Die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga markiert eine Zäsur im Nahen und Mittleren Osten: Die westliche Politik der Konfrontation ist gescheitert

Die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga markiert eine Zäsur im Nahen und Mittleren Osten: Die westliche Politik der Konfrontation ist gescheitert

Die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga markiert eine Zäsur im Nahen und Mittleren Osten: Die westliche Politik der Konfrontation ist gescheitert

Karin Leukefeld
Ein Artikel von Karin Leukefeld

Das vom Westen nach dem Prinzip „teile und herrsche“ geschmiedete Gefüge aus Feindschaft und Kriegen in der Region bricht zusammen. Dementsprechend lehnen die USA die Entwicklung ab, und einige deutsche Medien machen weiterhin Stimmung mit zweifelhaften Berichten über Giftgasangriffe. Von Karin Leukefeld (Damaskus, Beirut).

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Syrien wird in die Arabische Liga zurückkehren. Das beschlossen die Außenminister der 22 Mitgliedstaaten des arabischen Bündnisses am vergangenen Sonntag, 7. Mai 2023, in Kairo. Es handelt sich um eine Vorabentscheidung, die beim Gipfeltreffen am 19. Mai in Jeddah (Saudi-Arabien) von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten bestätigt wird. Der Vorsitzende der Arabischen Liga, Ahmed Aboul Gheit, erklärte, der Rückkehr Syriens in das Bündnis stehe nach der Abstimmung nichts mehr im Wege. Der syrische Präsident Bashar al-Assad könne am nächsten Gipfeltreffen teilnehmen.

Am vergangenen Mittwoch, 10. Mai 2023, wurde dem syrischen Präsidenten in Damaskus die persönliche Einladung aus dem saudischen Königshaus überreicht. Am gleichen Tag nahmen Saudi-Arabien und Syrien ihre diplomatischen Beziehungen offiziell wieder auf.

Die Verbündeten Syriens Russland und Iran begrüßten die Entscheidung der Arabischen Liga. Auch China, Pakistan, Indien gratulierten, ebenso Kuba und Venezuela, um nur einige der Staaten zu nennen.

Politik der Annäherung nutzt der arabischen Welt

Syrien begrüßte die Entscheidung. In einer Erklärung des Außenministeriums in Damaskus hieß es, die „positiven Entwicklungen und Begegnungen in der arabischen Region“ nutzten allen arabischen Ländern und stärkten „Stabilität, Sicherheit und das Wohlergehen der Bevölkerung“. Dialog und Kooperation seien wichtig, um den Herausforderungen zu begegnen. Syrien sei Gründungsmitglied der Arabischen Liga und habe sich immer für eine starke arabische Kooperation eingesetzt. Die nächsten Schritte erforderten eine „effektive und konstruktive“ Herangehensweise in den bilateralen und gemeinsamen Beziehungen. Voraussetzung dafür sei gegenseitiger Respekt.

Nach der Annäherung von Iran und Saudi-Arabien Anfang März dieses Jahres und zahlreichen hochrangigen politischen und diplomatischen Begegnungen war die Entscheidung in Damaskus erwartet worden. Hochrangige politische Berater zeigten sich in inoffiziellen Hintergrundgesprächen mit der Autorin dieses Textes optimistisch. Saudi-Arabien, Abu Dhabi (VAE), Algerien und Irak seien „entschlossen“, Syrien wieder in die Arabische Liga aufzunehmen. Selbst Marokko, das sich zunächst ablehnend gezeigt hatte, habe seine Position geändert. Kuwait und Katar, die die Rückkehr Syriens in das Bündnis zwar nicht blockieren, aber ihre bilateralen Beziehungen nicht „normalisieren“ wollen, seien durch die „US-Präsenz“ in ihren Ländern beeinflusst, hieß es in den inoffiziell geführten Gesprächen. Beide Golfemirate haben große US-Militärbasen auf ihrem Territorium, die ihnen politische Entscheidungen gegen den Willen Washingtons erschweren.

