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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 6. November 2009 um 8:42 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Steuereinnahmen sinken von selbst; die EZB bremst schon wieder; Produktivitätsgewinn à la USA; Schrumpfgermanen; Luxusgut Gesundheit; immer Mehr haben zu wenig; die Maut, vor und zurück; SPD sieht Furcht und Ängste, aber keine Fehler; Bundesagentur schreibt für Redaktionen vor; Ostdeutsche Wirtschaft mal hüh, mal hott; gibt es einen „guten“ Kapitalismus; Propheten und Moneten. (MB/WL)

  1. Steuerschätzung dämpft Wünsche nach weiteren Steuerentlastungen
  2. EZB deutet langsamen Ausstieg aus Krisenpolitik an
  3. Muss Europa wirklich vor der US-Produktivität zittern
  4. Finanzindustrie dominiert Beratung der EU-Kommission in finanzpolitischen Fragen
  5. Weniger als 82 Millionen – Deutschlands Bevölkerung schrumpft
  6. Gesundheitskarte kommt – Basta
  7. Diagnose Systemwechsel?
  8. Private Krankenkassen – Luxusgut Gesundheit
  9. Mehr als zwei Drittel gehen auch krank zur Arbeit
  10. Zahl der Hilfsempfänger steigt: Immer mehr Menschen haben zu wenig
  11. Studie: Arbeitsverdichtung verursacht Pflege-Fehler
  12. Kommt sie oder kommt sie nicht, die PKW-Maut?
  13. Für ein effektives und gerechtes Klimaabkommen
  14. Lobbyisten in Bundesministerien: Transparenz noch mangelhaft
  15. Neue SPD-Spitze: Mehr Wahrheit wagen
  16. FDP-Steuerpapst Solms gibt Finanzpolitik auf
  17. Indect – der Traum der EU vom Polizeistaat
  18. Bundesagentur setzt auf „Maulkorb”: Hilfen für geschönte Zahlen
  19. Wie sich Studien über die Ostdeutsche Wirtschaft widersprechen können
  20. Der gute Kapitalismus – und was sich dafür ändern müsste
  21. Propheten und Moneten

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Steuerschätzung dämpft Wünsche nach weiteren Steuerentlastungen
    In diesem Jahr müssen Bund, Länder und Gemeinden mit 2,9 Milliarden Euro weniger an Einnahmen rechnen, als bislang angenommen wurde.
    Quelle: Telepolis-Blogs

    Dazu passt:

    Ich zahle eben immer weniger Steuern
    Die Steuersätze für reiche Menschen sind in der Vergangenheit immer weiter gesunken, stellt Peter Vollmer, Mitglied der Initiative “Appell für eine Vermögenssteuer”, fest. Zusammen mit weiteren Millionären möchte er nun eine Vermögensabgabe für Reiche einführen.
    Liminski (Moderator): Herr Vollmer, ich vermute, Sie zahlen ordentlich Steuern. Warum wollen Sie noch mehr zahlen?
    Vollmer: “Ich zahle eben immer weniger Steuern. Das ist die Frage. Ich habe angefangen mit einer Einkommenssteuer von 56 Prozent. Die wurde dann runtergesetzt auf 53 Prozent, dann wurde sie runtergesetzt auf 48 Prozent, dann auf 45 Prozent und dann auf 42 Prozent. Jetzt sind noch mal wieder drei Prozent oben draufgekommen. Das heißt, die Versteuerung von hohen Einkommen wird immer mehr reduziert. Und nun ist jetzt noch oben draufgekommen seit 1. Januar dieses Jahres, dass im Falle von Einkommen aus fest verzinslichen Papieren oder aus Sparguthaben und so weiter eine einheitliche Steuer eingeführt worden ist von 25 Prozent. Das heißt, auf diesen Teil zahle ich nicht mal mehr 45 Prozent, sondern nur noch 25 Prozent. Das ist fast noch mal eine Steuersenkung von 50 Prozent. Insofern verstehe ich fast gar nicht die Frage, warum Deutschland ein Hochsteuerland sein sollte. Es ist in Wirklichkeit ein Niedersteuerland.”
    Quelle 1: Deutschlandradio (Text)
    Quelle 2: Deutschlandradio (Audio-Podcast)

