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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 11. Dezember 2013 um 9:02 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (OP/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Orwell 2.0
  2. Renteninformation zu optimistisch
  3. Wirtschafts-Nobelpreisträger Eugene Fama – Der Markt ist rational, das glaube ich immer noch
  4. Griechenland
  5. Euro-Krise: “Zurück auf den Boden des Rechts”
  6. Studie: Ausbeutung als Geschäftsmodell
  7. Bundesarbeitsgericht begrenzt Leiharbeit nicht
  8. Tarifstreit bei Pin-AG: Wer nicht streikt, kriegt 500 Euro
  9. Studie zum Schuldenstand: Viele deutsche Städte längst bankrott
  10. Unrealized, Unforeseen Environmental Results Of NAFTA
  11. Landwirtschaft in Ostdeutschland: Amerikanische Verhältnisse
  12. Bestechung von Abgeordneten: Einfach nur noch peinlich
  13. Suche nach NSU-Terroristen: LKA-Fahndung gezielt verhindert?
  14. Flüchtlinge auf Lampedusa: Vergebliche Hilferufe
  15. Jomo Kwame Sundaram – Den Hunger beenden

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Orwell 2.0
    1. Acht Zeilen Heuchelei von Sigmar Gabriel
      Der SPD-Vorsitzende macht sich mit dem Appell der 560 Schriftsteller gegen die Massenüberwachung unserer Kommunikation gemein. Dazu nur ein Wort: Vorratsdatenspeicherung!
      Hut ab, Sigmar Gabriel! Der SPD-Vorsitzende hat wieder Emotionen in die Überwachungsdebatte in Deutschland gebracht, die Menschen aufgerüttelt und bewegt. Und das mit acht dünnen Sätzen.
      Auf seiner Facebook-Seite lobt und vereinnahmt Gabriel den Appell von 560 Schriftstellern aus aller Welt gegen die verdachtsunabhängige Massenüberwachung durch Geheimdienste. Er bezeichnet den Aufruf als “wunderbare und beeindruckende Aktion” und “tolles Zeichen”. Er selbst werde “die deutschen Unterzeichnerinnen und Unterzeichner Anfang des Jahres zu einem Gespräch einladen”.
      Etwas Schlimmeres hätte Gabriel kaum tun können, in mehrerlei Hinsicht. Denn erstens haben Hunderte Facebook-Nutzer dem SPD-Vorsitzenden umgehend klargemacht, wie scheinheilig seine Aussagen sind. Sie brauchten dafür eigentlich nur ein Wort: Vorratsdatenspeicherung.
      Die führt genau das ein, was die 560 Schriftsteller in ihrem Aufruf und alle rund 18.000 Unterzeichner der dazugehörigen Petition anprangern: “Massenhafte Überwachung behandelt jeden einzelnen Bürger als Verdächtigen.”
      Quelle: ZEIT
    2. Ein Whos who gegen Ausspähung
      Mit einem weltweiten Aufruf fordern Intellektuelle die Politik und Konzerne auf, private Daten zu respektieren. Die Initiatoren wollen damit eine zivile Massenbewegung anstoßen und die Wirkung eines “digitalen Fukushima” erzielen. Am Dienstag präsentierten die beiden Autoren mit Kollegen unter anderem aus Großbritannien, Österreich und Dänemark das Resultat: Mehr als 560 Schriftsteller aus 81 Ländern haben sich bereits dem Appell angeschlossen. Die Liste der Unterzeichner liest sich wie ein Who’s who: Orhan Pamuk, J. M. Coetzee, Don DeLillo, Henning Mankell, T. C. Boyle – um nur einige Namen zu nennen. Fünf Literaturnobelpreisträger unterstützen den Aufruf, 30 große Zeitungen in aller Welt druckten ihn ab, darunter die FAZ und der britische Guardian, aber auch der pakistanische Dawn oder El Tiempo in Kolumbien. “Ein Mensch unter Beobachtung ist niemals frei; und eine Gesellschaft unter ständiger Beobachtung ist keine Demokratie mehr”, heißt es in dem Appell. Die Unterzeichner fordern, dass “jeder Bürger das Recht haben muss mitzuentscheiden, welche seiner persönlichen Daten gespeichert, gesammelt und verarbeitet werden und von wem” – schließlich hätten alle Menschen “das Recht, in ihren Gedanken und Privaträumen, in ihren Briefen und Gesprächen frei und unbeobachtet zu bleiben”. Die Intellektuellen appellieren an alle Staaten und Konzerne, das Recht auf Privatsphäre auch im digitalen Zeitalter zu respektieren. Ausgerechnet die großen US-Blätter New York Times und Washington Post lehnten es ab, den Appell zu veröffentlichen.
      Quelle: taz

    3. dazu: Das ist die Front, an der ich jetzt kämpfe
      Eva Menasse, Mitinitiatorin des Aufrufs, über die Peinlichkeit des politischen Autors.
      Quelle: taz
    4. Aber selber sammeln
      Drei Nachrichten aus dem Jahr eins nach Snowden: In der neuesten Version des Google-Betriebssystems Android lauscht das Smartphone mittels App mit, um Sprachbefehle zu empfangen. Die Spielkonsole Xbox von Microsoft registriert unter anderem jede Bewegung und die Mimik von anwesenden Personen und überwacht so das Wohnzimmer. Die großen Internetkonzerne – von Google über Microsoft bis Facebook – starten eine Kampagne gegen die Spionageprogramme von Geheimdiensten. Verlogen? Genau. Dass die Konzerne Grenzen für die Datensammelei fordern, klingt nach einem schlechten Witz. Sie selbst sammeln schließlich grenzenlos. Die Telefonnummer zum Anlegen eines E-Mail-Accounts, Profile über Interessen und Vorlieben, Informationen zu Freundschaften, Familienbeziehungen, Liebschaften. Dass die gesammelten Informationen irgendwann gelöscht werden – unwahrscheinlich. Warum auch, sie lassen sich zu Geld machen.
      Quelle: taz

