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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 21. März 2014 um 8:31 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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  1. Ukraine
  2. Russlands imperiales Erbe: Der grosse Bruder und die kleine Schwester
  3. Das Versagen unserer Eliten, zu Lasten der Mehrheit
  4. So hat sich das Gehalt der Dax-Vorstände verändert
  5. Mindestlohn
  6. »Bewegung tut gut«
  7. OECD warnt vor der Vertiefung der sozialen Spaltung
  8. US-Firmen fordern Milliarden-Beträge
  9. Kasse machen mit Patienten
  10. Internet-Giganten wussten alle von Prism
  11. Kommunalwahl-Ergebnis: CSU rutscht in Bayern unter 40 Prozent
  12. 21 Seitenwechsler vor dem Kanzleramt: Regierung muss handeln 38.000 Unterschriften für gesetzliche Karenzzeiten überreicht
  13. Nur ein bisschen weniger neoliberal? Streit um neues NRW-Hochschulgesetz
  14. Schavan verliert Prozess um Doktortitel
  15. Exotisches Aussehen als Verdachtsmoment
  16. Flüchtlingsansturm reißt nicht ab: Italienische Marine rettet über 2000 Personen
  17. Rezension: Max Weber wäre heute wohl streitbarer Außenseiter – die Gründe dafür lassen ihn so aktuell erscheinen

