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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 1. März 2013 um 9:06 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (MB/WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Italien
  2. Bankenregulierung
  3. Wollen Prüfer ihr Versagen vertuschen?
  4. Großbanken haben engen Kontakt zur Politik
  5. Das Brot und die Banken
  6. Der ifo-Index und die wirtschaftliche Entwicklung: Euphorie ist ein schlechter Ratgeber
  7. Aktuelle Forschungsergebnisse zum Mindestlohn
  8. Reform der Bewertungsreserven der Lebensversicherer: Vorerst abgeblasen
  9. Wachsende Ungleichheit
  10. Arbeitsmarkt im Februar 2013
  11. Mitarbeiter sind im Durchschnitt zweieinhalb Wochen krank
  12. Die Gasblase – oder: Das Märchen von billiger Energie
  13. Mein Freund Maschmeyer – oder: Eine außergewöhnliche Belastung
  14. Nebeneinkünfte: Bundestag blamiert sich im internationalen Vergleich
  15. Ex-Führungsriege von Sal. Oppenheim steht vor Gericht
  16. Schwarz-Gelb ändert Presse-Leistungsschutzrecht
  17. „Vor allem zählt der richtige Stallgeruch“
  18. Wissenschaftliche Karriere durch Quantität: Melken, stückeln, frei erfinden