  2. Renteninformation zu optimistisch
    Experten bezeichnen Prognosen der Deutschen Rentenversicherung als „irreführend“ / Plusminus am 11. Dezember 2013 um 21.45 Uhr im Ersten
    Den deutschen Rentenversicherten werden in den offiziellen Renteninformationen zu hohe Renten in Aussicht gestellt. Das ist das Ergebnis von Recherchen des ARD-Wirtschaftsmagazins „Plusminus“ (SWR). Tatsächlich haben viele Arbeitnehmer real gut ein Viertel weniger zu erwarten als vorausgesagt. Auch viele Durchschnittsverdiener erhalten beim Renteneintritt aus heutiger Sicht nicht viel mehr als die Grundsicherung. Von „Plusminus“ befragte Experten kritisieren die Prognosen der Deutschen Rentenversicherung als irreführend.
    35 Millionen Bundesbürger zahlen derzeit Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Einmal jährlich wird allen 31 Millionen Versicherten über 27 Jahren mit mindestens fünf Berufsjahren in einem Schreiben mitgeteilt, mit welcher Rente sie im Alter rechnen können. Doch die sogenannte Renteninformation vermittelt eine gefährliche Rentenillusion. Nach Berechnungen von „Plusminus“ fällt die tatsächliche Netto-Rente deutlich niedriger aus, als offiziell in Aussicht gestellt wird. Wer jünger ist als 55 Jahre, muss mit Abzügen von zum Teil mehr als 25 Prozent rechnen. Drei Faktoren schlagen dabei zu Buche: Erstens gehen von der Brutto-Rente zur Zeit schon mehr als 10 Prozent Kranken- und Pflegeversicherungs-Beiträge ab. Tendenz steigend. Zweitens muss bis 2040 ein immer größerer Teil der Rente versteuert werden. Macht je nach Rentenhöhe ein Minus von bis zu 15 Prozent. Drittens wird das sinkende Rentenniveau die künftige Rente real um weitere 12 bis 18 Prozent reduzieren. Berücksichtigt man alle Abzüge, landet selbst ein Durchschnittsverdiener, der 45 Jahre sechsstellige Beträge in die Rentenkasse eingezahlt hat, im Alter an der Armutsgrenze. Von 1.300 Euro, die die Renteninformation beispielsweise einem Durchschnittsverdiener in Aussicht stellt, bleiben real gerade einmal 950 Euro übrig.
    Namhafte Experten kritisieren die offizielle Renteninformation deshalb als irreführend. „Man kann aus ihr gar nicht herauslesen, wie dramatisch es wirklich um die eigene Rente bestellt ist“, so der Versicherungsmathematiker Peter Schramm. Zu Steuern und Abgaben gibt es nur allgemeine Hinweise, aber keine konkrete Beispiel-Rechnung, wie hoch die Abzüge tatsächlich ausfallen. Das sinkende Rentenniveau tauche in der Renteninformation gar nicht auf. Stattdessen werde ausgemalt, wie viel herauskomme, wenn die Renten in Zukunft jährlich um ein bzw. zwei Prozent steigen sollten.
    Nur auf der Rückseite der Renteninformation wird auf den möglichen Kaufkraftverlust hingewiesen. Nicht erwähnt wird aber, dass die Renten planmäßig hinter den Löhnen zurückbleiben und deshalb an Wert verlieren werden. Dieser sogenannte „Nachhaltigkeitsfaktor“ ist vom Gesetzgeber bereits beschlossen worden, um die Alterung der Gesellschaft und damit zunehmende Zahl der Rentenempfänger zu berücksichtigen. Für Professor Stefan Sell von der Fachhochschule Remagen stellen die Erkenntnisse der „Plusminus“-Recherche sogar das deutsche Rentensystem grundsätzlich in Frage: „Wenn das den Leuten transparent gemacht werden würde, dann würde natürlich der gesamte Legitimationsunterbau der Rente in sich zusammenbrechen. Die Leute würden sich zu Recht fragen, warum soll ich in so ein System einzahlen, teilweise erhebliche Beiträge von meinem Einkommen, wenn ich eh nur eine Leistung bekomme, die der Grundsicherung entspricht.“
    Zu sehen ist der Beitrag in der Sendung „Plusminus“ (SWR) am Mittwoch,11. Dezember 2013, um 21.45 Uhr im Ersten. Moderator der Sendung ist Clemens Bratzler.
    Quelle: SWR
  3. Wirtschafts-Nobelpreisträger Eugene Fama – Der Markt ist rational, das glaube ich immer noch
    FAZ: Es gibt keine irrationalen Preisübertreibungen?
    Fama: Korrekt. Ich glaube nicht an Blasen. Hier sind die Fakten zum Thema Blasen: Blasen beinhalten, dass Preise hochgehen und dass man vorhersehen kann, wann sie wieder heruntergehen. Aber Leute haben versucht zu prognostizieren, wann die Preise wieder heruntergehen. Und es gibt keinen Beweis, dass sie es können. Sie alle können also über Blasen reden, aber es gibt keinen Beweis, dass sie existieren. Deshalb mag ich das Wort Blase nicht.
    FAZ: Wenn es keine Blasen gibt und keine irrationalen Übertreibungen: Wieso steigen und fallen Preise dann manchmal so extrem?
    Fama: Es geht um Angebot und Nachfrage. Sie bestimmen, wo die Preise sich hinbewegen. Die Finanzkrise beispielsweise wurde ausgelöst durch eine riesige Rezession. Deshalb haben die Leute ihre Häuser nicht mehr abbezahlt, deshalb sind die Banken in die Krise gekommen. Keiner hat diese Rezession vorhergesehen.
    FAZ: Ich dachte, es sei andersherum: Die Rezession wurde durch die vielen faulen Kredite ausgelöst?
    Wieso sollten die Menschen aufhören, ihre Häuser abzubezahlen, wenn es ihnen doch gutgeht? Das ist unlogisch. Die Leute erzählen gerne Geschichten, aber man sollte ihnen nicht alles glauben.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung JK: Was Fama hier von sich gibt ist ziemlich bizarr und gibt tiefe Einblicke in die Realitätsblindheit der Neoliberalen. Ein Beleg, dass die Vergabe des sogenannten Nobelpreises für Wirtschaft eine rein ideologische Veranstaltung ist. Nur zur Erinnerung: Dieser sogenannte Wirtschaftsnobelpreis hat mit den von Alfred Nobel gestifteten Preis nichts zu tun, sondern wird seit 1969 von der schwedische Reichsbank finanziert.