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Ukraine
    1. Ringen um die Machtgeometrie
      Mit der Entscheidung Ende November 2013, die Unterzeichnung des Assoziationsabkommens zwischen der Ukraine und der Europäischen Union auf Eis zu legen, hat sich Präsident Viktor Janukovitsch mächtige Feinde in Brüssel und vor allem in Berlin gemacht. Bereits die unmittelbare Reaktion der deutschen Kanzlerin enthielt eine kaum versteckte Drohung: “‘Die Tür für die Ukraine bleibt offen‘, betonte Merkel nach der Pleite mehrfach. Man sei weiterhin gesprächsbereit. Das klang nach mühsamer Gesichtswahrung, wie sie nach Niederlagen üblich ist. Aber es heißt auch: Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Und die Kanzlerin will vor der nächsten Runde eine neue Figur ins Spiel bringen: Vitali Klitschko.“
      Obwohl es sicher gute Gründe gibt, gegen die korrupte Janukovitsch-Regierung auf die Straße zu gehen, repräsentiert die Protestbewegung weder die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung noch sollte man irgendwelche Hoffnungen an das sie anführende Dreierbündnis verschwenden. Es besteht einmal aus der neo-faschistischen Swoboda („Freiheit“) mit Oleg Tjagnibok an der Spitze, die mit ihren Schlägertrupps unter anderem dafür sorgte, dass linke Studenten und Gewerkschafter regelrecht vom zentralen Protestplatz, dem Maidan in Kiew, weggeprügelt wurden. „Batkiwschtschina“ („Vaterland“) wiederum repräsentiert Teile der Oligarchie und wird von der inhaftierten und ebenfalls hochgradig korrupten Julia Timoschenko angeführt. Und dann gibt es schließlich noch „Udar“ („Schlag“) mit dem Aushängeschild Vitali Klitschko. Die deutliche Affinität für die Partei des ehemaligen Boxweltmeisters, der hierzulande von Politik und Medien aktuell zur Galionsfigur der Protestbewegung hochstilisiert wird, resultiert vor allem aus ihrer klar pro-europäischen Ausrichtung. Diese Programmatik ist allerdings nicht weiter überraschend, schließlich wurde Udar faktisch von der CDU-nahen Konrad-Adenauer Stiftung ins Leben gerufen und seither unter anderem mit Geldern der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament beatmet.
      Was die deutschen und europäischen Interessen anbelangt, so geht es einmal darum, den neoliberalen Umbau der Ukraine weiter zu forcieren und dadurch den westeuropäischen Konzernen ein riesiges Absatz- und Investitionsgebiet zu erschließen. Wichtiger noch ist aber die Rolle der Ukraine als geopolitischer Schlüsselstaat in den Auseinandersetzungen zwischen zwei sich zunehmend feindlich gegenüberstehenden Blöcken, der Europäischen Union und der von Moskau initiierten Zollunion. Es ist vor allem Deutschland, das hier überaus aggressiv agiert und buchstäblich an vorderster Front kämpft: „Der Kampf um die Ukraine ist einer zwischen dem russischen Präsidenten und der deutschen Kanzlerin. […] Fast 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges geht es darum, wer es schafft, die früheren Sowjetrepubliken der Region in seinen Einflussbereich zu ziehen. Es geht um Geopolitik, um das ‚Grand Design‘, wie es die Experten gern nennen.“
      Quelle: Informationsstelle Militarisierung
    2. »Die Einseitigkeit ist grotesk«
      Über den Ukraine-Konflikt, die Rolle der deutschen Politik und die Berichterstattung in den hiesigen Medien. Ein Gespräch mit Iwan Rodionow.
      Quelle: junge Welt
    3. Das Völkerrecht und das Volk
      In der Politik haben Worte wenig Wert. Zum Beispiel in Russland. Am Dienstag sprach Staatschef Wladimir Putin vor den Abgeordneten des russischen Parlaments. Er sagte, das Referendum vom Sonntag zur Eingliederung der Krim in die Russische Föderation habe «allen demokratischen Standards entsprochen» und stehe «im Einklang mit internationalem Recht».
      Das ist offensichtlich gelogen. Bislang sind weltweit noch kaum Rechtsgelehrte aufgetreten, die Russlands Vorgehen als völkerrechtskonform abgesegnet hätten. So betont auch Norman Paech, emeritierter Hamburger Rechtsprofessor, die Abspaltung der Krim sei illegal, weil sie einseitig und ohne rechtliche Grundlage in der Ukraine erfolgte. Zudem sei die Entsendung russischer Truppen weder im Rahmen des Stationierungsvertrags mit der Ukraine noch als humanitäre Intervention zu rechtfertigen.
      Gerade weil Putin lügt, sollten diejenigen, die an einer Deeskalation der Krise interessiert sind, versuchen, die Beweggründe Russlands zu verstehen. Paech, der in der deutschen Partei Die Linke aktiv ist, hält der EU und den USA einen Spiegel vor: «Die Staaten, die jetzt das Völkerrecht hochhalten, haben es zuvor noch viel massiver verletzt.» Er spricht damit etwa den US-britischen Angriffskrieg im Irak an, der Hunderttausenden das Leben gekostet hat. Zudem hätten die EU und die Nato die Macht- und Sicherheitsinteressen Moskaus zu wenig beachtet. Das sei keine Entschuldigung für die russischen Rechtsverletzungen, sagt Paech. Aber der Westen habe deswegen jetzt schlechte Karten, um die Krise lösen zu können.
      Quelle: WOZ
    4. Die Krim-Krise und die Versäumnisse des Westens: Warum die NATO ihre Strategie überdenken sollte
      Die Nicht-Anerkennung des Wahlergebnisses in Bezug auf die Krim und die Reaktionen der neuen Regierung in Kiew, der EU und der NATO sind umso erstaunlicher, da der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen 2010 in Bezug auf den Kosovo festgestellt hat, dass eine einseitige Unabhängigkeitserklärung eines Landesteils das allgemeine internationale Recht nicht verletzt.
      Soll das Völkerrecht nur dann zum Tragen kommen, wenn es die geostrategischen Interessen des Westens vertritt? Der von Reinhard Müller in der “FAZ” vom 15. März vertretenen Meinung, das Krim-Referendum sei kein Akt der “Selbstbestimmung”, kann nicht gefolgt werden: Völkerrecht ist keine Manövriermasse geopolitischer Interessen.
      Quelle: Deutschlandradio Kultur
    5. Henry A. Kissinger: “Eine Dämonisierung Putins ist keine Politik”
      Vier Vorschläge für eine ausbalancierte Unzufriedenheit…
      Die Ukraine-Frage wird viel zu oft als ein Showdown dargestellt: Geht das Land an den Westen oder an den Osten? Aber um zu überleben und sich zu entwickeln, darf die Ukraine Niemandens Vorposten sein…
      Die Dämonisierung von Wladimir Putin ist keine Politik. Sie ist ein Alibi für die Abwesenheit von Politik…
      Es geht jetzt nicht um absolute Zufriedenheit, sondern um ausbalancierte Unzufriedenheit…
      Quelle: Internationale Politik und Gesellschaft IPG

      Anmerkung WL: Wo Kissinger Recht hat, hat er Recht. Zu Kissinger allerdings auch „Die Initiative Zivile Uni Bonn lehnt die geplante „Henry Kissinger-Professur für Internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung“ an der Universität Bonn ab

  2. Russlands imperiales Erbe: Der grosse Bruder und die kleine Schwester
    Die jüngsten Ereignisse haben zu einer dramatischen Konfrontation Russlands mit der Ukraine geführt. Dies ist ein neues Phänomen, denn beide Staaten bestehen erst seit dem Jahr 1991, als die 15 Sowjetrepubliken, unter ihnen die Russische und die Ukrainische, ihre Unabhängigkeit erklärten. Damals versetzten gerade die Präsidenten Russlands und der Ukraine, Boris Jelzin und Leonid Krawtschuk, der Sowjetunion den Todesstoss. Allerdings beruft sich die Russische Föderation auf eine ungebrochene, bis ins Mittelalter zurückgehende Staatlichkeit, während die Ukraine nur auf kurzfristige Ansätze von Staatsbildung im 17. Jahrhundert und in den Jahren 1918 bis 1920 zurückgreifen kann. Der grösste Teil der Ukraine war während dreier beziehungsweise zweier Jahrhunderte Teil des Zarenreiches und der Sowjetunion, und dieses imperiale Erbe hatte eine Asymmetrie in den russisch-ukrainischen Beziehungen zur Folge, die bis heute anhält.
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Der inzwischen emeritierte Historiker Andreas Kappeler beschäftigt sich seit seiner Habilitation mit dem Russland der Neuzeit. U.a. initiierte er ein internationales Forschungsprojekt zu russisch-ukrainischen Beziehungen.

