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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 19. April 2012 um 8:37 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “Mehr” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (RS/WL)

Hier die Übersicht. Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert.

  1. Wir alle sind zu Voyeuren geworden – Der Breivik-Prozess und die Öffentlichkeit
  2. Warnung vor sozialer Not
  3. Altkanzler Schröder fordert Mindestlohn
  4. Kaufkraft der Rente sinkt und Rückstand Ost steigt
  5. Am Ende arm – Wenn im Alter das,Geld nicht reicht
  6. “Nächstenliebe ist knallharte Pflicht”
  7. Die Kosten psychischer Erkrankungen und Belastungen in Deutschland
  8. Wir dürfen nicht zu Handlangern der Kassen werden
  9. Manager halten deutsche Wirtschaft für bärenstark
  10. Eltern müssen keine Kopierkosten zahlen
  11. Experte erklärt: Darum haben sich alle so geirrt!
  12. Bertelsmann und die Bundespräsidenten
  13. Freiheit: Ein Leben, das ich bejahen kann
  14. Reden ist im Bundestag nicht ganz so leicht
  15. Argentinische Präsidentin will spanischen Ölkonzern enteignen: Eine Frau zeigt Zähne
  16. ARD
  17. Zu guter Letzt

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Wir alle sind zu Voyeuren geworden – Der Breivik-Prozess und die Öffentlichkeit
    Unterhaltung auf dem Niveau eines TV-Krimis: Gebannt verfolgt die ganze Welt die Selbstdarstellung des Möchtegernhelden Anders Behring Breivik im Gerichtssaal. Die Opfer geraten darüber in Vergessenheit, kommentiert Brigitte Baetz.
    1500 Journalisten, Fotografen und Kameraleute aus 224 Redaktionen – Vergleichbares hat Oslo zuletzt beim Eurovision Song Contest erlebt. Damals wählten die Europäer ihren Superstar für eine Nacht. Und heute? Verfolgt die ganze Welt die Selbstdarstellung eines Möchtegernhelden, der, auch wenn noch nicht verurteilt, nichts weiter als ein Mörder ist.
    Mögen sich die Angehörigen der Opfer noch so vehement dagegen verwahren, mag sich die überwiegende Mehrheit der norwegischen Gesellschaft noch so angeekelt abwenden: Wir alle sind – gewollt oder ungewollt – zu Voyeuren geworden. Wir verfolgen ein Spektakel, dessen Hintergründe wir schon bestens kennen, denn schon bei den Anschlägen waren wir fast zeitgleich zugeschaltet. Wir konnten über Stunden und Tage das Leid der Opfer sehen, über Computeranimationen den Gang der Ereignisse rekapitulieren. Wir konnten alles über den Täter, seine Gedanken und seine Vorgehensweise erfahren.
    Quelle: DLF
  2. Warnung vor sozialer Not
    Präventionsexperten wollen Kriminalitätsrate senken
    Die Ausgaben zur Verhütung von Verbrechen sollten mindestens so hoch sein wie die Ausgaben zur Strafverfolgung. Diesen Appell an die Politik formulierte der renommierte kanadische Kriminologe Irvin Waller beim Deutschen Präventionstag in München. Nötig seien ‘ausgeglichene Investitionen’: Für jeden zusätzlichen Euro, der in herkömmliche Polizeiarbeit und in Gefängnisse fließe, sollte es auch einen Euro für Präventionsprogramme geben, forderte Waller. Zum Abschluss des größten europäischen Kongresses auf dem Gebiet der Kriminalprävention verabschiedeten die Veranstalter am Dienstag eine ‘Münchner Erklärung’. Darin heißt es, Kriminalprävention könne und dürfe Sozialpolitik nicht ersetzen: ‘Der Vermeidung von Armut kommt eine Schlüsselrolle zu.’
    Quelle: SZ
  3. Altkanzler Schröder fordert Mindestlohn
    Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat die Folgen seiner Agenda 2010 bedauert. Auf einer Konferenz forderte er einen gesetzlichen Mindestlohn.
    Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat Auswirkungen seiner Arbeitsmarktreform Agenda 2010 bedauert und die Arbeitgeber dafür verantwortlich gemacht. Sie hätten die Ausweitung von Niedriglohnjobs “ausgenutzt”, sagte Schröder laut der belgischen Nachrichtenagentur Belga auf einer Konferenz in Brüssel.
    Er plädierte für einen “vernünftigen” gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland. Jeder müsse seine Familie von seiner Arbeit ernähren können, sagte Schröder.
    Auf der Konferenz in Brüssel ging es um wirtschaftliche Reformen in Deutschland und in Belgien. Der belgische Außenminister Didier Reynders lobte Schröder laut Belga für das “schwierige” Reformpaket und machte deutlich, dass er die Agenda 2010 als Vorbild sieht.
    Schröder erläuterte das Reformprogramm, das er im März 2003 präsentiert hatte. Kernstück war das Prinzip des Förderns und Forderns und die Zusammenlegung von Arbeits- und Sozialhilfe. Für Menschen in schlecht bezahlten Jobs habe die Reform aber negative Folgen gehabt, räumte Schröder ein.
    Quelle: Die Zeit