    Passend dazu auch:

    Steuerschätzer können FDP nicht bremsen
    2,9 Milliarden weniger Einnahmen in diesem Jahr erwartet. Kommunen vor enormer Belastung.
    Quelle: Junge Welt

  2. EZB deutet langsamen Ausstieg aus Krisenpolitik an
    Die Europäische Zentralbank (EZB) will ihre Milliarden-Finanzspritzen für Geschäftsbanken langsam zu Ende gehen lassen. „Es wird ein graduelles Auslaufen unserer unkonventionellen Maßnahmen geben“, kündigte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet am Donnerstag nach der Ratssitzung in Frankfurt an. Darüber werde der Rat auf seiner nächsten Sitzung im Dezember entscheiden. Grund dafür sei die allmähliche Stabilisierung der Wirtschaft im Euro-Raum.
    Quelle: FAZ
  3. Durchhalten
    Seit längerem steigt in den USA die Produktivität stark, während die Lohnstückkosten kräftig sinken. Diese Entwicklung der wichtigen Kennziffern für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft hat sich im dritten Quartal fortgesetzt. Sie bringt – statistisch gesehen – die deutsche Wirtschaft in Rückstand zur US-Konkurrenz. Müssen jetzt die Alarmglocken schrillen? Nein. In den USA wird, wie in den vorhergegangenen Rezessionen, schnell und viel gefeuert. In Deutschland dagegen versuchen die Unternehmen vor allem durch Kurzarbeit die Stammbelegschaften durchs Krisental zu bringen, auch wenn das trotz staatlicher Hilfe teuer ist. Würde die hiesige Wirtschaft Beschäftigte nicht “horten”, sondern in großem Umfang entlassen, dann könnte sie den Produktivitätsvorsprung der Amerikaner rasch aufholen. Sie sollte aber so lange wie möglich auf dem deutschen Weg bleiben. Der ist besser als der amerikanische – für die Beschäftigten, die ihren Job behalten. Und für die Unternehmen, die nach der Krise Fachpersonal brauchen, ohne das sie im Wettbewerb nicht bestehen können.
    Quelle: FR

    Anmerkung Orlando Pascheit: Ein dickes Lob für Hans Georg Schröter, der das natürlich nicht nötig hat, aber es ist eben erfreulich, wenn einer die Nerven behält, und darauf hinweist, daß die USA keinen Technologiesprung gemacht hat, sondern der Nenner im Bruch kleiner geworden ist. Dass diese gelassene Sichtweise nicht selbstverständlich ist, zeigt die Titelung der FTD, obwohl auch hier der Autor im Artikel selbst Bedenken anmeldet:

    US-Produktivität lässt Europa zittern
    In den USA fallen die Lohnstückkosten ins Bodenlose, während sie in Deutschland explodieren. Als kleines Bonbon kriegen die US-Firmen dazu noch einen krass unterbewerteten Dollar serviert. Da können die hiesigen Firmen sicher bald einpacken.
    Quelle: FTD

  4. Neue ALTER EU-Studie: Finanzindustrie dominiert Beratung der EU-Kommission in finanzpolitischen Fragen
    Das europäische Netzwerk Alter-EU hat heute die Studie „A Captive Commission – The role of the financial industry in shaping EU regulations“ veröffentlicht.
    Die Studie offenbart den immensen Einfluss der Finanzindustrie auf die europäische Finanzmarktregulierung. Erstmals wird nachgewiesen, dass die Kommission ihre externen Beraterinnen und Berater in dieser Frage fast ausschließlich aus der Finanzindustrie selbst bezog. Einzelne Fallstudien aus Schlüsselbereichen, wie der Regulierung von Banken, Hedge Fonds, Rating Agenturen, Regeln der Buchführung und Steuern zeigen die aktive Rolle der Finanzbranche bei der Gestaltung der Politikinhalte auf, die zu der jüngsten Finanzkrise beigetragen haben. Die EU vertraut zur Bewältigung der Krise nun wieder auf dieselben Expertinnen und Experten wie vorher. Vertreter großer Privatbanken, Versicherungsriesen und Finanzunternehmen sind in den beratenden Expertengruppen der Kommission im Finanzbereich im Verhältnis von 4:1 zu zivilgesellschaftlichen Gruppen stark überrepräsentiert. Mit dieser einseitigen Besetzung bricht die Kommission ihre eigenen Regeln. Diese geben vor, dass eine Vielzahl von Sichtweisen in den Expertengruppen repräsentiert sein muss.
    Quelle: LobbyControl