    dazu: Stephan Schulmeister – “Es gibt viele Arten zu töten.”
    Die ideologischen Hauptfeinde des Europäischen Sozialmodells – die “Chicago boys” von Friedman bis Fama – haben seit den 1950er Jahren “bewiesen”: Destabilisierende Spekulation kann es nicht geben, daher sind die Finanzmärkte zu ent-fesseln. Wirtschaftpolitik stört die Marktprozesse, sie ist daher an Regeln zu binden. Arbeitslosigkeit ist “natürlich”, wenn Löhne und Arbeitslosengeld nicht sinken können. Daher ist eine (Voll)Beschäftigungspolitik besonders schädlich…Fazit: Die EU setzt in allen wesentlichen Politikbereichen jene Konzepte um, die zur Zerstörung des Europäischen Sozialmodells entwickelt wurden. Zur Rolle der Wirtschaftswissenschafter meint Brecht: “Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.”
    Quelle: Wirtschaft und Gesellschaft

  4. Griechenland
    1. Griechisches Parlament billigt Sparhaushalt für 2014
      Nach fünftägiger kontroverser Debatte hat das griechische Parlament den Sparhaushalt für das kommende Jahr gebilligt. Die Vorlage wurde in der Hauptstadt Athen mit 153 Stimmen angenommen, wie die Parlamentspräsidentschaft mitteilte. Kurz vor der Abstimmung fror die Gläubigertroika aus Europäischer Union, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds die Auszahlung einer Hilfstranche in Höhe von einer Milliarde Euro ein.
      Das verabschiedete Budget sieht zusätzliche 2,1 Milliarden Euro durch Steuereinnahmen vor. Zudem sollen die Ausgaben durch Einschnitte im Gesundheitswesen und bei den Sozialversicherungen um 3,1 Milliarden Euro gesenkt werden. Die Regierung rechnet damit, dass Griechenland im kommenden Jahr wieder ein leichtes Wirtschaftswachstum erzielen könnte.
      Quelle: AFP

      Anmerkung unseres Lesers H.H.: Es reicht nicht, wenn ein Land am Boden liegt, man muss auch noch auf ihm herum treten!

    2. Drei Millionen Griechen ohne Krankenversicherung
      Im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Problemen in Griechenland ist die Zahl der Nicht-Krankenversicherten auf rund drei Millionen – bei 10,8 Millionen Bürgern – angestiegen. Darauf hat die Organisation “Ärzte der Welt” am Montag aufmerksam gemacht. 27,2 Prozent der griechischen Bevölkerung seien nicht mehr in der Lage, die Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten. Das Herausfallen aus der Sozialversicherung hat der Organisation zufolge gravierende Konsequenzen für Schwangere und Kinder. Der Anteil der Totgeburten sei zwischen 2008 und 2011 um ein Fünftel gestiegen. Viele kleine Kinder würden nicht mehr geimpft. Die Ärzte der Welt gaben die Kosten für Impfungen in den ersten sechs Lebensjahren mit 1900 bis 2500 Euro an. Von gut 10.600 Kindern, die von der Organisation in den vergangenen neun Monaten betreut wurden, mussten 6580 nachgeimpft werden.
      Quelle: Die Presse

      Anmerkung Orlando Pascheit: So sieht es also aus, wenn Griechenland einen Primärüberschuss erzielt, d.h. der Staatshaushalt ist im Plus, allerdings nur durch die Nichteinbeziehung von Zins- und Tilgungskosten bestehender Schulden. Griechenland kann also die eigentlichen Staatsaufgaben wahrnehmen, ohne auf Kapitalzuflüsse aus dem Rest der Welt angewiesen zu sein. Das wäre theoretisch eine Chance, Europa, den IWF zu drängen eine Verlangsamung des “Reformprozesses” hinzunehmen. Allerdings benötigt Griechenland nicht nur EU-Hilfe beim Schuldendienst, sondern zum “Wiederaufbau” des Landes. Allerdings besteht wenig Hoffnung, dass die Nordeuropäer, allen voran Deutschland (inklusive SPD) ihre Rezeptur hinterfragen, mit brutalem Sparen aus der Rezession herauszukommen. Es wird also ein zähes Feilschen mit der Troika geben. – Einmal abgesehen davon, dass es sogar in Griechenland Stimmen gibt, die die Zahlen zum Primärüberschuss des Haushalts für 2013 bezweifeln, würde selbst bei einem Nulldefizit des Haushalts das gesamte Haushaltsdefizit 2013 4,1% des griechischen BIP betragen, d.h. Griechenlands Schuldendienst beläuft sich auf 4,1% des BIP. Nach Zahlen des IWF führte die Rezession der letzten 5 Jahre bei sinkenden Steuereinnahmen und steigenden Transferzahlungen zu einem Anstieg des Gesamtdefizits um fast 5% des griechischen BIP. Wenn Griechenland seine Wachstumsrate nicht steigert, wird der Haushalt weiter defizitär bleiben und die Staatsschuldenquote verbleibt bei 170% des BIP. Die BIP-Wachstumrate müsste bei einem Nulldefizit über 2,4% betragen, um die durchschnittlichen Zinsen zu übersteigen, die es für seine Staatsverschuldung zahlt. Griechenland zahlt einen durchschnittlichen Zinssatz von nur 2,4% (bei den10jährigen Anleihen 9%), da der Zinssatz für kurzfristige Anleihen sehr ist und IWF und EZB Kredite zu sehr günstigen Konditionen anbieten.
      Siehe zum Artikel auch die Sendungen “Immer mehr Griechen ohne Krankenversicherung” und “Die Krise macht die Griechen krank“.