    Anmerkung RS: Da spricht derselbe Gerhard Schröder, der einst in Davos stolz von sich gegeben hat, dass er den größten Niedriglohnsektor Europas geschaffen hat. Das sind nur Krokodilstränen.

  4. Kaufkraft der Rente sinkt und Rückstand Ost steigt
    “Die Rentner bleiben in diesem Jahr weiter vom wirtschaftlichen Aufschwung abgekoppelt”, erklärte der Präsident der Volkssolidarität, Prof. Gunnar Winkler, am Mittwoch zur Rentenanpassung 2012. Diese liege unterhalb der Preissteigerungsrate von 2,3 Prozent im Jahre 2011, kritisierte der Verbandspräsident. “Mit einem Plus von 2,18 Prozent in den alten und von 2,26 Prozent in den neuen Ländern verlieren die Renten weiterhin an Kaufkraft.” Das sei “nach vielen mageren Jahren mit Nullrunden und niedrigen Rentenanpassungen nicht akzeptabel.”
    Ursache seien die Kürzungsfaktoren bei den Rentenanpassungen. “Wenn das Rentenniveau längerfristig nicht weiter absinken soll, müssen die Kürzungsfaktoren weg”, stellte der Verbandspräsident klar. “Ansonsten werden auch dringend notwendige Einzelmaßnahmen gegen Altersarmut kaum greifen.”
    Winkler kritisierte erneut, dass gleichzeitig der Rentenrückstand Ost weiter steigt. “Mit der nur geringfügig höheren Rentenanpassung im Osten wird der Rückstand des aktuellen Rentenwerts Ost (24,37 Euro) zu dem für die alten Länder geltenden Rentenwert (27,47 Euro) nicht abgebaut. Der Abstand pro Entgeltpunkt von bisher 3,10 Euro steigt auf 3,15 Euro. Das sind 142 Euro weniger Rente brutto monatlich für den Eckrentner Ost nach gegenwärtig 139 Euro monatlich weniger im Vergleich zum Eckrentner West.”
    Quelle: Volkssolidarität
  5. Am Ende arm – Wenn im Alter das,Geld nicht reicht
    Die Altersarmut wächst. 400.000 ältere Menschen leben bereits jetzt von der staatlichen Grundsicherung, der Sozialhilfe für Rentner. In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl arbeitender Ruheständler um eine Viertelmillion erhöht.
    Viele wollen noch arbeiten, immer mehr sind aber trotz Rente auf einen Zusatzverdienst angewiesen, weil die Rente nicht reicht.
    Lösung Riestern? Dabei sollte es soweit erst gar nicht kommen. Dass die gesetzliche Rente
    eines Tages nicht mehr reichen könnte, darauf hatte die Politik frühzeitig hingewiesen. Privat versichern sllte die Lösung sein. Doch zehn Jahre nach Einführung der privaten Altersvorsorge mit staatlicher Unterstützung, ist die Riester-Versicherung in Verruf geraten: schlechte Beratung, hohe Gebühren, wenig Rendite. Und obwohl die Bundesregierung weiterhin nachdrücklich für die private Vorsorge wirbt, nimmt sie es mit der Kontrolle der angebotenen Finanzprodukte augenscheinlich nicht sehr genau. Die Folge: Kaum einer weiß noch, wie er sich richtig fürs Alter richtig absichern kann. Die Verunsicherung ist groß.
    Die ZDFzoom-Reporter Tanja von Ungern-Sternberg und Christian Bock gehen auf Spurensuche, sie stellen die Frage: Ist Altersarmut tatsächlich unvermeidbar? Sie treffen Menschen, deren Rente zum Leben nicht reicht und Niedriglöhner, die gerne vorsorgen würden, aber deren Geld dazu nicht reicht. Und sie tauchen ein in die Welt der privaten
    Rentenversicherungen, die gerne viel versprechen, das aber am Ende nicht immer halten können.
    Quelle: ZDF

