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Titel: Hinweise des Tages II

Datum: 24. Februar 2012 um 16:09 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “Mehr” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Offener Brief an die WDR-Intendantin Monika Piel
  2. Jens Berger – Zum Wohle des Volkes?
  3. Gauck
  4. EZB-Chef sieht Ende des Sozialstaates
  5. Griechenland
  6. German Economic Striving at the Expense of Workers and Neighbors Will Backfire
  7. Europa: Am Rande des Abgrunds, aber deutsch
  8. EU-Finanztransaktionssteuer kann Auswüchse der Finanzmärkte eindämmen
  9. Elmar Altvater: Demokratie darf kein Luxus sein
  10. Betrug auf Rezept
  11. Fast jede zweite Neueinstellung befristet
  12. Über 3.000 Arbeitgeber mit CGZP-Tarifverträgen werden überprüft
  13. Serbien: Der letzte Zug nach Brüssel
  14. Sarkozy – schlimmer als erwartet
  15. Heribert Prantl: Warum der Europäische Gerichtshof Acta stoppen muss

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Offener Brief an die WDR-Intendantin Monika Piel

    Sehr geehrte Frau Intendantin,
    die Informationen aus den WDR 3-Redaktionen und auch die Berichte in der Presse über weitere Streichungen im Programm machen uns keine Sorgen, denn Sie werden derart undurchdachte Pläne sicher nicht zulassen und mit einem Federstrich verhindern: die Streichung von täglich 32 Minuten politischer Berichterstattung im „Journal“, das Verschwinden eines wöchentlichen Feature-Platzes für Musik und Literatur, die Verwandlung des werktäglichen aktuellen Kulturmagazins „Resonanzen“ in ein Wiederholungsprogramm und das Aus für das sonntägliche Auslandsmagazin „Resonanzen weltweit“ – um nur einige der als Organisationsreform angekündigten „Kleinigkeiten“ zu nennen.
    Wir hoffen, dass Sie sich als Intendantin dem öffentlich-rechtlichen Programmauftrag verpflichtet fühlen und sich zudem den Blick für die Verhältnismäßigkeit der Mittel bewahrt haben: Die Einsparungen im WDR 3-Radio wären ja nur ein Klacks im Vergleich zu den Unsummen, die für den Profi-Fußball im Fernsehen ausgegeben werden. Oder die der gebührenfinanzierte Selbstfindungsprozess teurer Moderatoren im Vorabendprogramm kostet. Um nur zwei Beispiele zu nennen.
    Schon die in den letzten zehn Jahren vorgenommenen Veränderungen im WDR-Kulturradio bedeuten eine große Schwächung: Gestrichen, gekürzt, abgebaut oder ausgelagert wurden das politische Feuilleton des „Kritischen Tagebuchs“, die literarischen Lesungen, Rezensionen, Originaltonmitschnitte in „Dokumente und Debatten“, Gesprächssendungen wie „Zeitfragen/Streitfragen“ oder „Funkhausgespräche“ sowie Features und Hörspiele.

    Quelle: Die Radioretter

    Anmerkung: Die Antwort des WDR-Programmdirektors Wolfgang Schmitz hat nicht lange auf sich warten lassen und ist hier zu lesen.

    passend dazu: Eine Leserzuschrift zu unserem Beitrag „Occupy WDR
    Ein Leser, der lange Jahre Einblick in die Interna des WDR hatte, und anonym bleiben will, schreibt uns Folgendes:

    Liebe Redaktion der NachDenkSeiten, im Grundsatz ist der Artikel richtig, aber im Westen nichts Neues. Das, was nun im Hörfunk mit der “Musterfamilie” peinlich bis blamabel den Redaktionen vorgesetzt wird, ist im Fernsehen schon lange üblich. Vorgemacht hat dies übrigens schon der NDR. Der “Mainstream” soll damit legitimiert werden und die Medienforschung wird dazu missbraucht. Der WDR leistet sich im übrigen zwei Abteilungen für Medienanalysen: eine seriöse, die den Redaktionen Fakten liefert und eine andere -“Controlling” genannt- die mit dieser Art von Menschen/Zuschauerkategorien arbeitet, wie sie nun auch mit bunten Bildchen den Hörfunk schlankziehen sollen.
    Mit diesen, noch nicht mal wissenschaftlich gesicherten Maßstäben werden dann die TV-Redaktionen unter Quotendruck gesetzt, Tricks vorgegeben, wie mehr Zuschauer zu gewinnen sind. Das reicht vom “richtigen” Einsatz von Musik (richtig: Mainstream und “Charts-Hits”) bis hin zum Zauberwort “Emotion”. Und da wird es nun wirklich kritisch .
    Emotionalisierung der Themen, das heißt in der Praxis natürlich auch die Inszenierung von Emotionen. Da gibt es durchaus die Weisung, selbst bei Nachrichtensendungen emotionale Themen “nach vorne” zu schieben, alles zu personalisieren, jenseits der journalistischen Abwägung nach Relevanz.
    In einem Punkt widerspreche ich Erika Fuchs. Diese Programmpolitik an Monika Piel festzumachen ist falsch. Sie ist es nicht, die den Quotendruck erzeugt. Sie weiß nur nicht, was ihre Fernsehleute in der Hierarchie so treiben. Und die Gremien im WDR? Die sind derart in ihren jeweils provinziellen Partikularinteressen verstrickt, dass sie die wesentlichen Fragen nicht mehr durchschauen. Und die Journalisten? Die Auswahl des Nachwuchses zeigt Früchte. Es gibt wenig Widerspruch, wie denn auch. Immer mehr Zeitverträge, verbunden mit der klaren Ansage: neue Chancen nur bei Willfährigkeit und Anpassung. Mut = Fehlanzeige. Und da passt ein Ergebnis der Medienforschung gut. Die Zuschauer und Zuhörer des WDR attestieren dem Sender: Mutlosigkeit.