  5. Euro-Krise: “Zurück auf den Boden des Rechts”
    Die Sparpolitik der Troika ist juristisch angreifbar und verstößt teils gegen Menschenrechte, sagt der Jurist Andreas Fischer-Lescano. Er fordert eine Prüfung der Verträge und bereitet damit den Boden für Klagen gegen den EU-Kurs: “Die Sparmaßnahmen, die die Troika festsetzt, verpflichten in vielen Bereichen zu konkreten Grundrechtseingriffen. Die Tarifautonomien werden ausgehöhlt, Mindestlöhne gesenkt, Gesundheitskosten auf Patienten abgewälzt. Ähnliches gilt für den Bereich Bildung. Die Folgen dieser Politik sind von der Internationalen Arbeitsorganisation bis zum Europäischen Sozialausschuss, der die Einhaltung der Europäischen Sozialcharta überwacht, als menschenrechtswidrig kritisiert worden, weil sie gerade die besonders verletzbaren Gruppen – Kinder, Frauen, Migrantinnen und Migranten, Behinderte – benachteiligt; aber auch weil sie zu einer Verarmung geführt haben, die ganze Generationen in die Hoffnungslosigkeit treibt. … es ist an der Zeit, die Sparpolitik auch juristisch zu diskutieren. Die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank, beide neben dem Internationalen Währungsfonds Mitglieder der Troika, müssen wieder auf den Boden des Rechts zurückgeführt werden. Die europäischen Institutionen sind an die Grundrechtecharta gebunden. Sie verhandeln mit den betroffenen Staaten und setzen die Auflagen fest.
    Quelle: FR
  6. Studie: Ausbeutung als Geschäftsmodell
    26 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen und 19 Finanzinstitute, die wegen diverser Verstöße gegen Menschenrechte und Umweltschutz oder deren Finanzierung aufgefallen sind: Sie stehen im Mittelpunkt einer neuen Studie mit dem Titel “Dirty Profits 2”, die mehrere Nichtregierungsorganisationen wie Urgewald, Solidaritätsdienst international und EarthLink am Montag in Berlin vorstellten. Die schmutzigen Milliardengewinne basieren demnach auf Menschenrechtsverletzungen, Korruption, Ausbeutung und Umweltzerstörung. All dies gehöre immer noch zum Geschäftsmodell global agierender Unternehmen. – Bei den 26 Unternehmen handelt es sich vor allem Rohstoffkonzerne wie Rio Tinto oder Shell, aber auch um Firmen wie den Agrargiganten Monsanto, die Rüstungsschmiede Rheinmetall und den Atomkonzern Areva. Zusammen erzielten sie allein im vergangenen Jahr einen Gewinn von mehr als 90 Milliarden Euro. Knapp 33 Milliarden Euro stellten die 19 untersuchten europäischen Banken und Versicherungen zwischen 2011 und 2013 diesen Unternehmen zur Verfügung – direkt durch Kredite und indirekt durch die Ausgabe von Aktien und Anleihen. Das meiste Geld sei von der Deutschen Bank, der Credit Suisse und der französischen BNP Paribas gekommen. Gazprom etwa erhielt im Untersuchungszeitraum 3,4 Milliarden Euro. Gegen die Ölbohrungen des Konzerns in der Arktis hatten die Greenpeace-Aktivisten demonstriert, die wochenlang in russischen Gefängnissen saßen.
    Quelle: taz

    dazu: Presseerklärung – DIRTY PROFITS – Milliardengewinne auf Kosten der Menschenrechte
    Quelle: Facing Finance

  7. Bundesarbeitsgericht begrenzt Leiharbeit nicht
    Nach einem am Dienstag verkündeten Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) fehlt es an gesetzlichen Sanktionen, um den massenhaften Dauereinsatz von Leiharbeitern in Unternehmen zu beschränken. Der Gesetzgeber habe im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz bewusst auf Sanktionen für den Fall verzichtet, dass Leiharbeiter nicht nur, wie vom Gesetz angeordnet, „vorübergehend“, sondern jahrelang Unternehmen überlassen werden. Da auch das Recht der Europäischen Union für diesen Fall keine „wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen“ vorsehe, ihre Bestimmung vielmehr den Mitgliedstaaten überlassen sei, könne „angesichts der Vielzahl möglicher Sanktionen“ allenfalls der Gesetzgeber tätig werden, keinesfalls die Arbeitsgerichtsbarkeit.
    Quelle: FR