    Anmerkung WL: Den Nachweis, dass die Brandstifter zu Feuerwehrleuten berufen wurden, haben wir auf den NachDenkSeiten schon seit einiger Zeit geführt: Brandstifter als Feuerwehrleute.

  5. Weniger als 82 Millionen – Deutschlands Bevölkerung schrumpft
    Wiesbaden. Erstmals seit Mitte der 1990er Jahre leben in Deutschland wieder weniger als 82 Millionen Einwohner. Zum Stichtag 31. März 2009 lag der Bevölkerungsstand bei 81,9 Millionen Menschen, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Mittwoch berichtete. Zum Jahresbeginn waren es noch 82 Millionen gewesen. Im Vergleich mit dem Vorjahr schrumpfte die Zahl der Einwohner um 260.000 – das entspricht der Einwohnerstärke Aachens. Damit fiel der jüngste Rückgang nach Angaben der Statistiker besonders stark aus.
    Quelle 1: Frankfurter Rundschau
    Quelle 2: Statistisches Bundesamt

    Anmerkung WL: Nebenbei bemerkt, Eurostat sagt für 14 weitere europäische Länder gleichfalls einen Bevölkerungsrückgang voraus. Bevor aber nun wieder Panik gemacht wird, dass die Deutschen aussterben sollte man noch zu Kenntnis nehmen, dass Deutschland nach der Vereinigung Ende 1990 nur 79,8 Millionen Einwohner hatte und der Zuwachs bis 2002 auf über 82 Millionen vor allem der Öffnung der osteuropäischen Länder und dem Bürgerkrieg in Jugoslawien geschuldet war. In den vergangenen zehn Jahren sind etwa zwei Millionen Menschen mehr in die Bundesrepublik eingewandert als ausgewandert.
    Hintergrund sind auch die hohen Fortzugszahlen, schreibt das Statistische Bundesamt.
    Nur zur Beruhigung der Panikmacher vom Aussterben der Deutschen: wenn die Bevölkerung weiterhin pro Jahr um 0,5% schrumpft, sind die Deutschen in etwa 3000 Jahren ausgestorben.

  6. Gesundheitskarte kommt – Basta
    Trotz anhaltender Bedenken will Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) den Weg für die weitere Verteilung der Gesundheitskarte frei machen. Die Krankenkassen sollen die geplante Überprüfung des IT-Großprojekts nicht zum Anlass nehmen, die Ausgabe der Karten in einer ersten Version zu stoppen. Das geht aus einem Brief von Rösler an seinen nordrhein-westfälischen Amtskollegen Karl-Josef Laumann (CDU) hervor, der der Deutschen Presse-Agentur dpa am Mittwoch in Berlin vorlag.
    Er hoffe, mit diesen Klarstellungen dazu beigetragen zu haben, dass die notwendigen Maßnahmen ohne weitere Verunsicherung fortgesetzt werden könnten. Das bedeutet, dass die Karte aus seiner Sicht wie geplant zunächst am Nordrhein und dann bundesweit verteilt werden kann.
    Das Schreiben zeigt, dass die Koalition wohl nicht das gesamte IT- Groß-Projekt sechs Jahre nach den ersten Beschlüssen stoppen will. Überprüft werden soll demnach insbesondere die Betreibergesellschaft gematik und die zähe Entwicklung des Projekts durch die Selbstverwaltung des Gesundheitswesens.
    Quelle 1: Frankfurter Rundschau

    Anmerkung MB: Jawohl, es gibt keine Alternative. Denn es ist einfach zu viel Geld mit solchen Großprojekten zu verdienen – und das soll sich nicht ändern. Beispiel gefällig: Die Bertelsmann-Tochter Arvato ist seit Jahren Dienstleistungspartner für die AOK und arbeitete auch an den elektronischen AOK-Testkarten mit.