  2. Jens Berger – Zum Wohle des Volkes?
    “Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren und Schaden von ihm wenden werde. So wahr mir Gott helfe.” Dies ist der Amtseid, den Angela Merkel vor zweieinhalb Jahren erneuert hat. Vom Nutzen der Finanzmärkte ist in diesem Amtseid wohlweislich nicht die Rede. Nichtsdestotrotz scheint es so, als habe die momentane Politik die Interessen der Finanzmärkte längst mit den Interessen des Volkes gleichgesetzt. Oder können Sie sich noch erinnern, wann die Kanzlerin diese zum letzten Mal getrennt und unterschieden hat? Und im Bundestag sorgen sich nur wenige um den Vertrauensverlust der Bürger, aber viele um eine vermeintliche Vertrauenskrise an den Finanzmärkten. Von welchem Vertrauen ist da eigentlich die Rede?
    Quelle: Deutschlandradio Kultur
  3. Gauck
    1. Wie steht der Kandidat zum Holocaust?
      Nach zähem Beginn kam die Gauck-Debatte bei Illner doch noch in Schwung, es fielen Vokabeln wie “Sauerei” und “Schweinejournalismus”. Plötzliches Streitthema war eine Rede des Bellevue-Kandidaten: Was meinte der künftige Bundespräsident, als er über den deutschen Judenmord sprach? […]
      Ganz besonders eifrig empörte sich Trittin gegenüber Ines Pohl über einen Kommentar, der am Mittwoch in der “taz” erschienen war. Deniz Yücel hatte darin dem designierten Bundespräsidenten eine “Verharmlosung des Holocausts” vorgeworfen – und darin auch auf die Kritik reagiert, die Sascha Lobo in seiner SPIEGEL-ONLINE-Kolumne geübt hatte.
      “Das ist Schweinejournalismus, das kenne ich nur von der ‘Bild’-Zeitung”, echauffierte sich der Grüne über den “taz”-Text und verwies darauf, dass Gauck doch Vorsitzender des Vereins “Gegen Vergessen – für Demokratie” sei. Leider war die “taz”-Chefredakteurin schlecht vorbereitet auf die Attacke und wand sich halbgar heraus: Sie würde das so nie schreiben, aber es sei ja nun mal ein Kommentar gewesen.
      Hätte Pohl die Argumente ihres Redakteurs besser draufgehabt, hätte die Debatte hier interessant werden können. Hätte. Yücel widmete sich nämlich recht präzise und ausführlich einer Rede von Gauck aus dem Jahre 2006. Dort hatte der künftige Präsident unter dem Titel “Welche Erinnerung braucht Europa?” von der “Tendenz der Entweltlichung des Holocausts” gesprochen, die dann geschehe, “wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird, die letztlich dem Verstehen und der Analyse entzogen ist. Offensichtlich suchen bestimmte Milieus postreligiöser Gesellschaften nach der Dimension der Absolutheit, nach dem Element des Erschauerns vor dem Unsagbaren”.
      Das Nebulöse dieser Diagnose mag Gaucks etwas eitlem Hang zum rhetorischen Barock geschuldet sein. Doch im Kern – und auch im Kontext gelesen – könnte die Diagnose von Yücel zutreffen. Gauck insinuiert: Wer den Holocaust für einzigartig hält, sucht bloß das “Erschauern”, ist also ein pseudoreligiöser Eiferer. 2008 gehörte der ehemalige Bürgerrechtler zu den Erstunterzeichnern der “Prager Erklärung zum Gewissen Europas und zum Kommunismus”, die forderte, der Opfer des Stalinismus und des Nationalsozialismus an ein und demselben Tag zu gedenken.
      Quelle: SPIEGEL Online
    2. Loving for Freedom
      Der David Hasselhoff des politischen Raums und One-Trick-Pony einer Erfolgsgeschichte: Über den Begriff der Freiheit beim designierten Bundes­präsidenten Joachim Gauck […]
      Dafür spricht auch, dass sein Lieblingsbegriff Freiheit keiner genaueren Definition unterliegt. Freiheit ist bei Gauck vor allem als die Abwesenheit von DDR zu verstehen. Diese Bestimmung leuchtet auf gewisse Weise ein (Mauer), steht aber als Konzept vor dem Problem, dass die DDR seit 20 Jahren abwesend, Freiheit in diesem Sinne also ein altmodischer Begriff ist. Heutige Unfreiheiten kriegt man mit solch einer ideologisch aufgeladenen Idee schwer zu fassen.
      So ist Freiheit im Gauck’schen Pathos nicht mehr als ein Label, das auf einer abgeschlossenen Erfolgsgeschichte pappt, die er erfolgreich für sich privatisiert hat. Wo Gauck auftaucht, ist die Freiheit – ein Markenzeichen des Umbruchs von 1989. Der kommende Bundespräsident ist ein One-Trick-Pony, der David Hasselhoff des „politischen Raums“ (Gauck). Hasselhoff hatte als Sänger auch nur einen Hit, ungefähr zur selben Zeit, zu der sich Gaucks Freiheit ereignete: I’ve been looking for Freedom/I’ve been looking so long.
      Quelle: Der Freitag
  4. EZB-Chef sieht Ende des Sozialstaates
    Den Zweiflern am Spardiktat erteilt Mario Draghi eine Absage, es gebe keine schnellen Lösungen für Europas Zukunf […]
    Draghi erteilt in dem Interview all den Kritikern eine Absage und gibt den fiskalpolitischen Hardliner. Es gebe keinen plausiblen Zielkonflikt zwischen Wirtschaftsreformen und einem Sparkurs.
    Die Krise habe zudem gezeigt, dass das europäische Sozialstaatmodell am absteigenden Ast sei. Es gebe keine schnellen Lösungen, und es sei auch unrealistisch, zu hoffen, dass China die Eurozone retten werde. Europa brauche zwingend stukturelle Reformen am Arbeitsmarkt und in anderen Bereichen der Wirtschaft. Draghi ist überzeugt, dass damit Europa auch stärker zusammenwachsen werde.
    Quelle 1: Der Standard
    Quelle 2: Draghi spricht sich für harte Linie bei Sparkurs aus – Wall Street Journal

    Anmerkung unseres Lesers E. H.: Selten wird so deutlich gesagt, wer das Sagen hat: die Märkte!