  3. Das Versagen unserer Eliten, zu Lasten der Mehrheit
    Auf beiden Seiten des Atlantiks dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr deutlich stärker steigen als 2013. Doch bevor jene politischen Führer, die sich nach 2008 für die Sparpolitik entschieden, den Champagner aufmachen und sich gegenseitig zuprosten, sollten sie prüfen, wo wir derzeit stehen – und sich den nahezu irreparablen Schaden vergegenwärtigen, den ihre Politik angerichtet hat. Denn logischerweise geht jeder Abschwung irgendwann zu Ende. Das Kennzeichen guter Politik ist allerdings, dass sie den Abschwung erfolgreich kürzer und weniger tief macht, als er es sonst gewesen wäre. Das Kennzeichen der von vielen Regierungen verfolgten Sparpolitik dagegen ist, dass sie den Abschwung ohne Not deutlich vertiefte und verlängerte, mit lang anhaltenden Folgen.
    Bereits kurz nach Ausbruch der globalen Finanzkrise warnte ich, dass, sofern nicht die richtigen Strategien umgesetzt würden, es zu einer Malaise japanischen Stils kommen könnte – mit niedrigem Wachstum und nahezu stagnierenden Einkommen auf Jahre hinaus. Doch obwohl die politischen Führungen auf beiden Seiten des Atlantiks behaupteten, sie hätten aus dem Fall Japan gelernt, machten sie prompt einige derselben Fehler. Inzwischen warnt selbst ein früherer Spitzenvertreter der US-Regierung, der Ökonom Larry Summers, vor einer langfristigen Stagnation.
    Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik

    Dazu: Top-Ökonom Straubhaar: “Viele Deutsche leben über ihre Verhältnisse”
    Deutschland braucht keine Vermögensumverteilung, sondern gleiche Chancen für alle – fordert Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts. Denn Ungleichheit schaffe auch Fortschritt: “… Oft ist es aber auch so, dass viele Deutsche über ihre Verhältnisse leben, weil sie sich oft mit ihrem Nachbarn vergleichen und mit ihm mithalten wollen. Da wird dann auch zu schnell mal zu viel ausgegeben oder gar ein Konsumentenkredit aufgenommen. … Ich bin der festen Überzeugung: Unter dem Strich hat sich die Gerechtigkeitssituation in Deutschland in den letzten Jahren deutlich verbessert, denn es sind viel mehr Menschen in Arbeit. … ”
    Quelle: Focus

    Anmerkung Orlando Pascheit: So desavouiert sich jeglicher wissenschaftliche Anspruch des Leiters des HWWI. Und dann noch so ein Satz, der vor dem Hintergrund der DIW-Studie über Ungleichheit geradezu von Unwissen strotzt: “Nicht der Nachbar ist die Referenzgröße, sondern vielleicht das Nachbarland.” Und dann noch dieser, der durch seine Doppeldeutigkeit glänzt: “Es gibt zwar innerhalb Deutschlands eine Ungleichheit, aber auf einem sehr hohen Niveau.”

  4. So hat sich das Gehalt der Dax-Vorstände verändert
    Die Dax-Vorstände verdienen heute rund 150 Millionen Euro mehr als noch vor zehn Jahren – ein Plus von fast 70 Prozent. Das zeigt ein Vergleich des Handelsblatt. Die Unterschiede zwischen den Unternehmen sind gravierend…
    Die Vergütung der Vorstände in den führenden deutschen Konzernen des Dax ist im vergangenen Jahr auf ein Rekordniveau gestiegen. Die Topmanager verdienten 2013 sogar deutlich mehr als in den Boomjahren 2006 und 2007. Das zeigt ein Zehn-Jahresvergleich der Vorstandsgehälter des Handelsblatt. Im Vergleich zu 2004 erhalten die Vorstände zwei Drittel mehr Gehalt. Im Schnitt kassiert ein Vorstand heute 3,2 Millionen Euro, ein Vorstandsvorsitzender 5,3 Millionen Euro. 26 der 30 Dax-Konzerne, die bis Donnerstag ihre Geschäftsberichte vorgelegt hatten, mussten für ihre Führungsmannschaften insgesamt 558 Millionen Euro aufwenden.
    Vor zehn Jahren waren es keine 400 Millionen Euro für dieselben Unternehmen.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung WL: Man wird schon fast von Mitleid gerührt, wenn man das „Abendgebet“ des stellvertretenden Chefredakteurs Stefan Manzel dazu liest: Wird nämlich der Kaufkraftverlust mit einbezogen, dann verdienen die Dax-Vorstände in etwa das, was sie schon vor zehn Jahren bekommen hatten. Also kein Grund zur Beunruhigung, alles ist in Ordnung.

