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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 14. November 2008 um 9:44 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

(WL)

Heute unter anderem zu folgenden Themen:

  • Issing Plan für Weltfinanzgipfel – Merkel will Hedgefonds an die Leine nehmen
  • Thomas Fricke: Mission Weltverbesserung
  • Bruttoinlandprodukt im dritten Quartal um 0,5% niedriger als im zweiten Quartal
  • Lucas Zeise – Bund der Konjunkturbremser
  • Das ist Ihre Rezession, Frau Merkel
  • Rund 20 Banken haben Staatshilfen beantragt
  • Steinmeier schmiedet „Zukunftspakt“ – in Europa
  • Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker: Im Bauch des Sparschweins
  • USA: Schuldenmachen wird Bürgerpflicht
  • Zum Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie
  • Vorstände nicht nur Aktionären verpflichtet
  • Faule BVG-Deals “persönliche Blamage Sarrazins”
  • KfZ-Steuer: Die SPD-Fraktion steigt aus
  • Transnet-Chef Krauß wegen Bonus-Plänen unter Druck
  • Keine Fahrkosten für Ein-Euro-Jobber
  • Was kostet ein Arbeitsloser
  • Telekom bespitzelte auch Ver.di-Chef Bsirske
  • SPD: Niemals nie nicht
  • Die Bildung oder Humankapital?
  • Zur Schüler-Demo

Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.

Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Issing Plan für Weltfinanzgipfel – Merkel will Hedgefonds an die Leine nehmen
    Kontrolle von Hedgefonds, ein internationales Kreditregister und eine Risiko-Weltkarte – die Arbeitsgruppe um den ehemaligen EZB-Chefvolkswirt Issing hat Kanzlerin Merkel eine Blaupause für die neue globale Finanzarchitektur geliefert. Deutschland geht damit auf Konfrontationskurs zu Frankreich und den USA.
    Quelle: Spiegel

    Anmerkung AM: Das klingt nach sehr viel; aber Entscheidendes ist eben nicht angepackt: Das Casino, das heißt: die Spekulation kann weiterlaufen. Es soll transparenter werden, an die Leine genommen werden, etwas reguliert werden. Ansonsten können die Banken ihr für sich selbst ergiebiges Betätigungsfeld weiter beackern. Der Wirtschaftssektor Kapitalmarkt ist viel zu groß. Die dort erzielten Renditen haben mit Wertschöpfung nichts zu tun. Die Darstellung in diesem Artikel ist übrigen typisch für den Spiegel und Spiegel Online. Ehrfürchtig werden fortlaufend „Experten“ genannt, was in der Arbeitsgruppe an Interessenten zusammen gesessen hat. Kein Wort zur Funktion von Otmar Issing als Berater von Goldman Sachs und zu Jörg Asmussen, dem Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, dem wir die große Öffnung Deutschlands für so genannte innovative Finanzprodukte verdanken.

  2. Thomas Fricke: Mission Weltverbesserung
    Vor dem G20-Gipfel setzen die Beteiligten vor allem darauf, die Finanzmärkte einfach nur besser zu beaufsichtigen. Dabei wäre wie einst in Bretton Woods eine völlig neue globale Ordnung wünschenswert.

    Zu einer neuen Globalisierung könnte gehören, dass Wechselkurse wieder stärker nach ökonomischen Kriterien festgesetzt werden – und weniger von verselbstständigten Zinsspekulationen, widersinnigen Herdenreflexen oder merkantilistischen Anflügen deutscher oder chinesischer Regierungen abhingen. Zu einem neuen globalen System müsste auch gehören, dass Länder mit chronisch steigenden Überschüssen genauso sanktioniert würden wie Länder mit chronischen Defiziten. In so einem System hätten die Amerikaner nicht auf Dauer über ihre Verhältnisse leben dürfen.

    In so einem System könnten sich die Deutschen aber auch nicht als einzige Wirtschaftsmacht weigern, die eigene Konjunktur mit Mitteln anzuschieben, die der Dramatik der Krise gerecht werden. Keiner ist dafür so prädestiniert wie diejenigen, die seit Jahren so hohe Exportüberschüsse (sprich: Binnennachfrage-Defizite) bei zugleich verbesserten Staatsfinanzen verzeichnen: China und Deutschland.
    Quelle: FTD

  3. Bruttoinlandprodukt im dritten Quartal um 0,5% niedriger als im zweiten Quartal
    Für die deutsche Wirtschaft hat sich im dritten Quartal 2008 die sich bereits abzeichnende Abwärtsentwicklung fortgesetzt: Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) – preis-, saison- und kalenderbereinigt – im dritten Quartal 2008 um 0,5% niedriger als im zweiten Quartal des Jahres. Im ersten Quartal 2008 war die Wirtschaftsleistung um 1,4% gestiegen und im zweiten Quartal um 0,4% zurückgegangen.
    Quelle: Statistisches Bundesamt
  4. Lucas Zeise – Bund der Konjunkturbremser
    Europäische Zentralbank und Bundesregierung hintertreiben die Stützung der globalen Wirtschaft. Der Absturz wird dadurch tiefer ausfallen als nötig.
    Quelle: FTD
  5. Das ist Ihre Rezession, Frau Merkel
    Der Befund einer deutschen Rezession schon im Sommer lässt erahnen, dass es noch andere Gründe für den Abschwung gibt als die Finanzkrise. Die Bundesregierung hat dazu maßgeblich beigetragen – und sollte daraus sofort Konsequenzen ziehen.

