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Titel: Eine sehr gute Erklärung der Eurokrise von Heiner Flassbeck und ein Plädoyer für eine große politische Kraftanstrengung der Schuldnerstaaten

Datum: 4. Dezember 2012 um 11:22 Uhr
Rubrik: Denkfehler Wirtschaftsdebatte, Euro und Eurokrise, Wettbewerbsfähigkeit
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Heiner Flassbeck erklärt unter dem Eindruck von Gesprächen in Griechenland und im Blick auf das Einknicken Frankreichs im folgenden Text für die NDS, warum die Diskussion um die Fehler der Schuldnerstaaten in die Irre führt, und dass die Neigung vieler Menschen, den sprichwörtlichen Elefanten im Porzellanladen systematisch zu übersehen und sich lieber dem Flicken der zerbrochenen Tassen hinzugeben, abwegig und nicht zielführend ist. Albrecht Müller.

Hier sein Text:

Keine Rosen aus Athen

Die Diskussion um eigene Fehler, Realpolitik und „notwendige Reformen“ führt in die Irre – in Griechenland wie anderswo

von Heiner Flassbeck

Für NDS

Ich war vergangene Woche eingeladen, in Athen mit griechischen Politikern und Experten die europäische und die griechische Lage zu diskutieren. Wie immer bei solchen Gelegenheiten, erfährt man weniger Neues über die Lage als solche, denn über die Gemütslage im Lande und die auch dort herrschenden Vorurteile. Die Neigung, die Ursachen für die Krise des Euro im eigenen Land zu verorten, ist in Athen genauso ausgeprägt wie in den anderen „betroffenen“ südeuropäischen Ländern einschließlich Frankreichs.

Es ist offensichtlich so, dass man allen Menschen schon mit der Muttermilch eintrichtert, dass Schulden per se schlecht sind und folglich der Schuldner immer schuld an der Krise ist. Das war in allen Finanzkrisen der Vergangenheit der Fall und wird jetzt auch in der Eurokrise durchexerziert. Weil daran fast alle – außer ein paar Ökonomen, denen gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge geläufig sind, – fest glauben, ist es praktisch unmöglich, ein politische Gegenbewegung zustande zu bringen, die diesen Kinderglauben zertrümmert.

Der Schuldner ist schuld! Das ist der oberste Lehrsatz der Konfusion. Wie im „richtigen (mikroökonomischen) Leben“ muss es doch so sein, dass derjenige, der über seinen Verhältnissen gelebt hat, genau dafür die Schuld trägt. Das stimmt auch häufig bei Einzelhaushalten und bei einzelnen Unternehmen, das stimmt beim Staat schon meistens nicht mehr und es ist als stehendes Vorurteil im Verhältnis von Staaten untereinander gefährlicher Unsinn. Ein Staat als Ganzes kann beispielsweise keine Verantwortung dafür unternehmen, dass unter dem auf europäischer Ebene festgeschriebenen Schutz der Freiheit des Güter- und Kapitalverkehrs ein anderer Staat seine politische Macht dazu einsetzt, die Arbeiter im eigenen Land zu zwingen (oder zu „motivieren“), auf Lohnsteigerungen zu verzichten, die von der wirtschaftlichen Lage (der Produktivität) her durchaus gerechtfertigt wären.

Die sich daraus ergebenden Preissenkungen des auf Lohnsenkung setzenden Staates führen in der Folge aber zu Preissenkungen für dessen Produkte, die auch Menschen in anderen Staaten dazu bewegen, diese Produkte statt ihrer eigenen zu kaufen. Über die Zeit und in vollkommener Anonymität führt das dazu, dass der Staat als Ganzes zum Schuldner wird. Die Kredite, die für die Importe aus dem Gläubigerstaat gebraucht werden, gewähren die Banken (des Gläubigerstaates unter anderen) großzügig, jedenfalls so lange keine allgemeine Finanz- oder Bankenpanik ausgebrochen ist. Kommt hinzu, dass die beiden Staaten Mitglied in einer Währungsunion sind und sich auf eine bestimmte, von allen zu erreichende Inflationsrate geeinigt haben, die der Gläubigerstaat über viele Jahre schlicht ignoriert und unterbietet, ist die einseitige Schuldzuweisung an den Schuldner falsch, dumm und gefährlich.

Dass in den Gläubigerstaaten eine solche Sicht der Dinge vorherrscht, ist nicht weiter verwunderlich, sonnt man sich doch gerne in der eigenen Größe und bewundert seine eigene Großherzigkeit, mit der man den Schuldnern eine letzte Chance gibt. Auch spielt man mit Vorliebe den gestrengen Lehrer, wenn man den Schuldnern in die Feder diktiert, was sie in den nächsten zehn Jahren zu tun und zu lassen haben.

