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Titel: Hinweise des Tages II

Datum: 11. November 2011 um 16:53 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Heute unter anderem zu folgenden Themen: EZB; Marktkonforme Demokratie; Eurokrise; Lebensversicherer wollen Rückzahlungen kürzen; Chinas Kommunen fehlen Milliarden: Chinas unheimliche Verschuldung; Irrsinn, zweiter Teil: Nach der Rente wird die Pflege privatisiert; Sachzwang schlägt Grundgesetz – Berufswahlfreiheit verkommt zur Utopie; Synode der evangelischen Kirche: Streikrecht ist kein Grundrecht; Ungenutztes Arbeitskräftepotenzial: 8,4 Millionen Personen wünschen sich (mehr) Arbeit; Steuerfahnder-Affäre: Fahnder sieht Machtmissbrauch; Stuttgart 21: Juristen weisen so genannte Ausstiegskosten von 1,5 Mrd. EUR als Wählertäuschung zurück; Wenn der Kunde zugleich Produkt ist; Lesetipp: Novemberausgabe der Le Monde diplomatique; Mitmachen an einer Umfrage über Blogs und professionellem Journalismus (WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. EZB
  2. Marktkonforme Demokratie
  3. Eurokrise
  4. Lebensversicherer wollen Rückzahlungen kürzen
  5. Chinas Kommunen fehlen Milliarden: Chinas unheimliche Verschuldung
  6. Irrsinn, zweiter Teil: Nach der Rente wird die Pflege privatisiert
  7. Sachzwang schlägt Grundgesetz – Berufswahlfreiheit verkommt zur Utopie
  8. Synode der evangelischen Kirche: Streikrecht ist kein Grundrecht
  9. Ungenutztes Arbeitskräftepotenzial: 8,4 Millionen Personen wünschen sich (mehr) Arbeit
  10. Steuerfahnder-Affäre: Fahnder sieht Machtmissbrauch
  11. Stuttgart 21: Juristen weisen so genannte Ausstiegskosten von 1,5 Mrd. EUR als Wählertäuschung zurück
  12. Wenn der Kunde zugleich Produkt ist
  13. Lesetipp: Novemberausgabe der Le Monde diplomatique
  14. Mitmachen an einer Umfrage über Blogs und professionellem Journalismus

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. EZB
    1. Paul Krugman – „Die EZB muss sehr radikale Dinge tun“
      Die Euro-Krise ist eine “Extremlage”, der sich auch die EZB nicht entziehen kann, ist Nobelpreisträger Krugman überzeugt. Deshalb muss sie sich vom Primat der Preisstabilität lösen und Staatsfinanzierer werden.
      „Am Ende wird die EZB in den Abgrund blicken und sagen: „Vergessen wir alle Regeln, wir müssen die Anleihen kaufen. Der Ansturm auf Italien muss gestoppt werden. Sonst scheitert das ganze Euro-Projekt.“ Die politischen Folgen eines Scheiterns wären enorm.“
      „Sowohl Spanien als auch Italien haben bei Anleiherenditen von bis zu vier Prozent eine gute Überlebenschance. Bei sieben Prozent allerdings funktioniert das nicht. Da kommt dann eben die EZB ins Spiel.“
      „Die EZB müsste eben sehr radikale Dinge tun. Sie müsste großflächig Staatsanleihen aufkaufen. Der Rettungsschirm ist im Vergleich dazu weniger wichtig. Und die EZB müsste glaubhaft machen, dass sie mit ihrem Inflationsziel nicht mehr so strikt umgeht.“
      Quelle: Handelsblatt

      Anmerkung unseres Lesers O.O.: Die heutige Ausgabe des Handelsblatt enthält, neben dem Interview mit Paul Krugmann, auch einige andere Artikel in denen ein Eingreifen der Notenbank in Betracht gezogen wird. Zwar wird dieser Schritt zumeist noch kritisch betrachtet, jedoch scheinen auch Zeitungen wie das “Handelsblatt” mittlerweile der Einsicht näher zu kommen, dass dieser Schritt unausweichlich ist, um die derzeitige Situation zu in den Griff zu bekommen und Italien dem Druck der “Märkte” zu entziehen.