  5. Mindestlohn
    1. Jugendliche ohne Mindestlohn? Ausnahmeregelungen fragwürdig, Gefahr von Verdrängungseffekten
      Es gibt kaum Indizien dafür, dass Ausnahmen von einem Mindestlohn sinnvoll sind, um Arbeitsmarktchancen junger Leute zu verbessern. Zwar haben neun EU-Staaten niedrigere Lohnuntergrenzen, meist für Jugendliche unter 18. Wie sie sich auswirken, ist aber wissenschaftlich umstritten. In der Forschungsliteratur finden sich sogar Hinweise auf problematische Verzerrungen am Arbeitsmarkt, weil ältere Beschäftigte verdrängt werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.*
      Auch eine genauere Analyse der Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation von Jugendlichen in Deutschland lässt generelle Ausnahmen vom Mindestlohn nach der WSI-Untersuchung äußerst fragwürdig erscheinen: Bereits heute sind die tariflichen Einstiegslöhne für Ungelernte in vielen Branchen deutlich höher als die Vergütung für Auszubildende, zeigen die WSI-Forscher Marc Amlinger, Dr. Reinhard Bispinck und Dr. Thorsten Schulten. Doch “das grundsätzliche Spannungsverhältnis zwischen Ausbildungsvergütung und Erwerbseinkommen hat bislang nicht zu negativen Anreizen geführt”, resümieren die Wissenschaftler. Denn zugleich sind mehr als 90 Prozent der jungen Leute in Deutschland zwischen 15 und 19 Jahren Schüler, Studenten oder Auszubildende. Auch die große Mehrheit, rund drei Viertel, der Jugendlichen mit Haupt- oder Realschulabschluss geht einer Ausbildung nach. Jene Minderheit der Jugendlichen, die nicht in Ausbildung ist und arbeitet, tut das ganz überwiegend (97 Prozent bei den Unter-18-Jährigen, 74 Prozent bis 21 Jahre) in Minijobs, nicht in Tätigkeiten mit höherer Stundenzahl.
      – Ausnahmen sind diskriminierend –
      Rechtlich sind altersbezogene Sonderregelungen beim Mindestlohn eine offene Form der Altersdiskriminierung, stellen Rechtswissenschaftler wie Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano klar. Der Juraprofessor an der Universität Bremen hält sie daher für verfassungs- und europarechtlich unzulässig. Zu rechtfertigen wäre eine solche Diskriminierung allenfalls, wenn so anderen spezifischen Nachteilen der betroffenen Beschäftigtengruppen auf dem Arbeitsmarkt wirksam entgegengewirkt werden könnte. Doch dieses Ziel werde nicht erreicht, urteilt der Experte für Europa- und Völkerrecht.
      – WSI-Studie analysiert Situation im In- und Ausland –
      Das unterstreicht die Studie des WSI, die sowohl die Erfahrungen in Ländern mit Mindestlöhnen analysiert als auch die Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation von jungen Menschen in Deutschland: “Die zur Rechtfertigung besonderer Jugendmindestlöhne oder gar vollständiger Ausnahmeregelungen für Jugendliche vorgebrachten ökonomischen Gründe sind insgesamt wenig überzeugend.” Das gelte sowohl für das Argument, ohne Ausnahmen drohe mehr Jugendarbeitslosigkeit als auch für die Annahme, ein Mindestlohn könne Jugendliche von einer Ausbildung abhalten.
      – Jugendmindestlöhne meist für Minderjährige –
      21 von 28 EU-Ländern verfügen über einen gesetzlichen Mindestlohn. Fünf von ihnen haben Sonderregeln, die vorsehen, dass Jugendliche unter 18 Jahren nicht den vollen Mindestsatz pro Stunde verdienen müssen: Frankreich, Luxemburg, Irland und Malta, wobei die Franzosen die Ausnahmen auf die ersten sechs Monate der Erwerbstätigkeit befristen. In vier weiteren Staaten gelten aktuell auch für einen Teil der jungen Erwachsenen besondere Bestimmungen: Großbritannien und die Tschechische Republik (befristet auf sechs Monate) setzen ein Mindestalter von 21 Jahren für den Bezug des vollen Mindestlohns voraus, in den Niederlanden sind es 23 und in Griechenland 25 Jahre. In Belgien haben Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam durchgesetzt, die Altersgrenze Anfang 2015 von 21 auf 18 Jahre zu senken.
      “Damit sieht der größte Teil der EU-Länder deutlich weniger Ausnahmen vor als von Arbeitgebervertretern und einigen konservativen Politikern in Deutschland gefordert wird. Das gilt auch für die meisten unserer westlichen Nachbarn, die schon heute höhere Mindestlöhne haben als die 8,50 Euro, die bei uns ab 2015 vorgesehen sind”, sagt WSI-Mindestlohnexperte Schulten. Zugleich sei in der internationalen wissenschaftlichen Debatte äußerst umstritten, ob solche Ausnahmen überhaupt positive Wirkungen haben.
      – Jugendarbeitslosigkeit: Konjunktur und Ausbildungssystem entscheiden, nicht der Mindestlohn –
      Die spezielle Literatur zu Mindestlöhnen kommt zu sehr unterschiedlichen Befunden, zeigen die Wissenschaftler aus dem WSI. Einige ältere Studien, die im Wesentlichen auf statistischen Schätzungen beruhten, attestierten Mindestlöhnen zwar einen leicht negativen Effekt auf die Jobchancen von Teenagern. Dagegen gelangten aber viele neuere Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass sich Mindestlöhne entweder gar nicht oder nur sehr gering auf die Beschäftigung junger Menschen auswirkten. So lautet das Fazit einer umfangreichen Literaturstudie im Auftrag der britischen Low Pay Commission: “Die Größe von Beschäftigungseffekten, die sich aus der Einführung oder Erhöhungen von Mindestlöhnen für junge Leute ergeben, sind in der großen Mehrheit der erfassten Studien extrem klein und am Rande der statistischen Signifikanz.”