    Quelle 2: Arvato
    Quelle 3: AOK

    Siehe auch nochmal unser Hinweis Nr. 11 vom 03.11.2009.

  7. Diagnose Systemwechsel?
    Die Vielfalt wird beschworen, die Effizienz und die Qualität. Wird alles besser? Da steht etwa: “Auf Grund des medizinischen Fortschritts und des demographischen Wandels müssen Struktur, Organisation und Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung angepasst werden.” Was könnte wohl mit “angepasst” gemeint sein? Hoffentlich, denke ich mir, werden da jetzt nicht wieder die alten Märchen aus dem Ärmel gezogen – das Märchen von der Kostenexplosion und das Märchen von der Unbezahlbarkeit wegen der ständig steigenden Lebenserwartung. Also weiterlesen: “Die Versicherten sollen auf der Basis des bestehenden Leistungskatalogs soweit wie möglich ihren Krankenversicherungsschutz selbst gestalten können.” Jetzt wird mir mulmig. Wie kann man Krankenversicherungsschutz selbst gestalten? Kann man denn seine Krankheit gestalten, je nach Versicherungsschutz? Nun wächst in mir der Verdacht, dass das Prinzip der Autoversicherung, mit Teilkasko und Vollkasko, mit Selbstbehalt und Prämienrückzahlung bei Unfallfreiheit auf die Krankenversicherung übertragen werden soll. Aber vielleicht ist das auch wieder nur ein Vorurteil von mir. Also weiterlesen: “Langfristig wird das bestehende System überführt in eine Ordnung mit einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen, die sozial ausgeglichen werden.” Jetzt ist es raus! Einkommensunabhängige Beiträge sind nichts anderes als die Einführung der Kopfpauschale. Zu dieser unsozialsten aller Finanzierungsideen ist längst alles gesagt. Dass die Verfechter dieser ungerechten Idee das genau wissen, geben sie mit dem Zusatz kund, dass “sozial ausgeglichen” werden muss. Warum ein soziales System zerstören, um das neue, unsoziale System dann sozial ausgleichen zu müssen?
    Quelle: Frankfurter Rundschau
  8. Private Krankenkassen – Luxusgut Gesundheit
    Die Kunden der privaten Krankenversicherung müssen im kommenden Jahr mehr für ihre Police bezahlen. Um durchschnittlich vier bis zehn Prozent wollen die Versicherer die Prämien anheben. Im Einzelfall könnten die Preiserhöhungen noch deutlich höher ausfallen. Derzeit verschicken die Unternehmen die Bescheide an die Kunden. Teurer werden dürften vor allem die sogenannten “Schnäppchentarife”, mit denen einige Versicherer junge und gesunde Menschen ködern. Solche Tarife seien meist knapp kalkuliert und deswegen stiegen die Prämien dann häufig nach einigen Jahren an, heißt es in der Branche. Private Krankenversicherer kalkulieren anders als gesetzliche Kassen die Tarife individuell.
    Quelle: SZ
  9. Mehr als zwei Drittel gehen auch krank zur Arbeit
    Viele Bundesbürger schleppen sich krank zur Arbeit. Gleichzeitig sind aber auch die Fehlzeiten wegen Krankheit leicht gestiegen. Beschäftigte leiden dabei in steigendem Maß unter oft langwierigen psychischen Krankheiten, wie aus dem am Donnerstag in Berlin veröffentlichten Fehlzeiten-Report 2009 des wissenschaftlichen Instituts der AOK hervorgeht. Mehr als 71 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland sind binnen eines Jahres mindestens einmal krank zur Arbeit gegangen. Rund 30 Prozent erschienen sogar gegen den ausdrücklichen Rat ihres Arztes am Arbeitsplatz. Arbeitsplatzabbau, steigender Druck im Betrieb, die Wirtschaftskrise aber auch steigende Verantwortung in kleineren Teams seien die Hauptgründe, sagte der Vize-Geschäftsführer des Instituts, Helmut Schröder, in Berlin.
    Zentrale Motive für krank zur Arbeit gehende Beschäftigte sind der Studie zufolge bei rund 30 Prozent, dass andernfalls zuviel Arbeit liegen bleibt. Rund 20 Prozent gaben Angst vor Arbeitsplatzverlust an. Jeder Zehnte wollte Ärger mit Kollegen vermeiden. Repräsentativ befragt wurden von einem Umfragezentrum der Universität Duisburg/Essen rund 2000 gesetzlich versicherte Arbeitnehmer. Spürbare Belastungen gibt es laut Studie für die Beschäftigten, wenn sie ihren Arbeitsplatz als unsicher empfinden. Dann sind der Studie zufolge 25,5 Prozent von «täglicher Traurigkeit» betroffen, aber nur 18,5 Prozent bei Menschen ohne Jobunsicherheit.
    Quelle 1: www.krankenkassen.net
    Quelle 2: Wissenschaftliches Institut der AOK [PDF – 141 KB]