    Anmerkung Jürgen Karl: Obwohl man es eigentlich wissen sollte ist man doch immer wieder sprachlos, wenn man sieht, dass die Riester-Rente offensichtlich nur eingeführt wurde um den Banken und Versicherungsgesellschaften die Taschen zu füllen.
    Recht nett auch der Kontrast von Walter Riesters protziger Wohnung zu den Behausungen der Menschen, deren Rente zum Leben nicht reicht.

  6. “Nächstenliebe ist knallharte Pflicht”
    Die Linke Sahra Wagenknecht und der Christdemokrat Heiner Geißler streiten über die Frage, ob und wie der wild gewordene Kapitalismus abzuschaffen ist
    Quelle: DIE ZEIT
  7. Die Kosten psychischer Erkrankungen und Belastungen in Deutschland
    Psychische Störungen sind eine wesentliche Ursache für Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung. Die wirtschaftlichen Belastungen durch diese Erkrankung sind wegen der Kombination aus hohem Verbreitungsgrad, frühem Einsetzen und oft ungünstigem, langem Krankheitsverlauf bedeutend. Die jährlichen Gesamtkosten wurden in Europa für das Jahr 2004 auf 240 Milliarden € geschätzt. Der größte Teil entfällt dabei auf die indirekten Kosten, die mit 132 Milliarden € beziffert werden können.
    Das Thema „psychische Belastungen und psychische Gesundheit“ hat dementsprechend als Handlungsfeld in der betrieblichen Praxis in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Als Hindernis für die Umsetzung präventiver Maßnahmen wird seitens der Unternehmen oft ein vermeintlich ungünstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis gesehen. Dies wirft die Frage auf, welche ökonomischen Auswirkungen psychische Störungen und Belastungen aufweisen, wie hoch also das ökonomische Potential geeigneter Maßnahmen zur Vermeidung oder Linderung psychischer Störungen ist.
    Quelle: Gegenblende
  8. Wir dürfen nicht zu Handlangern der Kassen werden
    Informatiker zur e-Card: „Daten sind völlig unsicher“ – eGK-Gegner diskutieren in Berlin
    Milliardenkosten, minimaler Nutzen: Wohl kaum ein gesundheitspolitisches Projekt ist so umstritten wie die elektronische Gesundheitskarte (eGK). Nicht nur Ärzte wehren sich gegen das Projekt e-Card, Kritik kommt auch von Patientenvertretern und Datenschützern. Auf Einladung der Initiative „Stoppt die e-Card“ trafen sich am Mittwoch eGK-Gegner zu einer Tagung in Berlin, um über die Risiken und Nebenwirkungen der elektronischen Gesundheitskarte zu diskutieren.
    Im Mittelpunkt stand dabei vor allem die Frage nach der Datensicherheit – nicht zuletzt aufgrund des geplanten Online-Versichertenstammdaten-Abgleichs. Sensible Patientendaten sollen hierfür künftig auf zentralen Servern gespeichert werden, sodass alle Arztpraxen und Kliniken Zugang haben.
    Quelle: stoppt-die-e-card

