Das ZEW legt mal wieder eine Studie vor, wonach deutsche Unternehmen mit 36% mit die höchsten Steuern bezahlen. Und die Papagei-Papageien plappern nach.

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ZDF: „Deutsche Firmen beim Steuern-Zahlen spitze“, SPIEGEL ONLINE: „Deutschland ist Rekordsteuerland“, FAZ: „Nur in Spanien zahlen Firmen mehr Steuern“, so lauten auf der Basis einer AFP-Meldung die heutigen Schlagzeilen. Ohne auch nur den geringsten Zweifel an der Wertigkeit der Meldung, an der Glaubwürdigkeit der Quelle und natürlich ohne jede Relativierung etwa mit Bezug auf andere Erhebungen werden Ergebnisse einer Studie des „Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung“ (ZEW) als Tatsachenaussage hingestellt. Wenn es in den Mainstream passt, wird kritiklos nachgeplappert.

Passend zu den anlaufenden Planungen der Großen Koalition über eine erneute „Reform“ (will sagen Senkung) der Unternehmenssteuern legt das ZEW zum wiederholten male eine Steueralarm-Studie vor: In Deutschland würden neben Spanien mit rd. 36% die Unternehmen mit den höchsten „effektiven“ Steuern belastet. Das Mittel unter den EU-25-Staaten läge bei 23,7%. Die daraus abgeleitete Bedrohungskulisse wird auch gleich mitgeliefert: Abwanderung, Steuerflucht der Unternehmen und damit Verluste für den deutschen Fiskus. Das Fazit ist auch klar: Mit Niedrigststeuern für Unternehmen ginge es Staat und Wirtschaft besser.

Stutzig machen müsste eigentlich jeden einigermaßen Fachkundigen die einfache Überlegung, dass bei einem nominalen Steuersatz von 38,7% bei den Unternehmenssteuern im Land der „Steuerschlupflöcher“ bis auf einige Kleinunternehmer wohl kaum ein mittleres oder gar großes Unternehmen zu finden sein dürfte, das in Deutschland effektiv 36% Prozent Steuern bezahlt, schon gar nicht dürfte das nach aller Plausibilität für den Durchschnitt aller Unternehmen zutreffen. Aber auf solche nahe liegenden Fragen kommen ZDF, SPIEGEL und FAZ wohl nicht.

Zugegebenermaßen wir können die Ergebnisse der Studie auch nicht widerlegen. Der Grund ist einfach: Wie diese Studie zu ihren erstaunlichen Aussagen kommt, wird nicht erläutert und ist nicht nachvollziehbar. Dennoch geben die genannten Medien, die Studie als eine Tatsachenaussage wider.

Die Presseverlautbarung des ZEW über die hauseigene Studie liefert auch nicht viel mehr Informationen als die weitgehend nachgedruckte Agenturmeldung, die überall zitiert wird. Erwähnt wird nur, dass die „Effecitv Ave-rage Tax Rate“ (EATR) die prozentuale Kürzung der Rendite eines modellhaften Investitionsprojekts durch die Steuerzahlungen angebe und dass diese Methode auf einem Ansatz von Devereux/Griffith basiere. Inwieweit diese Methode anerkannt ist bleibt im Dunkeln. Ist sie unseren Wirtschaftsredaktionen bekannt? Müsste man sie nicht wenigstens erläutern oder hätte man nicht mal nachfragen können?