    Anmerkung MB: Eine gesellschafliche Zeitbombe!

  10. Zahl der Hilfsempfänger steigt: Immer mehr Menschen haben zu wenig
    Nie zuvor waren so viele Menschen für ihren Lebensunterhalt auf finanzielle Hilfe des Staates angewiesen wie derzeit. Laut Statistischem Bundesamt gab es zum Jahresende 2008 insgesamt 768.000 Empfänger von Grundsicherung. Das ist ein Anstieg um 4,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Grundsicherung ist eine Form der Sozialhilfe, die den grundlegenden Bedarf für den Lebensunterhalt im Alter und bei Erwerbsminderung sicherstellen soll.
    Quelle: Tagesschau
  11. Studie: Arbeitsverdichtung verursacht Pflege-Fehler
    Arbeitsverdichtung, zu wenig Zeit und Personalmangel sind aus Sicht von Pflegekräften die häufigsten Ursachen für Fehler bei ihrer Arbeit. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Befragung der Hochschule Bremen unter 1100 Mitarbeitern von 76 Altenheimen und Krankenhäusern. Dies sei die erste bundesweite Studie zu diesem Thema, sagte Projektleiterin Monika Habermann am Donnerstag in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Dabei habe sich gezeigt, dass sich vor allem das Pflegepersonal in Altenheimen aus Angst vor Abmahnungen oder Entlassung oft nicht traut, offen über Fehler zu sprechen.
    Quelle: Arbeitsrecht-Newsticker
  12. Peter Ramsauer: „Straßennetz stärker durch die Nutzer finanzieren“
    Bundesverkehrsminister Ramsauer (CSU) will Pkw-Maut prüfen lassen – Jedoch keine „Erhöhung der Lkw-Maut“
    Quelle: Passauer Neue Presse

    Später:

    PKW-Maut: Ramsauer rudert zurück
    Berlin (dpa) – Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer hat die Darstellung relativiert, er wolle die Einführung einer Pkw-Maut prüfen lassen. Von einer Pkw-Maut sei im Koalitionsvertrag von Union und FDP überhaupt nicht die Rede, sagte Ramsauer in Berlin. Das Thema stehe deshalb überhaupt nicht auf der Tagesordnung. Für Aufregung hatten ein Interview Ramsauers in der «Passauer Neuen Presse» gesorgt: Er sagte, das Straßennetz müsste stärker durch die Nutzer finanziert werden und die Lkw-Maut sei nur ein Anfang gewesen.
    Anmerkung eines Nachdenkseiten-Lesers: Nun denn, der Vorstoß wurde gemacht und die Runde ist eingeläutet. Und so müssen die uns einschlägig bekannten Mainstream-Medien die Bürger in den nächsten paar Monaten und Jahren nur noch mit den üblichen “2 Schritte vorwärts – 1 Schritt zurück Taktiken” peu à peu einpeitschen und in die gewünschte Stimmung bringen. Und jetzt raten Sie mal was in spätestens 3 Jahren eingeführt wird? Natürlich mit sämtlichen Nachteilen und “Schein-Entlastungen” für die “kleinen” (doofen) Autofahrer und/aber den großen Entlastungen für die Wirtschaft und den Nobelkarossen-Betreibern.
    Quelle: ZEIT

    Anmerkung eines anderen Nachdenkseiten-Lesers (zu einem entsprechenden Artikel auf Financial Times Deutschland): Ja super. Da hat es sich ja schon wieder gelohnt, ein verbrauchsarmes Fahrzeug zu kaufen, für das ich bisher nur knapp 60 Euro im Jahr zahle. Umweltsünder mit Spritverbrennern werden belohnt. Aber Hauptsache Freiheit und Wettbewerb.