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Italien
    1. Wolfgang Münchau – Die Verliererin heißt Angela Merkel
      Nicht Mario Monti oder Pier Luigi Bersani sind die größten Verlierer der Wahl in Italien, sondern Angela Merkel: Sie ist schuld, dass die Euro-Krise wieder voll da ist. Ihre Krisenpolitik fliegt uns bald um die Ohren. […]
      Pustekuchen. Weder die Ökonomie noch die Politik funktionieren so, wie man sich das in Deutschland vorgestellt hat. Ökonomisch war das eine Milchmädchenrechnung ohne Rücksicht auf die verheerenden gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen.
      Italien steckt in einer sich selbst nährenden Rezession: Die Banken vergeben keine Kredite, weil sie keinen Aufschwung sehen, und der Aufschwung kommt nicht, weil die Banken keine Kredite vergeben. Unternehmen zahlen mittlerweile Zinsen von zehn Prozent. Es ist kein Wunder, dass sie nicht investieren und dass es immer weiter bergab geht. Weil die Wirtschaftsleistung der Nenner der Schuldenquote ist, steigt diese automatisch, wenn die Wirtschaftsleistung fällt. Das führt dazu, dass der Schuldenstand steigt, obwohl die Schulden fallen. Man nennt das auch eine Schuldenfalle. Da kommt man ohne äußere Hilfe nicht heraus. Und je mehr man strampelt, desto tiefer sinkt man. […]
      Peer Steinbrücks undiplomatische Äußerung über die beiden italienischen “Clowns” lenkt davon ab, dass das eigentliche Problem nicht Grillo oder Berlusconi sind, sondern seine politische Gegnerin. Steinbrück hätte jetzt die Gelegenheit, sie durchs Dorf jagen und setzt sich stattdessen wieder in ein Fettnäpfchen, das vom Thema ablenkt. Der einzige kleine Trost ist, dass Merkel die Krise, die sie geschaffen hat, persönlich ausbaden wird. Die Kombination aus ihrer Politik und dem italienischen Wahlergebnis hat die Wahrscheinlichkeit eines Euro-Bruchs dramatisch erhöht.
      Quelle: SPIEGEL Online
    2. Demokratie ist, wenn’s Ergebnis passt
      […] Verlass hingegen ist auf deutsche Kommentatoren. Beseelt von der Überzeugung, dass alle Macht vom Leitartikel ausgehe, reagieren sie persönlich beleidigt, weil mehr als die Hälfte der Italiener die Empfehlungen aus Deutschland ignorierend nicht für Programme zur Selbstverarmung (Monti) oder zur Selbstverarmung (Bersani) gestimmt hat, sondern für Grillo und Berlusconi, also für zwei „Klaumak-Künstler“ (FAZ) bzw. „Komiker“ (SZ) bzw. „Clowns“ (Steinbrück). Pressevielfalt ist, wenn alle, inklusive der eigenen politischen Klasse, dasselbe meinen, es aber anders sagen. […]
      Berlusconi steht für das gute Leben, welches er auch seinen Wählern verspricht: Wohlstand, Vergnügen, Steuergeschenke. Vermutlich würde er seine Versprechen nicht einlösen, wenn er eine weitere Gelegenheit dazu bekäme. Aber immerhin verheißt er etwas anderes als Graubrot, Graubrot, Graubrot. Berlusconi ist ein bisschen so, wie die Leute selbst sind und noch mehr so, wie sie es selbst gerne wären. Und an Bunga Bunga auf Sardinien ist allenfalls auszusetzen, dass man sich selbst den Spaß nicht leisten kann.
      In Deutschland wären Sympathien für so einen undenkbar. Hier gilt: Was ich nicht habe, soll auch sonst keiner haben. Wenn ich schlechten Sex habe, soll sich auch sonst niemand amüsieren. Wenn ich nur einen Pass besitze, sollen die Ausländer gefälligst auch keinen zweiten haben. Und eben: Wenn mein Leben aus freudloser Plackerei besteht, dann sollen sich auch die anderen totschuften. Deshalb schlägt einem Hasso Plattner derselbe Neid entgegen wie einem Florida-Rolf. Gerechtigkeit ist, wenn es allen scheiße geht.
      Quelle: taz
    3. Christoph Butterwegge: Man muss dieses Phänomen Beppo Grillo ernst nehmen
      Das gute Abschneiden des Komikers Beppe Grillo zeige, dass “die Enttäuschung über die etablierte Politik” stark zugenommen habe, sagt Christoph Butterwegge. Dem politischen System sei es nicht gelungen, für Verhältnisse zu sorgen, die den Menschen die Angst vor dem sozialen Abstieg nehmen, so der Politikwissenschaftler von der Universität Köln…
      Dass Korruption, die er anprangert, ein ernstes Problem ist, und dass vor allen Dingen die Enttäuschung über die etablierte Politik sich ausgebreitet hat, insbesondere bei jungen Menschen, und ich finde, man muss dieses Phänomen Beppe Grillo ernst nehmen. Es hat keinen Zweck, so zu tun, als drückten sich darin nicht auch ernste Sorgen der Menschen aus, dass ihre Interessen nicht mehr wahrgenommen werden in diesem politischen System, und das ist in Italien so, das ist sicherlich aber auch in anderen europäischen Ländern vielleicht nicht so ausgeprägt so.
      … die sich ausbreitende Unsicherheit in einer so reichen Gesellschaft wie Italien, diese Unsicherheit, glaube ich, die wird auch in Zukunft die Politik beschäftigen und die etablierten Parteien, egal welcher Richtung, natürlich besonders jetzt deutlich abgewählt das Mitte-Rechts-Bündnis von Silvio Berlusconi, aber auch eben das Mitte-Links-Lager von dem demokratischen, sozialdemokratischen Politiker Pier Luigi Bersani, sind nicht so attraktiv für junge Menschen, dass man denen Vertrauen entgegen bringen würde, sondern die Glaubwürdigkeit der etablierten Politik ist einfach verloren gegangen. Und für mich ist das kein Ausdruck von Politik- oder Parteienverdrossenheit dieser jungen Menschen, sondern es ist eine politische Repräsentationskrise.
      Quelle: DLF
  2. Bankenregulierung
    1. Begrenzung von Banker-Boni – Gegen falsche Anreize
      Es dürfte kaum EU-Initiativen geben, die bei den Europäern auf so wenig Widerstand stoßen wie eine Kürzung der Banker-Boni. Die Millionenzahlungen sind das Symbol für die Gier vor der Finanzkrise. In einer Marktwirtschaft muss es für solche Eingriffe schlüssige Gründe geben – und die hat sie in diesem Fall. Die Boni verführen zu riskanten Geschäften, deren schnelle Gewinne später in riesige Verluste umschlagen. Den Vorteil haben die Banker, den Nachteil die Steuerzahler, die die Geldhäuser retten. Das ist ein Fall von Marktversagen, bei dem der Staat intervenieren muss, um die Allgemeinheit vor Schaden zu bewahren. Eine Obergrenze für Boni lässt sich ebenso rechtfertigen wie ein Mindestlohn, bei dem der Staat Firmen die Freiheit nimmt, Menschen vier Euro die Stunde zu zahlen. Obergrenze wie Mindestlohn sind der Versuch, die Marktwirtschaft nicht mehr von jenen pervertieren zu lassen, die Europa unter das Recht des Stärkeren stellen wollen.
      Londoner Drohungen mit dem Austritt darf Europa gelassen betrachten. Niemand hat dabei mehr zu verlieren als die Briten selbst. Die Popularität der Boni-Grenze birgt aber eine Gefahr: dass der politische Elan nachlässt, das Finanzsystem insgesamt sicherer zu machen. Der Steuerzahler musste die Banken retten, weil ihre Pleite die ganze Wirtschaft hinabzureißen drohte. Die Spekulanten zocken mit der Garantie, dass die Allgemeinheit wie eine kostenlose Versicherung ist. Die Politiker müssen diesen Anreiz beseitigen, Risiken einzugehen. Eine halbe Dekade nach der Finanzkrise zeigt sich, dass sie das noch nicht getan haben. International sind manche Geldhäuser größer als vor der Krise – und damit noch gefährlicher für die Gesellschaft. Zusammen mit der Boni-Grenze vereinbarte die EU mehr Eigenkapital für die Banken. Das ist nur ein Schritt. Nötig sind Instrumente, um wacklige Banken abzuwickeln, ohne den Steuerzahler zu belasten. Außerdem erfinden die mit Naturwissenschaftlern bestückten Finanzfirmen stets neue Geschäfte, deren Komplexität die Aufsichtsbeamten hinterherlaufen. Europa muss zum Beispiel den Hochfrequenzhandel stärker eindämmen, als es nun die Bundesregierung vorschlägt. Und es muss all die Fonds und anderen Schattenbanken kontrollieren, in die Geschäfte aus den klassischen Geldhäusern verlagert werden.
      Quelle: SZ
    2. EU deckelt Banker-Boni – die Schweiz geht noch weiter
      … Nur wenn die Bankeigentümer zustimmen, sollen noch Extra-Vergütungen erlaubt sein, die höchstens doppelt so hoch sind wie das Grundgehalt. Die Regelungen sind Teil der schärferen Kapitalvorschriften für die Finanzbranche (Basel III), auf die man sich international verständigt hat. Diese sollen Schieflagen von Banken künftig verhindern …
      Frust über die als unverschämt wahrgenommenen Vergütungen von Managern herrscht auch in der Schweiz: Am Sonntag (3. März 2013) entscheidet das Stimmvolk über die Volksinitiative “gegen die Abzockerei”. Umfragen sehen die Befürworter der Vorlage deutlich in Führung …
      Die Initiative betrifft nicht nur Banker, sondern generell Manager von Unternehmen. Die auch “Abzockerinitiative” genannte Vorlage will Abgangsentschädigungen und Vorauszahlungen für Verwaltungsräte von Aktiengesellschaften verbieten. Sonstige Boni für Verwaltungsrat, Geschäftsleitung und Beirat der Direktion sollen von den Aktionären bestimmt werden dürfen.
      Quelle: EurActive.de

