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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 5. Januar 2007 um 8:06 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

  1. Thomas Fricke: Deutschland ein Reformmärchen
    Das potenziell Gefährliche an den schwungvollen Reform-Lobreden ist, sie klingen, als müsse man nur irgendwie alle paar Monate irgendwelche Reformen machen, dann bleibt der Aufschwung von allein. Dabei hat der aktuelle Aufschwung eher gezeigt, dass es – wie 2006 – manchmal gar nicht schlecht ist, auch mal wenig zu reformieren; oder den Staatshaushalt über höheres Wachstum zu sanieren statt über Rumtata-Kürzungen oder Steuerorgien.
    Die Lehre müsste auch sein, dass es beim Abbau der Arbeitslosigkeit mindestens ebenso darauf ankommt, dass die Konjunktur läuft, der Euro nicht wieder enorm aufwertet, Ölschocks nicht noch durch Ökosteuern verstärkt werden und der Finanzminister im Notfall auch mal die Konjunktur dezent und gezielt stützt.
    Quelle: FTD

    Kommentar AM: Dieser Artikel hat gute, aber auch einige schwache Stellen:
    Von einem kleinen Wirtschaftswunder zu sprechen, ist angesichts kleiner Wachstumsraten und nach wie vor sehr hoher Arbeitslosigkeit sowie des miserablen Charakters der meisten neuen Jobs (Ein-Euro-Jobs) weit übertrieben.
    Außerdem sind die Unsicherheiten (durch Mehrwertsteuer-Erhöhung, Geldpolitik der EZB, etc.) groß.

  2. Helen Clark, Premierministerin von Neuseeland, im Interview mit der NZZ: «Wir brauchen einen starken Staat»
    Frage: Frau Premierministerin, Neuseelands Wirtschaft floriert, es gibt kaum Arbeitslose. Verdanken Sie das den «Rogernomics» – den radikalen Wirtschaftsreformen der 1980er Jahre, benannt nach dem damaligen Finanzminister Roger Douglas?
    Clark: Das glaube ich nicht. Die Deregulierung erfolgte vor zwanzig Jahren, danach sind wir jahrelang furchtbar gestrauchelt. Und ich bin überzeugt, dass die Rogernomics deshalb nicht funktioniert haben, weil es für den Staat keine angemessene Rolle gab, denn es bedarf in der Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts unbedingt einer Führungsrolle des Staates. Seit ich im Amt bin, versuche ich, die für Neuseeland herauszuarbeiten.

    Frage: Neuseeland hat damals im großen Stil Staatseigentum verkauft. Das war also keine gute Idee?
    Helen Clark: Das waren oft Desaster! Zum Beispiel die Privatisierung der Eisenbahn und auch der Fluggesellschaft. Wir mussten beide in den letzten fünf Jahren zurückkaufen, sonst hätte Neuseeland weder das eine noch das andere. In der Telekommunikation wurde aus dem Staatsmonopol ein Privatmonopol, das Mitbewerbern den Zugang verwehren konnte.
    Quelle: NZZ

    Anmerkung: Der Wikipedia-Editwar hat offenbar erneut zu einer völlig verfälschenden Darstellung eines den Neoliberalismus betreffenden Themas geführt:
    „In Clarks Amtszeit fällt ein starker Wirtschaftsaufschwung des Landes: Das Land wurde radikal dereguliert, Subventionen radikal gestrichen, das Reformtempo verstärkt. Kritiker, die den Kurs zunächst noch als unsozial und neoliberal kritisierten, verstummten wegen des Erfolgs des Reformkurses. Als 2005 Clark gegen ihren Herausforderer Don Brash im Amt bestätigt wurde, hatte Neuseeland die niedrigste Arbeitslosigkeit in einem Industrieland überhaupt.“

    Quelle: wikipedia

  3. Die Versicherungsvertreter Raffelhüschen und Miegel propagieren höheres Renteneintrittsalter
    Auch die „Rheinische Post“ dient als Werbemedium für die private Altersvorsorge. Die Internetzeitung NGO-Online hat dies angemessen kommentiert.
    Quelle 1: NGO-Online
    Quelle 2: Beitrag der Rheinischen Post

    Anmerkung: Das ist kein Zufall. Geben Sie in der Suchfunktion der Rheinischen Post einmal den Namen „Raffelhüschen“ ein. Hier ein Auszug von Titeln aus der Trefferliste:

    • Ruhestand mit 67 Jahren reicht nicht
    • Verlust-Geschäft mit der Rente
    • Renten-Beiträge drohen zu steigen: Beitragslawine rollt
    • Stunde der Renten-Wahrheit: Der Rentenbericht macht deutlich, wie sehr private Vorsorge Not tut.
    • Renten-Experte Raffelhüschen fordert “Pension mit 68”
    • Rente: 30 Jahre Nullrunden
    • Berechnungen: So groß ist die Rentenlücke
    • Rentner müssen neue Opfer bringen

    Die Rheinische Post beteiligt sich aktiv daran, das Vertrauen in die Gesetzliche Rentenversicherung zu zerstören und der Versicherungswirtschaft Kunden zuzutreiben.