    Die Krise begann lange vor der Pleite von Lehman Brothers, als es für Kreditrestriktionen noch kaum Belege gab. Und die Verantwortung tragen auch die deutsche Regierung und die Notenbanker, die den Absturz viel zu lange kleinzureden versucht haben.
    Quelle: FTD

    Anmerkung: Der (schwache) Aufschwung und der (statistische) Rückgang der Arbeitslosigkeit wurden ja bisher von der Regierung immer als „Erfolge der Reformpolitik“ bejubelt. Für den Abschwung werden natürlich immer andere als Sündenböcke gesucht – jetzt vor allem die Finanzkrise.

  6. Steuerschecks schieben Konjunktur an
    Der Wirtschaftsweise Bofinger fordert kreditfinanzierte Investitionen des Staates – und weitere kräftige Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank. Die habe die Krise verschärft.
    Quelle: FR
  7. Rund 20 Banken haben Staatshilfen beantragt
    In Deutschland wollen wesentlich mehr Banken auf das Rettungspaket des Bundes zugreifen als bisher bekannt. Derzeit lägen rund 20 Anträge vor, sagte der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Walther Otremba, am Donnerstag bei einer Tagung des Bayerischen Bankenverbandes in München. Dabei gebe es keinen Schwerpunkt auf öffentlichen oder privaten Banken. „Das ist eine bunte Mischung.“ Die Namen der Banken nannte er aber nicht.

    Bekannt geworden waren bisher die Namen einiger Institute wie Commerzbank, Bayern LB, HSH Nordbank sowie der Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate als Kandidaten für das Hilfspaket.
    Quelle: FAZ

  8. Steinmeier schmiedet „Zukunftspakt“
    Erst kommentiert Frank-Walter Steinmeier den Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie, einen Tag darauf stellt er seine Pläne zur Bewältigung der Finanzkrise vor. Die Stoßrichtung seines „Europäischen Zukunftspakts für Arbeit“ liegt auf der Hand: Der SPD-Kanzlerkandidat will mit wirtschaftspolitischer Kompetenz gegen Kanzlerin Merkel punkten, die nichts von den Plänen wusste. Bundesaußenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit eigenen Vorschlägen zur Bewältigung der Finanzkrise kalt erwischt. Ohne sich mit Merkel vorher abzustimmen, lancierte Steinmeier ein Neun-Punkte-Papier an die Öffentlichkeit mit dem Titel „Europäischer Zukunftspakt für Arbeit“. Darin umreißt Steinmeier, von dem in wirtschaftspolitischer Hinsicht bislang wenig zu hören war, wie die europäischen Volkswirtschaften den Folgen der Finanzkrise begegnen sollten.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung WL: Wir weisen auf diesen Beitrag vor allem auch deshalb hin, weil Sie dort den sog. „Europäischen Zukunftspakt für Arbeit“ im Original nachlesen können. Steinmeiers Trick ist leicht zu durchschauen: Um von dem Versagen in der eigenen Regierung abzulenken, wird jetzt die Flucht nach Europa angetreten.

  9. Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker: Im Bauch des Sparschweins
    Warum Sparen keine Vorsorge für die Zukunft ist und acht Vorschläge, es anders zu machen

    Mangels Einsicht in volkswirtschaftliche Zusammenhänge begreifen die Verantwortlichen offenbar nicht, dass die Wiederherstellung des Vertrauens in die Bankenwelt zwar eine notwendige, aber keinesfalls hinreichende Bedingung dafür ist, die Realwirtschaft vor dem Kollaps zu bewahren. Die Abwendung eines realwirtschaftlichen Kollapses ist aber die eigentliche Voraussetzung für die Sicherung der privaten Ersparnisse der Bürger. Was nützen staatliche Garantien, wenn durch sie zwar vorerst ein Run auf die Banken und damit eine weitere Verschärfung des Liquiditätsengpasses in der Wirtschaft verhindert werden kann, die Ersparnisse aber dennoch, aufgrund eines konjunkturellen Absturzes, enorm an Wert einbüßen?

    Wie muss die Abfederung der Realwirtschaft aussehen?