  13. Für ein effektives und gerechtes Klimaabkommen – Wuppertal Institut legt breit diskutierten Vorschlag zum Kopenhagener Klimagipfel vor
    Als Ergebnis eines intensiven Forschungs- und Diskussionsprozesses liegt nunmehr der Vorschlag des Wuppertal Instituts für den im Dezember in Kopenhagen stattfindenden Klimagipfel vor. Er umfasst weitreichende Lösungswege für ein effektives und gleichzeitig gerechtes Abkommen, das sowohl Industrie- als auch die so genannten Entwicklungsländer stärker für den internationalen Klimaschutz in die Pflicht nimmt.
    Quelle: Informationsdienst Wissenschaft
  14. Lobbyisten in Bundesministerien: Transparenz noch mangelhaft
    Das Innenministerium veröffentlicht zum dritten Mal, welche Ministerien wie viele externe Mitarbeiter beschäftigten. Lobbycontrol und Linkspartei fordern, die Beschäftigung Externer zu stoppen.
    Quelle: TAZ
  15. Neue SPD-Spitze: Mehr Wahrheit wagen
    Die SPD-Spitze legt einen deutlich kritischeren Leitantrag vor. Die Partei habe in ihren Kernkompetenzen an Vertrauen und an Glaubwürdigkeit verloren, lautet das niederschmetternde Fazit. Der Abbau der Arbeitslosigkeit ab 2005 wird nunmehr nicht allein den Hartz-Reformen zugeschrieben, sondern auch der “anziehenden Konjunktur”. Die Reformen indes hätten “Furcht vor sozialem Abstieg durch Arbeitslosigkeit” ausgelöst. Durch die Rente mit 67 sei “die Sorge vor Altersarmut” gewachsen.
    Quelle 1: FR
    Quelle 2: SPD [PDF – 179 KB]

    Anmerkung Orlando Pascheit: Der neue Leitantrag  mag etwas weniger zahm klingen, aber im Grunde laufen die Änderungen nur auf eine etwas veränderte Rhetorik hinaus. Von einer Abkehr von grundlegenden Prinzipien der früheren Regierungspolitik kann nicht die Rede sein. Es sind die alten rhetorischen Tricks. Die Reformen haben die “Furcht” vor sozialem Abstieg durch Arbeitslosigkeit ausgelöst, und nicht die Reformen haben den sozialen Abstieg befördert (Ausweitung von prekären Jobs, des Niedriglohnsektors usw.). Die “Sorge” vor Altersarmut sei gewachsen, heißt es und nicht richtigerweise: die Rentenreformen, die Rente 67 ist nur eine von vielen Verschlechterungen, garantieren in der Zukunft eine ansteigende Altersarmut. Das Einzige was angewachsen sei, seien also unsere Ängste, real hätten wir uns durch diese Maßnahmen verbessert, so die Botschaft.
    Nehmen wir nur einen Satz: “Wir haben die sozialen Sicherungssysteme gegen den Druck nach zunehmender Privatisierung verteidigt und so dafür gesorgt, dass Rentnerinnen und Rentner in der Krise um ihre Alterseinkünfte nicht bangen müssen.” Mein Gott die Krise, die SPD hat Rentenformel so hingebogen, dass die jüngeren Bürger dieses Landes auch in goldenen Zeiten nicht mehr von der staatlich garantierten Rente leben werden können, und damit der privaten Rentenvorsorge, also unserem grundsoliden Finanzwesen, Tür und Tor geöffnet. Wenn heute Schwarz/Gelb die Privatisierung der Pflegeversicherung und der Krankenversicherung im Visier hat, dann deswegen, weil Rot/Grün die entscheidende Hemmschwelle beseitigt hat und dem neoliberalen Credo zum Sieg verholfen hat: Jeder ist seines Glückes Schmied (siehe Schröder und Fischer) oder die Armen, die Arbeitslosen, die Kranken, die Alten haben tunlichst in eigenverantwortlicher Regie diese Situationen vorher zu antizipieren und sich gefälligst privat abzusichern.