  5. Griechenland
    1. Pleite trotz Milliardenhilfe?
      Wie wirkungsvoll sind die europaweiten Sparpakete überhaupt? Oder führen die Sparmaßnahmen Griechenland gar direkt in die Pleite?
      Quelle: ORF

      Anmerkung Thorsten Hild: Ein “Talk” der sich löblich von dem Reigen deutscher Talks abhebt. Es sind keine blubbernden Polit-Stars Gäste; es tauchen wirklich alle Positionen zum Thema auf, und die werden sehr kontrovers diskutiert. Gerade weil es sehr gegensätzliche Auffassungen sind, gelingt es Heiner Flassbeck, indem er sich an diesen Positionen abarbeitet, ein gutes Stück aufzuklären. Interessant auch der klare Blick der beiden geladenen Gäste aus Griechenland. Die Ökonomin Eva Pichler und der “Wirtschaftspädagoge” (lässt nichts Gutes für den ökonomischen Nachwuchs erwarten) Michael Hörl vertreten die Mainstream-Position – und scheitern. Die Politologin Sonja Puntscher-Riekmann argumentiert hervorragend und ist eine wirkliche Entdeckung. Sehr sehens- und hörenswert.

    2. Von Ärger bis Hass: Griechen sind schlecht auf Deutsche zu sprechen
      […] Nach ihren vorherrschenden Gefühlen gegenüber Deutschland befragt, nannten 41 Prozent der Umfrageteilnehmer Ärger, Empörung oder Wut. Weitere 30 Prozent empfanden nach eigenen Angaben Enttäuschung und Angst bis hin zu Abscheu.
      Etwa 79 Prozent der 800 Befragten bezeichneten Deutschlands Rolle in Europa als negativ, während 81 Prozent keine gute Meinung von Bundeskanzlerin Angela Merkel hatten. Gerade mal 8,6 Prozent bekundeten positive Gefühle gegenüber Deutschland.
      Quelle: T-Online

      Anmerkung unseres Lesers H.H.: Das Ergebnis dieser Umfrage kann ernsthaft niemanden überraschen. Vermutlich dient diese Umfrage aber leider nur zur Stimmungsmache. Würde unser so genannter Qualtitäs-Journalismus nämlich seriös und ernsthaft arbeiten, könnte man vielleicht einmal den Vorschlag Schäubles aufgreifen, der allen Ernstes eine Verschiebung der Parlamentswahl in Griechenland vorgeschlagen hat. Aber weil der Demokratieabbau nur stückchenweise erfolgt, ist das in der Gefühlswelt der meisten Wähler noch nicht angekommen.

    3. Griechenland zu Tode sparen
      Unter dem Titel „Eins + Eins = minus Zwei“ berechnete die griechische Internetseite „ant-ntp.net“ den Nutzen einer von der Troika initiierten und erpressten Sparmaßnahmen in Griechenland, den Straßenverkehr.
      Quelle: flachbettscanner

      Anmerkung JB: Das Beispiel zeigt recht anschaulich, wie unsinnig verschiedene Teile des Sparprogramms sind. An einer Stelle machen die Autoren jedoch selbst einen Denkfehler. Wenn die Bürger ihr Geld nicht für Ersatzteile etc. ausgeben, geben sie es für andere Sachen aus, die ebenfalls besteuert werden. Dieser Teil der Rechnung ist also zumindest fragwürdig, der Rest ist jedoch korrekt.