  4. Bundeskartellamt veröffentlicht bundesweiten Gaspreisvergleich für Haushaltskunden
    Das Bundeskartellamt veröffentlicht in Zusammenarbeit mit den Kartellbehörden der Länder jetzt erstmals die Gaspreise für Haushaltskunden von 739 Gasversorgern in ganz Deutschland. Der Gaspreisvergleich mit den Tarifen für das Gaswirtschaftsjahr 2006/2007 ist unter www.bundeskartellamt.de auf den Internetseiten des Bundeskartellamts abrufbar.
    Quelle: Bundeskartellamt

    Anmerkung: Die Preisunterschiede sind beachtlich.

  5. Unis verfeuern Gebühren der Studenten
    Die Universitäten verwenden das frische Geld der Studiengebühren für alles Mögliche – nur nicht für die Verbesserung von Forschung und Lehre. Schuld seien die Landesregierungen, die sich unter Verweis auf die neuen Einnahmen der Universitäten aus der Bildungsverantwortung zurückzögen. So weigerten sie sich, den Unis trotz gestiegener Energiepreise einen Zuschlag zu zahlen. Die wiederum müssen nun die Studiengebühren für Kohle statt für Professoren ausgeben.
    Quelle: TAZ
  6. Weltweite AKW-Abschaltungen – und keiner kriegt’s mit
    Die Atomlobby hat gute Öffentlichkeitsarbeit geleistet; die angebliche Renaissance des Nuklearstroms ist eine bewusst aufgebaute PR-Kulisse. Dabei sind am Silvestertag gleich fünf Reaktoren endgültig abgeschaltet worden. Weltweit sind damit statt 442 Atommeiler nur noch 437 am Netz. Zumindest bis 2020 werden auf jeden Fall mehr Atomkraftwerke vom Netz gehen als neue in Betrieb.
    Quelle: TAZ
  7. Hamburger Arbeitsagentur-Chef Rolf Steil fordert: “Hartz IV halbieren”
    STEIL: Das Thema Langzeitarbeitslosigkeit muss energisch angegangen werden. Ich bin der Ansicht, dass es nicht gut ist, arbeitsfähigen Menschen jeden Monat 345 Euro Arbeitslosengeld II zu zahlen, ohne dass sie arbeiten. Der Abstand zu Niedriglöhnen ist zu gering. So bekommt man zu wenige Menschen in Arbeit. Je länger die Leute zu Hause sitzen, desto geringer werden ihre Chancen auf den Wiedereinstieg.
    ABENDBLATT: Das heißt, Sie plädieren für eine Senkung der Hartz IV-Zahlungen?
    STEIL: Ja, ich bin für eine mittelfristige Absenkung auf die Hälfte oder zwei Drittel – aber nur für Menschen, die arbeitsfähig sind.
    ABENDBLATT: Wie soll denn bitte jemand von 200 Euro leben?
    STEIL: Das soll ja niemand. Denn parallel müssen Zuverdienstgrenzen erhöht und mehr Arbeitsmöglichkeiten etwa durch Ein-Euro-Jobs im öffentlichen Sektor geschaffen werden. So kämen viele auf höhere Zahlungen als jetzt – nur dass sie dafür etwas für die Gemeinschaft tun müssten.
    Quelle: Hamburger Abendblatt

    Anmerkung: Eine gute Antwort auf solcherlei Unfug, der eine künstliche Aufteilung des Arbeitsmarkts in eine erste, zweite und dritte Kategorie impliziert, findet sich bei Heiner Flassbeck [PDF – 52 KB]:
    „Schließlich werden nicht nur direkt von Arbeitslosigkeit Betroffene gefragt haben, was das
    berühmte Fordern der Arbeitslosen wie bei Hartz IV oder die Diskussion um den Abbau des
    Kündigungsschutzes bringt, wenn gleichzeitig viel zu wenige Jobs angeboten werden für die
    vielen, die wirklich verzweifelt nach Arbeit suchen.“

  8. Gesund verdienen
    In kaum einem anderen Bereich gibt es mehr Lobbyisten als im Gesundheitswesen. Wer verfolgt im aktuellen Reformstreit welche Interessen?
    Quelle: Tagesspiegel

    Kommentar von Orlando Pascheit: Von einem aufklärerischen Artikel zum Lobbyismus im Gesundheitswesen ist schon ein wenig investigativer Journalismus zu erwarten. Über welche Kanäle wird die Politik beeinflusst? Wo stehen einzelne Politiker in den entscheidenden Gremien? Wie sind sie polit-biographisch mit bestimmten Interessengruppen verflochten? Wer finanziert ihre Wahlkämpfe? Welche Referenten in den Ministerien werden von den Verbänden gesponsert? Wie viele Politiker sind privat versichert? usw.

  9. Der Leiter des Adolf-Grimme-Institutes Uwe Kammann zu 60-Jahren-Spiegel:
    “Es ist natürlich so, dass der Spiegel in einer Medienlandschaft, die insgesamt viel bunter und vielfältiger geworden ist, nicht an den Tendenzen vorbeikommen kann, die andere auch mitbestimmen.”
    Quelle: D-Radio

    Anmerkung AM: So verschieden kann man die Welt sehen (siehe zum Vergleich). Orientierung an „Tendenzen“, d.h. an jenen, die die Hegemonie über das Denken besitzen. So läuft das, selbst beim ehrenwerten Adolf-Grimme-Institut. Und die Medienlandschaft sei „vielfältiger“ geworden. Ich denke, ich lebe in einem anderen Land.


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