  16. FDP-Steuerpapst Solms gibt Finanzpolitik auf
    Exklusiv Eigentlich wollte er Finanzminister werden, jetzt zieht er sich ganz aus der Finanz- und Steuerpolitik zurück: Der Erfinder des FDP-Stufentarifs für die Einkommensteuer, Hermann Otto Solms, wird nach FTD-Informationen sein jahrelanges Spezialgebiet verlassen und sich künftig anderen Themen zuwenden.
    Quelle: FTD
  17. Indect – der Traum der EU vom Polizeistaat
    Ein Forschungsprojekt soll Wege finden, Informationen aus dem Netz, aus Datenbanken und von Überwachungskameras zu verbinden – zu einem automatischen Bevölkerungsscanner.
    Quelle: Die Zeit Online

    Anmerkung WL: Die Meldung ist zwar schon etwas älter, aber hochbrisant.

  18. Bundesagentur setzt auf „Maulkorb”: Hilfen für geschönte Zahlen
    Die Bundesagentur für Arbeit möchte in Zukunft die Berichterstattung in den Medien steuern und bietet ab November diesen Jahres komplett aufbereitete Artikel für die Print- und Online Presse an. Doch weiter recherchieren ist verboten. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) möchte wohl in Zukunft die Berichterstattung, insbesondere über Hartz IV, besser steuern können. So lässt die BA in einer aktuellen Pressemitteilung verlautbaren, dass man ab dem 21. November einen ganz besonderen Presse Service anbietet. So kann man folgendes in der Pressemitteilung der Bundesagentur lesen:
    “Die Artikel werden von erfahrenen Journalisten aufbereitet und liegen im Regelfall in zwei unterschiedlichen Längen vor. Die dazu gehörenden Fotos werden ebenfalls von professionellen Fotografen erstellt. Artikel und Fotos liegen auf der Internetseite in druckfähiger Qualität vor. Der Service ist kostenlos und kann von allen Medien uneingeschränkt – unter Beachtung der Nutzungsbedingungen und nach einer einfachen Registrierung – genutzt werden.”
    Das ist eigentlich eine ganz schöne Sache, da den Journalisten viel Arbeit abgenommen wird. Doch liest man die sog. Nutzungsbedingungen, so steht dort verzeichnet:
    “Die Artikel und ihre Bestandteile (Text, Textteile, Fotos) dürfen nicht bearbeitet werden, insbesondere dürfen keine eigenen Texte, Fotos oder sonstige Ergänzungen hinzugefügt werden…” (Quelle BA)
    Das bedeutet, dass eine weitere Recherche der Journalisten verboten ist, wenn man die “aufbereiteten” Artikel der Bundesagentur für Arbeit verwendet. Vielen Zeitungen und Boulevard Blättern ist es ziemlich egal, ob es zu den angebotenen Themen auch gegenteilige oder differenzierte Meinungen gibt. Ein ähnliches Konzept bietet die BA übrigens auch für Radiosender an. Ganze Beiträge können übernommen werden, wenn diese nicht bearbeitet werden.
    Eine ähnliche Lobbyarbeit hatte bereits das Bundesfamilienministeriums unternommen. Ganze Radiosendungen und PR Artikel wurden von dem Bundesministerium von zahlreichen Printmedien und Radiosendern übernommen. Die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen wertete dies als “unzulässige Schleichwerbung”. Nach dem Rundfunkstaatsvertrag seien solche “als journalistischen Beiträge getarnten PR-Texte verboten”, sagte damals ein Sprecher der Landesmedienanstalt. Auch der Journallistenverband reagierte mit Empörung. Dessen Vorsitzender Michael Konken sprach von “Propaganda”.
    Quelle: Neue Rheinische Zeitung

    Anmerkung unseres Lesers G.K.: Die Medienberichterstattung zu den monatlichen Arbeitsmarktdaten war bereits in den vergangenen Jahren in weiten Teilen recht unkritisch: Nur selten wurde von den Medien hinter die Fassade der geschönten Arbeitsmarktdaten geblickt. Der künftig von der Bundesagentur für Arbeit angebotene “Service” bedeutet einen weiteren Schritt in Richtung “Berlusconisierung” der hiesigen Medienbericherstattung.