Die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga sei eine „wichtige politische Entwicklung“, allerdings sei die Wiederherstellung bilateraler Beziehungen Syriens mit den arabischen Staaten noch „wichtiger“, sagte eine der Gesprächspersonen, die nicht genannt werden möchte, weil das Hintergrundgespräch inoffiziell geführt wurde. Scharf wurde die Haltung der US-Administration und der Europäischen Union kritisiert, die mit den einseitigen wirtschaftlichen Strafmaßnahmen (Sanktionen) einen „Wirtschaftskrieg“ gegen Syrien führten. Das sei schlimmer als ein militärisch geführter Krieg, weil sie den notwendigen Wiederaufbau des Landes blockierten und dazu führten, dass die Menschen in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen seien. Die Syrer wollten „nicht von Lebensmittelpaketen leben. Wir essen, was wir produzieren, und wir tragen Kleidung, die wir selbst herstellen.“

Hoffnung und Skepsis

Syrer aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten zeigten sich in Gesprächen (mit der Autorin) vorsichtig optimistisch über die Entwicklung. Man müsse abwarten, was wirklich von den arabischen Staaten an Hilfe komme, sagte der syrische Geschäftsmann Elia S. Unklar sei auch noch, was von der Regierung im Gegenzug gefordert werde. „Soll Syrien die von Israel besetzten Golanhöhen abgeben, wie seit Langem gefordert? Soll Syrien Idlib aufgeben, um diejenigen zufriedenzustellen, die die bewaffneten Kräfte dort unterstützen?“ Und wie werde die US-Besatzung Syriens im Nordosten beendet, wo US-Soldaten Militärbasen auf den syrischen Ölfeldern gebaut haben, die sie plünderten? Wann werden die US-Soldaten aus dem Süden des Landes von der illegal errichteten Militärbasis Al Tanf im Dreiländereck Syrien-Irak-Jordanien abziehen? Sollte die Regierung sich tatsächlich auf den Verzicht syrischen Territoriums im Norden oder im Süden oder gar der Golanhöhen einlassen, werde sie jede Glaubwürdigkeit verlieren, meinte Louiza H., eine Anwältin (im Gespräch mit der Autorin). „Wer respektiert eine Regierung, die ihr eigenes Territorium aufgibt?“

Die Entscheidung

Die Erklärung der Außenminister der Arabischen Liga sieht vor, dass das arabische Bündnis eine führende Rolle bei der Lösung der humanitären, politischen und sicherheitspolitischen Folgen der Krise in Syrien übernehmen soll.

Grundlage dafür seien Vereinbarungen, die bei Gesprächen in Jeddah (14. April 2023) und Amman (1. Mai 2023) von den Außenministern Jordaniens, Saudi-Arabiens, Ägyptens, Iraks und Syriens getroffen wurden. Ausdrücklich genannt werden „Terrorismus, Drogenschmuggel und die Rückkehr der syrischen Flüchtlinge aus den Nachbarländern“. Ein gemeinsames Komitee auf Ministerebene von Jordanien, Saudi-Arabien, Irak, Libanon, Ägypten und dem Generalsekretär der Arabischen Liga soll im direkten Gespräch mit der syrischen Regierung die Umsetzung der Vereinbarungen übernehmen. Die Umsetzung solle dem Prinzip „Schritt für Schritt“ und in Übereinstimmung mit der UN-Sicherheitsratsresolution 2254 (aus Dezember 2015) erfolgen. Das genannte Gremium werde regelmäßig der Arabischen Liga berichten.

US-Administration und westliche Partner lehnen Entscheidung ab

Die US-Administration kritisierte die Entscheidung des arabischen Außenministertreffens. Syrien habe die Wiederaufnahme in die Arabische Liga „nicht verdient“, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Vedant Patel, am Montag. „Wir werden unsere Beziehungen mit dem Assad-Regime nicht normalisieren”, sagte Patel vor Journalisten. „Und wir unterstützen auch nicht unsere Verbündeten und Partner, das zu tun.“ Die USA verknüpfen ihre gesetzlich verankerten einseitigen wirtschaftlichen Strafmaßnahmen gegen Syrien, das „Cäsar-Gesetz“, mit einer Rechenschaftspflicht für verübte Menschenrechtsverletzungen in dem Land. Syrien beim Wiederaufbau zu helfen oder andere Geschäfte mit dem Land zu tätigen, wird von den USA als Straftat geahndet. Man unterstütze gleichwohl die arabischen „Partner“ dabei, eine Lösung in Syrien in Übereinstimmung mit der UN-Sicherheitsratsresolution 2254 zu finden, so Patel. Auch bei der Ausweitung humanitärer Hilfe für Syrer und im Kampf gegen das Wiedererstarken des IS stimme man überein.

