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Titel: Hinweise des Tages (2)

Datum: 15. Januar 2010 um 16:43 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

Heute unter anderem zu folgenden Themen: Die deutsche Exportorientierung, das Arbeitsamt mit Vermittlungsgutscheinen abgezockt, beschönigte Leiharbeit, Armut in Haiti, Mexiko und Afrika (KR)

Heute zu folgenden Themen:

  1. Fricke – Zurück auf den Vulkan
  2. Die Debatte um die deutsche Exportorientierung
  3. Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst: Arbeitgeber legen kein Angebot vor
  4. Das Arbeitsamt abgezockt
  5. Von der Leyen: “Zeitarbeit baut Brücken in den Arbeitsmarkt und bringt Flexibilität für Unternehmen.”
  6. Buntenbach: Leiharbeitsbericht der Bundesregierung zu einseitig
  7. IG Metall: Leiharbeit fair gestalten
  8. Ein Echtzeit-Experiment: Der Mensch wird zum Datensatz
  9. Haiti Didn’t Become a Poor Nation All on Its Own
  10. Fernseher aus Mexiko: Die Industrie der Armen im Grenzgebiet zu den USA
  11. Wie Gold, nur besser: Fette Dividenden aus Afrikas Böden

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Fricke – Zurück auf den Vulkan
    Alles spricht dafür, dass die deutsche Wirtschaft 2010 ihre eindrucksvolle Erholung aus der Rezession fortsetzt. Das ist nur ein bedingter Grund zur Freude. Der Haken ist, dass die Krise dafür später zurückzuschlagen droht.
    Quelle: FTD

    Anmerkung Orlando Pascheit: “Alles spricht dafür”, wirklich alles? Die Meldung des Statistischen Bundesamtes zum größten wirtschaftlichen Einbruch der Nachkriegsgeschichte verdeckte ein wenig die Entwicklung im letzten Quartal des Jahres 2009, zu der sich der Präsident des Bundesamtes, Roderich Egeler, noch nicht äußern wollte. Allerdings kommt man unter Beibehaltung der bereits veröffentlichten Zahlen zu den ersten drei Quartalen für das Gesamtjahr 2009 nur dann auf -5,0%, wenn das BIP im vierten Quartal nicht gestiegen ist. Die Aussage des für die BIP-Berechnung zuständigen Abteilungsleiters Norbert Räth auf der Pressekonferenz wurde kaum gemeldet: “Saison- und kalenderbereinigt hat das preisbereinigte BIP nach unseren Berechnungen auf dem Niveau des Vorquartals stagniert. Das heißt, wir unterstellen eine Veränderungsrate von 0%”. Und wenn diese Nachricht registriert wurde, dann stieß sie bei vielen Analysten auf Unglauben.
    Auch der geschätzte Chefvolkswirt der FTD, Thomas Fricke, akzeptiert das nicht und meint, dahinter könnten “eher statistische Ausreißer als reale Entwicklungen stecken.” Nun ja, die Herren haben seit einiger Zeit nicht nur ein Ende der Rezession gesehen, sondern an der optimistischen Erzählung vom Aufschwung gestrickt und sich dabei auf das Wachstum des dritten Quartals gegenüber dem zweiten Quartal um 0,7 Prozent gestützt.
    Wenn Fricke meint, dass aus fast allen wichtigen Branchen seit Wochen und Monaten positive Meldungen kämen, die Exporte seien seit dem Tiefpunkt ja sogar um 13 Prozent gestiegen, so deckt sich das nicht überall mit der jüngsten Entwicklung. Die exportabhängige Exportindustrie verzeichnete im November den zweiten Monat in Folge weniger Auslandsaufträge, der Einzelhandel erlitt im wichtigen Weihnachtsgeschäft Umsatzeinbußen und die Zahl der Firmenpleiten beschleunigt sich.
    Vollends verlässt Fricke die Realität, wenn er meint: “Fraglich ist auch, ob der Eklat am Arbeitsmarkt noch kommt. Laut Umfragen wollen Unternehmen in den nächsten Monaten eher weniger als mehr entlassen. Ähnliches gilt für die USA, wo sich immer weniger Leute neu arbeitslos melden”. Erstens ist die Lage am Arbeitsmarkt sowieso katastrophal und zweitens: Sowohl in Deutschland wie auch in den USA werden weiterhin Menschen in die Arbeitslosigkeit geschickt. Es ist ausgesprochen unseriös, aus nachlassendem Wachstum der Arbeitslosenzahlen eine “eindrucksvolle Erholung aus der Rezession” herbeireden zu wollen. Die Arbeitslosigkeit nimmt weiter zu!