      Dazu passt eine zweite Beobachtung: In der Forschungsliteratur über die Ursachen von Jugendarbeitslosigkeit spielen “Mindestlöhne in der Regel kaum eine Rolle”, schreiben Amlinger, Bispinck und Schulten. Als zentraler Faktor gilt unter Arbeitsmarktexperten vielmehr die konjunkturelle Entwicklung: Läuft sie gut, finden auch junge Arbeitnehmer einen Job. Steckt die Wirtschaft in der Krise, sind sie überproportional stark von Arbeitslosigkeit betroffen – wohl auch, weil Berufseinsteiger häufiger nur befristete und wenig geschützte Arbeitsverhältnisse haben.
      – Kaum Hinweise auf Anreize gegen Qualifizierung –
      Ebenfalls sehr wichtig ist die Integrationsleistung des jeweiligen nationalen Ausbildungssystems. Dabei schneiden Länder wie Deutschland mit einer dualen Kombination von Schule und Lehre relativ gut ab. Wenn Mindestlöhne junge Leute wirklich von einer Ausbildung abhalten würden, könnte das also tatsächlich Probleme hervorrufen. Allerdings lassen sich auch für diesen Einwand kaum Indizien finden, betonen die WSI-Forscher. Selbst in den Ländern mit langer Mindestlohn-Erfahrung gebe es nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen – ein Hinweis darauf, dass der angebliche Fehlanreiz in der Praxis wohl keine große Rolle spielt. Und wo geforscht wurde, fallen die Ergebnisse unspektakulär aus: Britische Wissenschaftler fanden “wenig Evidenz dafür, dass der Nationale Mindestlohn junge Leute aus einer Ausbildung in den Arbeitsmarkt gezogen hat”. Eine weitere Studie bestätigt das und konstatiert sogar verstärkte Ausbildungsaktivitäten der Unternehmen.
      – Tariflöhne für Ungelernte deutlich höher als Ausbildungsvergütungen –
      In Deutschland gibt es zwar noch keinen Mindestlohn, in etlichen Branchen verdienen Auszubildende aber ebenfalls erst einmal weniger als ungelernte Arbeitnehmer, macht die WSI-Analyse deutlich. So liegt die durchschnittliche Ausbildungsvergütung nach Daten des Bundesinstituts für Berufliche Bildung bei 761 Euro im Monat. Das entspricht einem Stundenlohn von 4,63 Euro. Dagegen sieht die große Mehrheit der Tarifverträge auch für Ungelernte Einstiegslöhne von 8,50 Euro und mehr vor.
      Der vermutete negative Anreiz bestehe also in vielen Branchen “bereits seit langer Zeit, ohne dass überzeugende Belege für seine breite Wirkung erbracht werden können”, konstatieren die Wissenschaftler. Unter den beliebtesten Lehrberufen seien vielmehr gleich mehrere, in denen die Ausbildungsvergütung sehr niedrig ist, beispielsweise Friseurinnen oder Hotelfachleute. Für Jugendliche mit schlechtem oder ohne Schulabschluss könnten Jobs natürlich attraktiver werden, wenn sie infolge des Mindestlohns besser bezahlt würden. “Deren Probleme resultieren aber im Kern aus einer mangelnden Ausbildungs- und Aufstiegsperspektive und ihre beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten verbessern sich keineswegs dadurch, dass ein Niedriglohnsektor erhalten wird, der noch dazu langfristig die sozialen Risiken dieser Beschäftigtengruppe erhöht”, betonen Amlinger, Bispinck und Schulten.
      – Verdrängungseffekte oberhalb der Altersgrenze –
      Nach Analyse der WSI-Forscher liefert die internationale Forschung sogar Indizien für Fehlanreize ganz anderer Art: Forscher in Großbritannien und den Niederlanden beschreiben Verdrängungs-Effekte durch Sonderregelungen beim Mindestlohn. So sind in holländischen Supermärkten mehr als 50 Prozent der Beschäftigten jünger als 23. Und britische Studien deuten darauf hin, dass junge Arbeitnehmer ein erhöhtes Beschäftigungsrisiko aufweisen, wenn sie sich der Altersgrenze nähern, ab der sie Anspruch auf den vollen Mindestlohn haben. “Erhalten Jugendliche einen deutlich niedrigeren oder gar keinen Mindestlohn, so haben Unternehmen einen großen Anreiz, ältere Arbeitnehmer durch “günstigere jüngere Beschäftigte auszutauschen”, warnen die WSI-Experten. Das schädige nicht nur deutlich ältere Beschäftigte, sondern gerade auch junge Leute knapp über der Ausnahme-Grenze.
      Quelle 1: Pressemitteilung Hans-Böckler –Stiftung auf Juraforum.de
      Quelle 2: *Marc Amlinger, Reinhard Bispinck, Thorsten Schulten: Jugend ohne Mindestlohn? Zur Diskussion um Ausnahme- und Sonderregelungen für junge Beschäftigte. WSI Report 14, März 2014 [PDF – 582 KB].