    • Erstens muss die Geldpolitik endlich beherzt die Zinsen senken und dafür ihre Geldmengenideologie über Bord werfen. Eine rasche und starke Zinssenkung ist unerlässlich, weil nur das in der gegenwärtigen Lage Investoren dazu bewegen kann, realwirtschaftliche Risiken in Form von Sachinvestitionen einzugehen. Es muss unter Berücksichtigung des Marktrisikos lohnender sein, mit seinem Geld etwas Reales anzufangen, statt es nur auf die Bank zu tragen, um die Zinsen zu kassieren.
    • Zweitens muss sich der Staat in nennenswertem Maße an den Banken beteiligen, um einerseits abzuwenden, dass Einzelne und schließlich per Dominoeffekt alle bankrottgehen, so dass die Transaktionsfunktion des Geldes völlig zum Erliegen kommt und die Realwirtschaft aus purem Liquiditätsmangel einbricht. Andererseits muss der Staat durch den unmittelbaren Zugriff auf die Banken verhindern, dass das Kasinospiel weitergehen kann, also Geld in die nächste spekulative Blase fließt. Das heißt: Kredite müssen an Sachinvestoren mit ausreichend Eigenkapital gehen.
    • Drittens muss der Staat ein massives Investitionsprogramm auflegen, um die bereits eingetretenen Schäden in der Realwirtschaft zu begrenzen und der sich daraus entwickelnden Deflation zu begegnen. Wer glaubt, nur mit einer staatlichen Liquiditätsrettungsaktion auskommen zu können, der irrt.
    • Viertens ist ein Pakt mit den Tarifpartnern zu schließen. Die Gewerkschaften und Arbeitgeber akzeptieren ab sofort flächendeckend Lohnabschlüsse in Höhe der im Durchschnitt der Gesamtwirtschaft normalen Produktivitätssteigerung plus Zielinflationsrate der EZB (das müssen weiterhin 2 Prozent sein!), also etwa plus 3,5 Prozent.
    • Fünftens muss der Stabilitätspakt zwischen den Euroländern abgeschafft werden. Er wird ohnehin auf Jahre hinaus faktisch außer Kraft gesetzt sein. Aber jetzt muss man ganz grundsätzlich die Sparideologie aufkündigen…
    • Sechstens muss die institutionelle Grundlage der EZB völlig neu gestaltet werden. Ihr Auftrag ist explizit um eine gleichberechtigte beschäftigungspolitische Verantwortung zu erweitern, wie sie für die US-Notenbank gilt.
    • Siebtens muss auf ein neues weltweites System zur Stabilisierung der Wechselkurse hingearbeitet werden. Nur so kann in Zukunft spekulativen Blasen auf den Devisenmärkten und dem Bankrott ganzer Länder vorgebeugt werden.
    • Achtens sind die Spielregeln für die Finanzwirtschaft international abzustimmen und so umzugestalten, dass Rohstoffspekulation unterbunden wird.

    Quelle: Le Monde dipolmatique

  10. Schuldenmachen wird Bürgerpflicht
    US-Finanzminister Paulson greift zu Plan B: Er will den Banken nicht länger kriselnde Wertpapiere abkaufen, sondern die US-Wirtschaft mit Hilfe der Verbraucher stützen. Die sollen mit Hilfe von Krediten wieder den Konsum anheizen.

    Die kriselnden Hypothekenpapiere seien gar nicht der springende Punkt, glaubt Paulson jetzt. Entscheidend sei vielmehr der Konsum. Rund 70 Prozent der US-Wirtschaft wird durch den privaten Verbrauch getragen. Und der findet zumeist auf Pump statt.

    Von den 700 Milliarden Dollar, die ursprünglich für das Rettungspaket vorgesehen wurden, ist bereits fast die Hälfte ausgegeben. Jetzt wird Unmut im Kongress laut, wie mit dem Geld umgegangen wird. Zum einen hätte die Regierung die Banken von vornherein dazu zwingen sollen, sich im Gegenzug für die Hilfen zur Vergabe neuer Kredite zu verpflichten. Zum anderen habe die Regierung nach wie vor nur ein Herz für Banker – Finanzminister Paulson war vor seinem Sprung in die Politik selber einer.
    Quelle: taz

  11. Zum Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie
    1. Das Modell Sindelfingen setzt sich durch
      Die Tarifpartner der Metallindustrie in Nordrhein-Westfalen haben sich auf die Übernahme des Tarifabschlusses aus Baden-Württemberg verständigt. Das sagte IG-Metall-Bezirksleiter Oliver Burkhard nach den Verhandlungen in Neuss der Deutschen Presse-Agentur.
      Quelle: FR

      Anmerkung: Es geschehen noch Zeichen und Wunder: “Weitaus entscheidender als erhöhte Lohnkosten ist die Frage, wie lange die schlechte Auftragsentwicklung anhält”, sagte der Tarifexperte Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

    2. Finanzkrise besiegt IG Metall
      Seit 16 Jahren war die IG Metall nicht mehr so hoch eingestiegen – nun hat sie die größtmögliche Enttäuschung erlebt. Denn die Bilanz ist ernüchternd: Die Unternehmen verzeichneten in den Boomjahren von 2004 bis 2008 erstaunliche Gewinne – und die 3,6 Millionen Arbeitnehmer der Branche profitieren in Relation nur im minimalen Prozentbereich. Dass die Metall-Lohnerhöhungen der vergangenen Jahre die höchsten aller Branchen in Deutschland waren, ist da kein Trost. Aber was hätte die IG Metall tun sollen?
      Quelle: taz
    3. Tarifabschluss: Was die Fachleute sagen

    Quelle: FR

  12. Vorstände nicht nur Aktionären verpflichtet
    Unternehmensvorstände sind nicht nur den Kapitalgebern verpflichtet, sondern ebenso den Arbeitnehmern und der Allgemeinheit – auch wenn das im vergangenen Jahrzehnt in Vergessenheit geraten ist. Eine Präzisierung des Aktiengesetzes würde Klarheit schaffen.