      Anmerkung WL: Ich kann die Begeisterung über diesen Beschluss nicht teilen. Es ist ein typischer Fall von Symbol-Politik um nicht zu sagen von Populismus. Die Höhe der Vergütung insgesamt wird damit nämlich nicht begrenzt. Die Banken können doch einfach die Fixgehälter erhöhen und zusammen mit der Möglichkeit dieses Gehalt durch Boni zu verdoppeln können die Banker möglicherweise mehr einsacken als zuvor. Und: Haben die Aufsichtsräte nicht auch schon bisher den Boni zugestimmt? Warum sollte die Aufsichtsräte künftig nicht auch mehr als eine Verdoppelung zulassen.
      Es ist ein Kurieren an Symptomen, solange man nichts gegen die Spekulation selbst unternimmt, dürfte sich nicht viel ändern.

      Ergänzende Anmerkung JB: Die Schweizer Initiative geht nicht weiter, sie setzt lediglich andere Akzente. Problematisch ist, dass hierbei lediglich von Verwaltungsräten, der Geschäftsleitung und dem Beirat die Rede ist. Volkswirtschaftlich gefährlich ist allerdings nicht unbedingt das Gehalt eine Josef Ackermanns, sondern das Gehalt eines Christian Bittars. Christian Bittar? Der Name sagt Ihnen nichts? Muss er auch nicht. Bittar war ein Investmentbanker bei der Deutschen Bank, der nicht nur den Libor manipuliert hat, sondern „dafür“ auch noch einen Rekordbonus von 80 Millionen Euro erhalten hat. Da Bittar im Ornigramm der Deutschen Bank aber ein Subalterner war, hätte bei ihm das Schweizer Modell überhaupt nicht gegriffen.