      Siehe auch: DGB-Info: Argumente gegen eine Ausnahmenregelung für Jugendliche beim Mindestlohn
      Es wird deutlich, welch fatale Folgen eine Ausnahmeregelung für Jugendliche im Mindestlohngesetz gerade auch im Einzelhandel haben würde. Die Arbeitgeber werden vermehrt Jugendliche einstellen, um Personalkosten zu sparen und damit einen neuen prekären Arbeitsmarkt schaffen, der reguläre Beschäftigung (auch älterer Beschäftigter) verdrängt. Nicht umsonst drängen die Einzelhandelsarbeitsgeber in Deutschland derzeit darauf, eine Ausnahme für jugendliche Beschäftigte einzuführen. Auch wird eine neue „Klasse“ von Beschäftigten entstehen, die – wie schon im Bereich der Werkverträge – für die gleiche Arbeit nicht den gleichen Lohn bekommen.
      Quelle: DGB zum Download

      § 22 Persönlicher Anwendungsbereich
      (1) Dieses Gesetz gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Praktikantinnen und
      Praktikanten im Sinne des § 26 des Berufsbildungsgesetzes gelten als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes.
      (2) Personen im Sinne von § 2 Absatz 1 und 2 des Jugendarbeitsschutzgesetzes ohne abgeschlossene Berufsausbildung gelten nicht als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes.
      (3) Von diesem Gesetz nicht geregelt wird die Vergütung von zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, ehrenamtlich Tätigen sowie Praktikantinnen und Praktikanten, die ein Praktikum verpflichtend im Rahmen einer Schul-, Ausbildungs-oder Studienordnung leisten, die ein Praktikum von bis zu vier Wochen zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten oder die an einer nach § 81 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch geförderten beruflichen Weiterbildung oder einer Einstiegsqualifizierung nach § 54a des Dritten Buches Sozialgesetzbuch teilnehmen.
      (4) Von diesem Gesetz nicht geregelt wird die Vergütung in den ersten sechs Monaten eines Arbeitsverhältnisses von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung langzeitarbeitslos im Sinne des § 18 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch
      waren und die durch Zuschüsse zum Arbeitsentgelt nach § 88 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch, § 16 Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 sowie § 16e Absatz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch oder nach § 34 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch gefördert werden.
      Quelle: Tarifautonomiestärkungsgesetzes im Portal Sozialpolitik [PDF – 405 KB]