    Vielen Vorständen gilt die Maximierung des Shareholder ­Value als höchstes Gebot. Diese einseitige Orientierung widerspricht jedoch den Vorstellungen des Gesetzgebers bei der Verabschiedung des Aktiengesetzes. Darauf weist der Jura-Professor Gerald Spindler in einem Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung hin. Zwar enthält das 1965 beschlossene Aktiengesetz anders als seine Vorläufer keinen ausdrück­lichen Hinweis auf die Interessen der Beschäftigten und das Gemeinwohl.
    Quelle: Böckler Impuls 18/2008 (dort auch das ganze Gutachten zum Download)

  13. Faule BVG-Deals “persönliche Blamage Sarrazins”
    Die BVG hat möglicherweise 157 Millionen Dollar in den Sand gesetzt – durch so genannte Cross-Border-Leasing-Geschäfte. Schon 2003 gab es Warnungen vor solchen Deals. Nun steht der BVG-Aufsichtsratschef in der Kritik – das ist SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin.
    Quelle: Tagesspiegel

    Anmerkung WL: Statt auszurechnen, wie viel ein Arbeitsloser zum Überleben braucht, hätte sich der Finanzsenator besser um die Geschäfte der BVG gekümmert.

  14. KfZ-Steuer: Die SPD-Fraktion steigt aus
    Frank Schwabe spricht von einem “Kfz-Steuer-Unsinn”, den seine Fraktion gerade noch gestoppt habe. Der – weithin unbekannte – “klimaschutzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion” lässt unerwähnt, dass der “Unsinn”, Neuwagenkäufe steuerlich zu fördern, auch auf dem Mist von SPD-Ministern gewachsen ist. Denn Sigmar Gabriel (Umwelt) und Peer Steinbrück (Finanzen) waren vor Wochenfrist daran beteiligt, die Kfz-Steuer für Neuwagen zeitweise auszusetzen, um die hiesige Autoindustrie anzukurbeln. Es ist schon allein bemerkenswert, wenn Fraktionen ihrem eigenen Führungspersonal öffentlich “Unsinn” vorwerfen. Noch bemerkenswerter ist es, wenn die Abgeordneten innerhalb weniger Tage gleich zwei Vorhaben ihrer Regierung kassieren. In Zeiten normaler, nicht-großer Koalitionen wäre sofort von einer Führungs-, wenn nicht von einer Regierungskrise die Rede.

    Die Unruhe unter den Abgeordneten speist sich aus der Erkenntnis, dass in zehn Monaten Bundestagswahl ist – und nicht wenige SPD-Politiker fürchten müssen, den Einzug ins Parlament nicht wieder zu schaffen. In Umfragen dümpelt die SPD bei maximal 25 Prozent, damit ginge ein Drittel der Fraktionssitze verloren. Zugleich nahen die Nominierungsparteitage, bei denen manch ein Abgeordneter fürchten muss, wegen seiner Politik in Berlin von der Basis gar nicht mehr aufgestellt zu werden. So nimmt die Regierung erstaunt ein neues Selbstbewusstsein in den Fraktionen zur Kenntnis, das noch wachsen wird, je näher die Wahl rückt. Kanzlerin und Vizekanzler müssen ihre Politik künftig wieder stärker rückbinden an ihre Abgeordneten. Durchregieren mit breiten Mehrheiten wird es vorerst nicht mehr geben.
    Quelle: FR

  15. Transnet-Chef Krauß wegen Bonus-Plänen unter Druck
    Wegen der umstrittenen Bonus-Pläne für den Bahnvorstand gerät laut einem Bericht der Vorsitzende der Gewerkschaft Transnet, Lothar Krauß, bei der eigenen Basis stark unter Druck. Sowohl Krauß als auch der Bahn-Konzernbetriebsratschef Günter Kirchheim sollen bereits im Juni auf einer Personal-Aufsichtsratssitzung der Deutschen Bahn den Bonuszahlungen im Falle eines Börsengangs zugestimmt haben, berichtet das Hamburger “Abendblatt”. Von der Basis komme deswegen massive Kritik.
    Quelle: Wirtschaft.t-online
  16. Keine Fahrkosten für Ein-Euro-Jobber
    Ein-Euro-Jobber bekommen weder Fahrkosten zur Arbeitsstelle erstattet noch eine höhere Entschädigung. Ihnen steht lediglich die übliche Aufwandsentschädigung für den Ein-Euro-Job zu. Im vorliegenden Fall hatte ein Mann mehr Geld verlangt, weil ihn allein die Monatskarte für die vier Kilometer lange Fahrt mit dem öffentlichen Nahverkehr 51 Euro kostet. Die Richter lehnten sein Ansinnen ab. Aus der Entschädigung von 130 Euro könnten alle geltend gemachten Kosten im Zusammenhang mit dem Ein-Euro-Job gedeckt werden. Deshalb stehe dem Kläger kein höherer Anspruch zu.