    Anmerkung unseres Leser J.H.: Das Argument, den Ärzten werde endlich auf die Finger geschaut, verdeckt die eigentlichen schwerwiegenden Folgen für die Patienten, insbesondere wenn die elektronische Patientenakte Wirklichkeit wird. Zunächst werden noch die Appetizer gereicht: Notfalldatensatz, Missbrauchsverhütung durch Foto auf der Karte oder unnötige Doppeluntersuchungen. Man muss allerdings nach dem cui bono eines solchen Milliardenprojektes fragen. Da kommen die Patienten ganz am Ende.

  9. Manager halten deutsche Wirtschaft für bärenstark
    Da mag es überall in Europa gefährlich donnern – für die Zukunft Deutschlands herrscht in den Chefetagen einhelliger Optimismus: 95 Prozent der Top-Entscheider bescheinigen dem Land gute bis sehr gute Perspektiven für die kommenden zehn Jahre; 92 Prozent erwarten, dass es weltweit eine technologische Führungsrolle innehaben wird. Und 77 Prozent halten die Republik für gut bis sehr gut für den internationalen Wettbewerb gerüstet. Das ergibt das neue Capital-Elite-Panel anlässlich des 50. Jubiläums des Wirtschaftsmagazins Capital. Für die Umfrage interviewte das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) mehr als 500 Führungsspitzen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung. (…) “Die Elite ist für Deutschland bullish”, konstatiert Allensbach-Chefin Renate Köcher.
    Quelle: FTD

    Anmerkung unseres Lesers G.K.: Hier [PDF – 34 KB]

  10. Eltern müssen keine Kopierkosten zahlen
    Eltern in Sachsen dürfen nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bautzen nicht mehr für Kopien von Unterrichtsmaterial zur Kasse gebeten werden. Die Kommunen als Träger öffentlicher Schulen seien für die Bereitstellung solcher Unterlagen zuständig.
    Quelle: SZ
  11. Experte erklärt: Darum haben sich alle so geirrt!
    Auf BILD.de erklärt Thomas Straubhaar die sechs größten Irrtümer der Wirtschaftsexperten:​

    • Veröffentliche, oder verschwinde​
      Falsch! Der Grundsatz „Wer nicht publiziert, macht keine Karriere” ist zum Dogma geworden. Dadurch treibt nicht Erkenntnisgewinn, sondern die Publikationsfähigkeit der Ergebnisse den Ehrgeiz von Forschenden. Statt um Wahrheit und Erkenntnis geht es oftmals nur noch um Macht, Prestige, Forschungsmittel oder noch schlichtere persönlichen Interessen.
    • Mehr Mathematik, bessere Ökonomie ​
      Falsch! Ökonomie ist eine Geistes- und Sozialwissenschaft. Deshalb wird es nie eine Exaktheit der Prognosen geben können, wie sie in den Naturwissenschaften erwartet wird. Daran ändern auch mathematische Modelle nichts, die immer häufiger hinzugezogen werden.

    Faktoren aus der Philosophie, den Sozial- oder Verhaltenswissenschaften werden zu wenig Ernsthaft berücksichtigt. Die Bandbreite der Wirtschaftswissenschaften ist zu eng und damit die Möglichkeit von Erkenntnisgewinn zu gering.
    Quelle: bild.de

    Anmerkung WL: Straubhaar wandelt sich immer mehr vom Saulus zum Paulus.