  2. Die Debatte um die deutsche Exportorientierung
    Die in vielen Ländern gewachsene Einkommensungleichheit wird international zunehmend als eine wesentliche Ursache für die Weltwirtschaftskrise und die globalen Ungleichgewichte im Außenhandel hervorgehoben. Hingegen ist die Debatte in Deutschland teilweise noch immer durch die Forderung nach weiterer Lohnzurückhaltung und sozialpolitischen Einschnitten gekennzeichnet. Welche Rolle kann die Lohn- und Verteilungspolitik zur mittelfristigen Überwindung der deutschen Exportlastigkeit und zur Stabilisierung der deutschen und
    globalen Wirtschaft spielen?
    Quelle: FTD [PDF – 110 KB]
  3. Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst: Arbeitgeber legen kein Angebot vor
    Einig waren sich Arbeitgeber und Gewerkschaften nach der ersten Tarifverhandlungsrunde für die Beschäftigten bei Bund und Gemeinden nur in einem Punkt: Die Positionen liegen weit auseinander.
    Insgesamt sprach man rund vier Stunden. ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske fasste vor der Presse die erste Runde so zusammen: Die Arbeitgeber hätten auf die schlechte Finanzlage der Kommunen und des Bundes hingewiesen. Keine Antwort hätten sie auf den gewerkschaftlichen Hinweis gegeben, dass ein Lohnzuwachs für rund 2 Millionen Beschäftigte ein kräftiger Beitrag zur Stärkung der Binnennachfrage sei. Hier hätte der Bundesinnenminister auf die Steuererleichterungen für reiche Erben, Hotelbetreiber im Rahmen des “Wachstumsbeschleunigungsgesetzes” sowie die bereits von der schwarz-roten Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen verwiesen. Die kommunalen Arbeitgeber hätten erklärt, dass kein Geld für lineare Lohnzuwächse da sei.
    Quelle: ver.di
  4. Das Arbeitsamt abgezockt
    Eine Frau bewarb sich bei der Drogeriekette Schlecker – und landete bei einer privaten Jobvermittlung: Die kassierte Subventionen, bevor sie die Frau wieder zu Schlecker schickte.
    Quelle: TAZ
  5. Von der Leyen: “Zeitarbeit baut Brücken in den Arbeitsmarkt und bringt Flexibilität für Unternehmen.”
    Das Bundeskabinett hat den Elften Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (11. AÜG-Bericht) beschlossen.
    Der Bericht zeigt, dass Zeitarbeit Brücken in Arbeit baut für Menschen, die sonst schlechte Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt hätten. Und sie sorgt auf Seiten der Unternehmen dafür, dass diese flexibler auf Nachfragespitzen oder Auftragsflauten reagieren können. Der Gesetzesrahmen soll neben der Flexibilität auch Schutz für die Zeitarbeitnehmer schaffen. Prinzipiell gilt für sie der Gleichstellungsgrundsatz, das heißt Leiharbeiter müssen zu denselben Bedingungen beschäftigt werden wie die Stammbelegschaft. Eine Ausnahme davon gibt es, wenn die Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften einen Tarifvertrag schließen. Ich werde nicht zulassen, dass das grundsätzlich gute und sinnvolle Modell der Zeitarbeit durch Missbrauch in Verruf gebracht wird. Ich habe Fachleute in meinem Ministerium beauftragt, in den kommenden Wochen sehr genau die aktuellen Entwicklungen in der Branche unter die Lupe zu nehmen. Wenn sich dabei zeigt, dass es Missbrauch gibt, Recht verletzt oder Gesetze umgangen werden, müssen wir nachsteuern und notfalls bessere Regeln für die Zeitarbeit aufstellen, um die Lücken zu schließen.
    Quelle 1: BMAS
    Quelle 2: Forschungsbericht des IAB zum Thema Arbeitnehmerüberlassung [PDF – 3.2 MB]

    Anmerkung WL: Ursula von der Leiharbeit bleibt bei ihrer schönfärberischen Darstellung. Siehe dagegen die zitierten Studien in “Leiharbeit: kompakt”. Immerhin hat man nun auch die regierungsamtlichen Zahlen zur Verfügung.