      So überraschender Weise auch die Deutsche Bank:

      EZB als letzte Rettung
      Der Blick auf den italienischen Schuldenberg von 1,9 Billionen Euro jagt den Finanzexperten Angst ein. Wie soll sich ein Rettungsschirm mit einem Volumen von derzeit 440 Milliarden Euro gegen die Gefahr stemmen, dass Italien fällt und die Finanzkrise immer weiter um sich greift? „Jetzt kann nur noch die EZB helfen“, bringt Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, die Forderungen vieler Politiker, Investoren und Ökonomen auch aus Deutschland auf den Punkt.
      „Es geht um das Überleben der Währungsunion“, argumentiert Mayer. Und er hat ein konkretes Einssatzszenario entwickelt. Er plädiert dafür, dass die EZB zunächst eine Obergrenze für die Rendite zehnjähriger italienischer Staatsanleihen setzt – und dass sie dann verspricht, diese Grenze mit unbegrenzten Mitteln zu verteidigen.
      Quelle: Handelsblatt

      Anmerkung WL: Warum müssen immer erst Monate, ja Jahre vergehen? Warum nicht gleich so?

    2. Nouriel Roubini – Down with the Eurozone
      […] Symmetrical reflation is the best option for restoring growth and competitiveness on the eurozone’s periphery while undertaking necessary austerity measures and structural reforms. This implies significant easing of monetary policy by the European Central Bank; provision of unlimited lender-of-last-resort support to illiquid but potentially solvent economies; a sharp depreciation of the euro, which would turn current-account deficits into surpluses; and fiscal stimulus in the core if the periphery is forced into austerity.
      Unfortunately, Germany and the ECB oppose this option, owing to the prospect of a temporary dose of modestly higher inflation in the core relative to the periphery.
      The bitter medicine that Germany and the ECB want to impose on the periphery – the second option – is recessionary deflation: fiscal austerity, structural reforms to boost productivity growth and reduce unit labor costs, and real depreciation via price adjustment, as opposed to nominal exchange-rate adjustment. […]
      With Italy too big to fail, too big to save, and now at the point of no return, the endgame for the eurozone has begun. Sequential, coercive restructurings of debt will come first, and then exits from the monetary union that will eventually lead to the eurozone’s disintegration.
      Quelle: Project Syndicate
    3. Mark Weisbrot – Europe’s crisis worsens due to economic mismanagement, especially by ECB
      […] And the new head of the ECB, Mario Draghi, just a week ago dismissed the idea of the central bank playing the role of lender of last resort – a traditional role for central banks.
      ECB authorities think they have already done too much by buying $252 billion of eurozone bonds over the past year and a half. But compare this with the U.S. Federal Reserve, which has created more than $2 trillion since 2008 in efforts to keep the U.S. economy from sinking back into recession.
      The ECB could put an end to this crisis by intervening in the way the U.S. Federal Reserve has done in the United States. But they continue to insist that this is not their role. That is the heart of the problem, and until this policy is reversed it is likely that the European economy will continue to worsen.
      Quelle: Real-World Economics Review Blog

      Anmerkung JB: Krugman, Roubini, Weisbrot, Galbraith, DeLong, Eichengreen … man könnte die Liste der namhafte amerikanischen Ökonomen, die schon fordern, dass die EZB endlich zur Tat schreitet, ließe sich noch lange fortführend. Wann wird ihr Flehen endlich erhört?