  12. Bertelsmann und die Bundespräsidenten
    Gäbe es das Amt des Bundespräsidenten nicht, dann müsste es die Bertelsmann-Stiftung erfinden. Auf wundersame Weise erscheint es wie geschaffen für die Stiftung einer Unternehmerfamilie, die sich aber politisch einmischen will. Für jemand also, der sich mit Geld und Ideen Zugang und Nähe zur Macht erkaufen will.
    Zu viel Macht, wie die Piratenpartei in Nordrhein-Westfalen nun findet. In ihrem Wahlprogramm, das am Wochenende verabschiedet wurde, steht auch die Forderung, der Bertelsmann-Stiftung die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, weil sie – zusammengefasst – in ihren Studien und Empfehlungen häufig Veränderungen empfehle, die dem Unternehmen Bertelsmann dienen. Um diese zu erreichen, setzte die Stiftung auch ihren Einfluss beim jeweiligen Bundespräsidenten ein.
    Quelle: Berliner Zeitung
  13. Freiheit: Ein Leben, das ich bejahen kann
    Die Philosophin Birgit Recki erklärt, was Freiheit ist – für Gauck, Janis Joplin und sich selbst: “Aber an dem Diskurs, der sich vor der Wahl Joachim Gaucks zum Bundespräsidenten entfaltete, störte mich doch sehr diese Gedankenlosigkeit, besser Begriffsstutzigkeit. Es gibt doch einfach gedankliche Vorordnungs- und Nachordnungsverhältnisse: Was würden wir denn von einer Gerechtigkeit halten, die komplette Gleichverteilung aller vorhandenen Güter leistet, das aber in einer Diktatur? … Wenn man das mal durchspielt, gibt es – ohne den Gedanken der Freiheit – durchaus die Möglichkeit einer Gerechtigkeit in einem totalitären System. … In meinen Augen zählt vor allem, dass das Individuum sich selbst bestimmen kann, dass man selbst entscheiden kann, wie man lebt, warum man wie lebt, warum man nicht anders lebt und welche Formen dieses Leben im Einzelnen annimmt. … Gauck spricht im Zusammenhang von Freiheit immer von Verantwortung. … Er lässt gar keinen Zweifel dran, dass für ihn der Freiheitsbegriff mit Verantwortung zusammenhängt. Damit ist aber auch gesagt, dass er nicht irgendeine haltlose, anarchoide, rücksichtslose, völlig bindungslose Freiheitskonzeption vertritt, sondern dass es immer so ist, dass die Freiheit des einen ihre Grenzen an der ebenso berechtigten Freiheit des anderen findet, und damit ist die Frage nach der gleichmäßigen Sicherung von Ressourcen zur Realisierung der Freiheit aller bereits präsent. Man hätte sich die ganze Zeit schon klar machen können, dass er allein deshalb immer in der Nähe der Gerechtigkeit ist – und die Ignoranz, die da im Diskurs ausgelebt wurde, ist schon besonders verantwortungslos.”