    Dazu:

  6. Buntenbach: Leiharbeitsbericht der Bundesregierung zu einseitig
    Zu dem heute veröffentlichten Leiharbeitsbericht der Bundesregierung sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach am Mittwoch in Berlin:

    „Die Bundesregierung ist auf einem Auge blind. Man feiert die Ausweitung der Leiharbeit, doch die soziale Situation der Beschäftigten bleibt nahezu unbeleuchtet.
    Trotz der gesetzlichen Änderungen im Jahre 2003 ist die Leiharbeit nach wie vor ein Niedriglohnsektor; der Grundsatz der gleichen Bezahlung wurde nicht ansatzweise erreicht. So weist der Bericht ausdrücklich darauf hin, dass der Lohnabstand zu den Stamm-Beschäftigten im selben Betrieb erheblich ist. Es besteht deshalb die Gefahr der Ausgliederung ganzer Belegschaften, wobei das Untenehmen Schlecker wahrlich kein Einzelfall ist. Den Ankündigungen der Ministerin, die Praktiken intensiv überprüfen zu wollen, müssen jetzt auch Taten folgen. Es fehlt nicht an Erkenntnis, sondern am politischen Mut, endlich die Diskriminierung der Beschäftigten zu unterbinden.
    Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz muss so geändert werden, dass ein Abweichen von der Gleichbehandlung beim Lohn nicht mehr möglich ist. Die Lohndiskriminierung von Leiharbeitern verbietet auch die neue europäische Richtlinie zur Leiharbeit. Die Angleichung der Löhne ist zudem erforderlich, um die Übernahme von Leiharbeitern in feste Beschäftigung zu fördern. Der Klebeeffekt ist nach wie vor sehr gering. Nur wenn Wettbewerbsverzerrungen aufgrund von Dumpinglöhnen vermieden werden, werden Arbeitgeber bereit sein, Leiharbeiter fest zu übernehmen.
    Durch die niedrigen Löhne gehen auch den Sozialkassen Milliarden verloren, die von den anderen Unternehmen und deren Beschäftigten getragen werden müssen. Leiharbeit ist eine extrem unsichere Beschäftigung: Die Hälfte der Beschäftigungsverhältnisse dauert weniger als drei Monate und das Risiko einer Kündigung ist ungleich höher als in der übrigen Wirtschaft. Von einer Integration in Beschäftigung kann bei diesen Fakten keine Rede sein.
    Der Bericht macht auch deutlich, dass die Überwachung völlig unzureichend ist: So wurden im gesamten Zeitraum nur 2100 Bußgeldverfahren eingeleitet. Die Bundesagentur für Arbeit beschränkt sich häufig auf formale Kriterien – z.B. ob Steuern und Sozialabgaben abgeführt wurden –, überprüft aber nur selten die tatsächlichen Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. Die Möglichkeiten zur Festsetzung von Bußgeldern sollte deswegen erweitert werden. Außerdem fordert der DGB, dass Arbeitslose von den Agenturen nicht länger in Unternehmen vermittelt werden, die Dumpinglöhne zahlen.“

    Quelle: DGB

    Dazu auch noch:

  7. IG Metall: Leiharbeit fair gestalten
    Wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht grundlegend geändert werden, dann wird die momentane Krise die Ausbreitung von Leiharbeit noch beschleunigen. Leiharbeit wird nicht trotz, sondern wegen der aktuellen Krise noch schneller wachsen. Zu Lasten regulärer Arbeitsverhältnisse.
    Die IG Metall hat mit ihrer Leiharbeitskampagne als erste DGB-Gewerkschaft das Thema aufgegriffen. Wir haben in den Betrieben gehandelt. Allein im Bereich der IG Metall wurden über 400 Betriebsvereinbarungen abgeschlossen.
    Die ersten Anzeichen einer wirtschaftlichen Stabilisierung sind da. Und schon vermeldet die Leiharbeitsbranche steigende Leiharbeiterzahlen.
    Arbeitgeber setzen Leiharbeiter nicht nur als Zusatz ein, um Produktionsspitzen abzufedern, sondern ersetzen mit ihnen auch regulär Beschäftigte. Mehr als die Hälfte der befragten Betriebsräte bestätigte dies für ihre Betriebe. Rund ein Viertel gab an, dass in ihrem Betrieb mehr als 10% der Beschäftigten Leiharbeiter seien. Diese werden überwiegend nach dem Tarif des Verleihers entlohnt, verdienen also deutlich weniger als ihre regulär beschäftigten Kollegen. Nur etwa ein Zehntel bekommt für gleiche Arbeit gleiches Geld.
    Quelle: IG Metall

