aus der „Mitte der Gesellschaft“ ließen nicht lange auf sich warten. Die Bosse von Lanxess, Covestro, Thyssenkrupp und Trimet zeigten sich voll d‘accord mit den Plänen und „wünschen“ sich nichts lieber als eine „schnelle und handwerklich saubere Umsetzung“. Grundsätzlich gelte, dass Lanxess, ein Spezialchemieproduzent aus Köln, bis 2040 klimaneutral werden wolle, versicherte dessen Chef Matthias Zachert. „Damit wir diese Transformation erfolgreich bewältigen können, brauchen wir mittelfristig ausreichend Energie aus erneuerbaren Quellen, und zwar zu wettbewerbsfähigen Marktpreisen.“ Freude auch beim Bundesverband Glasindustrie (BV Glas), allerdings mit leichten Abstrichen. Habeck will „lediglich“ 80 Prozent des Verbrauchs staatlich bezuschussen, ihren Restbedarf sollen die Nutznießer am freien Markt decken, damit wenigstens ein kleiner „Effizienzanreiz“ zum Energiesparen bleibt. Klar, dass BV-Glas-Hauptgeschäftsführer Johann Overath das „kritisch“ sieht. Immerhin will der Vizekanzler das Geld nicht ganz bedingungslos verjubeln. Mittels einer „Transformationsverpflichtung“ sollen die Profiteure angehalten werden, bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen, außerdem müssten sie eine „Standortgarantie“ abgeben und sich tariftreu verhalten.

Hochgradig asozial

Aber was wäre wohl, wenn man die einfachen Bürger fragte, was sie davon halten, die Zeche dafür zu zahlen, dass Konzerne und Großunternehmen ihren Strom demnächst zum Schnäppchenpreis hinterhergeworfen bekommen. Schließlich soll das Ganze nicht nur üppig subventioniert werden – das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) rechnet mit 25 bis 30 Milliarden Euro. Bezahlt werden soll dies aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), einem schuldenfinanzierten Sondervermögen neben dem Bundeshaushalt, mit dem auch die Strompreisbremsen finanziert werden. Aber das wäre längst nicht alles. Wenn die Industrie künftig wie entfesselt Strom nachfragt und wegen der minimalen Kosten neue Produktionsanlagen hochzieht, die dann noch mehr Energie fressen, verknappt dies das Angebot an den Strombörsen, wodurch die Preise für Privathaushalte weiter in die Höhe gehen. Der einfache Bürger zahlt also doppelt drauf: als Steuerzahler und als Verbraucher. Wenn Habeck, wie in seinem Konzept, etwas von „solidarisch“ faselt, dann gilt das einzig für die Wirtschaft. Tatsächlich ist er im Begriff, ein riesiges Umverteilungsprojekt ins Werk zu setzen – knallhart neoliberal und hochgradig asozial.

Nicht minder verlogen ist das Gerede von der „klimapolitischen Verantwortung“, wonach sich die Industrie auf die Prozesse umstellen müsse, „die es für eine klimaneutrale Produktion weltweit braucht“. Mit billigem Strom wird der Energiehunger der Wirtschaft noch befeuert, und stillen lässt sich der auf absehbare Zeit gerade nicht aus erneuerbaren Energien, wovon es schlicht noch zu wenig gibt, insbesondere in der kalten Jahreszeit. Eine „Brücke“ ist die Maßnahme deshalb vielmehr für die fossile Energiewirtschaft, für Kohleverbrennung und Flüssiggas (LNG), im Speziellen für schmutziges Frackinggas aus den USA. Dieses ist verglichen mit Pipelinegas nicht nur teurer, der CO₂-Ausstoß bei der Produktion ist überdies deutlich höher. Wenn der Industriestrom durch staatliche Eingriffe künstlich verbilligt wird, geht absehbar auch mehr LNG-Gas in die Verstromung, wodurch mehr davon benötigt wird. Faktisch wird so eine dreckige Energieform, die unter regulären Marktbedingungen schwerlich Abnehmer fände, subventioniert, zum Schaden der Umwelt, zum Schaden der Steuerzahler.