Genau dieser absurden Schuldzuweisung reden aber von vorneherein auch all diejenigen das Wort, die – oft sogar in großer emotionaler Nähe zu den Schuldnerstaaten – dort auf die Suche nach „Schuldenexzessen“ gehen, die immer irgendwelche Laxheiten in der öffentlichen Verwaltung finden, Korruption gar oder eine generelle „südländische“ Mentalität, die wir zwar im Urlaub lieben, die aber doch der „harten wirtschaftlichen Wirklichkeit“ nicht gerecht wird. Auch innerhalb der Schuldnerländer finden sich beliebig viele wichtige Menschen, die schon immer wussten, dass es kein gutes Ende nehmen wird, weil man am Ende nicht mit den Deutschen mithalten kann.

All die Probleme, die man bei solchen „Analysen“ findet, gibt es vermutlich, sie haben aber nichts, absolut gar nichts mit der Eurokrise zu tun. Diese Aussage klingt hart, ist jedoch keine Übertreibung. Wenn das größte Land in der Eurozone gegen die zentrale gemeinsam vereinbarte Regel zur Inflationskonvergenz verstößt und auf diese Weise die anderen Länder wirtschaftlich an die Wand drängt, kann auch die effizienteste Volkswirtschaft nicht ohne gewaltigen Schaden davonkommen. Das beste Beispiel ist Frankreich. Frankreich hat sich als so ziemlich einziges Land der entscheidenden Regel der Währungsunion entsprechend verhalten und befindet sich jetzt doch in der gleichen Zwickmühle wie alle anderen Schuldner, weil auch dort die Politiker nicht verstehen oder wahrhaben wollen, dass ein Land wie Deutschland, das in einer Währungsunion mit Gewalt seine Wettbewerbsfähigkeit verbessert, der eigentlich Schuldige ist. So sind alle, die, ganz gleich ob gut meinend oder mit böser Absicht, die letzten Ecken in den Schuldnerländern auskehren, um noch ein Staubkorn zu finden, von vorneherein auf dem vollkommen falschen Trip. Sie alle betreiben das Geschäft der Schuldzuweisung durch den Gläubigerstaat und richten damit dauerhaften politischen Schaden an.

Deutschland hat, die Feiern dieser Tage zu einem „endlich schuldenfreien Staatshaushalt“ beweisen es erneut, kein wirtschaftspolitisches Konzept, das mit einer Währungsunion kompatibel wäre. Nun sparen in Deutschland alle drei großen Sektoren: Haushalte Unternehmen und der Staat. Bravo! Das Ausland allein übernimmt den Part des Schuldners, und damit den Part dessen, der dafür sorgt, dass die deutschen Ersparnisse nicht sofort zu einem Kollaps der deutschen Wirtschaft mangels Nachfrage führen. Auch im nächsten und in den Folgejahren hoffen wir laut allen Prognosen auf eine solche „Arbeitsteilung“. Wir, die guten Gläubiger, die anderen, die bösen Schuldner. Der Krug, sagt man, geht zum Brunnen bis er bricht. Der deutsche Sparwahn wird nicht mehr lange gehen. Die europäischen Schuldner sind in tiefen Rezessionen gefangen und im Rest der Welt gibt es auch keinen „Defizitappetit“ mehr.

Machen wir uns aber nichts vor: Wegen des dominanten einzelwirtschaftlichen Denkens in der Politik und der Macht des Gläubigers in der Krise ist ein neuer Ansatz nicht leicht in die Welt zu setzen. Erschwerend ist die Neigung vieler Menschen, den sprichwörtlichen Elefanten im Porzellanladen systematisch zu übersehen und sich lieber dem Flicken der zerbrochenen Tassen hinzugeben. Folglich braucht es eine große politische Kraftanstrengung aller Schuldnerstaaten, um das Konzept zur Bekämpfung der Krise vom Kopf auf die Füße zu stellen. Das kann aber nur gelingen, wenn die Einsichtigen und Weitsichtigen in Deutschland ein solches Konzept aktiv unterstützen. Fast noch wichtiger ist es, dass all diejenigen, die scheinbar mitfühlend und aus Solidarität versuchen, den Schuldnern bei der nationalen Überwindung der Krise zu helfen, diese „Hilfe“ sofort einstellen, weil sie nichts anderes tun, als den Irrweg der „Schuldnerreinigung“ fest zu stampfen, anstatt die Bagger zu holen und diesen Weg ein für allemal auszuradieren.


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