  2. Marktkonforme Demokratie
    1. Thomas Fricke – Frau Merkel beendet den Aufschwung
      Die Kanzlerin prügelt unsere größten Handelspartner zu immer desaströseren Panikaktionen. Sie stürzt damit die deutsche Wirtschaft mittlerweile unnötig in akute Rezessionsgefahr. […]
      Wohin das führt, erleben nach Griechen, Portugiesen und Iren seitdem die Italiener. Das Land hat in weniger als fünf Monaten sein mittlerweile drittes Konsolidierungspaket nachgelegt, obwohl das Strukturdefizit auch vorher schon sank. Und? Die Zinsen auf italienische Staatsanleihen sind jetzt auf Rekordhoch. Was nahelegt, dass es in einer verselbstständigten Marktpanik nicht mehr um Fundamentaldaten oder doofe Regierende geht. […]
      Seit Ankündigung der neuen Kürzungen ist in Italien das Konsumklima abgestürzt, und die Prognosen wurden drastisch nach unten revidiert – womit auch die Defizite wieder steigen. Was dazu führt, dass Frau Merkel das nächste Sparpaket fordert.
      Quelle: FTD
    2. Technokraten sind gefährliche Krisenmanager
      Doch nicht nur Griechenland beruft einen parteilosen Experten, der jetzt Politik machen soll. In Italien zeichnet sich eine ähnliche Lösung ab, wo beharrlich darauf gesetzt wird, dass der Wirtschaftsprofessor und ehemalige EU-Kommissar Mario Monti demnächst auf Silvio Berlusconi folgt. Es gibt keine besseren Kandidaten als Papadimos und Monti. Trotzdem können sie für die Demokratie gefährlich sein. Denn sie wurden von außen durchgesetzt, und sie bestätigen als parteilose Experten den Antipolitik-Reflex.
      Quelle: taz
  3. Eurokrise
    1. Brüssel fürchtet Stillstand in Europa
      Die EU-Kommission schlägt Alarm – und sieht überall Brandherde: Womöglich reiße die Schuldenkrise gar Teile Europas in die Rezession. Währungskommissar Rehn droht zudem fünf Staaten mit einem Defizitverfahren. Für Aufregung sorgen zugleich Meldungen, wonach Frankreich und Deutschland Pläne für eine Aufspaltung Europas diskutieren. Berlin dementiert dies vehement.
      Quelle: Süddeutsche Zeitung

      Anmerkung WL: Der EZB fällt aber angesichts dieser bedrohlichen Situation nichts anderes ein als „die Umsetzung substantieller und umfassender Strukturreformen“. Und was wir Strukturreformen bedeuten, wissen wir inzwischen alle: Sparen, Sozialabbau, Lohnkürzungen. Es ist eine Teufelsspirale.

      Anmerkung unseres Lesers H.H.: Welch ein Zufall: fast zeitgleich kommen die “5 Weisen” aus Deutschland und die EU-Kommission mit ihren wahrlich zukunftsweisenden Gutachten aus den Startlöchern. Eine merkwürdige Einigkeit ist dabei unverkennbar. Der “deutsche Weg”, soll heißen: sparen, sparen und nochmals sparen, wird langsam aber sicher in Beton gegossen. Wann hört dieser Wahnsinn wohl auf?

      Dazu: Wirtschaftsweise empfehlen Schuldentilgungspakt
      Grundsätzlich stellen die fünf Wirtschaftsweisen der Bundesregierung für ihren Umgang mit der Euro-Krise ein gutes Zeugnis aus. Falls sich die Märkte trotzdem nicht beruhigen sollten, schlagen die Experten vor, die Schulden zu vergemeinschaften.
      Nach diesem Modell könnten die Euro-Staaten ihre Schulden, die den Grenzwert von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigen, in einen gemeinsamen Tilgungsfonds mit gemeinschaftlicher Haftung auslagern – die Schulden würden also vergemeinschaftet. Gleichzeitig müssten die Länder sich aber verpflichten, diese Schulden binnen 20 bis 25 Jahren zu tilgen. Zudem müssten sie eine Schuldenbremse einführen.
      Quelle: Frankfurter Rundschau