Was man allerdings mit ein wenig Recherche wissen könnte, ist, dass das ZEW schon seit geraumer Zeit immer zu gleichen Ergebnissen kommt: „Im internationalen Vergleich ist Deutschland insbesondere für Unternehmen ein Hochsteuerland“, heißt es etwa in einer früheren „Studie“ vom April 2005. Auf der Website des ZEW lassen sich eine Vielzahl von „Studien“ mit dem immer gleichen Ergebnis finden. Dass dieses Institut diese „wissenschaftliche“ Meinung vertritt, ist so überraschend wiederum nicht, denn das ZEW versteht sich als anwendungsorientiertes Forschungsinstitut für „wirtschaftspolitische Beratung“. Das Institut ist vom Land Baden-Württemberg, von der Universität Mannheim und der Wirtschaft des Landes gegründet worden. Fast 45 Prozent an Finanzmitteln entstammen drittmittelfinanzierten Forschungsprojekten. Auftraggeber und Förderinstitutionen sind die Europäische Kommission, Ministerien und Einrichtungen des Bundes und der Länder, Unternehmen und Verbände, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Stiftungen (zum Beispiel Volkswagen Stiftung oder Thyssen Stiftung) und nationale und internationale Unternehmen und Organisationen, so heißt es auf der Website des Instituts Ideelle und finanzielle Unterstützung erfährt das ZEW auch durch den 1993 gegründeten Förderkreis Wissenschaft und Praxis am ZEW e.V. Seine Mitglieder sind namhafte regionale und überregionale Unternehmen sowie Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Gesellschaft, verlautbart das ZEW. Im Rechenschaftsbericht 2005 des ZEW finden sich unter den Zuwendungsgebern für die Forschungsprojekte, die sich mit Steuern beschäftigen, neben der öffentlich finanzierten DFG, dem Bundesministerium für Finanzen und dem Sachverständigenrat auch eine Vielzahl von privat finanzierten Auftragsarbeiten. Darunter mehrere Projekte im Auftrag des Finanzdienstleisters PricewaterhouseCoopers AG, mehrfach finanzierte die Bertelsmann Stiftung oder die Fritz Thyssen Stiftung. Dass Bertelsmann ein Vorkämpfer für die Senkung der Unternehmenssteuern ist, ist bekannt. Die Stiftung der großen Thyssen Stahlbarone hat in ihrem Kuratorium großteils Konzernchefs, Banker und Vertreter von Wirtschaftsverbänden, angefangen von Arend Oetker, dem Multipräsidenten nahezu aller Arbeitgeberorganisationen von BDI bis BDA und „Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, über den Vorstand der ThyssenKrupp AG Ekkehard D. Schulz, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden und jetzigen Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Bayer AG Manfred Schneider oder dem Bankier Freiherr von Oppenheim usw. Man kann sich vorstellen, welche Forschungsprojekte dieses Gremium bewilligt.

Dass das ZEW auch von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gut dotiert wird, nimmt auch nicht weiter wunder, denn sein Leiter, Wolfgang Franz, sitzt wie eine Spinne im Netzwerk der herrschenden ökonomischen Lehre, er ist nicht nur Mitglied im Sachverständigenrat sondern auch Hauptgutachter für Wirtschaftswissenschaften bei der DFG. Da würde man sich doch wundern, wenn da nicht Geld für das eigene Institut abfiele.

Man kann sicher nicht bestreiten, dass das ZEW als ein renommiertes Forschungsinstitut gilt, bestreiten darf man allerdings mit Fug und Recht, dass es ein „unabhängiges“ Institut ist. Jedenfalls darf man einer Vielzahl der Auftraggeber aus der Wirtschaft einen eindeutigen Interessensbezug unterstellen, wenn sie ihre Forschungsmittel vergeben. Und wie dieser Interessenbezug der Wirtschaft in der Steuerpolitik aussieht, das kann man nahezu täglich hören.

Auch vom Chef dieses Instituts, Professor Wolfgang Franz, hört man ständig nur die gleiche Litanei: Die Unternehmenssteuern sind zu hoch, wir brauchen eine Unternehmenssteuerreform mit radikalen Steuersenkungen. Wolfgang Franz publiziert beim wirtschaftsliberalen „Kronberger Kreis“. Dieser Kreis wird wiederum von der marktradikalen „Stiftung Marktwirtschaft“ gefördert wird und deren Publikationen werden gerne von der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ empfohlen. Ganz interessant ist, dass Franz auch wiederum dem Mannheimer Forschungsinstitut Ökonomie und demographischer Wandel (MEA) und dessen Leiter Börsch-Supan verbunden ist, ein Institut das vom Gesamtverband der Versicherungswirtschaft mitfinanziert ist und einer der aktivsten Think Tanks für die Einführung der privaten Altersvorsorge. So schließt sich der Kreis. Franz gilt als ein Exponent der herrschenden angebotsorientierten Wirtschaftslehre und hat sich einen ziemlichen unschönen öffentlichen Streit mit seinem Kontrahenten im Sachverständigenrat Peter Bofinger geliefert. Er ist Verfasser eines der ganz wenigen deutschen Lehrbücher zur „Arbeitsmarktökonomie“ und kommt auch dort immer wieder zu dem Ergebnis, dass ausschließlich die Verbesserung der Investitionsbedingungen und die Senkung der Löhne die Heilswege zur Senkung der Arbeitslosigkeit sind.