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: So sinnvoll es erscheint, eine Philosophin nach dem Wesen der Freiheit zu befragen, so traurig ist das Ergebnis. Wie kann die Philosophin die Geschichte des Begriffs Freiheit so leichtfertig ignorieren zu Gunsten einer banalen Parteinahme für einen aktuellen Politiker. Sie wirft der Kritik am Freiheitsbegriff des Bundespräsidenten vor, die Vorordnungs- und Nachordnungs Verhältnisse von Freiheit und Gerechtigkeit zu ignorieren, ja auf den Kopf zu stellen. Von einem konstruierten Bild eines totalitären Systems aus, das Gerechtigkeit ermöglicht, möchte uns Birgit Recki mitteilen, dass Gerechtigkeit nichts sei, wenn es keine Freiheit gäbe. Dreimal dürfen Sie raten, welches System denn gemeint sein könnte. Es ist das System, dem die heutigen Gauckkritiker anhingen, welche sind: “Die Linken, die bis heute immer noch nicht gesagt haben, wo die SED-Millionen eigentlich verblieben sind.” Das ist infam und vor allem billig, aber zurück zu den Vorordnungs- und Nachordnungsverhältnissen. Von Solon über Kant bis Rawls ist Gerechtigkeit das Prinzip der Sicherung von Freiheit. Bei Solon ist derjenige frei, der auf der Erde der Polis (antiker griechischer Stadtstaat) lebt. In der Polis wird Willkür und Gewalt durch das Gesetz in seine Schranken gewiesen. Freiheit besteht in der Gleichheit vor dem Gesetz, das unumschränkt herrscht. Bei Kant wird dem einzelnen nur soweit Freiheit zugestanden, wie dies im Rahmen einer allgemeinen gesetzlichen Regelung möglich ist. Nur vor dem Hintergrund des Willens zur gesetzlichen Allgemeinheit, welche eine vernünftige Gleichheit impliziert, ist es möglich sein Glück zu suchen bzw. sich selbst ein Gesetz zu sein. Rawls rückt ein Gerechtigkeitsprinzip in den Vordergrund, wonach jedermann ein gleiches Recht auf ein größtmögliches System von Grundfreiheiten zuzugestehen sei. Auch hier gewährt erst das Gerechtigkeit die Realisierung von Freiheit, auf dass dieses für alle gelte. Natürlich ist eine bestehende Rechtsordnung niemals ganz so, wie sie sein sollte. Weswegen sich Rawls damit begnügt, dass innerhalb der faktisch bestehenden sozialen und ökonomischen Ungleichheiten ein Prinzip gelte, dass den am wenigsten begünstigten Personen immer noch den größtmöglichen Vorteil bringen sollte. Aber vielleicht ist es angemessener, heutigen „Liberalen“ die Schrift, „On Liberty“, von John Stuart Mill als Pflichtlektüre an das Herz zu legen. Dieser Klassiker des Liberalismus muss heute oft nur dafür herhalten, den Staat als paternalistisch abzutun. Natürlich betont Mill, die „Grenzen der Gewalt, die füglich die Gesellschaft über den einzelnen ausüben sollte.“ Freilich er sagt auch: „Ein gewisser Zwang aber ist immer nötig, um die stärkeren Persönlichkeiten daran zu hindern, die Rechte der Schwächeren einzuschränken… Um zum Heile anderer die strengen Regeln der Gerechtigkeit einzuhalten, entwickelt der Mensch die Gefühle und die Gaben, die das Wohl anderer bezwecken.“ Tatsächlich räumt Mill dem Staat sehr viel mehr Aufgaben und Befugnisse zur Einflussnahme auf die sozialen und wirtschaftlichen Belange der Individuen ein, als dies die heutigen „Liberalen“ akzeptieren.