    2. Zwischen Wohlstand und Verarmung: Deutschland vor der Zerreißprobe
      Die Armut ist gestoppt, die Einkommensschere schließt sich sogar wieder“ – mit dieser Darstellung der Lebensverhältnisse in Deutschland zog die schwarz-gelbe Bundesregierung ins Wahljahr 2013. Der Vierte Armuts- und Reichtumsbericht, herausgebracht im März 2013, sollte dieser Argumentation die Grundlage liefern. Tatsächlich wissen wir heute, dass das Gegenteil der Fall ist: Mit 15,2 Prozent ist die Armutsquote im Jahr 2012 auf ein neuerliches, trauriges Rekordhoch gestiegen.
      Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik
    3. Gegen alle Lehre
      Während so manche Ökonomen, Medien und Politiker gegen den mühsam errungenen Mindestlohn von 8,50 Euro/Stunde wettern, hat die Bundesagentur für Arbeit festgestellt, dass dieser Mindestlohn Vollzeitbeschäftigte (Singlehaushalt) nicht vor Hartz IV schützt. Wer bis zum Ruhestand für den Mindestlohn oder knapp darüber arbeitet, fällt mit Sicherheit in Altersarmut. Jämmerliche Aussicht für diese Arbeitnehmer, eventuell Grundsicherung beantragen zu müssen. Einen völlig anderen Weg geht eine Kleinstadt in den USA. SeaTec hat knapp 25.000 Einwohner, von denen die meisten Berufstätigen für den Flughafen Seattle/Tacoma arbeiten. Seit 01. Januar 2014 schauen nicht nur amerikanische Ökonomen und Soziologen auf diese Stadt. Es gibt zwar in den USA einen gesetzlichen Mindestlohn (demnächst wohl 10,10 Dollar), doch Bundesstaaten und Kommunen können von diesem nach oben abweichen.
      Quelle: aristoblog.de
  6. »Bewegung tut gut«
    Ver.di will Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst durch massive Warnstreiks beschleunigen. Ein Interview von Daniel Behruzi mit Achim Meerkamp, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand und Verhandlungsführer in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes…
    Nach Angaben der Bundesregierung hatsich die Zahl der Beschäftigten in der Entgeltgruppe eins – in derVollzeitbeschäftigte durchschnittlich 1 548 Euro brutto im Monat verdienen und damit unterhalb der Niedriglohnschwelle liegen – seit 2006 verfünffacht. Wie kommt das?
    Das ist eigentlich sogar ein Lob an die Tarifparteien. Im Zuge der Neuordnung der Tarifverträge im Jahr 2005 – bei der Angestellte und Arbeiter in ein gemeinsames Tarifwerk überführt wurden – haben wir auch eine neue Niedriglohngruppe eingeführt. Der Hintergrund war, dass die Reinigungs- und Servicebereiche zum Beispiel in den Krankenhäusern vielfach outgesourct, teilweise privatisiert und so dem Geltungsbereich des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVÖD) entzogen wurden. Mittlerweile haben wir die Arbeitgeber offenbar davon überzeugt, dass es Sinn hat, alle Beschäftigten in den Flächentarif einzubeziehen – und damit die gleichen Arbeitszeiten, Zuschläge und Urlaubsansprüche zu garantieren. Der Preis dafür war aber eben diese Niedriglohngruppe. Das haben die Arbeitgeber mit ihrer Personalpolitik offensichtlich anerkannt, wie der deutliche Anstieg der Beschäftigung in diesem Bereich dokumentiert…
    Quelle: junge Welt
  7. OECD warnt vor der Vertiefung der sozialen Spaltung
    Die Studie geht davon aus, dass die Sozialausgaben in der OECD nach ihrem vorübergehenden Anstieg in den ersten Krisenjahren in vielen Staaten unter den Druck der Haushaltskonsolidierung geraten…
    Eine gewichtige Folge der Krisenkonstellation ist, dass der Anteil der Menschen, die angeben, nicht immer genug Geld zu haben, um ausreichend Essen zu kaufen, im OECD-Schnitt bei 13% liegt. In Griechenland stieg dieser Anteil in der Krise um neun Prozentpunkte auf 18%. In den USA sind es gar 21% (plus 7,7 Prozentpunkte). Der Grund für diese Verschlechterung: Löhne und der Arbeitsmarkt haben sich noch nicht von dem tiefen Rückschlag in der großen Krise erholt. Viele der sozialen Folgen machen sich aber erst langfristig bemerkbar, betont die OECD…
    So hat sich die Anzahl von Menschen, die in einem Haushalt ohne Arbeitseinkommen leben, in Griechenland, Irland und Spanien verdoppelt. Auch haben Geringverdiener-Haushalte in vielen OECD-Ländern relativ die größten Einkommensverluste hinnehmen müssen. Besonders hart traf es hier Estland, Italien, Griechenland, Irland und Spanien…
    Sie warnt daher vor »falschem« Sparen: Die Sozialausgaben müssten so gestaltet werden, dass sie die Folgen der Krise für die Schwächsten der Gesellschaft dämpfen. Kürzungen seien deshalb sehr vorsichtig vorzunehmen und der soziale Zusammenhalt müsse im Blick bleiben.
    Dazu sei es notwendig, Investitionen und sozialpolitische Maßnahmen auf die Bedürftigsten zuzuschneiden. Auch sei es wichtig pauschale Einschnitte zu vermeiden, unter denen vor allem die ärmsten Mitglieder der Gesellschaft oder Alleinerziehende leiden würden. Wohn-, Familien- oder Kindergeld sind für diese Gruppen häufig elementar, und unbesonnene Kürzungen in Bereichen wie Kinderbetreuung oder beruflichen Eingliederungsmaßnahmen könnten die Arbeits- und Entwicklungschancen ganzer Generationen gefährden.
    Durch den Verzicht auf allgemeine Kürzungen der Sozialleistungen könnten auch hohe Folgekosten vermieden werden.
    Quelle: Sozialismus aktuell

    Anmerkung WL: Typisch für die Wirtschaftsorganisation OECD, wenn es um Soziales geht. „Kürzungen“ (die also als notwendig erachtet werden) sollen „sehr vorsichtig“ vorgenommen werden, auf die Bedürftigsten zugeschnitten werden.