Brücke ins Irgendwann

Industrielle Großabnehmer müssen heute schon wesentlich weniger für Energie aufbringen als Otto Normalverbraucher. Dass die Preise im Gefolge des Ukraine-Krieges auch für sie massiv gestiegen sind, steht außer Frage. Was die Bundesregierung aber gerne vergessen macht, ist ihre eigene Verantwortung dabei. Preistreibend wirkten vor allem die Sanktionspolitik gegen Russland und die fixe Idee, sich und ganz Europa quasi über Nacht von russischem Pipelinegas unabhängig zu machen. Erst das hat zu den heftigen Eruptionen auf den Energiemärkten und zu nie dagewesenen, zu beträchtlichen Teilen spekulationsgetriebenen Mondpreisen geführt. Der Industrie hat das zugesetzt, vor allem auch kleineren und mittleren Unternehmen – mehr noch den vielen Menschen, die ihren Job verloren haben und ihre Rechnungen nicht mehr begleichen können. Der Unterschied besteht darin: Konzernen hilft die Regierung gerne aus der Patsche, den „kleinen Mann“ lässt sie hängen.

Dabei stellt sich die Lage der deutschen Wirtschaft mittlerweile merklich entspannter dar. Nach einer Analyse des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hat sich der Industriestrompreis gegenüber dem 2. Halbjahr 2022 „nahezu halbiert“ und lag im April bei knapp über 28 Cent pro kWh. Vom Vorkriegsniveau ist dies zwar noch ein gutes Stück, rund zehn Cent, weg. Aufgrund der inzwischen eingezogenen „Energiepreisbremsen“ sind die Marktpreise den deutschen Industriekapitänen aber ohnehin ziemlich egal. Rückwirkend zum 1. Januar und bis planmäßig April 2024 zahlen sie bloß 13 Cent pro kWh für 70 Prozent ihres Verbrauchs. Der Deckel für Privathaushalte greift dagegen erst bei 40 Cent, während der Marktpreis gemäß BDEW-Auswertung im bisherigen Jahresverlauf im Schnitt bei knapp 47 Cent lag. Woraus folgt: Der Staat subventioniert die Industrie schon jetzt deutlich stärker als Privatkunden. Und während die „Bremsen“ eigentlich als „Brücke“ in normalere Zeiten konzipiert waren, will Habeck nun die „Brücke, die wir mit den Energiepreisbremsen gebaut haben, verlängern“, um sechs volle Jahre – für Bayer-Chef Martin Brudermüller, versteht sich, nicht für Oma Erna.

Scholz will‘s noch billiger

Begründet wird das alles wie üblich mit der Sicherung von Standorten und Arbeitsplätzen im internationalen Konkurrenzkampf und natürlich mit den Verwerfungen durch den und den Lehren aus dem russischen Angriffskrieg. Zitat: „Der Energiepreisschock gefährdet akut Deutschlands Wohlstand und seine starke industrielle Basis.“ Um Wladimir Putin zu begegnen, ist bekanntlich jedes Mittel recht. Allerdings hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schon lange vor dem Ukraine-Krieg, nämlich im Juni 2021, damals noch als Bundesfinanzminister, das Ziel eines Industriestrompreises ausgegeben und dieses sogar mit vier Cent pro kWh beziffert. Man fragt sich, ob sich das so einfach hätte durchsetzen lassen, allein mit dem Argument Energiewende und den Herausforderungen, die sich der Industrie dadurch stellen. Heute, mit dem „bösen Iwan“ im Nacken, geht das sehr viel leichter.

Aber warum druckst Scholz aktuell beim Thema so herum? Auf Habecks Vorstoß angesprochen, wich er am Wochenende bei einem Besuch in Kenia den Fragen aus. „Es gibt heute schon Gegenden, in denen die Stromproduktion so billig ist, wie sie sein muss, sodass industrielle Prozesse auch im globalen Wettbewerb mit diesem Strom ohne Subvention betrieben werden können“, bemerkte er. Vier Cent – ohne Subvention? Macht Scholz Witze, will er sich durch Habeck nicht die Show stehlen oder sich nicht schon wieder durch seine Koalitionspartner durch die Manege treiben lassen? Auf seine sogenannte „Zurückhaltung“ sollte man jedenfalls nicht allzu viel geben. Die Konsequenzen seines „Zauderns“ beim Liefern von Kriegsgerät in die Ukraine sind hinlänglich bekannt.