    Anmerkung WL: So lobenswert es ist, dass die IG Metall das Thema Leiharbeit als erste DGB-Gewerkschaft aufgegriffen hat, so muss man doch hinzufügen, dass dies erst sechs Jahre nach der massiven gesetzlichen Förderung der Leiharbeit durch das 11. Arbeitnehmerüberlassungsgesetz im Jahre 2003 geschieht. Schon in den 80er Jahren hat das Kölner ISO-Institut in mehreren empirischen Studien die jetzt kritisierten Auswirkungen und Missbräuche der Leiharbeit nachgewiesen. Nur durch die Tatsache, dass die Leiharbeit jetzt bis in die Stammbelegschaften hineinwuchert, wurden diese Probleme auch von den Gewerkschaften stärker wahrgenommen. Es ist ja nachvollziehbar, dass viele Betriebsräte zunächst vor allem den Schutz ihrer Stammbelegschaften im Auge hatten und deswegen die Zunahme von flexiblen Randbelegschaften hingenommen haben. Günter Walraffs schon 1985 erschienenes Buch „Ganz unten“ hat dann zum ersten Mal öffentliche Aufmerksamkeit geweckt.
    Die Gewerkschaften gingen allmählich daran, Tarifverträge mit den Verleihfirmen abzuschließen, in der – wie sich herausstellte – vergeblichen Hoffnung, die Leiharbeit damit regulieren zu können. Die spalterischen und von der Arbeitgeberseite geförderten sog. „christlichen“ Gewerkschaften haben tarifvertragliche Lösungen unterlaufen. Viel zu lange hat man jedoch auch von Gewerkschaftsseite die Probleme der Leiharbeit vor sich her geschoben oder man hat einfach weggeschaut.
    Und als der damalige Wirtschaftsminister und jetzige Chairman des Adecco Instituts zur Erforschung der Arbeit Wolfgang Clement sein „Gesetz für moderne Dienstleistungen“ durchgepaukt hat, mit dem die Leiharbeit vollends hoffähig gemacht wurde, da hat man nicht nur von Seiten der SPD, sondern auch von Seiten vieler Gewerkschafter sogar noch applaudiert.
    Man muss leider sagen, dass es offenbar erst solcher Skandale wie bei der Drogeriekette Schlecker bedurfte, bis die Gewerkschaften die Gefahr für die Stammbelegschaften und damit auch für ihre Mitglieder voll erkannt haben.

  8. Ein Echtzeit-Experiment: Der Mensch wird zum Datensatz
    Wir müssen uns ernsthaft der Frage stellen, ob wir in einer Gesellschaft leben wollen, in der kleine und größere Übertretungen von moralischen und rechtlichen Normen nicht mehr verborgen bleiben. Wenn Übertretungen einmal aufgezeichnet sind, ist die Versuchung groß, sie auch – vorzugsweise automatisiert – zu ahnden. Ist ein solches Leben auszuhalten, erstrebenswert, menschenwürdig? Bisher wird nicht jedesmal, wenn jemand nachts um vier bei roter Ampel über die leere Straße läuft, automatisch ein Strafzettel erstellt. Bald ist das kein Problem mehr.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung KR: Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, schreibt in der FAZ – lesenswert!