    Um von diesen allzu verknappten, sehr allgemeine Hinweisen zu einem konkreten Punkt zu kommen, kann man auf Aristoteles zurückgreifen, der in seiner die Nikomachischen Ethik schreibt:

    “Als unfreiwillig gilt also, was unter Zwang und aufgrund von Unwissenheit geschieht. Dementsprechend darf als freiwillig das gelten, dessen bewegendes Prinzip in dem Handelnden selbst liegt, wobei er ein volles Wissen von den einzelnen Umständen der Handlung hat.”

    Im konkreten Leben beinhaltet die Forderung nach einem vollen Wissen von den einzelnen Umständen der Handlung eine wesentliche Beschränkung der freien Entscheidung. Denn wer hat die Chance, konkret die Zeit, die Freiheit die einzelnen Aspekte seines Handelns zu bedenken – außer vielleicht ein Aristoteles als freier Bürger in einer Sklavenhaltergesellschaft oder offensichtlich Recki, die das Privileg genießt “von den Alltagsverpflichtungen des Hochschullehrers befreit” zu sein? Rossana Rossanda bringt es auf den Punkt: “Wie kann man es ertragen, dass die meisten Menschen auf der Erde nicht einmal die Chance haben, darüber nachzudenken, wer sie sind und was sie werden wollen, weil das ganze Abenteuer des Lebens von Anfang an ruiniert ist?” Recki sollte weniger von der kompletten Gleichverteilung aller vorhandenen Güter in einer Diktatur faseln, sondern sich Gedanken darüber machen, wie die Voraussetzungen zu schaffen sind, “dass das Individuum sich selbst bestimmen kann”. Schade, dass es für Recki nur dazu reichte, sich an “marxistische Bildung heranzustasten”. Sie hätte sich sonst vielleicht davon inspirieren lassen, dass das “Reich der Notwendigkeit”, die kapitalistische Produktionsweise, darüber entscheidet, wie viel freie Zeit die Individuen besitzen, welche materiellen Mittel im “Reich der Freiheit” zur Verfügung stehen und welche Möglichkeiten freier Selbstbestätigung zur Vervollkommnung der Menschen als Selbstzweck bestehen. Vor diesem Hintergrund forderte Marx ganz konkret eine Verkürzung des Arbeitstages, welche im Verlauf des 20. Jahrhunderts realisiert wurde. In der heutigen Zeit nimmt die Gewaltandrohung der Mächtigen eine ganz andere Form an als zu Zeiten Solons. Es ist die zunehmende Dominanz des kapitalistischen Verwertungssystems über unsere Lebenssysteme, die die Chance von Kindern und Jugendlichen bis hin zu den Erwachsenen einschränkt, sich selbst zu bestimmen – angefangen bei der Komprimierung von Lern-und Bildungsinhalten in ein immer enger werdendes Zeitfenster bis hin zur Ausdehnung der Arbeitszeit in den letzten zehn Jahren, von den Verhältnissen in Entwicklungsländern ganz zu schweigen. – Nein Frau Recki oder auch Herr Gauck, die Frage ist nicht, wie der Einzelne Freiheit in Verantwortung realisiert, sondern inwiefern die heutige Form des Kapitalismus den Menschen daran hindert, bei sich zu sein.

  14. Reden ist im Bundestag nicht ganz so leicht
    Das Rederecht der Bundestagsabgeordneten wird in einem komplizierten Verfahren ausgehandelt. Wenn der Ältestenrat des Parlaments – in dem Vertreter aller Fraktionen und Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) sitzen – die Themen für einen Sitzungstag festgelegt hat, wird die Redezeit verteilt. Grundlage ist die so genannte Berliner Stunde, bei der die Fraktionen gemäß ihrer Mandate berücksichtigt werden. Die CDU bekommt derzeit 23 Minuten, die SPD 14, die FDP 9 und Grüne und Linkspartei je 7 Minuten. Dauert eine Debatte länger als eine Stunde, werden die Zeiten entsprechend verlängert. Dann bestimmen die Fraktionen ihre Redner. Meist haben die ChefInnen und die fachpolitischen Sprecher den ersten Zugriff. Das ist auch sinnvoll, weil sie die Mehrheitsmeinung der Fraktionen abbilden. Es ist angesichts solch knapper Zeiten also nicht möglich, jeden Kritiker eigens zu berücksichtigen. Lammert brach diese Verabredung im September 2011, indem er selbst zwei Kritiker des Euro-Rettungsschirmes aus CDU und FDP auf die Rednerliste setzen. Im parlamentarischen Betrieb ist Usus, dass die Fraktionen die Festlegung der Redner selbst übernehmen. Entsprechend erteilte ihm der Ältestenrat nach der Debatte eine Rüge. Die Rüge unterstützten damals alle Fraktionen – auch Grüne und Linkspartei. Ebenso erteilte der Ältestenrat dem Geschäftsordnungsausschuss den Auftrag, die Geschäftsordnung zu präzisieren. Aus diesem Anliegen heraus erklärt sich die Idee von Union, FDP und SPD, Lammert die Möglichkeit zu geben, “im Benehmen mit den Fraktionen weiteren Rednern (…) das Wort für in der Regel drei Minuten zu erteilen”.
    Der zweite strittige Punkt ist die Frage, ob jeder Abgeordnete vor einer Abstimmung weiterhin bis zu fünfminütige Erklärungen abgeben darf. Dieses Recht wollten Union, FDP und SPD ursprünglich beschneiden – zugunsten von schriftlichen Erklärungen oder dreiminütigen Reden. Zum einen haben Fraktionen durch dieses Recht ihre Redezeit in der Vergangenheit künstlich ausgedehnt. Und wiederholten die Argumente ihrer vorher gesetzten Redner. Außerdem ist es durchaus üblich, dass selbst ganze Reden zu Themen im Parlament zu Protokoll gegeben werden – etwa, wenn sie spätabends stattfinden sollen. Wie nach der Empörung und dem Rückzieher die Geschäftsordnung geändert wird, ist unklar.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Ein wenig untergegangen ist, dass mit der Neuregelung die Befugnis des Bundestagspräsidenten festgeschrieben worden wäre, “Abweichlern” ein Rederecht einzuräumen. Jetzt werden weiterhin nur Parlamentarier im Plenum das Wort erhalten, die von den Fraktionen dazu bestimmt wurden.