Gewerkschaften begeistert

Und dass sich seine SPD als Bremser beim Bremsen betätigt – womöglich gar aus sozialen Erwägungen und Gerechtigkeitsempfinden –, steht auch nicht zu erwarten. Vor einer Woche erst hatte der Co-Parteivorsitzende Lars Klingbeil im Handelsblatt einen staatlich verbilligten Strompreis für die Industrie „innerhalb der nächsten zwölf Monate“ versprochen. Dafür hatte er unlängst auch bei Volkswagen in Wolfsburg die Werbetrommel gerührt. „Das wird helfen, durch eine Phase zu kommen, wo viele energiepolitische Umbrüche sind.“ Wobei er Habeck noch rechts überholt und eine Phase von zehn bis 15 Jahren erwägt, als Übergang zur Digitalisierung und Klimaneutralität. Denn „am Ende kommt es wieder dem Steuerzahler zugute, wenn wir hier starke Industrie haben, die auch Steuern hier bezahlt“. Kennt man ja: Beglücke die Wirtschaft mit allem, was geht, und schaue zu, wie sich Belegschaften in Luft auflösen, Managergehälter explodieren und Milliardenprofite in Steueroasen verschwinden.

Obwohl gerade die Gewerkschaften davon ein Liedchen singen können, fällt ihnen nichts als Zuspruch zum Habeck-Konzept ein. Michael Vassiliadis, Chef der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), sprach von einem „klaren Signal der Standortstärkung“. Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Yasmin Fahimi, nannte die Höhe der Deckelung angemessen und ausgewogen und die Finanzierung durch den WSF sinnvoll. Hier zeigt sich einmal mehr, wie gerade die großen Beschäftigtenverbände immer noch der Angstmacherei der Unternehmerlobby erliegen und Waffen sowie Verstand niederstrecken, sobald die den Abgesang auf den Standort Deutschland anstimmen.

Überförderung, Überforderung

Ablehnend äußerte sich dagegen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). „Extrem teure Subventionen“ seien „aus mehreren Gründen der falsche Weg“, schrieb er schon vor einer Woche in einem Gastbeitrag im Handelsblatt. „Die Privilegierung von Industrieunternehmen wäre wohl nur auf Kosten anderer Stromverbraucher und Steuerzahler umsetzbar, zum Beispiel von Privathaushalten oder des Handwerks.“ Wo er recht hat, hat er recht, weshalb man ihm noch keine soziale Ader andichten darf. Eher mimt er im Dauerzwist mit Habeck den eisernen Kassenwart. Durch eine Ministeriumssprecherin ließ er ausrichten: „Für dieses Vorhaben stehen keine Finanzmittel zur Verfügung.“

Auch aus dem Lager der Ökonomen setzte es eine Abfuhr. Der Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), Christoph Schmidt, warnte vor einer Ungleichbehandlung von Konzernen und Mittelstand und einer dauerhaften Subvention, „zumal das Lobbyieren für ihre Verstetigung typischerweise umgehend mit dem Einstieg in Subventionen beginnt“. Der Eingriff verlagere die Lasten „lediglich von einem ausgewählten Teil der Unternehmen, also den großen Industriebetrieben, auf andere Akteure, also auf andere Stromverbraucher oder die Steuerzahler“. Deutschland begebe sich mit dem Industriestrompreis „in den Subventionswettlauf“, mahnte auch Achim Wambach, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), und weiter: „Es besteht die Gefahr einer Überförderung.“ Oder meinte er „Überforderung“? Wambach sitzt im Wissenschaftlichen Beirat des Habeck-Ministeriums.

Titelbild: fongbeerredhot / shutterstock