    Der Mann argumentierte, bei den maximal 130 Euro lohne sich die Arbeit nicht mehr, wenn er davon noch rund 40 Prozent für Fahrkosten ausgeben müsse. Sein Lohn sei daher “unangemessen”. Dem hielt der Richter entgegen, diese Ansicht verkenne den Zweck von Ein-Euro-Jobs. Das Gericht ließ zudem offen, ob die gezahlte Entschädigung überhaupt einen Anreiz für die Tätigkeit beinhalten muss.
    Quelle: stern

    Anmerkung WL: Die Linkspartei kritisierte die Entscheidung des Bundessozialgerichts. Nach diesem Urteil seien nun auch 60-Cent-Jobs möglich.

  17. Familien arm dran
    Familien werden vom Staat finanziell nicht ausreichend gefördert. Das zeigen auch die aktuellen Hartz-IV-Urteile des Bundessozialgerichts.

    Das Bundessozialgericht hat gesprochen: Einem Hartz-IV-Kind hat es die kompletten Kosten für eine Klassenfahrt gegeben. Einem anderen Hartz-IV-Kind hat es den Regelsatz genommen, weil es mit seiner Mutter in einer neuen Patchworkfamilie zusammenlebt. Im Prinzip ist damit nichts gewonnen, weil die Verwirrung darüber, was Kindern zusteht oder auch nicht, nur noch größer geworden ist.

    Eins aber zeigen die Einzelfälle deutlich: Es ist etwas faul im Sozialstaat Deutschland, wenn Sozialgerichte heute 25 Prozent mehr Klagen gegen Hartz IV auf den Tischen haben als noch vor Jahresfrist.

    Die rot-grüne Bundesregierung hat 2005 ganz großen Murks gebaut, als sie festlegte, den Regelsatz der Kinder nicht nach ihrem wirklichen Bedarf zu bemessen, sondern statistisch vom Regelsatz eines Erwachsenen abzuleiten.
    Quelle: FR

  18. Arbeitsagentur plündert Sparbuch
    Für die Banken “riskiert die Regierung Milliarden, bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) steigt sie dagegen aus der Haftung aus.” Für den DGB-Arbeitsmarktexperten Wilhelm Adamy taucht dieses Problem erstmals beim Etat der Behörde für 2009 auf.

    Die Arbeitsagentur wird voraussichtlich im kommenden Jahr mit einem Haushaltsdefizit von 5,8 Milliarden Euro abschließen. Die Lücke wird nicht mehr wie früher vom Bund gefüllt, sondern muss aus den Rücklagen gedeckt werden. Die betragen im Moment noch gut zwölf Milliarden Euro.

    Das neue Budget, das am Freitag vom Verwaltungsrat der Arbeitsagentur abgesegnet werden soll, muss einerseits die gesetzlich verordneten Beitragssenkungen in der Arbeitslosenversicherung von 3,3 auf 2,8 Prozent auf der Einnahmenseite verkraften. Andererseits muss sie die am Donnerstag im Bundestag diskutierten arbeitsmarktpolitischen Änderungen berücksichtigen.
    Quelle: FR

    Anmerkung: Die durch die Rezession steigende Arbeitslosigkeit muss darüber hinaus verkraftet werden.

  19. Ein Arbeitsloser kostet den Staat 17.900 Euro
    Die Zahl der Arbeitslosen geht zurück und das entlastet die Steuerzahler. Ein Arbeitsloser kostete den deutschen Staat im vergangenen Jahr durchschnittlich 17.900 Euro. Die Ausgaben gingen in den vergangenen Jahren um 27 Prozent zurück. Deutschland fährt jetzt die Ernte für die Reformen des Arbeitsmarkts ein.
    Die Kosten der Arbeitslosigkeit setzen sich aus den Ausgaben für das Arbeitslosengeld I und II und die Einnahmeausfälle des Staates wegen Arbeitslosigkeit zusammen. „2007 wurden 35 Mrd. Euro für das Arbeitslosengeld I und II bezahlt. Gleichzeitig gingen dem Staat 33 Mrd. Euro an Einnahmen wegen der Arbeitslosigkeit verloren“, erklärte Spitznagel. Die öffentlichen Haushalte mussten allein auf zehn Mrd. Euro Lohn- und Einkommensteuern und drei Mrd. Euro Verbrauchsteuern verzichten. Spitznagel: „Auch die Sozialversicherungen haben weniger eingenommen, denn die Beiträge für arbeitslose Leistungsempfänger sind geringer als jene, die aus einem Arbeitseinkommen erzielt werden.“ Konkret: Die Rentenversicherung hatte durch die Arbeitslosigkeit Beitragsausfälle in Höhe von elf Mrd. Euro, den Krankenversicherungen sind sechs Mrd. Euro und der BA drei Mrd. Euro entgangen.