Das Außenpolitische Komitee des US-Senats verurteilte die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga als „schweren strategischen Fehler“. In einer Erklärung hieß es, „Assad, Russland und Iran“ würden ihre Menschenrechtsverletzungen fortsetzen. Die US-Administration müsse das „Cäsar-Gesetz“ und andere Sanktionen mit aller Kraft umsetzen, „um Versuche der Normalisierung mit diesem Kriegsverbrecher“ zu blockieren.

Die 27 EU-Mitgliedsstaaten werden im Laufe der Woche die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga und mögliche Folgen für die EU-Außenpolitik kommentieren. Peter Stano, Sprecher von EU-Außenkommissar Joseph Borrell, sagte vor Journalisten, Borrell werde mit „Partnern in der Region“ sprechen, um „die Gründe und die Erwartungen hinsichtlich der Entscheidung zu erfahren“. Ohne eine Bewegung in Richtung politischer Lösungen werde die EU ihre Beziehungen mit dem „Assad-Regime“ nicht normalisieren. Die „Verfolgung und Unterdrückung des syrischen Volkes“ müsse aufhören.

Das deutsche Außenministerium äußerte sich kritisch. Die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga müsse an „substanzielle Zugeständnisse“ gebunden werden, berichtete die Deutsche Welle aus dem Auswärtigen Amt in Berlin. Täglich gebe es schwere Menschenrechtsverletzungen, hieß es. Hilfe beim Wiederaufbau und die Aufhebung der EU-Sanktionen seien ausgeschlossen.

Das Bild von Syrien in Deutschland

Für die Bundesregierung dürfte die innerarabische Annäherung an Syrien besonders schwer zu akzeptieren sein. Deutschland hat rund eine Million syrische Flüchtlinge aufgenommen und sich im Rahmen des „Weltrechtsprinzips“ zum Richter über tatsächliche oder vermutliche Angehörige syrischer Geheimdienste gemacht. Außenministerium und Entwicklungshilfeministerium finanzieren neben der Versorgung von syrischen Flüchtlingen in der Türkei, Libanon und Jordanien auch deutsche und syrische zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich der Dokumentation und Anklage der syrischen Regierung verschrieben haben. Die 2014 von einem ehemaligen britischen Offizier und privaten Sicherheitsberater in der Türkei gegründeten „Weißhelme“, die sich als „Syrischer Zivilschutz“ bezeichnen und u.a. über Giftgasangriffe der syrischen Armee auf Khan Scheichun (2017) und Duma (2018) berichteten, wurden von Berlin seit deren Gründung mit 20 Millionen Euro unterstützt. 2020 wurden finanzielle Unregelmäßigkeiten in der Organisation bekannt, Berlin forderte einen Teil des Geldes zurück.

Auch deutsche Medien waren und sind mehrheitlich auf die Konfrontation mit der syrischen Regierung eingespielt, die nun wieder respektiert und in die „arabische Gemeinschaft“ aufgenommen wird. Während viele internationale Medien über die Entwicklung der Entspannung auf der arabischen Halbinsel mit dem Iran berichten, konzentrieren sich deutsche Redaktionen weiterhin auf „Desinformation in Syrien“, das „Leben in einem Albtraum“ oder die „Giftgasangriffe in Syrien“, für die Damaskus nicht zur Rechenschaft gezogen werde.