    2. Robert Misik: Warum die Euro-Zone plötzlich zum Hauptopfer der Finanzkrise wurde
      Der Kapitalismus wäre zusammengebrochen – wenn ihn die Regierungen nicht gerettet hätten. Die freien Finanzmärkte haben ihn also an den Rand des Zusammenbruchs gebracht, den Kapitalismus. Kurzum: Die Finanzinstitutionen haben das System an die Wand gefahren – und es waren die Staaten und Regierungen, die das Schlimmste verhindern mussten.
      Und heute? Heute sind plötzlich die Staaten und Regierungen die Bösen. Die Verschuldung der Staaten wird plötzlich als Quelle systemischer Risiken angesehen, weil “wir” über unsere Verhältnisse gelebt haben. Die Finanzmärkte strafen jetzt Regierungen ab, die “schlecht gewirtschaftet” haben. Wie absurd ist das denn?
      die Reduktion der Schuldenstände, wird nicht funktionieren: Einfach, weil es keine sehr intelligente Strategie ist, uns alle zusammen ärmer zu machen, wenn man jene Überschüsse produzieren will, die nötig sind, um die Schulden zu reduzieren. Das ist so sonnenklar, dass es schon absurd ist, dass es immer noch Finanzminister gibt, die an dieses Spar-Voodo ganz offensichtlich glauben.
      Quelle: Gegenblende
    3. Paul Krugman – Legends of the Fail
      This is the way the euro ends — not with a bang but with bunga bunga. Not long ago, European leaders were insisting that Greece could and should stay on the euro while paying its debts in full. Now, with Italy falling off a cliff, it’s hard to see how the euro can survive at all. […]
      First, if you look around the world you see that the big determining factor for interest rates isn’t the level of government debt but whether a government borrows in its own currency. Japan is much more deeply in debt than Italy, but the interest rate on long-term Japanese bonds is only about 1 percent to Italy’s 7 percent. Britain’s fiscal prospects look worse than Spain’s, but Britain can borrow at just a bit over 2 percent, while Spain is paying almost 6 percent.
      What has happened, it turns out, is that by going on the euro, Spain and Italy in effect reduced themselves to the status of third-world countries that have to borrow in someone else’s currency, with all the loss of flexibility that implies.[…]
      The other thing you need to know is that in the face of the current crisis, austerity has been a failure everywhere it has been tried: no country with significant debts has managed to slash its way back into the good graces of the financial markets. For example, Ireland is the good boy of Europe, having responded to its debt problems with savage austerity that has driven its unemployment rate to 14 percent. Yet the interest rate on Irish bonds is still above 8 percent — worse than Italy.
      Quelle: New York Times
    4. Spanien in der Krise
      Nachgefragt bei Fernando Toxo, Präsident des Europäischen Gewerkschaftsbundes und des Spanischen Gewerkschaftsbundes CC.OO.
      GEGENBLENDE: Was muss getan werden, um aus der Krise zu kommen?
      Fernando Toxo: In erster Linie brauchen wir ein koordiniertes und entschlossenes Vorgehen der Europäischen Union, ausgerichtet auf die öffentlichen Investitionen, die Konjunktur und die Beschäftigung. Dann müssen wir das Staatsdefizit bekämpfen, ohne es in ein “einziges Schlachtfeld” unserer Regierenden zu verwandeln, und das scharfe Kritisieren der Arbeitnehmerrechte muss beendet werden…Die Wiederbelebung der Wirtschaft, eine entschiedene öffentliche Initiative für Investititonen muss entwickelt werden. Die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems muss überprüft werden und eine ehrgeizige und gerechtere Steuerreform in Angriff genommen werden.Darüber hinaus sollte sowohl auf eine solide Industriepolitik, die in Forschung und Entwicklung investiert, gesetzt werden. Das Bildungssystem muss verbessert werden und es muss mehr und besser mit dem Produktionssystem verbunden werden.
      Quelle: Gegenblende
    5. Europa 2011 = Europa 1931
      Ein Land steht vor dem wirtschaftlichen und politischen Abgrund. Der Staat steht vor dem Bankrott und die Regierung spart drakonisch: Sie kürzt heftig bei den öffentlichen Bediensteten und erhöht kräftig die Steuern; die Wirtschaft schrumpft dramatisch, und die Arbeitslosigkeit steigt; in den Städten kommt es zu Massendemonstrationen und zu Straßenschlachten; die Banken stehen vor dem Kollaps, weil die internationalen Kapitalgeber ihr Geld aus dem Land abziehen; Banken müssen mit öffentlichen Mitteln vor dem Zusammenbruch gerettet werden. Griechenland 2011? Nein, Deutschland 1931.
      Quelle: ZEIT Herdentrieb
  4. Lebensversicherer wollen Rückzahlungen kürzen
    Die Zinsen sind derzeit so niedrig, dass Versicherungen Mühe haben, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Sie fordern daher eine Gesetzesänderung.
    Quelle: WELT
  5. Chinas Kommunen fehlen Milliarden: Chinas unheimliche Verschuldung
    Europäische Politiker hoffen derzeit auf großzügige Finanzspritzen aus China. Doch womöglich haben sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn so stark China mittlerweile nach außen auftritt, so schwierig ist die Situation derzeit im eigenen Land. Längst raufen sich auch Chinas Politiker die Haare, weil sie nicht wissen, wie sie mit einer Kreditschwemme fertig werden sollen. Intern geben Funktionäre zu, dass Milliarden von Dollar falsch investiert wurden – und womöglich für immer weg sind. Nicht nur Metropolen wie Schanghai und Peking, sondern Tausende Städte stehen bei den staatlichen Banken tief in der Kreide. Mit schuld daran ist das gewaltige Stimuluspaket aus dem Jahr 2008, mit dem Premierminister Wen Jiabao versuchte, sein Land vor den Folgen der aus den USA herüberschwappenden Finanzkrise zu schützen und Jobs und Firmen zu retten. Damals versprach Peking, umgerechnet rund 440 Milliarden Euro in die Wirtschaft zu pumpen. Davon stammten allerdings nur 133 Milliarden aus dem Staatshaushalt. Der Rest sollte von den Banken, Staatsbetrieben und Privatleuten kommen.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Hinzu kommt, dass in China der Markt für illegale Kredite boomt, er soll mit 1000 Milliarden Euro etwa ein Fünftel des gesamten Kreditsektors des Landes ausmachen.