Was wollen wir damit sagen: Die vom ZEW publizierte Studie bietet keinerlei Neuigkeit, sie wiederholt das, was vom ZEW schon seit langem gefordert wird, nämlich dass die Unternehmenssteuern in Deutschland gesenkt werden müssten. Insofern eigentlich noch nicht einmal eine Nachricht wert ist. Der Leiter des Instituts und „sein“ ZEW vertreten in ihrer wirtschaftspolitischen Ausrichtung eine eindeutige ökonomische Denkschule. Wenigstens darauf hätte ein Wirtschaftsjournalist fairerweise hinweisen müssen. Das ZEW ist keine unabhängige universitäre Forschungseinrichtung, sondern bezieht einen wesentlichen Teil seiner Forschungsaufträge von der privaten Wirtschaft. Es ist wohl kaum davon auszugehen, dass Fragestellung und Ergebnisse solcher Forschung den Interessen der Auftraggeber widerspricht. (Jedenfalls wären damit Nachfolgeaufträge gefährdet.) Auch das dürfte Wirtschaftsjournalisten nicht verborgen geblieben sein.

Es ist also schlicht naiv oder zumindest eine journalistische Nachlässigkeit, wenn Studien des ZEW nachrichtlich als Tatsachenaussagen über die Medien vermittelt werden. Diese Nachlässigkeit oder gar gezielte Absicht ist wiederum nicht verwunderlich, denn die Aussage der Studie passt in das Raster des neoliberalen Mainstreams und darf deshalb ohne kritische Distanzwahrung, ohne Widerstand befürchten zu müssen, als Tatsachenbehauptung verbreitet werden.

Aber noch ein paar andere Dinge sind im Zusammenhang mit der öffentlichen Berichterstattung über die Unternehmenssteuern in Deutschland erwähnenswert und auffallend: – Wenn etwa der neue Bundesfinanzminister Steinbrück in seiner viel verbreiteten Neujahrsrede vor der Industrie- und Handelskammer im Januar dieses Jahres in Frankfurt sagte: „Mit unter 20 Prozent ist die deutsche Steuerquote 2005 signifikant unter ihren langfristigen Durchschnitt von 23 Prozent gefallen, damit hat Deutschland – neben der Slowakei – die geringste Steuerquote in der EU“, dann ist das keine Schlagzeile oder Nachricht wert, da wird lieber darüber geschrieben, dass Steinbrück den angeblich „auf Alimentation ausgerichteten Sozialstaat“ kritisiert und eine „übertriebene Anspruchshaltung“ kritisiert. – Wenn etwa der Steuerexperte Lorenz Jarass in detaillierten und nachvollziehbaren Studien nachweist, dass die effektive Steuerbelastung aus Unternehmertätigkeit und Vermögen in Deutschland bei 21% liegt, – wenn nach einer Berechnung des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) die effektive Unternehmensbesteuerung (2001) bei 22,6% liegt, dann schaffen es diese Studien kaum zu mehr als einer Randnotiz in einzelnen Wirtschaftsteilen.

Wird auch nur in einem Bericht die endlos lange Geschichte der Unternehmenssteuersenkungen nachgezeichnet und dargelegt, ob oder was sie für die Wirtschaft und den Staat gebracht haben?

Man könnte noch beliebig viele auch internationale Quellen nennen, wo Studien und Statistiken zu anderen, ja zu gegenteiligen Ergebnissen zu der heute veröffentlichten ZEW-Studie kommen, aber die Redakteure der eingangs erwähnten Medien haben es nicht für nötig erachtet, auch nur einen kleinen Hinweis auf anderslautende Befunde zu geben.

Fazit: Eine breite und prominente öffentliche Verbreitung findet, was in den Mainstream passt. Da die meisten sagen, die Unternehmenssteuern sind zu hoch, darf man auf jede kritische Distanz zu einer Quelle, die dieses (Vor-)Urteil unterstützt verzichten, da darf man alle anderen Daten und jegliche Zweifel beiseite schieben. Ein typisches Beispiel für die tägliche Manipulation und für die gängigen Strategien der einseitigen Beeinflussung der öffentlichen Meinung.

Dennoch unsere Anregung: Gegenhalten. Dahinter leuchten. Die Interessenverflechtung ans Licht ziehen. Dagegenhalten.

P.S.: Nachdem ich diesen Beitrag fertig hatte, lese ich in der taz einen kritischen Kommentar zur ZEW-Studie.