  6. German Economic Striving at the Expense of Workers and Neighbors Will Backfire
    […] Instead of hurting its neighbors and hurting itself in the process, the Germans might look back in history and see that there are better ways of doing business.
    If Americans had adopted a similar “beggar thy neighbor” philosophy after emerging victorious from World War II, the German economy could not have recovered. But the victorious Americans did not preach austerity, despite the fact that Germany had clearly lived well beyond its real resource limits during the War. Even after the devastation that Germany caused as a result of its misguided territorial ambitions and heinous ethnic policies, the Marshall Plan, the large-scale American program to aid Europe, sought to build the German economy rather than to destroy it.
    Quelle: Alternet
  7. Europa: Am Rande des Abgrunds, aber deutsch
    Neue Katastrophenmeldungen aus Griechenland bestätigen die fatalen Wirkungen des deutschen Spardiktats. Wie die Athener Regierung mitteilt, wird das Haushaltsdefizit des Landes erneut deutlich höher ausfallen als prognostiziert – nicht wegen angeblich mangelhafter, sondern aufgrund erfolgreicher Sparmaßnahmen, welche die griechische Wirtschaft systematisch in den Kollaps treiben. Immer wieder wird auf Druck Berlins die gleiche Krisenspirale abgespult: Athen muss drastische “Sparpakete” umsetzen, um seine Verschuldung abzubauen; wegen der verheerenden Kahlschlagwellen brechen die private und die staatliche Nachfrage ein; dies verstärkt die Rezession und vergrößert das Heer der griechischen Arbeitslosen; dadurch sinken die Steuereinnahmen, während die anschwellende Arbeitslosigkeit die Staatsausgaben in die Höhe treibt. Das Ergebnis: Durch erfolgreich absolvierte “Sparprogramme” steigt das Haushaltsdefizit Athens weiter an, abermals müssen auf Druck der deutschen Regierung harte Steuererhöhungen, Lohnsenkungen und Massenentlassungen gegen den verzweifelten Widerstand der Bevölkerung durchgesetzt werden. Eine gleiche Entwicklung zeichnet sich inzwischen deutlich in Portugal und in Spanien und ansatzweise in der gesamten Eurozone ab.
    Quelle: German Foreign Policy
  8. EU-Finanztransaktionssteuer kann Auswüchse der Finanzmärkte eindämmen
    Die EU will ihre Finanzmärkte über eine Steuer bändigen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hat den Vorschlag der EU-Kommission einer Finanztransaktionssteuer auf den Prüfstand gestellt. Ergebnis: Die Steuer dürfte das riesige Handelsvolumen an den Finanzmärkten verringern, hochspekulative Geschäfte eindämmen und die Finanzmärkte wieder stärker an die Realwirtschaft koppeln. Laut DIW-Finanzexpertin Dorothea Schäfer schneidet sie besser ab als die britische Börsensteuer. „Das Modell der EU-Kommission ist breiter angelegt und belastet genau die Finanzprodukte, die besonders oft mit Spekulationsgeschäften in Verbindung gebracht werden.“
    Quelle: DIW
  9. Elmar Altvater: Demokratie darf kein Luxus sein
    Operation gelungen – Patient tot? Die Euro­finanzminister haben Griechenlands drohende Staatspleite abgewendet. Neue Kredite in Höhe von 130 Milliarden Euro sollen fliessen, private Banken und Fonds ihre Forderungen reduzieren und die Kreditlaufzeiten verlängern. Damit sollen Griechenlands Schulden auf 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts schrumpfen. Sinkt dann auch der Schuldendienst? Wenn die Finanzmärkte weiterhin unkontrolliert bleiben und die Ratingagenturen mit ihren Bonitätswertungen die Zinsen nach oben jagen, hilft auch die von den Finanzministern und der Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), EU-Kommission und Zentralbank verschriebene Rosskur nichts. Wachstumsraten, die höher sind als zweistellige Zinsraten, kann kein Land herbeizaubern. Die nächste Zuspitzung der Krise ist nur eine Frage der Zeit.
    Quelle: WOZ
  10. Betrug auf Rezept
    Korruption ist im milliardenschweren Gesundheitssektor weit verbreitet. Über die Höhe des dadurch entstehenden Schadens gibt es nur vage Schätzungen. Leidtragende sind die Krankenkassen und damit auch die gesetzlich Versicherten.
    Quelle: Frankfurter Rundschau
  11. Fast jede zweite Neueinstellung befristet
    Unbefristete Arbeitsverhältnisse werden in Deutschland immer seltener. Laut einer neuen Studie läuft inzwischen fast jede zweite Neueinstellung über einen Zeitvertrag. Besonders häufig sind Frauen betroffen.
    In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl befristeter Verträge bei Neueinstellungen von 32 auf 45 Prozent erhöht. Das geht aus einer neuen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor.
    In einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen teilte das Nürnberger Institut mit, im Jahr 2011 seien insgesamt 2,7 Millionen Arbeitnehmer in befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt gewesen. Das entspreche 7,6 Prozent aller Beschäftigten und bedeute einen neuen Höhepunkt.
    Quelle: SPIEGEL Online
  12. Über 3.000 Arbeitgeber mit CGZP-Tarifverträgen werden überprüft
    613 Arbeitgeber hat die Deutsche Rentenversicherung von Juli 2011 bis Mitte Januar 2012 infolge eines Urteils des Bundesarbeitsgerichts zur Tariffähigkeit der „Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen“ (CGZP) abschließend überprüft. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung (17/8549) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (17/8401) hervor. Im Dezember 2010 hatte das Bundessozialgericht die Tariffähigkeit der CGZP verneint und damit die von ihr geschlossenen Tarifverträge für nichtig erklärt. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Zeitarbeitsbranche, da auf sie Nachforderungen von Sozialbeiträgen in Millionenhöhe zukommen können beziehungsweise schon zugekommen sind. Die von den Grünen genannte Summe von zwei bis drei Milliarden Euro bezweifelt die Bundesregierung allerdings in ihrer Antwort. Bis Dezember beliefen sich die Nachforderungen auf 14,4 Millionen Euro, schreibt sie. Weiter heißt es, dass sich die Zahl der betroffenen Arbeitgeber auf 3.100 belaufe, bei denen in der Mehrzahl bereits mit Betriebsprüfungen begonnen wurde. In 361 von den bisher 613 abschließend geprüften Fällen seien Beitragsbescheide erlassen worden. Grund dafür, dass in den übrigen 252 Fällen keine Beitragsforderungen erhoben wurden, sei zum einen gewesen, dass die Betriebe keine CGZP-Tarife angewandt hätten oder dass Leiharbeiter höher als im CGZP-Tarif bezahlt wurden. In weiteren Fällen existierte keine Arbeitnehmerüberlassung, führt die Regierung aus.
    Quelle: Bundestag
  13. Serbien: Der letzte Zug nach Brüssel
    Für Aussenstehende ist es nicht leicht, die politische Lage in Serbien zu begreifen. Warum betreibt das Land die Öffnung gegenüber Europa nicht entschlossener? Weil eine kleine, aber einflussreiche Gruppe bestens von der Isolation lebe, so der Schriftsteller Dragan Velikic: “Eine ganze Armee von Schmarotzern und Menschen, die jenseits der Gesetze agieren, lebt bequem von Schutzgeldern, Schmuggel und Steuerhinterziehung. Für sie hat sich seit der Milosevic-Zeit, als in Serbien die Mafia-Wirtschaft begründet wurde, wenig geändert. Zu dieser Gruppe Menschen gehören sowohl große Bosse als auch kleine Kriminelle. Die Schattenwirtschaft diktiert dem Staat ihre Gesetze. Ein großer Prozentsatz der potenziellen Wählerschaft lebt in dieser Grauzone. Der Staat kümmert sich mehr um ihre Interessen als um die der schweigenden Mehrheit. Um ihr Überleben zu sichern, paktiert die jetzige Regierung mit denen, die sie eigentlich bestrafen sollte. … Es gibt zu viele, die daran interessiert sind, dass das Land möglichst lange vor den verschlossenen Schaltern der EU steht, dass der Status quo erhalten bleibt. Dass die staatlichen Institutionen auch weiterhin unfähig bleiben, Gesetze zu verabschieden, die Serbien näher an Europa bringen würden. Dass die Exekutive nicht in die Reservate der Tycoons eindringt.”
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Diese zutiefst pessimistisch stimmende Schilderung seines Landes stammt nicht von einem übersensiblen Poeten, sondern von einem, der als kritischer Journalist die Miloševic-Zeit erlebte und von 2005 bis 2009 serbischer Botschafter in Wien war.