  6. Irrsinn, zweiter Teil: Nach der Rente wird die Pflege privatisiert
    Bei der FDP knallen die Sektkorken, und das aus gutem Grund: Beim Koalitionsgipfel sind die Liberalen mit ihrem Lieblingsprojekt „Wir deformieren den Sozialstaat“ ein gutes Stück vorangekommen. Nach der von Rot-Grün beschlossenen Teilprivatisierung der Rente kann jetzt die „Verriesterung“ der Pflege beginnen…
    Denn entgegen allen anderslautenden Behauptungen ist die Schaffung einer Kapitaldeckung in der Renten- und Pflegeversicherung weder eine vernünftige Antwort auf eine alternde Gesellschaft, noch verhindert sie wirksam Armut bei Senioren. Bürger, die einen Teil ihres Einkommens in Riester-Renten und Pflege-Bahrs anlegen, tun vor allem eines: Sie verhelfen der Versicherungswirtschaft zu einem einträglichen Geschäft. Gleichzeitig kommt eine Umverteilung in Gang, welche die gesetzlichen Versicherungssysteme schwächt — und der Staat macht dabei mit, indem er seine Steuermilliarden in diesen Privatisierungs-Irrsinn steckt.
    Quelle: Nürnberger Nachrichten
  7. Sachzwang schlägt Grundgesetz – Berufswahlfreiheit verkommt zur Utopie
    fzs zum Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster
    Ende September hatte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen die Stiftung für Hochschulzulassung verpflichtet, mehrere Studienbewerber zuzulassen, da sie bereits mehr als halbes Jahrzehnt auf einen Studienplatz in den jeweiligen Fächern warten. Diese Entscheidung wurde nun vom Oberverwaltungsgericht Münster gekippt. Es sei hinreichend wahrscheinlich, dass die Studierwilligen in den nächsten Jahren einen Studienplatz bekommen.
    Torsten Rekewitz, Vorstandsmitglied des freien Zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) hierzu:

    “Es drängt sich der Verdacht auf, dass bei dieser Entscheidung nicht Gerechtigkeit im Vordergrund steht, sondern schlicht nach einer Begründung zur Einschränkung des Grundrechts auf Berufswahlfreiheit gesucht wurde. Dass hier offensichtlich die Unterfinanzierung von Bildungseinrichtungen als Grund für der Verfassung widersprechende Zustände akzeptiert wird, ist inakzeptabel. Die Studieninteressierten müssen frei entscheiden können, welches Fach sie studieren.”