    3. Banken: Attac begrüßt EU-Pläne für mehr Steuertransparenz
      Attac begrüßt die gestrige Einigung der EU-Staaten und des Europa-Parlaments bei der Bankenregulierung. Dabei sind Banken nicht nur zur Begrenzung von Manager-Boni verpflichtet worden. Das Europa-Parlament hat auch die länderbezogene Transparenz von Steuerzahlungen und Gewinnen für Banken durchgesetzt. Ab 2015 müssen alle Banken in ihren Geschäfts- und Jahresabschlussberichten aufschlüsseln, in welchen Ländern sie welche Gewinne und Verluste erwirtschaftet, wie viel Steuern sie gezahlt und welche öffentlichen Subventionen sie erhalten haben.
      Durch diesen wichtigen Beschluss können den Steuervermeidungsstricks der international tätigen Banken in Zukunft Grenzen gesetzt werden. Attac fordert, diese länderbezogene Steuertransparenz auf alle multinational tätigen Konzerne auszuweiten. Die Fälle Starbucks, Google oder Amazon zeigen, wie wichtig es wäre, die Steuertricks der Konzerne endlich effektiv zu unterbinden. Nach vorsichtigen Schätzungen entgehen den Staaten durch diese Steuertricks weltweit 150 Milliarden Dollar pro Jahr.
      Der Beschluss, Banker-Boni zu begrenzen, ist zwar grundsätzlich richtig, ohne substanzielle Maßnahmen zur Bankenregulierung bleibt dies aber Kosmetik.
      Quelle: attac
  3. Wollen Prüfer ihr Versagen vertuschen?
    Um 55 Milliarden Euro hatte sich die „Bad Bank“ der Hypo Real Estate in ihrer ersten Bilanz 2010 verrechnet. Dieser unglaubliche Fehler schlug vor eineinhalb Jahren hohe Wellen. Für die Bank-Vorstände hatte er keine Folgen. Die Wirtschaftsprüfer von PriceWaterhouseCoopers (PwC) erhielten dagegen Besuch von der Berufsaufsicht. Sie hatten die „Bad-Bank“-Bilanz als einwandfrei quittiert. Die deutsche Marktführerin unter den Prüfungsgesellschaften lehnte eine Stellungnahme zum 55-Milliarden-Bilanzfehler bei der „Bad Bank“ der Hypo Real Estate ab. Warum PwC die Milliarden in der „Bad-Bank“-Bilanz von 2010 übersehen hatte und wie schwer dieser Fehler wiegt, sollte eine berufsinterne Untersuchung zeigen.
    Quelle 1: NDR-info (Einleitungstext)
    Quelle 2: NDR-info (Audiobeitrag)
  4. Großbanken haben engen Kontakt zur Politik
    Trotz der öffentlichen Kritik an der Finanzbranche pflegt die deutsche Politik ein enges Verhältnis zu großen Banken. Das geht aus einer Aufstellung des Bundesfinanzministeriums über Kontakte zwischen Vertretern der Banken und der Bundesregierung hervor. Bei dem Papier handelt es sich um eine Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linkspartei. Nach der Auflistung haben vor allem die Deutsche Bank und die Investmentbank Goldman Sachs in der laufenden Legislaturperiode Termine mit Spitzenvertretern der Bundesregierung bekommen. Allein Christoph Brand, Partner bei Goldman Sachs und zuständig für den öffentlichen Sektor, hat es demnach seit Oktober 2009 fast 50-mal in die Terminkalender der Bundesregierung geschafft. Dabei entfallen allein auf den Staatsminister im Kanzleramt, Eckart von Klaeden, 25 Gespräche. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nahm sich vier Mal für den Banker Zeit. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich mit den Großen der Finanzbranche vor allem auf Auslandsreisen nach China, Russland, Afrika, Italien und Portugal umgeben. Zeit für ein direktes Gespräch nahm sich die Regierungschefin nur für vier Banker: den Ex-Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, Clemens Börsig, den einstigen Bundesbank-Präsidenten Axel Weber nach dessen Wechsel zur Schweizer Bank UBS und für die Chefs der Deutschen Bank, Anshu Jain und Jürgen Fitschen. – Beim Papier des Finanzministeriums überrascht die detaillierte Auflistung selbst kleiner Treffen. Dazu hieß es in der Regierung, dass man „durch Offenlegung jede Skandalisierung vermeiden“ wolle. Gerade wegen der Vielzahl von kritischen Problemen bei der Euro- und Staatsschuldenkrise gebe es „hohen Beratungs- und Erklärungsbedarf“. Man sei auf den Rat von Bank-Experten angewiesen, hieß es. Deshalb werde man auch in Zukunft das Gespräch mit Bankvertretern suchen.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung Orlando Pascheit: Soll man tatsächlich glauben, dass es dem Kanzleramt bzw. dem Bundesfinanzministerium nicht gelungen ist, seit Beginn der großen Krise einen eigenen Stab von “Bankexperten” aufzubauen. Müssen wir tatsächlich davon ausgehen, dass die Bundesregierung sich wie seinerzeit im Falle der HRE von Leuten wie Josef Ackermann über den Tisch ziehen lassen. Die bedingungslose Rettung von europäischen Banken durch den europäischen Bürger, wie sie Wolfgang Schäuble im Gespräch mit Harald Schumann mit dem vagen Hinweis auf die Ansteckungsgefahr für andere Banken begründete, lässt Schlimmstes erwarten.

    dazu nochmals: Staatsgeheimnis Bankenrettung
    Quelle: arte.tv
    (Die Sendung Staatsgeheimnis Bankenrettung lässt sich mit dem Programm “arte Downloader A702” locker herunterladen)

    dazu: Goldman Sachs, JP Morgan, Josef Ackermann: Mit diesen Lobbyisten traf sich die Bundesregierung
    abgeordnetenwatch.de veröffentlicht Liste von Treffen der Bundesregierung mit Finanzlobbyisten. Goldman Sachs am häufigsten im Kanzleramt zu Gast. Warum erbrachte Deutsche Bank-Tochter Gratis-Dienstleistung für Bundesregierung?
    Quelle: Abgeordnetenwatch

  5. Das Brot und die Banken
    Früher verkaufte sie Eis, jetzt wartet Jianna bei der Armenspeisung in Nikosia auf einen kostenlosen Laib Brot. Wie in ein wohlhabendes Land die Armut kriecht und nicht mehr fortzutreiben ist
    Quelle: TAZ
  6. Der ifo-Index und die wirtschaftliche Entwicklung: Euphorie ist ein schlechter Ratgeber
    Vergangenen Freitag gab es zwei Informationen zur wirtschaftlichen Lage. Einerseits veröffentlichte das Statistische Bundesamt die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung für 2012 und andererseits kam für die deutsche Industrie der neue ifo-Geschäftsklimaindex vom Februar mit den Ergebnissen für Januar.
    Quelle: Flassbeck-economics
  7. Aktuelle Forschungsergebnisse zum Mindestlohn
    An diesem Freitag ist ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn Thema im Bundesrat. “Deutschland könnte mit einem solchen Mindestlohn eine hoch problematische Lücke in seiner Wirtschaftsordnung schließen”, sagt Dr. Claus Schäfer, Mindestlohnexperte und Leiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. “Die internationale empirische Forschung zeigt, dass flächendeckende Mindestlöhne die Einkommensverteilung und die Binnennachfrage stabilisieren können, ohne Arbeitsplätze zu gefährden. Nicht ohne Grund sind sie in den meisten unserer Nachbarländer ein seit Jahren und teils Jahrzehnten etabliertes Instrument”