    Jeder Empfänger von Arbeitslosengeld I – das sind immerhin 21 Prozent aller registrierten Arbeitslosen – kostete die öffentlichen Haushalte im Durchschnitt jährlich 22.700 Euro.
    Quelle: Berliner Morgenpost

    Anmerkung WL: Der Beitrag stammt vom 24.9.2008, ist also schon etwas älter, aber aktuell ist er nach wie vor. Er belegt nicht nur, wie subtil in einem Boulevard-Blatt Stimmung gegen Arbeitlose und für die Hartz-Reformen gemacht wird, er zeigt darüber hinaus von welchem „erkenntnisleitenden Interesse“ Wissenschaftler am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das zur Bundesagentur für Arbeit (BA) gehört, ihre „Wissenschaft“ bestimmt sind: Es geht offenbar in deren Denken nur darum, die Kosten für die Arbeitslosigkeit zu senken und nicht darum die Arbeitslosigkeit zu beseitigen.

    Sonst könnte man auf so irrsinnige Rechnungen nicht kommen. Der „Wissenschaftler“ Eugen Spitznagel rechnet bei den Kosten für „einen Arbeitlosen“ das Arbeitslosengeld I und das Arbeitslosgeld II (Hartz IV) einfach zusammen. Das Arbeitslosengeld I wird jedoch aus den Geldern der Versicherten bezahlt und nicht „vom Staat“ und darüber hinaus subventioniert die Arbeitslosenversicherung den Staat mit rund 5 Milliarden Euro über den so genannten Aussteuerungsbetrag. (Für jeden Arbeitslosen, den die Bundesagentur für Arbeit noch einem Jahr nicht in Arbeit gebracht hat, bezahlt die Arbeitslosenversicherung 10.000 Euro an den Fiskus.)

    Geradezu irrsinnig wird aber die Rechnung der Kosten für „den Staat“, wenn neben den monetären Transferleistungen nun auch noch die Minderung der staatlichen Einnahmen für die Lohn- Einkommenssteuer hinzuaddiert wird. Und nur noch zynisch kann man nennen, wenn den Arbeitslosengeld-Empfängern auch noch angelastet wird, dass die „öffentlichen Haushalte“ auf Grund des niedrigen Arbeitslosengeldes auf 3 Milliarden Verbrauchssteuern „verzichten“ müssten und dass den Renten- und Krankenversicherungen Beiträge „entgingen“.

    Das ist keine Wissenschaft, sondern ein Gaunerstück.

  20. Fast jede zweite neue Stelle ist befristet
    Eine unbefristete Arbeitsstelle zu bekommen, wird in Deutschland zunehmend schwieriger. 43 Prozent aller im Jahr 2006 abgeschlossenen Arbeitsverträge waren zeitlich begrenzt, teilte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit am Donnerstag in Nürnberg mit. Fünf Jahre zuvor habe die Quote lediglich bei 32 Prozent gelegen. Besonders häufig seien mit einem Anteil von zwei Dritteln Stellen im öffentlichen Dienst befristet. Auch in den Branchen Gesundheit und Sozialwesen, Erziehung und Unterricht sowie bei den Nichtregierungsorganisationen könnten Befristungen heute als das normale Einstellungsverhältnis bezeichnet werden, hieß es.
    Quelle: stern
  21. Telekom bespitzelte auch Ver.di-Chef Bsirske
    Neue Enthüllung im Abhörskandal bei der Telekom: Ver.di-Chef Bsirske wurde nach Angaben der Gewerkschaft bespitzelt. Nach SPIEGEL-Informationen hat der Konzern auch den früheren Personalvorstand Heinz Klinkhammer überwachen lassen.

    Der Telekom-Skandal um die Bespitzelung von Aufsichtsräten, Journalisten, Betriebsräten und Mitarbeitern nimmt immer groteskere Formen an: Inzwischen gebe es gesicherte Informationen, dass auch Verbindungsdaten von Ver.di-Chef Frank Bsirske und Vorstandsmitglied Rolf Büttner ausspioniert worden seien, sagte Ver.di-Vorstand Lothar Schröder am Donnerstag. Insgesamt seien zwölf Betriebsräte in dem Konzern und zehn ihrer Mitarbeiter in den Stäben ausspioniert worden.

    Warum der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ins Visier der Telekom-Überwachung geriet, ist zurzeit noch unklar. Anders als DGB-Chef Michael Sommer oder Ver.di-Bundesvorstand Lothar Schröder, die im Telekom-Aufsichtsrat saßen und sitzen und ebenfalls bespitzelt wurden, hatte Bsirske nie eine Funktion bei der Telekom.
    Quelle: Spiegel