    Bereits 1972 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Berufswahlfreiheit auf freie Wahl des Studienplatzes anwendbar ist. Die Studienplatzproblematik führt momentan jedoch dazu, dass dieses Grundrecht nicht gewährleistet ist. Da die Bildungsausgaben der BRD deutlich unter OECD-Durchschnitt liegen wird sich an diesen Zuständen ohne eine grundsätzliche Prioritätenverschiebung nichts ändern.
    Quelle: fzs

  8. Synode der evangelischen Kirche: Streikrecht ist kein Grundrecht
    Bei ihrer Synode in Magdeburg beschloss die EKD am Mittwoch ein Kirchengesetz, das die Arbeitsverhältnisse der MitarbeiterInnen in der Diakonie regelt. Löhne und Arbeitsbedingungen werden demnach nicht per Tarifvertrag, sondern in “arbeitsrechtlichen Kommissionen” ausgehandelt, in denen Arbeitgeber und Beschäftigte in gleicher Zahl sitzen. Kommt es dort zu keiner Einigung, folgt eine verbindliche Schlichtung mit einem neutralen Vorsitzenden. “Dieses Verfahren schließt Streik und Aussperrung aus”, heißt es im Kirchengesetz. Das jetzt beschlossene Kirchengesetz soll ein Leitbild für die gesamte Diakonie sein. Rund 450.000 Menschen sind in den sozialen Einrichtungen der evangelischen Kirche beschäftigt. In einer begleitenden Resolution hat die Magdeburger Synode beschlossen, dass kirchliche Unternehmen mit Sanktionen (bis zum Ausschluss aus der Diakonie) rechnen müssen, wenn sie Bereiche wie den Putzdienst ausgliedern, um Löhne drücken zu können. Bis 2013 soll die Kirchenleitung Vorschläge zur Weiterentwicklung des kirchlichen Arbeitsrechts vorlegen, so die Synode. Schon im Frühjahr 2012 wird das Bundesarbeitsgericht über das Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen entscheiden.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Tatsächlich ist sich der Diakonische Bundesverband durchaus der Problematik bewusst, sonst würde er wohl kaum den Kommunikationsberater Adrian Teetz zu Rate ziehen, der dann doch tatsächlich empfiehlt, die Kirche solle bei kritischen Presse-Anfragen darauf hinweisen, dass sich der diakonische Dienst von der christlichen Nächstenliebe ableite. Nur sollte aber auch gegenüber den Beschäftigten des Diakonisch Werks Mt. 25,40 gelten: „Was ihr getan habt einem unter diesen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ Man streikt ja nicht aus Jux und Dollerei. Es geht um Niedriglöhne, Leiharbeit und Oursourcing in Niegriglohnbereiche. Darüber hinaus muss man sich fragen, ob ein Grundgesetz, das Kirchen erlaubt, “innere Angelegenheiten” inklusive Teile des Arbeitsrechts selbst zu regeln, noch zeitgemäß ist, wenn die beiden großen Kirchen nur rund 10 Prozent ihrer Einnahmen aus Kirchensteuern für öffentliche soziale Zwecke ausgeben. Krankenhäuser und Altenheime werden über die Sozialversicherungen finanziert und selbst bei Einrichtungen wie Kindergärten ist die kirchliche Kostenbeteiligung fast zu vernachlässigen.