    Die folgenden Links geben Ihnen einen Überblick über aktuelle Forschungsergebnisse zum Thema. Sie führen zu Pressemitteilungen oder kurzen Artikeln aus unserem Infodienst Böckler Impuls. Am Ende der meisten Texte finden Sie Links zu den Studien:

  8. Reform der Bewertungsreserven der Lebensversicherer: Vorerst abgeblasen
    Der Vermittlungsausschuss konnte sich nicht auf eine Reform der Bewertungsreserven der Lebensversicherer verständigen. Das schont Kunden, deren Policen derzeit fällig werden. Doch ein neuer Anlauf wird kommen.
    Quelle: Süddeutsche
  9. Wachsende Ungleichheit
    Wo bleibt der Protest? Anmerkungen zum Entwurf des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung.
    Quelle: Zeit
  10. Arbeitsmarkt im Februar 2013:
    • 5,41 Millionen “Arbeitslosengeld-Empfänger/innen” (SGB III und SGB II)
    • 4,422 Millionen Arbeitslosengeld II-Empfänger/innen – 93.000 (2,1%) weniger als im Feb. 2012
    • 3,156 Millionen registrierte Arbeitslose – 46.000 (1,5%) mehr als im Februar 2012
    • Veränderungsraten (registrierte Arbeitslose) in den Ländern (Februar 2012 – Februar 2013):
      • Männer und Frauen: –4,7% in Berlin bis +12,1% im Saarland
      • Frauen –6,8% in Sachsen bis +10,0% im Saarland (Bund: -0,1%)
      • Männer: -5,2% in Berlin bis +13,8% im Saarland (Bund: +2,8%)
      • unter 25 Jahre: -11,0% in Brandenburg bis +26,4% im Saarland (Bund: +2,1%)
    • 64,1% der Arbeitslosen sind im Rechtskreis SGB II (Hartz IV) registriert (Februar 2012: 66,9%)

    Von den 3,156 Millionen Arbeitslosen waren 1,132 Millionen (35,9%) im Rechtskreis SGB III und 2,024 Millionen (64,1%) im Rechtskreis SGB II (Hartz IV) registriert.
    Als Arbeitsuchende waren im Februar 2013 insgesamt 5,137 Millionen Frauen und Männer registriert, 23.000 (0,5%) mehr als im Februar 2012. Die von der Statistik der BA ermittelte
    „Unterbeschäftigung ohne Kurzarbeit“ betrug im Februar 2013 4,075 Millionen, 74.000 (1,8%) weniger als im Februar 2012.
    Nach vorläufigen, hochgerechneten Daten hatten im Februar 2013 1,103 Millionen (arbeitslose und nicht arbeitslose) Frauen und Männer Anspruch auf das beitragsfinanzierte Arbeitslosengeld (SGB III) und 4,422 Millionen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Bereinigt um die Zahl der etwa 115.000 sog. Aufstocker (Bezug von Arbeitslosengeld und Arbeitslosengeld II) hatten im Februar 2013 etwa 5,41 Millionen erwerbsfähige Frauen und Männer Anspruch auf Arbeitslosengeld (SGB III) bzw. Arbeitslosengeld II, 6.000 mehr ein Jahr zuvor.
    Quelle: Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) [PDF – 455 KB]

    Siehe auch: Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland, Februar 2013
    Quelle: Bundesagentur für Arbeit [PDF – 1.4 MB]

  11. Mitarbeiter sind im Durchschnitt zweieinhalb Wochen krank
    460 Millionen Tage haben Arbeitnehmer in Deutschland zusammengerechnet 2011 im Job wegen Krankheit gefehlt. Im Durchschnitt fiel ein Mitarbeiter gut 12,6 Tage aus.
    Die Krankentage von Arbeitnehmern haben Schätzungen der Bundesanstalt zufolge Produktionsausfälle von 46 Milliarden Euro verursacht, das sind sieben Milliarden Euro mehr als im Jahr zuvor. Grundlage für die Berechnung waren die insgesamt 460,6 Millionen Krankheitstage, die mit dem Durchschnittsverdienst multipliziert wurden.
    Quelle: Zeit

    Anmerkung unserer Leserin R.K.: Es ist noch gar nicht so lange her, da lernte ich Personalbedarfsrechnung und Personalplanung. Fehlzeiten werden immer mitberechnet bei der Ermittlung des Personalbedarfes. Wenn es angeblich zu Produktionsausfällen in genannter Höhe kam, lässt das nur diese Schlüsse zu:

    1. Der Personalbedarf wurde nicht realistisch berechnet.
    2. Die Stellen sind unterbesetzt; Stichwort „Leistungsverdichtung“.
    3. Die Meldung dient der Propaganda, um den Arbeitnehmern ein schlechtes Gewissen einzureden.
  12. Die Gasblase – oder: Das Märchen von billiger Energie
    Gas und Öl im Überfluss – und zu märchenhaft niedrigen Preisen: Die Freunde des Fracking versprechen das goldene Energiezeitalter. Doch die angebliche Energierevolution ist nicht mehr als ein Strohfeuer – und ökologisch ebenso fragwürdig wie ökonomisch.
    Quelle: tagesschau.de
  13. Mein Freund Maschmeyer – oder: Eine außergewöhnliche Belastung
    Früher war er Chef und Inhaber des Allgemeinen Wirtschaftsdienstes (AWD). Heute hat er es geschafft. Carsten Maschmeyer ist jetzt Milliardär und hat einflussreiche Freunde, vor allem in Regierungskreisen. Auf der Strecke geblieben sind viele seiner Kunden. Ihnen versprach er eine gute Altersvorsorge. Sie legten beim AWD ihre hart erarbeiteten oder auch ererbten Ersparnisse an und sehen nun Insolvenzen und Altersarmut entgegen. Einmal oben, darf man sich u.a. in der ARD (Maschmeyer bei Maischberger) im öffentlich-rechtlichen Fernsehen als vorbildlicher Unternehmer vermarkten. Das zeigt: Nicht nur Anleger, auch Demokratie und Rechtsstaat gehören zu den Verlierern. Hans Scharpf, Wirtschaftsanwalt in Frankfurt am Main, selbst Opfer des Betrugs-Systems AWD, berichtete bei einer öffentlichen Veranstaltung am 24.02.2013 der Reihe „Frankfurter Matinee“ von Business Crime Control e.V. und KunstGesellschaft e.V. über Politik- und Justizversagen gegenüber kriminellen Unternehmensformen und seinen Schuldenstreik gegen Banken und Staat. Wenn Banken und staatliche Institutionen sich als systemrelevante Betrugssysteme herausstellen und rechtsstaatlich-gerichtliche Verfolgung versagt, ist zivilgesellschaftlicher Widerstand angesagt und Solidarität gefragt. Scharpf erklärt, wie diese weitgehend geduldeten Betrugssysteme funktionieren und wie er seinen Widerstand organisiert.
    Der Frankfurter Internet-Radiosender Radio 99 Prozent präsentiert eine Aufzeichnung der Veranstaltung als Download (ca. 39 MB, ca. 1 Stunde und 55 Minuten).
    Quelle: Der Freitag
  14. Nebeneinkünfte: Bundestag blamiert sich im internationalen Vergleich
    Letzten Donnerstag hat der Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages neue Veröffentlichungsregeln bei Nebeneinkünften beschlossen: aus dem 3-Stufen-System soll ein 10-Stufen-System werden. Der Gewinn für Bürger: gering. Nebeneinkünfte lassen sich auch mit dieser Neureglung weiter verschleiern, wie wir am Beispiel von Heinz Riesenhuber gezeigt haben. Warum dürfen Abgeordnete weiter Einkünfte, materielle, personelle und finanzielle Interessen verschleiern? Während der deutsche Bundestag noch über die Anzahl der Stufen bei den Veröffentlichungen der Nebeneinkommen diskutiert, sind anderswo auf der Welt Parlamente schon lange so weit, dass Abgeordnete ihr Einkommen und ihre Interessen auf den letzten Cent aufschlüsseln müssen.
    Quelle: Abgeordnetnwatch
  15. Ex-Führungsriege von Sal. Oppenheim steht vor Gericht
    Auftakt zu einem der größten Wirtschaftsverfahren der Nachkriegsgeschichte: Seit heute müssen sich die Ex-Führungsriege von Sal. Oppenheim und ein Geschäftsmann vor dem Landgericht Köln verantworten. Der Vorwurf: Untreue in besonders schwerem Fall beziehungsweise Beihilfe.
    Quelle: Tagesschau

    Anmerkung unseres Lesers H.B.: Wollen wir wetten das auch dieser Prozess wie alle anderen Prozesse ausgehen wird. Es ist wohl auch diesmal nur ein Sturm im Wasserglas und endet wie das Hornberger Schießen mit Pfiff Paff Puff. Sie werden wohl freigesprochen werden oder schlimmstenfalls zu einer symbolischen Geldstrafe verurteilt werden …

  16. Schwarz-Gelb ändert Presse-Leistungsschutzrecht
    Die Rechtspolitiker der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP haben sich am Dienstag auf einen von den Liberalen vorgeschlagenen Änderungsantrag am Regierungsentwurf zum Presse-Leistungsschutzrecht geeinigt. Das geplante neue Recht soll “einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte” nicht umfassen. Suchmaschinen und News-Aggregatoren könnten so kurze Auszüge aus indexierten Presseartikeln in Form von “Snippets” weiterhin anzeigen. Die konkrete Länge der Passagen wird in dem Korrekturvorschlag nicht angegeben. Die FDP wollte ursprünglich 160 Zeichen festschreiben. Der mit der Union abgestimmte Antrag verweist nun allein auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshof zu Vorschaubildern in den Ergebnislisten von Suchmaschinen. Wer ein Werk selbst oder durch einen Lizenznehmer ins Netz stellt, muss demnach damit rechnen, dass es auch von Internetnavigatoren gesucht wird. Letztlich dürften mögliche Auseinandersetzungen über die Snippets wohl erst gerichtlich geklärt werden können.
    Quelle: heise online

    Anmerkung Orlando Pascheit: Thomas Stadler auf Lawblog ist der Auffassung:

    “Aus Sicht der Verlage ist damit der Versuch, Google zur Kasse zu bitten, gänzlich gescheitert. Es dürfte sich lediglich um einen Formelkompromiss handeln, der niemandem hilft, aber dennoch zusätzliche Rechtsunsicherheit erzeugt.”