    Ergänzende Anmerkung M.B.: Fairerweise sollte erwähnt werden, dass jede Bundesregierung in jeder Zusammensetzung mehr oder weniger kreativ bei den Arbeitsmarktstatistiken war. Und in den letzten Jahren waren viele Medien schon sehr unkritisch bei der Berichterstattung. Da gab es trotz Verarmung und Niedriglöhen ein Jobwunder auf dem so genannten Arbeitsmarkt. Bei diesem Maulkorb werden sie hoffentlich aus ihrem teilweise selbst verordneten Dornröschenschlaf aufwachen.

  19. Wie sich Studien über die Ostdeutsche Wirtschaft widersprechen können:
    1. Institut der deutschen Wirtschaft: Der Soli hat bald ausgedient
      Die ostdeutsche Wirtschaft ist nach dem Mauerfall und anschließendem Systemwechsel doppelt so schnell gewachsen, wie es in anderen Regionen der Welt unter ähnlichen Ausgangsbedingungen der Fall war: In diesem Jahr erreicht das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 70 Prozent des westdeutschen Wertes – nach der ökonomischen Konvergenz-Theorie wäre dieses Ziel erst im Jahr 2028 zu erreichen gewesen. 
      Vorreiter des Wandels im Osten Deutschlands war und ist die Industrie. Sie trägt mittlerweile ein Fünftel zur Bruttowertschöpfung bei – im Westen sind es 25 Prozent.
      Quelle: IW
    2. IAB zur Lage in Ostdeutschland: „Es bleibt noch einiges zu tun“
      „Von einer florierenden Landschaft kann nicht die Rede sein. Es bleibt noch einiges zu tun“, betont das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) 20 Jahre nach dem Mauerfall zum Thema Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Ostdeutschland. Immerhin habe aber der letzte Aufschwung in den Jahren 2006 bis 2008 dem Aufholprozess neue Impulse gegeben, zudem sei der Osten Deutschlands bislang vergleichsweise gut durch die aktuelle Krise gekommen …
      „Noch immer sind die ostdeutschen Arbeitslosenquoten fast doppelt so hoch wie die westdeutschen, noch immer kommt es zu Abwanderung und noch immer haben Produktivität und Lohnniveau den Stand im Westen keineswegs erreicht.“ Im Jahr 2008 lag das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in Ostdeutschland bei 71 Prozent des westdeutschen Wertes. Der Osten hole zwar auf, aber der Prozess gehe nur langsam voran, so die Nürnberger Arbeitsmarktforscher. Zehn Jahre zuvor belief sich der Wert für den Osten auf 68 Prozent des Westniveaus.
      Die Wachstumsschwäche ist dem IAB zufolge auf die immer noch bestehenden strukturellen Nachteile der ostdeutschen Wirtschaft zurückzuführen. Ostdeutschland habe nur einen relativ kleinen Industrie­sektor und nur wenige wirtschaftlich erfolgreiche Großunternehmen. Es gebe ein Defizit an wissensinten­siven Unternehmensdienstleistungen sowie an Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten der Wirtschaft.
      Quelle: IAB
  20. Sebastian Dullien, Hansjörg Herr, Christian Kellermann: Der gute Kapitalismus – und was sich dafür ändern müsste
    Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung [PDF – 370 KB]
  21. Propheten und Moneten
    Die Dokumentation von Tilman Achtnich zeigt, wie uns Vorhersagen in die Irre führen und wer warum dahinter steckt. Neben Gesundheit, Aktienkursen und Waldsterben wird auch der demographische Wandel behandelt.
    Quelle: ARD-Mediathek


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