  9. Haiti Didn’t Become a Poor Nation All on Its Own
    When on the afternoon and evening of January 12, 2010 Haiti experienced that horrible earthquake and round after round of aftershock the destruction was, no doubt, greatly worsened by the very real over-crowding and poverty of Port-au-Prince and the surrounding areas. But shocked Americans can do more than shake their heads and, with pity, make a donation. They can confront their own country’s responsibility for the conditions in Port-au-Prince that magnified the earthquake’s impact, and they can acknowledge America’s role in keeping Haiti from achieving meaningful development. To accept the incomplete story of Haiti offered by CNN and the New York Times is to blame Haitians for being the victims of a scheme that was not of their own making. As John Milton wrote, “they who have put out the people’s eyes, reproach them of their blindness.” 
    Quelle: AlterNet
  10. Fernseher aus Mexiko: Die Industrie der Armen im Grenzgebiet zu den USA
    Maquiladoras sind Fertigungsbetriebe, die seit den 1960er-Jahren entlang der 3 000 Kilometer langen Grenze zu den USA entstanden sind. Was die Unternehmen nach Mexiko zog? Billige Arbeitskräfte, fast keine Steuern und laxe Behörden – und das alles in unmittelbarer Nachbarschaft zur größten Volkswirtschaft der Welt. Dank der Maquiladoras haben wir hier Vollbeschäftigung, verkündeten die Gouverneure des Bundesstaats Baja California jahrelang. Mit der Jahrtausendwende wurden die Schwächen des Maquiladora-Modells offenkundig. Die Rezession, die die USA 2001 heimsuchte, vernichtete in den grenznahen Betrieben 200 000 Arbeitsplätze. Ein Jahr später baute die Branche 31 Prozent aller Stellen ab, davon 27 Prozent allein in Tijuana.
    “Ein Technologietransfer hat nicht stattgefunden, und in vier Jahrzehnten sind enttäuschend wenige Arbeitsplätze für Ingenieure und Techniker entstanden”, das ist die bittere Erkenntnis der Soziologin Cirilia Quintero. Sie forscht an der Universität in Matamoros über die Maquiladoras. Von denen beschäftigen 13 Prozent in Tijuana keinen einzigen Ingenieur, weitere 65 Prozent weniger als zehn. 73 Prozent der elektroverarbeitenden Maquiladoras haben keine Abteilung für Forschung und Entwicklung. Dazu muss man wissen, dass die Hälfte aller Betriebe immer nur ein einziges Produkt zusammenbaut. Nur 13 Prozent stellen immerhin drei verschiedene Geräte her. “Die bloße Maquiladora bringt uns keine Entwicklung, sondern nur ein instabiles Wachstum. In der Hauptsache entstehen unsichere und schlecht bezahlte Arbeitsplätze”, lautet deshalb Quinteros Schlussfolgerung. Als reine Exportwirtschaft mit völliger Abhängigkeit vom großen Nachbarn im Norden lahmte die Maquiladora schon vor der jetzigen Krise. Spätestens mit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) haben sich die Spielregeln geändert. “Seit gut zehn Jahren beobachten wir, dass die Missbräuche am Arbeitsplatz immer dreister werden und die Entlassungen ohne Abfindung zunehmen”, sagt Jaime Cotta. “Die Firmen stellen sich quer, wann immer sie etwas bezahlen sollen – sogar beim Umgang mit gefährlichen Substanzen. Aber da es kaum noch Arbeit gibt, halten die Leute den Mund.”
    Quelle: LE MONDE diplomatique
  11. Wie Gold, nur besser: Fette Dividenden aus Afrikas Böden
    Am 18. November 2009 hält Tony Blair im neoimperialen Ambiente des Londoner Queen Elizabeth II. Conference Centre eine Rede vor dem sogenannten Sierra Leone Investment Forum. Zu den Organisatoren der Veranstaltung gehörte die von Blair gegründete African Governance Initiative (AGI), die darauf aus ist, Sierra Leone an potenzielle Investoren zu verkaufen. Der ehemalige britische Premierminister verweist die Interessenten auf die “Millionen Hektar landwirtschaftlich nutzbarer Flächen”, die in Sierra Leone zu haben sind.(1) In seinem Eifer scheint Blair ganz entgangen zu sein, dass auf diesen Flächen ein paar Millionen Landeskinder leben, die auf deren Erträge angewiesen sind.
    Die neuerliche Zerstückelung Afrikas hat begonnen. Nur sind die Akteure heute nicht die Könige und Königinnen kolonialer Reiche, sondern die Majestäten der Finanzmärkte, Großkonzerne und reichen Staaten. Sie richten ihre begehrlichen Blicke auf das Kapital, das sich noch im Besitz der Afrikaner befindet: der landwirtschaftlich nutzbare Boden. Internationale Banken und Investmentfonds, Industrieländer, Agrarkonzerne und reiche Einzelunternehmer wollen auf Riesenflächen gigantische industrielle Großfarmen aufziehen, die Nahrungsmittel und Biosprit produzieren sollen – für den Export und den Profit, versteht sich.
    Quelle: LE MONDE diplomatique


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