  15. Argentinische Präsidentin will spanischen Ölkonzern enteignen: Eine Frau zeigt Zähne
    Wochenlang hatte Argentiniens Regierung gedroht, weil der spanische Ölkonzern Repsol zu wenig investiert habe und deshalb der Sprit im Lande knapp geworden sei. Zum Beginnder Woche machte Cristina Fernadez de Kirchner dann ernst.
    Vor 13 Jahren erst hatte Präsident Carlos Menem das Öl- und Gasunternehmen an Spaniens Giganten Repsol verscherbelt. Es waren die Zeiten der hemmungslosen Privatisierungen.
    Jetzt also holt die Präsidentin Kirchner diese Schatzkammer für Argentinien zurück.
    Die argentinische Unternehmerfamilie Eskenazi darf ihren Anteil von 25,6 Prozent behalten. Auch die restlichen Aktien, mehrheitlich in den Händen von US-Investmentfonds, sollen nicht enteignet werden.
    Quelle: FR
  16. ARD
      Endgültiges Aus für Gottschalk live am 7. Juni
      Die ARD-Intendanten haben sich dazu entschlossen, das teure Experiment “Gottschalk live” zu beenden. Am 7. Juni läuft die letzte Sendung. Gottschalk schauten zuletzt unter eine Million Zuschauer. Gottschalk war am 23. Januar zum ersten Mal mit der Talkshow auf Sendung gegangen. Nach dem Aus wird nun Dieter Nuhr mit einer Satiresendung den Platz übernehmen.
      Quelle: Welt

    1. Die großen ARD-Talker – einer muss gehen
      Von Jauch bis Maischberger: In der ARD wird um die Wette getalkt, Themen und Gäste wiederholen sich. Der WDR fordert nun eine Reduzierung der Talksendungen – zu Recht.
      Quelle: Welt
  17. Zu guter Letzt
    1. Jahrhundert-Bild
      In diesem fingierten Anwerbeversuch nimmt Titanic (getarnt als Bild-Redaktion, wegen möglicher Mitarbeit an der Jubiläums-Ausgabe) mit Martin Walser, Richard Wagner (der tatsächlich einen Text liefert), Kardinal Meisner, Günter Grass und Thea Dorn Kontakt auf.
      Quelle: Titanic
    2. Volker Pispers: Freibeuter
      Quelle: WDR-2


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