    Anmerkung Orlando Pascheit: So ganz typisch dreist und dumm, so ganz und gar für den (Un) geist des heruntergekommenen, modernen Kapitalismus repräsentativ, wird dann auch noch von Arbeitgeberseite die nun wirklich unternehmensfreundliche “Regelung” im Koalitionsvertrag als “rücksichtslos” gebrandmarkt. Dass das Kapital ihren Sieg über die Arbeit feiert, war zu erwarten – in diesen Zeiten gilt schon lange nicht mehr kluge Vorausschau, der kurze Profit zählt -, aber dass die Kapitalseite sich auf diesem Argumentationsniveau bewegen darf … . – Der berühmte Klebeeffekt für die “Schwächsten am Arbeitsmarkt”, also für die Arbeitslosen, beträgt laut IAB 7 Prozent. Warum wohl gründen manchen Unternehmen eigene Zeitarbeitsfirmen? Kosten drücken, was sonst?!
    Die 18-Monats-Begrenzung im Koalitionsvertrag ist ein Witz. (Im Übrigen gibt es Ausweichmöglichkeiten) Sie kann nur als Einladung zu Missbrauch verstanden werden. Und dann die Neuregelung im Koalitionsvertrag, dass nach neun Monaten im selben Betrieb die Leiharbeiter das gleiche Gehalt bekommen sollen wie die Stammbelegschaft. 50 Prozent der Entleihungen dauern nicht länger als drei Monate! – Man stelle sich die einfache Frage: Wozu dient Leiharbeit? Sie dient dazu, kurzzeitige Auftragsspitzen aufzufangen. Man sollte doch meinen, dass diese dringend, notwendigen, einspringenden Leiharbeiter den Unternehmen etwas wert sind. Also lasst uns die Schröder-Deregulierung über Klinge springen lassen und “equal pay” realisieren, die gleiche Bezahlung für Leiharbeit wie für die Stammbelegschaft – ab dem ersten Arbeitstag. Wer das nicht möchte, ist auf Lohndumping aus und kämpft nicht um den Verlust von Aufträgen. (Übrigens war die Zeitarbeit in den 70er Jahren auf drei Monate begrenzt. Zugrunde gegangen ist nach meiner Kenntnis daran niemand).

  8. Tarifstreit bei Pin-AG: Wer nicht streikt, kriegt 500 Euro
    Ein Tag Arbeitsverbot für jeden Streiktag: Briefdienstleiter Pin schlägt im Tarifstreit mit der Gewerkschaft Verdi radikal zurück, denn gerade in der Vorweihnachtszeit macht das Unternehmen seinen Hauptumsatz. Etwa 750 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen im Bereich Zustellung. Rund 250 von ihnen haben vergangenen Freitag und Samstag gestreikt. Dann kam die Aussperrung. Als Reaktion darauf rief die Gewerkschaft die Mitarbeiter nun zu einem unbefristeten Streik auf. Einer der Streikenden ist ein Zusteller aus Reinickendorf. Aus Angst vor Repressalien will er seinen Namen nicht nennen. Seit zehn Jahren arbeitet er für Pin. Sein Einstiegsgehalt lag bei 1380 Euro. Inzwischen verdient er gerade einmal 60 Euro im Monat mehr. „Ich streike auf jeden Fall weiter“, sagt er. Und das, obwohl Pin-Vorstandschef Axel Stirl sich persönlich in einem dramatisch formulierten Brief, der dem Tagesspiegel vorliegt, an die Mitarbeiter wandte: „Wir werden Ihnen mit dem Januargehalt eine Prämie auszahlen, wenn Sie sich an einem solchen Streik nicht beteiligen“, verspricht Stirl darin. Die Prämie liege bei 500 Euro. 300 davon sollen noch vor Weihnachten überwiesen werden. „Verdi verkennt, dass mehr als zuletzt angeboten nicht aus dem Unternehmen herauszupressen ist. Es ist einfach nicht mehr da“, schreibt Stirl weiter. Auf 50 Euro mehr brutto belief sich das letzte Angebot, das Pin Verdi machte. Nun verspricht Stirl den Beschäftigten in dem Schreiben zwischen 70 und 120 Euro mehr im Monat. An Verdi sei dieses Angebot aber nicht herangetragen worden, sagt Benita Unger, die für die Gewerkschaft an den Verhandlungen teilnimmt.
    Quelle: Tagesspiegel
  9. Studie zum Schuldenstand: Viele deutsche Städte längst bankrott
    In Dresden und Wolfsburg haben die Kämmerer gut lachen: Als einzige Kommunen mit mehr als 100.000 Einwohnern sind die beiden Städte schuldenfrei. Dagegen drücken andernorts Verbindlichkeiten in Milliardenhöhe. Die Schere zwischen armen und reichen Großstädten in Deutschland öffnet sich immer weiter. Das hat eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young ergeben, für die Daten der Statistikämter von Bund und Ländern ausgewertet wurden (2010-2012). Während die wirtschaftsstarken Städte 2012 beim Schuldenabbau vorankamen, gerieten hoch verschuldete Kommunen noch stärker in die Miesen. So stieg zwischen in den zwei Jahren die Zahl der Großstädte mit einer geringen Pro-Kopf-Verschuldung (unter 1000 Euro) von 15 auf 19. Gleichzeitig gab es bei Kommunen mit sehr hoher Pro-Kopf-Verschuldung (mehr als 4000 Euro) einen Zuwachs von 14 auf 21. Immer mehr Städten droht der Studie zufolge die Zahlungsunfähigkeit. “De facto sind viele deutsche Städte längst bankrott”, sagte Hans-Peter Busson von Ernst & Young. “Und wir sind nach wie vor weit von einer nachhaltigen und strukturellen Lösung des kommunalen Schuldenproblems entfernt.” In vielen Städten gebe es kaum noch freiwillige Leistungen, die gekürzt werden können. Und auch bei Gebührenerhöhungen gebe es Grenzen des Zumutbaren. Die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse zwinge viele Bundesländer dazu, ihre Zahlungen an die Kommunen zu kürzen. Das drohe deren Finanznot zu verschärfen.- Insgesamt wuchs der Schuldenberg der deutschen Großstädte im untersuchten Zeitraum von 44,8 Milliarden auf 47,9 Milliarden Euro – ein Anstieg um knapp sieben Prozent innerhalb von zwei Jahren.
    Quelle: Tagesschau
  10. Unrealized, Unforeseen Environmental Results Of NAFTA
    When the U.S., Canadian, and Mexican governments were negotiating the North American Free Trade Agreement back in the 1990s, environmentalists warned that lowering trade barriers would create a race to the bottom. Businesses would move to the country with the weakest pollution rules: Mexico. By and large, those fears were not realized. But as NPR’s Elizabeth Shogren reports, the trade deal had other environmental consequences that activists never dreamed of.
    Quelle: npr