    In der Tat beginnt die Rechtsunsicherheit bereits bei der Frage, was denn “kleinste Textausschnitte” sind. Die Regierungskoalition hätte den Gerichten viel Arbeit ersparen können, wenn sie sich auf eine Anzahl von Zeichen geeinigt hätten. Oder sollte der stärksten Berufsgruppe im Bundestag den Rechtsanwälten (22 Prozent), zusätzliche Nebenerwerbstätigkeit gesichert werden? Aber Scherz beiseite, ein Leser verweist in einem Kommentar zu Stadler auf Bestrebungen der Computer & Communications Industry Association (CCIA), in der sich große IT-Firmen zusammengeschlossen haben – darunter Microsoft, Facebook, eBay, Yahoo und Google, Deutschland auf die US-Liste der Copyright-Schurkenstaaten zu setzen. Das von der deutschen Bundesregierung beschlossene Monopolrecht für Presseverlage schränke das Recht von Verbrauchern und Unternehmen auf einen angemessenen Umgang mit Inhalten unangemessen ein.
    Man darf gespannt sein, ob die am 8.Februar eingebrachte Verstoßanzeige der CCIA aufgrund der neuesten Version des Leistungsschutzrechts zurückgezogen wird. – Zur Beruhigung: “Bislang” bleiben die NachDenkSeiten als nicht gewerbliche Anbieter wie auch Blogger vom Leistungsschutzrecht ausgenommen.

    Dazu: Ein Grauen für alle, die ins Netz schreiben
    Ziel der Verleger ist es, die öffentliche Beschäftigung mit Nachrichten riskant zu machen. Wer sich in seinem Blog, auf Facebook oder Twitter mit aktuellen Ereignissen auseinandersetzt, soll sich abmahngefährdet fühlen. Mit der Folge, dass viele lieber gar nichts mehr schreiben, weil sie keinen Bock und schon gar nicht das Geld haben, um Verlagsabmahnungen wegen angeblich illegal übernommener Textpassagen abzuwehren.
    Trotz der Entschärfung der ursprünglichen Entwürfe gibt es noch genug Einfallstore, um die Abmahnmeute auf Menschen zu hetzen, die im Netz ihre Meinung sagen. Man kennt das System doch zur Genüge von den Filesharing-Abmahnungen.
    Die Rechtslage dort ist in vielen Punkten ungeklärt. Vieles spricht sogar dafür, dass der weitaus größte Teil der Abmahnungen nie und nimmer vor Gericht Bestand hätte. Aber hat das die Rechteverwerter daran gehindert, eine gigantische Abmahnwelle über deutsche Haushalte schwappen zu lassen?
    Quelle: law blog

  17. „Vor allem zählt der richtige Stallgeruch“
    Herkunft ist für den Aufstieg ausschlaggebend, nicht Leistung, sagt Elitenforscher Michael Hartmann. Stipendien und die Exzellenzinitiative verstärkten diesen Effekt.
    Quelle: Zeit

    Dazu passt: Diese Unis machen die meisten Milliardäre
    Bildung ist der Schlüssel zum Erfolg, schon klar. Aber wo lohnt sich das Studium tatsächlich? Eine US-Webseite hat jetzt untersucht, welche Unis die meisten Milliardäre hervorbringen. Ins Ranking hat es auch eine europäische Hochschule geschafft.

    Platz 1: Harvard University
    Platz 2: University of Pennsylvania
    Platz 3: Stanford University
    Platz 4: New York University
    Platz 6: Columbia University
    Platz 6: MIT
    Platz 7: Cornell University
    Platz 8: University of Southern California
    Platz 9: Yale University
    Platz 10: University of Cambridge

    Quelle: SZ

    Siehe auch: University UHNW Alumni Rankings
    Quelle: Wealth-X, Connecting You to wealth [PDF – 2.7 MB]

    Anmerkung WL: UHNW steht für „ultra high net worth“. Damit ist eigentlich alles gesagt. Es sind die Netzwerke, die zu diesen Universitäten führen und die ihre Absolventen tragen. Es ist der symbolische Wert, der die Abschlüsse ausmacht und nicht die Qualität der Ausbildung. Interessanter als die Zahl der Milliardäre oder Millionäre, die Absolventen dieser Hochschule waren, wäre die Analyse der Söhne und Töchter von Superreichen, die an diese Hochschulen gelangen und die sich dieses Studium dort leisten können.
    In Frankreich protegieren die „ausgewählte Schar“ (Michael Hartmann) der Spitzenkräfte die „Camarades“ aus den „Grandes Écoles“. In England hat man kaum eine Chance nach oben zu kommen, wenn man nicht schon auf einer der neun berühmtesten „Public Schools“ à la Eton war und danach in „Oxbridge“ studiert hat und damit zum „Old Boy Network“ gehört. Die Upper Class in den USA kommt überwiegend von „St. Grottlesex“ (also den renommierten Privatschulen St. Paul, Groton und Middelsex) und dem Dutzend Ivy Leage-Hochschulen (also etwa Harvard, Yale oder Princeton). In Japan muss man der „Todai-Connection“ angehören um nach Oben zu kommen.