  22. Niemals nie nicht
    Rot-rote Optionen nach dem Hessen-Debakel. Die Sozialdemokraten wollen nicht mehr in die “Wortbruch”-Falle laufen – doch schon gibt es die nächsten Tabus
    Quelle: Freitag
  23. Blaues Gold
    Mit neuen Großprojekten in Mittelost will die Berlinwasser Holding an die Spitze der globalen Wasserbranche aufschließen. Als Mittel dient ein soeben gegründetes Joint Venture mit einem Unternehmen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, das eine starke Stellung in den Ländern des Mittleren Ostens und Nordafrikas hält. Diesem Gebiet kommt für die Wasserwirtschaft große Bedeutung zu, weil es schon heute von Wassermangel geprägt ist und die vorhandenen Ressourcen weiter abnehmen. In den betroffenen Staaten müssen daher in den kommenden zehn Jahren voraussichtlich bis zu 120 Milliarden US-Dollar in die Wasserver- und -entsorgung investiert werden. Berlinwasser hofft auf gewinnbringende Aufträge. Das Unternehmen profitiert davon, dass auf Druck der westlichen Industriestaaten schon seit den 1980er Jahren der Ausverkauf der globalen Wasserwirtschaft forciert wird – nicht zuletzt auch von der so genannten deutschen Entwicklungspolitik. Die Folge sind steigende Kosten für die Verbraucher in den Armutsstaaten und steigende Gewinne für westliche Unternehmen, die mit der Ausplünderung fremder Staaten ihren globalen Konkurrenzkampf finanzieren.
    Quelle: German-Foreign-Policy
  24. Die Bildung oder Humankapital?
    Ein aktuelles Beispiel ist die verbindliche Definition von Bildungsstandards im Kontext des Pisa-Testverfahrens der OECD. Die Ausrichtung auf die Produktion von Humankapital durch die Vermittlung von Grundkompetenzen steht im Widerspruch zur traditionellen Idee der ständisch und fachlich differenzierten Bildung. Der Versuch, diesen Widerspruch in den traditionellen Bahnen zu bewältigen, führt zu systematischer Überforderung von Schülern, Lehrern und Eltern. Er führt dazu, dass Grundkompetenzen gegen Fachwissen ausgespielt werden.

    Einerseits bringt Pisa eine andere Lernkultur zur globalen Vorherrschaft, als es der deutschen Tradition von klassischer Bildung und Vermittlung von Fachwissen entspricht, ohne dass man ohne weiteres die generelle Überlegenheit der neuen Lernkultur über die alte deutsche Fachbildungstradition behaupten könnte.
    Andererseits sind daran die Konsequenzen einer Modernisierung zu beobachten, die den Weg der Bildungsexpansion beschritten hat, ohne etwas an dem traditionell ständischen Modell der klassischen Fachbildung zu ändern. Die Folge dieser Art der Modernisierung ist die große Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die Pisa offenbart.
    Quelle: FAZ

    Zum bösen Ende:

    Ein Augenzeugenbericht von der Berliner Schüler-Demo:

    Ich bin Student an der Humboldt-Universität zu Berlin (wo gestern die Schulkinder “gewütet “haben), geborener Berliner (weiß also wie Eskalationen bei Demos aussehen und dass dies gestern definitiv nicht der Fall war) und Zeuge von massiver Polizeigewalt gegen Kinder und Halbwüchsige.

    Nachdem ein Freund und ich die Musik auf der Straße hörten gingen wir sofort raus um uns der Demonstration anzuschließen. Alle waren guter Dinge, es gab Musik und alle paar 100m wurde gestoppt und es gab Redebeiträge. Soweit so gut.

    Dann bekam ich die ersten Polizisten der 23.Hundertschaft zu Gesicht (die “einsatzfreudigste” Hundertschaft der Berliner Polizei) und fragte mich schon, was diese auf einer Demo von Jugendlichen zu suchen hat.

    Kurzum wurde die Demo noch vor der Endkundgebung beendet, weil nach der Ansicht der Polizei zu wenig Redebeiträge produziert wurden. Gut, dass ich mich bei der Einschätzung solcher Tatsachen gerade auf die “redefreudige” Polizei verlassen kann. In kurzen Abständen sah man nun 23er hin und her rennen, ein Übertragungswagen seine Kamera meterhoch ausfahren(neben den mindestens 3 tragbaren Kameras) und schnell flogen auch Fäuste. Mehrere Kinder bluteten(darunter auch Mädchen), Handys wurden “beschlagnahmt”, ein festgenommener wurde mit Schlägen auf den Hinterkopf “gefügig” gemacht um nur ein paar Beispeile zu nennen. Auf die Rufe aussenstehender, dass die Demonstranten nur Kinder seien reagierte die Polizei nicht. Ach ja und die vielgepriesenen Antikonflikt-Teams haben sich die ganze Sache seelenruhig von der Seite angeschaut.

    Jetzt frage ich mich wie man da noch von Meinungsfreiheit sprechen kann, wenn Kinder mit Gewalt an ihrem Recht auf Meinungsäußerung gehindert werden und öffentlich (aufgrund einseitiger Materialherkunft dank der Polizei) nur von einer friedlichen Demo mit ein paar Chaoten (wie es immer so schön heißt) die Rede war.
    (G.S.)

    Zur Schüler-Demo ein Kommentar:

    Deutsches Bildungssystem: Eine Art Meerschweinchenzucht
    Ein Kommentar von Alexander Putzier

    Der vergangene Mittwoch, 12.11.08, hätte Immanuel Kant sehr glücklich gemacht und kann unter dem Motto „Kleine ganz groß“ zusammengefasst werden. Mir kommt dieses Motto irgendwie vertraut vor, weshalb ich nach ihm google. Das Suchergebnis irritiert mich im ersten Augenblick, aber dennoch lässt es sich in den Kontext Schule und Bildung zweifelsohne einbetten: Meerschweinchenzucht.