  14. Sarkozy – schlimmer als erwartet
    Die politische Rechte in Frankreich hat (noch) einen Präsidenten – einen guten Kandidaten hat sie nicht. Der Kampf, den der amtierende Präsident zunächst gewinnen muß, ist der gegen das eigene rechte Lager – gegen den Intimfeind de Villepin und den als eher weiches Ziel empfundenen Bayrou auf dem gemäßigten Flügel. Sowie gegen die als bedeutend gefährlicher eingestuften Rechtspopulisten Marine Le Pens. Um einiges eleganter, aber mit der gleichen Härte tritt die Tochter des Alten, des Front-National-Stammvaters Jean-Marie Le Pen, dem regierenden Establishment mit den alten Parolen gegenüber. Sarkozys Strategie war daher von Anfang an klar: Er fischt in den trüben Gewässern des Front National, denn wenn er dem Le-Pen-Clan Stimmen abjagt, darf er, da ist sich der Präsident sicher, in die Stichwahl mit Hollande – der einzige, an dessen Einzug ins Finale bislang niemand zweifelt. Die Drecksarbeit, denn das ist dieser Fischzug im dunklen, läßt Sarkozy freilich andere machen. Vor allem einen Mann, der sich für nichts zu schade ist und alles, aber auch alles für seinen Gönner tut: Claude Guéant, ehemaliger Präfekt, dann Kabinettchef im Elysée und nun, seit einigen Monaten, als Innenminister für alles zuständig, was die äußerste Rechte am meisten umtreibt. Keine Rede mehr von der vorher gern unterstützten und akzeptierten »diversité«, der »Verschiedenheit« der Bürger, vereint in einer Nation mit humanistischen Werten. Keine Gesichter mehr wie das der Rachida Dati, Tochter maghrebinischer Eltern und frühere Justizministerin Sarkozys. Oder wie der dunkelhäutigen Rama Yade, längst abtrünnige ehemalige Staatssekretärin, der das Treiben des Gespanns Sarkozy-Guéant immer unerträglicher erscheint. Noch bevor der Präsident seine erneute Kandidatur auf das Präsidentenamt verkündete, ließ er seinen Minister auf die Pauke hauen: Es gebe Zivilisationen, erklärte der seinen mehrheitlich komplett verwirrten Landsleuten wie aus heiterem Himmel, die seien weniger wert als andere, so sei das eben, und das beschäftige einen Mann wie ihn auch noch abends nach Dienstschluß. Besonders in der Krise.
    Quelle. junge Welt