In einem kürzlich veröffentlichten ZDF-Bericht wird dabei übergangen, dass im dritten Duma-Bericht der Organisation für den Schutz vor Chemiewaffen (OPCW), der im Januar 2023 vorgestellt wurde, nicht Syriens Militär oder die „Eliteeinheit Tiger Forces“ als Täter bezeichnet werden. In der Kurzfassung des Berichts (Executive Summary) heißt es im zweiten Absatz vielmehr, es gebe einen „begründeten Verdacht“, wonach „mindestens ein Mi-8/17-Hubschrauber der Syrischen Luftstreitkräfte (…)“ zwei gelbe Zylinder abgeworfen habe, die zwei Wohngebäude getroffen hätten.

Anderslautende Berichte und Untersuchungen werden in deutschen Medien als „Desinformation“ abgetan. Das betrifft nicht nur die „Erklärung der Besorgnis“ ehemaliger hochrangiger UN-Beamter, sondern auch die anderslautenden Aussagen und Untersuchungsergebnisse von OPCW-Wissenschaftlern, die selbst in Duma vor Ort im April 2018 Proben nahmen und einen ersten Bericht vorlegten, der verschwand.

Die in einem der Gebäude in Duma nach Angaben der „Weißhelme“ gefundenen 40 Toten sind bis heute nicht identifiziert.

Was bedeutet die innerarabische Annäherung für den Westen?

Die Annäherung, die von den Staaten der Region – allen voran von Saudi-Arabien und Iran – aktuell vollzogen wird, setzt die USA und die EU unter Druck. Schon zu Beginn des Syrienkonflikts 2011 verhängte die EU einseitige wirtschaftliche Strafmaßnahmen (Sanktionen) gegen Syrien, die bis heute jährlich verlängert und erweitert wurden. Die US-Administration folgte mit eigenen, als Gesetz verankerten Wirtschaftssanktionen wie dem „Cäsar-Gesetz“. Nicht nur Syrien und syrische Unternehmen, sondern alle Staaten und Unternehmen, die mit Syrien Geschäfte machen wollen, sollten getroffen werden. Unter der Führung von den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland sind seit 2012 die westlichen Botschaften in Damaskus geschlossen. Dialog mit der syrischen Regierung wird bis heute verweigert.

Die Annäherungspolitik der arabischen Welt mit dem Iran bedeutet für die westliche Politik eine Niederlage. Nach dem Prinzip „teile und herrsche“ hat der von den USA geführte Westen die beiden großen Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien über Jahre hinweg gegeneinander aufgebracht, indem man vor dem iranischen Atomprogramm warnte, Aufrüstung gegen den Iran unterstützte und die „Normalisierung“ der Beziehungen mit Israel propagierte, eine Siedler- und Besatzungsmacht, die seit 75 Jahren die Palästinenser unterdrückt. Gleichzeitig wurde ein (ziviles) Atomprogramm der Vereinigten Arabischen Emirate gefördert und ein solches Programm auch Saudi-Arabien in Aussicht gestellt. Israel, die einzige Atommacht in der Region, wurde und wird von den USA und ihren westlichen Partnern umfassend unterstützt, obwohl das Land seine Atomanlagen weder Kontrollbesuchen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) öffnet noch sein Atomwaffenarsenal offenlegt.

Syrien, das seit 1979 mit dem Iran verbündet ist, wurde von den arabischen Golfstaaten immer für seine Beziehungen zum Iran kritisiert. Nun wird mit der saudisch-iranischen Annäherung auch die iranisch-syrische Verbindung akzeptiert. Die Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga entspricht der Wiederannäherung Saudi-Arabiens und des Irans. Der US-amerikanische Militärgeheimdienst DIA verfasste 2012 eine Analyse, wonach der Krieg in Syrien für die USA und ihre Partner das Ziel hatte, die strategische Tiefe des Irans in Syrien zu treffen und den Iran zurückzudrängen. Damit ist der Westen gescheitert. Iran und Saudi-Arabien gehen aufeinander zu, das vom Westen geschmiedete Gefüge aus Konfrontation und Kriegen in der Region bricht zusammen. Die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga bedeutet eine Niederlage für die westliche Politik.

Titelbild: Shutterstock / ART production