    Schüler und Meerschweinchen gehören biologisch gänzlich unterschiedlichen Arten an und dennoch verbinden sie gleich mehrere Gemeinsamkeiten: die überfüllten Klassenräume ähneln den zu engen Gehegen, die tägliche Abfütterung gleicht der Abfertigung der Schüler, das begrenzte Gehege ist identisch mit der von den Schülern erwarteten Anpassung an antiquierte Regelwerke und die Absage an die Ausbildung eines eigenen, gestärkten Willens – wer anderes behauptet, der lügt. Immanuel Kant wäre darüber sehr unglücklich gewesen und würde sicherlich die eine oder andere salzige Träne verlieren. Die Schüler resignieren aber nicht vor dem Hintergrund solcher schlechten Bildungsbedingungen, sondern sie machen sich gemeinsam stark, treten als eine kollektive Kraft auf. Ein Beweis dafür, dass die deutschen Schüler alles andere als dumm sind (auch wenn die PISA-Studie gerne das Gegenteil behauptet). In mehr als 30 Städten fanden sich insgesamt mehrere zehntausend Schüler zusammen, um gegen den Meerschweinchenzustand unseres Schulsystems zu streiken. Marianne Demmer, Leiterin des GEW-Vorstandsbereichs Schule und stellvertretende Vorsitzende, konstatierte: „Schülerinnen und Schüler brauchen – ebenso wie die Lehrkräfte – gute Schulen und gute Lebensbedingungen. Nur so können Bildungsprozesse gelingen.“ Das Bündnis „schulaction“ hatte zu diesem Streik aufgerufen. Die Schüler wussten sich darauf vorzubereiten und fertigten Transparente an, auf denen Schriftzüge zu lesen waren wie „Wir sind keine Versuchskaninchen“, „Bildungsblockaden einreißen“ u.v.a. Es ist allgemein bekannt, dass man Meerschweinchen gut zusammen mit Kaninchen halten kann. Aber was machen, wenn sie autonom und selbstbewusst auftreten und sich eben nicht kompatibel mit dem Ist-Zustand des Schulsystems zeigen? Die Schüler formulierten klar und deutlich ihre Forderungen: eine kostenlose Bildung, mehr qualifizierte Lehrer, kleinere Klassen, die Abschaffung des G8. Und sie streikten gegen die Abfertigung von Schülern und die starke Determination des Bildungsweges durch soziale Herkunft. „Schülerinnen und Schüler brauchen und wollen gute Schulen und gute Lernbedingungen. Mit ihren Aktivitäten machen sie der Öffentlichkeit klar, dass in Baden-Württemberg in vollen Klassenzimmern, mit Halbtagsunterricht oder in schlecht ausgestatteten Ganztagsschulen nicht gut gelernt werden kann“, so Doro Moritz, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
    Bildungsministerien und manche Schulleitungen haben im Vorfeld des Streiks durch ihre Reaktion besonders an Glaubwürdigkeit verloren und die Berechtigung einer Schüler-Demonstration ex negativo deutlich gemacht: Während den Schülern im Unterricht immer wieder gepredigt wird, sie sollen zu selbstbewussten Menschen mit einem eigenen Willen erzogen werden, wobei gerne an den Aufklärer Immanuel Kant erinnert wird, versuchten sie den angekündigten Streik mittels der Androhung von Sanktionen im Falle des Fernbleibens vom Unterricht zu zerschlagen. Hier beißt sich die Katze in den eigenen Schwanz, denn einen besseren Beleg für einen eigenen Willen als den gestrigen Streik kann es nicht geben.

    Was am Ende bleibt, ist die Erkenntnis, dass die Schülerinnen und Schüler Kant verstanden haben. Wie wird dem Guten nun zu Mute sein? Oh, armes deutsches Bildungssystem! Es ist an der Zeit, dass sich was dreht.

    Und noch etwas:

    Sächsische Zeitung vom 11.11.2008:

    Acht Monate mit Bewährung für Hartz-IV Empfänger
    Das Amtsgericht Pirna hat einen Hartz-IV-Empfänger aus Waren an der Müritz zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Laut dem stellvertretenden Amtsgerichtsdirektor Andreas Beeskow wurde die Strafe für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft ging von Betrug aus.
    Der Angeklagte hatte staatliche Leistungen bekommen, obwohl er bereits wieder ein neues Einkommen hatte. Deshalb erhielt er rund 857 Euro zuviel von der Hartz-IV- Behörde. Diesen Betrag muss er zurückzahlen.(SZ)

    Siehe dagegen:

    Zumwinkel kommt mit blauem Auge davon
    Der Ex-Post-Chef muss selbst im Falle eines doppelten Schuldspruchs wegen Steuerhinterziehung und der Telekom-Spitzelaffäre nicht damit rechnen, eine Haftstrafe zu verbüßen.
    Quelle: FTD


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