  18. Wissenschaftliche Karriere durch Quantität: Melken, stückeln, frei erfinden
    Viel ist gut, mehr ist besser, noch mehr macht den exzellenten Professor und die exzellente Professorin aus. Wer viel publiziert, kommt schneller vorwärts. Während früher vor allem Ergebnisse erfunden oder zurecht gebogen wurden, hat sich im durchrationalisierten und von quantitativen Kriterien bestimmten modernen Wissenschaftsbetrieb längst eine andere Spielart der wissenschaftlichen Unredlichkeit breit gemacht: Die Rede ist vom vorsätzlichen Aufblasen der eigenen Veröffentlichungslisten. Ein geradezu prototypischer Fall, der die Haltung “Quantität ist Qualität” illustriert, wurde im Frühsommer 2009 in Göttingen bekannt. Die dortige Georg-August-Universität hatte kurz zuvor im Exzellenzwettbewerb den begehrten Elite-Titel errungen und war dabei, sich als niedersächsische Spitzenuniversität nach außen zu verkaufen, als ihr der Sonderforschungsbereich (SFB) 552 einen gehörigen Strich durch die Rechnung machte. 231 Veröffentlichungen hatten die WissenschaftlerInnen in einer Publikationsliste des Projekts zusammengetragen, um ihre erfolgreiche Arbeit unter Beweis zu stellen und damit den Antrag auf eine Fortschreibung der DFG-Förderung zu untermauern. Dazu kamen noch einmal 63 aufgelistete Publikationen, die zwar noch nicht gedruckt, aber bereits zur Veröffentlichung eingereicht und akzeptiert worden seien. Doch als die GutachterInnen der DFG vor Ort darum baten, diese ganzen Artikel und Bücher einmal sehen zu dürfen oder zumindest eine Kopie vorgelegt zu bekommen, ergab sich eine mehr als peinliche Situation: Leider gehe das nicht, hieß es von Seiten des Sonderforschungsbereichs – denn ein Großteil der Manuskripte existierte überhaupt nicht oder war zumindest noch längst nicht abschließend bearbeitet worden. Eine monatelange Untersuchung sowohl durch die Uni Göttingen als auch durch eine Kommission der DFG bestätigte schließlich den Verdacht, dass hier in großem Umfang mit erfundenem Material gearbeitet worden war. Fünf WissenschaftlerInnen wurden als Hauptschuldige ausgemacht (zwei wurden für drei Jahre aus den DFG-Gremien ausgeschlossen, drei wurden schriftlich gerügt), weitere acht gelten als Mitschuldige am wissenschaftlichen Fehlverhalten5. Sie alle hatten – ob unter Druck oder aus eigener Initiative, spielt letztlich keine Rolle – darauf gesetzt, dass es bei der Bewertung des Förderantrags an die DFG allein auf Masse und nicht so sehr auf Inhalte ankam. Dabei ist das freie Erfinden von Fachartikeln, Buchaufsätzen und ganzen Monografien nur eine Strategie von vielen, um die eigene Publikationsliste aufzublähen und damit der Karriere den nötigen Schwung zu verleihen. Genauso weit verbreitet sind das Melken, die Salamitaktik und die Bildung von Zitationskartellen.
    Spät – und hoffentlich nicht zu spät – hat sich die DFG unter dem generellen Eindruck solcher Fälle, vor allem aber vor dem Hintergrund der Göttinger Ereignisse rund um den SFB 552 dazu entschlossen, die Publikationsflut zumindest in ihrem Einflussbereich einzudämmen. Seit Juli 2010 gelten bei Anträgen an die größte deutsche Forschungsförderorganisation neue Regeln: Wo bisher seitenlange Publikationsverzeichnisse das Renommee der antragstellenden WissenschaftlerInnen belegen sollten, müssen sich die ForscherInnen zukünftig auf fünf Publikationen beschränken und sind so gezwungen, die aus ihrer Sicht für den jeweiligen Antrag wichtigsten Arbeiten zu benennen. Tatsächlich steht die DFG mit dieser Rückbesinnung auf Qualität statt Quantität nicht alleine: Auch die National Science Foundation und die National Institutes of Health in den USA haben das Problem der Publikationsflut erkannt und deshalb die Länge der Veröffentlichungslisten bei Förderanträgen begrenzt – wenn auch nicht so stark wie die DFG.
    Quelle: Linksnet/ FORUM Wissenschaft

    Anmerkung Orlando Pascheit: Durch die aktuellen Plagiatsfälle diverser PolitikerInnen ist die Kritik von Fehlentwicklungen im Wissenschaftsbetrieb etwas in den Hintergrund getreten. Auch wenn die DFG jetzt mehr auf Inhalte setzen möchte, ist nicht gesagt, dass Berufungs- oder Beförderungschancen im Wissenschaftsbetrieb nicht weiterhin von der Zahl und dem Ort der Veröffentlichungen oder vom sogenannten „Impact Factor“ abhängen. Dieser zeigt an, wie oft Aufsätze zitiert werden. Die Konzentration der Wissenschaftler auf ein gutes Ranking anhand solcher Kriterien bindet Energien, die zu Lasten echter Forschung (und Lehre) gehen und oft die Dürftigkeit von origineller Forschung verschleiern. Wie sehr sich diese Praxis durchgesetzt hat, zeigt sich nicht nur bei jungen aufstrebenden Wissenschaftlern sondern auch bei so renommierte Ökonomen wie Bruno S.Frey.
    Siehe hier und hier.


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