    Anmerkung eines Lesers der NachDenkSeiten: Das derzeit verhandelte Freihandelsabkommen TTIP soll meines Wissens ebenfalls Unternehmen Klagerechte gegen Nationalstaaten einräumen. Vielleicht gibt der Bericht oben daher einen Einblick in eine mögliche Folge des TTIP.

  11. Landwirtschaft in Ostdeutschland: Amerikanische Verhältnisse
    Landraub vor der Haustür: In Ostdeutschland kassieren Großinvestoren millionenschwere EU-Subventionen. Seit der Finanzkrise 2008 suchen Investoren neue Anlagemöglichkeiten jenseits von Aktien und Häusern in den Metropolen. Ackerboden steht für sichere und einträgliche Renditen. Die Unternehmen greifen in Ostdeutschland nach Land. Die Flächen haben die Größe alter Rittergüter oder die Dimension von preußischem Grundbesitz. Viele der Käufer sind ursprünglich „außerlandwirtschaftliche Investoren“: Eckehard Niemann von der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ hat schon im „Kritischen Agrarbericht 2010“ ein gutes Dutzend solcher Großinvestoren aufgelistet: Darunter die Steinhoff Familienholding etwa, denen rund 2.800 Hektar eigenes Land zugeschrieben werden und die insgesamt etwa 20.000 Hektar bewirtschaftet. Oder die „JLW Holding AG“ des Viehhändlers Jürgen Lindhorst aus Winsen, die ihr Geschäft auf Landwirtschaft, Immobilien und Seniorenpflege gründet. JLW kultiviert 24.000 Hektar in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Und die Übernahmen gehen weiter.
    Quelle: taz.zeo2

    Anmerkung Roger Strassburg: Was heißt hier amerikanische Verhältnisse? Ja, die Flächen amerikanischer Felder sind größer, als in Deutschland. Aber nicht annährend so groß, wie die Flächen, die hier beschrieben werden. Und die meisten landwirtschaftliche Betriebe sind nach wie vor Familienbetriebe (“Family Farms”), die deshalb größer geworden sind, weil viele Kinder der Landwirte nicht auf dem Land bleiben wollen (ich gehöre selbst dazu), und mit modernen Landwirtschaftsgeräten können eine oder zwei Personen viel mehr Fläche bearbeiten, als noch vor wenigen Jahrzehnten.

  12. Bestechung von Abgeordneten: Einfach nur noch peinlich
    Vor zehn Jahren wurde die Bestechung von Abgeordneten international verboten. Ausgerechnet in Deutschland trat das Abkommen allerdings nie in Kraft. Jetzt machen Unternehmen und Ex-Politiker Druck, sie fürchten um das Ansehen der Bundesrepublik. In der Frage der Abgeordneten-Korruption steht die Industrienation damit noch immer auf einer Stufe mit Ländern wie Nordkorea, Sudan und Syrien – und mit Japan, auch dort ist die Bestechung von Volksvertretern bislang nicht untersagt. Jetzt will auch der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU), der lange den Siemens-Konzern beriet, bei seinen früheren politischen Freunden Dampf machen . “Es wird höchste Zeit, das Abkommen zu ratifizieren”, fordert der Ex-Politiker. “Die Welt schaut mit Erstaunen auf Deutschland.” Die Bundesregierung könne nicht von anderen Ländern beim Beitritt zur Europäischen Union hohe moralische Standards verlangen und selbst im Beobachterstatus bleiben. “Das kann nicht richtig sein”, meint der langjährige CSU-Politiker. “Wenn alle demokratischen Länder in Europa für diese Frage eine Lösung gefunden haben, dann müsste das auch für Deutschland möglich sein.” Er werde sich mit den Vorsitzenden der drei Koalitionsparteien in Verbindung setzen und sie bitten, das Thema in die Regierungserklärung aufzunehmen: “Die Zeit ist gekommen.” – Schaut man in den Koalitionsvertrag, steht dort nur ein dürrer Satz: “Wir werden die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung neu regeln.” Der Passus sei deswegen so schmal gehalten, weil es letztlich um die Rechtsstellung des Abgeordneten ginge. Diese sollte aus der Mitte des Bundestags heraus geregelt werden und nicht durch die Parteien im Koalitionsvertrag, heißt es aus der Unionsspitze.
    Quelle: SZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Die Einlassung von Siegfried Kauder muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Wenn man Abgeordneten dieselben strengen Regeln auferlege wie Beamten, sei Parlamentarismus, “wie wir ihn gewohnt sind”, nicht mehr möglich.