    Anmerkung Orlando Pascheit: Kenntnisreich führt Hansgeorg Hermann den Rechtsruck des Wahlkampfes von Sarkozy vor Augen, auf den die NDS nur kurz hinweisen konnten.

  15. Heribert Prantl: Warum der Europäische Gerichtshof Acta stoppen muss
    Acta ist zwar ein eher unspektakulärer Vertrag, mit vielen verwaschenen Formulierungen und ohne die Schrecknisse, die von Kritikern behauptet werden: Dort steht nichts von “three strikes”, kein Wort davon also, dass nach zwei Urheberrechts-Vergehen, die leicht bestraft werden, beim dritten Mal der große Hammer folgt – die Netzsperre, der zeitweise Entzug des Internetzugangs. Acta entspricht dem geltenden Recht in Deutschland, plus ein paar Kleinigkeiten. Bemerkenswert ist allerdings, was in Acta fehlt: Es fehlen angemessene Rechtsschutzmöglichkeiten für die Beklagten. Und noch sehr viel bemerkenswerter ist, was noch so alles in Vorbereitung ist: Hinter Acta lauert Ipred (Intellectual Property Rights Enforcement Directive), die EU-Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte an immateriellen Gütern. Darin sollen die stumpfen Formulierungen des Acta-Abkommens scharf geschliffen werden. Dort wird wahr, was die Netzgemeinde fürchtet. Acta ist also nur die Lokomotive, die die Waggons mit dem Gefahrgut ziehen soll. Die EU-Kommission will sich vom EU-Gerichtshof eine TÜV-Plakette für die Lok und grünes Licht für den gesamten Zug geben lasen. Es wäre fatal, wenn das so funktionieren würde. Die Vorlage von Acta in Luxemburg ist eine große Prüfung für den EU-Gerichtshof. Er muss nun zeigen, was er ist: ein Wettbewerbs-Gerichtshof für Wirtschaft und freien Handel – oder auch ein Gerichtshof für die Bürger und die Bürgerrechte.
    Quelle: SZ


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