  9. Ungenutztes Arbeitskräftepotenzial: 8,4 Millionen Personen wünschen sich (mehr) Arbeit
    Im Jahr 2010 wünschten sich nach Ergebnissen der Arbeitskräfteerhebung rund 8,4 Millionen Menschen im Alter von 15 bis 74 Jahren Arbeit oder mehr Arbeitsstunden. Im Vergleich zum Vorjahr sank ihre Zahl um 324 000 Personen (- 3,7 %). Trotz der günstigen Entwicklung am Arbeitsmarkt bleibt somit weiterhin ein erhebliches Potenzial an Arbeitskräften ungenutzt.
    Neben 2,9 Millionen Erwerbslosen setzte sich das ungenutzte Arbeitskräftepotenzial im Jahr 2010 aus 2,2 Millionen Unterbeschäftigten in Teilzeit, 2,1 Millionen Unterbeschäftigten in Vollzeit und 1,2 Millionen Personen in der Stillen Reserve zusammen. Während sowohl die Zahl der Erwerbslosen (- 283 000) als auch die Stille Reserve (- 175 000) in 2010 im Vorjahresvergleich rückläufig waren, stieg die Zahl der Unterbeschäftigten insgesamt um 134 000 Personen. Dieser Anstieg war vollständig auf Personen zurückzuführen, die bereits eine Vollzeittätigkeit mit einer gewöhnlichen Wochenarbeitszeit von mindestens 32 Stunden ausübten.
    Unterbeschäftigte sind Erwerbstätige, die den Wunsch nach zusätzlichen Arbeitsstunden haben und für diese auch zur Verfügung stehen. Im Jahr 2010 waren in Deutschland 11,2 % der Erwerbstätigen im Alter von 15 bis 74 Jahren nach eigenen Angaben unterbeschäftigt. 22,1 % der Teilzeitbeschäftigten und 7,3 % der Vollzeitbeschäftigten wünschten sich zusätzliche Arbeitsstunden.
    Personen in Stiller Reserve haben ebenso wie die Erwerbslosen überhaupt keine Arbeit. Die Personen in Stiller Reserve gelten nach den strengen Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation nicht als erwerbslos. Zur Stillen Reserve gehören Personen, die zwar Arbeit suchen, jedoch im Moment kurzfristig (innerhalb von zwei Wochen) für eine Arbeitsaufnahme nicht zur Verfügung stehen. Ebenfalls zur Stillen Reserve zählen Personen, die aus verschiedenen Gründen aktuell keine Arbeit suchen, aber grundsätzlich gerne arbeiten würden und für diese Arbeit auch verfügbar sind. Im Jahr 2010 machten 5,3 % der Nichterwerbspersonen im Alter von 15 bis 74 Jahren die Stille Reserve aus. Im Vorjahr lag der vergleichbare Anteil noch bei 6,0 %.
    Quelle: Statistisches Bundesamt
  10. Steuerfahnder-Affäre: Fahnder sieht Machtmissbrauch
    Der Hessische Ex-Beamte Frank Wehrheim kritisiert im Untersuchungsausschuss die Finanzverwaltung sowie den früheren Finanzminister Weimar.
    Quelle: Frankfurter Rundschau

    Direkt dazu auch:

  11. Stuttgart 21: Juristen weisen so genannte Ausstiegskosten von 1,5 Mrd. EUR als Wählertäuschung zurück
    Mehrere Rechtsanwälte und Richter aus dem Arbeitskreis „Juristen zu Stuttgart 21“ weisen die Ausstiegskosten von 1,5 Mrd. EUR für den Fall einer erfolgreichen Volks-abstimmung als abwegig zurück.„Es ist eine Irreführung, wenn immer wieder behauptet wird, mehrere Wirtschafts-prüfungsgesellschaften hätten übereinstimmend die Ausstiegskosten in dieser Höhe bestätigt“, sagt Rechtsanwalt Bernhard Ludwig…
    Die Gleichsetzung von Ausstiegskosten mit Ersatzansprüchen gegen das Land Baden-Württemberg ist rechtlich verfehlt. Ersatzansprüche kommen nur in Betracht, wenn das Land durch die Kündigung Vertragspflichten verletzen würde und der Bahn dadurch ein Schaden entstünde. Wird der Vertrag zu recht gekündigt, gibt es grundsätzlich keine Schadenersatzansprüche (so ausdrücklich derJustizminister Stickelberger, Landtagsdrucksache 15/673, Seite 3). Und nur wenn berechtigte Kündigungsgründe von der Landesregierung festgestellt werden, soll auch gekündigt werden.
    Quelle: Juristen zu Stuttgart 21
  12. Wenn der Kunde zugleich Produkt ist
    Wer Anschauung braucht, wie man im Zeichen der Ökonomie ein Hochschulsystem zermürben kann, der schaue nach Großbritannien. Jetzt regt sich dort Widerstand gegen die Reformen…
    Seit kurzem liegt ihr bescheiden als „document“ bezeichneter Text vor, der inzwischen von mehr als 350 namhaften Vertretern des britischen Hochschulwesens unterzeichnet wurde. Er trägt den Titel „Zur Verteidigung der öffentlichen Höheren Bildung“ und setzt sich Punkt für Punkt in höchst sachlicher, nachvollziehbar kompetenter Weise mit dem Weißbuch der Regierung, das im Sommer veröffentlicht wurde, auseinander. Für den deutschen Leser ergeben sich hier aufschlussreiche Aussagen, die auch in die deutsche Debatte gehören.
    Quelle: FAZ
  13. Lesetipp: Novemberausgabe der Le Monde diplomatique
    Bei der Debatte um den Abzug aus Afghanistan geht es auch um die Frage, welches Regime der Westen da gerettet hat. Über die Korruption hatten die Experten wenig Illusionen. Doch die schlimsten Befürchtungen werden noch übertroffen, wie die Geschichte der RÄUBERBANK VON KABUL zeigt, die Louis Imbert erzählt.
    Weitere Themen der aktuellen Ausgabe
    DIE TÜRKEI muss die Kurdenfrage lösen, um eine moderne Demokratie zu werden. Wendy Kristianasen über Erdogans größtes Problem.
    QUER DURCH AFRIKA soll ein schützendes Band aus Bäumen das Vordringen der Sahara aufhalten. Mark Hertsgaard über ein Hoffnungsprojekt von Dakar bis Dschibuti.
    INDIEN streitet über den Krieg der Regierung gegen die maoistische Guerilla. Nicolas Jaoul und Naïké Desquesnes über zornige Richter, mutige Aktivisten und Arundhati Roys Reise in den Dschungel.
    Quelle: Le Monde Diplomatique

    Anmerkung: Le Monde diplomatique erscheint heute, Freitag als Beilage der taz und ab Samstag im Kiosk.

  14. Mitmachen an einer Umfrage über Blogs und professionellem Journalismus
    „Weblogs [können] der Sargnagel für die professionellen Medien im Internet werden“, schreibt der deutsche Blogger Don Alphonso, alias Rainer Meyer in seinem Buch. „Als Konkurrenz der traditionellen Medien nehmen sich die Blogger vor allem selbst wahr“, hält Christoph Neuberger, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Münster, in der Netzzeitung dagegen.
    Studien in den USA und auch in Deutschland haben gezeigt, dass viele Leser vorallem politischer Blogs den professionellen Journalismus als wenig glaubwürdig ansehen.
    Mit meinem Fragebogen möchte ich untersuchen, welche Einstellung Sie als Blogleser gegenüber Blogs und konventionellen Medien haben. Berichten Blogs über Themen, die der professonelle Journalismus auslässt oder falsch darstellt? Oder ist es genau andersherum? Welche Vorteile haben Blogs und welche der professionelle Journalismus?
    Im Rahmen meiner Studienarbeit im Fach Journalistik an der TU Dortmund möchte Sola Hülsewig, Studentin am Institut für Jouralistik, TU Dortmund untersuchen, welche Einstellung Blogleser gegenüber professionellen Journalismus haben.
    Wir unterstützen diese Arbeit gerne, weil auch uns die Ergebnisse interessieren.
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