  13. Suche nach NSU-Terroristen: LKA-Fahndung gezielt verhindert?
    Die Fahndung nach dem gesuchten Neonazi Uwe Böhnhardt wurde nach Aussagen eines LKA-Beamten gegenüber Report Mainz gezielt verhindert. Demnach hatte der heutige LKA-Präsident Werner Jakstat im Jahr 2003 die Anweisung gegeben, einem Zeugenhinweis nicht weiter nachzugehen. Damit liegt erstmals seit Auffliegen des NSU eine konkrete Aussage vor, dass Behörden gezielt ein Ergreifen des Trios verhindert hätten.
    Quelle: Tagesschau
  14. Flüchtlinge auf Lampedusa: Vergebliche Hilferufe
    Die Schiffskatastrophe vor Lampedusa, bei der am 3. Oktober 366 Flüchtlinge – vorwiegend aus Eritrea und Somalia – ertranken, löste weithin Entsetzen aus. Als acht Tage später vor der italienischen Insel wieder ein Schiff sank und mehr als 250 Menschen – fast alle aus Syrien – ihr Leben verloren, wurde dies in der Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommen.
    Das Drama nahm seinen Anfang in Libyen. Am 11. Oktober um ein Uhr morgens verließ ein Fischkutter mit rund 480 Flüchtlingen an Bord den Hafen von Suara, einer Stadt 100 Kilometer westlich von Tripolis. Um 3 Uhr früh tauchte ein Patrouillenboot einer libyschen Miliz auf, das den Fischkutter mehrfach beschoss, bevor es um 6 Uhr abdrehte. Mindestens zwei Flüchtlinge wurden verletzt. Um 10 Uhr drang Wasser durch die defekte Wand ins Boot ein. Kurz vor 11 Uhr stieg der Bootsführer, ein 21-jähriger Tunesier, aufs Dach der Brücke und rief nach einer Person, die des Englischen mächtig sei und um Hilfe rufen könne. Es meldete sich der syrische Arzt Mohanad Jammo. Der Bootsführer reichte ihm das Satellitentelefon. Die Nummer der italienischen Seenotrettung hatte die Frau des Arztes vorsorglich in ihrem Smartphone abgespeichert. Um 11 Uhr schrie Jammo ins Telefon: „Wir sind auf einem Boot mitten im Meer, wir sind alles Syrer. Viele von uns sind Ärzte. Das Boot geht unter!“ Auf der anderen Seite meldete sich eine Frau. Sie bat ihn um die genauen geografischen Koordinaten. Jammo kontrollierte die GPS-Angaben von drei Smartphones und diejenigen des GPS-Geräts des Bootes. Die Angaben stimmten überein. Er gab sie durch. Doch es passierte nichts. Gegen 12.30 Uhr rief Jammo ein zweites Mal an. Auf der anderen Seite sagte dieselbe Frau nur: „Ok, ok, ok.“ Das war alles. Als der Arzt um 13 Uhr zum dritten Mal dieselbe Nummer anrief, antwortete ein Mann und gab ihm Bescheid, für das Gebiet, in dem sich das Boot befinde, sei Malta zuständig. Er gab ihm die Nummer der Malteser Marine durch. Jammo rief in Malta an. Vier Stunden danach, um 17.10 Uhr, sank das Boot. Als ein maltesisches Flugzeug um 17.20 Uhr Schwimmwesten und Schlauchboote abwarf, schwammen schon viele Flüchtlinge im Wasser.
    Quelle: FR

    Anmerkung Orlando Pascheit: Was ist nur mit meinem geliebten Italien los? Jeder normale Mensch hätte doch sofort die Küstenwache losgeschickt bzw. andere Schiffe in der Nähe alarmiert oder? Sicher, der Ausländeranteil in Italien hat sich in zehn Jahren verdreifacht, ist von 1,3 auf mehr als vier Millionen geklettert. Mag sein, dass dieser Anstieg zu rasch war und wie ein Schock wirkte und dadurch die bereits vorhandene Xenophobie in Feindlichkeit umschlug. Aber dennoch bleibt es ein Rätsel, warum so viele Italiener z.B. daran festhalten wollen, dass Bootsflüchtlingen nicht geholfen werden darf. Es gilt immer noch das verschärfte Bossi-Fini-Gesetz von 2008: Illegale Einwanderung steht unter Strafe, und Fischer, die Flüchtlinge retten wollen, machen sich diesem Gesetz zufolge strafbar. Dazu passt das Verhalten Beppe Grillos, der sich immer mehr als Populist in einem höchst unguten Sinne erweist. Als zwei Senatoren seiner 5-Sterne-Bewegung mit einer Änderung des Bossi-Fini-Gesetzes tastsächlich eine Mehrheit fanden, pfiff Grillo diese schleunigst zurück. Die Abschaffung des Straftatbestands illegaler Einwanderung gehöre keinesfalls zum Programm des M5S. Cartrin Dingler schreibt in ihrem Artikel “Friedhof Mittelmeer“: “In unmissverständlich rechtsextremer Diktion wurde die Suggestivfrage gestellt, wie viele clandestini Italien wohl aufnehmen könne, wo doch jeder achte Italiener schon nichts zu essen habe. Grillo kennt die rassistischen Ressentiments, die sein Publikum mehrheitlich hegt. Zwei Jahrzehnte repressive Immigrationspolitik haben in der italienischen Gesellschaft ihre Spuren hinterlassen.” Wer jetzt noch meint, dass Grillo ein fortschrittlicher Politiker mit Visionen für ein besseres Italien sei, muss angesichts solchen Verhaltens umdenken. – Allerdings wäre es verfehlt anzunehmen, dass es in Deutschland viel anders aussieht. Die deutsche Politik schielt auf europäischer Ebene seit dem Dublin-Abkommen von 1990 bis zur Unterstützung des neuen Europäischen Grenzüberwachungssystems (Eurosur) im Sinne einer noch besseren Abwehr von Flüchtlingen auf die Überfremdungsängste der deutschen Bevölkerung.
    Wenn ich die Toten im Mittelmeer vor Augen habe, ihren verzweifelten Kampf und mir dann die Worte unseres Innenministers zu Gemüte führe: “Deutschland ist das Land, das die meisten Flüchtlinge in Europa aufnimmt. … Das zeigt, dass die Erzählungen, dass Italien überlastet ist mit Flüchtlingen, nicht stimmen”, packt mich das Grauen. Sind wir wieder soweit: der Tod, ein Meister aus Deutschland? In aller Ruhe haben in diesen Tagen in Brüssel die EU-Innenminister über Konsequenzen aus den jüngsten Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer beraten und beschließen: “Noch mehr Grenzkontrollen und Patrouillenfahrten, um Boatpeople aus Afrika abzufangen, bevor sie in der EU landen oder ertrinken – obwohl jedem klar sein müsste, dass die Maßnahmen weder das eine noch das andere verhindern werden.” Warum, zum Teufel, bietet Deutschland nicht an, sämtliche Bootsflüchtlinge aufzunehmen oder zumindest einen Teil davon, z.B. die Syrer. Von wegen die meisten Asylsuchenden, setzt man die Zahl der Asylsuchenden ins Verhältnis mit der Einwohnerzahl der jeweiligen Länder steht Deutschland an 8. Stelle.- .- Der Tod, ein Meister aus Deutschland! Haben wir nichts gelernt? Geschichte wiederholt sich zwar nicht in der selben Form, aber lernen könnten wir schon: Wenn Abweisung Tod bedeutet, dann töten wir. Und wir schicken wieder Bürokraten vor. (Tut mir leid, wenn dieser Schluss pathetisch und etwas wirr daherkommt, aber dieser Hinweise heute schafft mich wieder einmal)

