Mit der materiellen Armut in der Gesellschaft geht immer auch die charakterliche Armut von Verantwortungsträgern einher

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Arbeitslosengeld-II-Bezieher dürfen, z.B. wenn sie als Jugendliche völlig legal von zu Hause ausziehen und Leistungen als Hilfsbedürftige beanspruchen oder wenn sie sich aus Kostengründen mit einem anderen eine Wohnung teilen, in amtlichen Broschüren und von amtierenden Ministern als „Schmarotzer“ bezeichnet oder gar mit „Parasiten“ verglichen werden. Welche Wortwahl wäre wohl passend, wenn nordrhein-westfälische Oberbürgermeister entgegen der geltenden Rechtslage Zweit- und Dritteinkünfte aus ihrer Mitgliedschaft in Sparkassengremien oder aus Aufsichtsratsposten etwa des Stromriesen RWE „mehrere hunderttausend Euro“ kassiert haben und behalten wollen?

Wo bleiben da die Beschimpfungen von Superminister a.D. Clement oder anderer Politiker? Wo wird darüber in den Medien eine Kampagne inszeniert?
Halt, doch: Überraschenderweise eine Zeitung, bei der man das gar nicht vermuten würde, hat darüber einen kurzen Beitrag gebracht: Die „Welt am Sonntag“ vom 13. November 2005.
Nach diesem Bericht war am 2. November eine hochkarätige Runde beim nordrhein-westfälischen Innenminister Ingo Wolf (FDP) angetreten, um für ihre opulenten Zusatzeinkommen, wohlgemerkt zusätzlich zu ihren beachtlichen Amtsbezügen, zu kämpfen. Der Präsident des Landkreistages, Thomas Knubendorff (CDU), der Präsident des Städte- und Gemeindebundes, Heinz Paus (CDU), der Kölner Oberbürgermeister, Fritz Schramma (CDU), der Präsident des Westfälisch-Lippischen Sparkassen- und Giroverbandes, Rolf Gerlach (der sich sonst immer besonders für liberale Reformen stark macht), der Vorsitzende des Verbandes der kommunalen Aktionäre der RWE AG, Heinz-Eberhard Holl, sie und noch andere sollen dem Innenminister ihre Art von Bedürftigkeit offenbart haben. Wohl zur Sicherung eines für „Hauptverwaltungsbeamte“ angemessenen Existenzminimums müsse dringend ein Erlass des früheren SPD-Innenministers Fritz Behrens aus dem Februar 2005 revidiert werden. Seither sind nämlich die Städte aufgefordert die Nebeneinkünfte ihrer Verwaltungschefs bis auf maximal 6000 Euro jährlich einzuziehen.

Oh Schreck! Damit bliebe diesen Lokalpolitikern quasi nur noch das „Nadelgeld“ für ihre Ehefrauen. Denn allein für einen „Beirat“ der „RWE Energy“ durften – so der Bericht – etwa 100 Kommunalpolitiker etwa 675.000 Euro von den Stromkunden abkassieren. Im Aufsichtsrat der RWE soll der Dortmunder Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer (SPD) für das Geschäftsjahr 2004 für die Hochleistung von vier Aufsichtsratssitzungen 107.000 Euro als Zubrot erhalten haben. So auch der schon erwähnte Vorsitzende des Verbandes der kommunalen Aktionäre Holl (CDU).
Überraschender Weise blieb der in den Medien als „Florida-Wolf“ apostrophierte Ingo Wolf ziemlich standhaft. Das ist deswegen erstaunlich, weil schon vor seiner Ernennung zum nordrhein-westfälischen Innenminister vom SPIEGEL herausgefunden wurde, „dass der ehemalige Richter und Oberkreisdirektor pro Jahr dank eines Sammelsuriums von öffentlichen Bezügen und Pensionen mehr als 200.000 Euro verdiente, mehr als sogar der Bundespräsident“.
Danach hätte man eigentlich erwarten müssen, dass er viel Verständnis für die finanzielle Not seiner ehemaligen Kollegen aus der Kommunalpolitik entgegengebracht hätte, denn bekanntlich hackt ja eine Krähe einer anderen nicht das Auge aus. Wollte Wolf sich plötzlich als Saubermann darstellen?

Ein Stück weit kam er den Klagen seiner verarmenden Kollegen aber doch noch entgegen: „Bei den Vergütungen vor 2005 soll in jedem Einzelfall für die letzten drei Jahre geprüft werden, ob es eine Art “Vertrauensschutz” für die Stadtspitzen geben könne. Das bedeutet: wenn ein Bürgermeister die Bezüge für seine Jobs eingestrichen hat, weil er dachte, er dürfe das, soll er das Geld behalten können“ spöttelt die WamS.
Fair wäre es allerdings gewesen, wenn in dem Beitrag auch noch angegeben worden wäre, welches Salär im Vergleich zu den Politikern der Chefredakteur dieser Zeitung bezieht.
Zur Klarstellung: Es geht hier nicht um Neid, sondern – wie Harold Pinter das dieser Tage in seiner Nobelvorlesung sagte – um das Wegziehen des „Lügengespinst“ das die Wahrheit verdeckt.