    passend dazu: EU-Grenzschutz: Ein verlorenes Jahr
    Knapp ein Jahr nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU – unter anderem für ihren Einsatz für die Menschenrechte (siehe Kasten) – stellte Malmström am vergangenen Donnerstag die Empfehlungen der “Post-Lampedusa Task Force” vor: Das 85 Millionen Euro umfassende Frontex-Budget wird um 30 Millionen Euro aufgestockt, um Italien bei der Grenzüberwachung zu unterstützen. Dabei hatte gerade Italien in der Vergangenheit immer wieder Flüchtlingsboote untergehen lassen, obwohl es über deren Position genau informiert war. Länder wie Bulgarien bekommen 20 Millionen Euro mehr, um ihre “Aufnahmekapazitäten zu verbessern”. Das bedeutet im Fall der südeuropäischen Länder oft: Internierungslager für Flüchtlinge. Schließlich gab Malmström bekannt, die Verhandlungen mit Aserbaidschan und Tunesien zu einer “Mobilitätspartnerschaft” beendet zu haben. Damit schließt sich entlang der EU-Grenzen (siehe Karte) eine Kette von Nachbarstaaten, die fast alle auf die eine oder andere Weise in das System zur Abwehr von Migranten integriert sind: Gegen Geldzahlungen – und selten auch Erleichterungen bei der Visavergabe – arbeiten diese Länder mit Frontex zusammen. Sie schließen die Transitrouten Richtung Europa oder nehmen abgeschobene Flüchtlinge zurück. So erspart sich die EU die teure Rückführung in die Heimatländer. Was dann mit den Menschen passiert, interessiert Europa nicht mehr. Stattdessen werden die Befugnisse von Frontex erweitert: Am Montag hat das EU-Parlament über einen Vorschlag der Innenkommissarin abgestimmt, die Überwachung der Seeaußengrenzen neu zu regeln. Frontex soll künftig auch auf Hoher See, außerhalb der europäischen Territorialgewässer, Flüchtlingsboote stoppen, durchsuchen und sogar zurückschleppen dürfen. Gegen den Widerstand von Ländern wie Italien sollen die Grenzschützer allerdings in Zukunft verpflichtet sein, grundsätzlich Hilfe in Seenot zu leisten.
    Quelle: taz

  15. Jomo Kwame Sundaram – Den Hunger beenden
    Während viele Entwicklungsländer, in denen 827 Millionen der unterernährten Menschen der Welt leben (im Vergleich zu 838 Millionen 2010-2012), den Anteil der Hungernden im Vergleich zu 1990 bis 2015 halbieren werden, ist der durchschnittliche Rückgang nicht ausreichend, um die Vorgaben für die nächsten zwei Jahren zu erreichen. Wie aus SOFI 2013 hervorgeht, hat sich der Fortschritt bei der Bekämpfung von Hunger und Unterernährung seit 2000 verlangsamt, als die Nahrungsmittelpreise anfingen, zu steigen, nachdem sie fast ein halbes Jahrhundert lang gesunken waren. Obwohl ein schnelles Wirtschaftswachstum das Pro-Kopf-Einkommen in weiten Teilen der entwickelten Welt hat steigen lassen, werden die Einkommenszuwächse doch nicht gleichmäßig verteilt, so dass hunderte millionen Menschen höhere Lebensmittelpreise zahlen müssen, ohne dass ihr Einkommen entsprechend gestiegen wäre. In der Zwischenzeit haben im vergangenen halben Jahrzehnt Geldtransfers trotz abnehmender Beschäftigung von Migranten und sinkender Einkommen dazu beigetragen, Armut zu bekämpfen, Hunger zu reduzieren, die Ernährung zu verbessern und die Investition in die Landwirtschaft zu erhöhen. Global sind die Transferzahlungen fast dreimal so hoch wie die offizielle Entwicklungshilfe, die in den reichen Ländern in den vergangenen Jahren teilweise den Sparmaßnahmen zum Opfer fiel. Das sub-saharische Afrika hat nach einem Vierteljahrhundert der wirtschaftlichen Stagnation im letzten Jahrzehnt einige Fortschritte gemacht, weist aber noch immer die höchste Unterernährungsquote der Welt auf. Erfolge in Südasien und Nordafrika waren bescheiden, während sich die Bedingungen in Westasien sogar verschlechterten. – Ein guter Anfang ist bereits gemacht, jetzt ist es an der Zeit, den Job zu Ende zu bringen.
    Quelle: Project Syndicate


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