  8. US-Firmen fordern Milliarden-Beträge
    Die Kanadier haben sehr schlechte Erfahrungen mit dem Konzept Investorenschutz gemacht, warnt Aktivist Garry Neil. Er will daher das geplante Abkommen zwischen Kanada und Europa verhindern:  … Vor 30 Jahren haben Kanada und die USA ein Abkommen namens Nafta geschlossen, das wie Ceta Klauseln zum Investorenschutz enthält. Und in diesen vergangenen 30 Jahren wurde die kanadische Regierung mehr als 30-mal von US-Firmen angeklagt und vor ein Schiedsgericht gezerrt. Bei den meisten Fällen ging es darum, dass Kanada die Umwelt und die Gesundheit seiner Bürger schützen oder alternative Energien fördern wollte. Doch die US-Firmen argumentierten, dass dadurch ihre Gewinne geschmälert würden. … Insgesamt verlangen neun US-Konzerne noch rund 2,5 Milliarden Dollar von Kanada. Dazu gehört der kanadische Energiekonzern Lone Pine, der eine Tochterfirma in den USA nutzt, um gegen die Provinz Quebec zu klagen und 250 Millionen Dollar zu fordern. Denn Quebec hat ein Moratorium beim Fracking verhängt. Lone Pine hatte nur eine Erkundungslizenz, nicht mehr. Trotzdem tut der Konzern jetzt so, als sei er enteignet worden. … Es ist sehr bemerkenswert, dass es zwar 22 Nafta-Klagen gegen die USA gab – aber keine einzige erfolgreich war. … Meine Vermutung ist, dass die ökonomische Macht der USA unterschwellig eine Rolle spielt. Die meisten Entschädigungsforderungen werden bei der Weltbank eingereicht, die in Washington sitzt. Es handelt sich um eine Art natürlicher Voreingenommenheit zugunsten der USA. … Wir versuchen, das Abkommen bis zu den nächsten kanadischen Wahlen im Herbst 2015 hinauszuzögern. Es wäre fatal, wenn das jetzige Parlament darüber befinden würde, denn momentan habe die Konservativen eine Mehrheit. Dann wäre eine Ratifizierung sicher. … Das Abkommen enthält Vereinbarungen über das öffentliche Beschaffungswesen. Damit sind auch die einzelnen kanadischen Provinzen betroffen, die daher Ceta ebenfalls ratifizieren müssen. Die Provinz Manitoba wird von der New Democratic Party regiert, die unsere Sozialdemokraten sind. Wir hoffen, dass wir sie überzeugen können, Ceta zu stoppen.
    Quelle: taz
  9. Kasse machen mit Patienten
    Jeder zweite Chefarzt-Vertrag sieht inzwischen die Zahlung von Boni vor bei Durchführung lukrativer Operationen. Ärzteorganisationen sehen durch solche Klauseln die Unabhängigkeit der Mediziner gefährdet.
    Dr. O. vom Universitätsklinikum Göttingen transplantierte Lebern. Er tat das häufig, aber vermutlich nicht immer aus medizinischen Gründen, sondern auch für den eigenen Geldbeutel. Dr. O. bekam einen Bonus: 1500€ extra ab der 21. verpflanzten Leber im Jahr, und das zusätzlich zu seinem Gehalt. Er operierte Menschen, die für den Eingriff nicht infrage kamen. Andere, die eine Leber gebraucht hätten, bekamen deswegen keine.
    “Dieser Göttinger Skandal war die Spitze des Eisbergs. Das gibt’s und gab’s in allen medizinischen Bereichen, nicht nur in der Transplantationsmedizin. Es gibt seit 2011 eine rapide Zunahme solcher Verträge mit Bonus-Klauseln.” – sagt Hans-Fred Weiser, Gefäßchirurg und Präsident des Verbandes Leitender Krankenhausärzte. Er sieht die Unabhängigkeit des Arztes gefährdet. Denn Bonusverträge motivieren den Arzt, Behandlungen oder sogar Operationen durchzuführen, für die es vielleicht gar keinen medizinischen Grund gibt.
    Als lukrativ, weil gut vergütet, gelten besonders Operationen, die planbar und technisch aufwendig sind: Knie- und Hüftprothesen, Rückenoperationen oder Herzkatheter. Mit ihnen können Krankenhäuser viel Geld verdienen. Und die Ärzte sollen dabei helfen: mehr Patienten, mehr Fälle, mehr Geld.
    Quelle: Deutschlandradio Kultur

    Anmerkung J.K.: Bonus-Zahlungen für Chefärzte, der Patient als Ware und das Krankenhaus als profitorientiertes Unternehmen. Ein bizarrer Beleg wie die neoliberale Marktlogik inzwischen alle Gesellschaftsbereiche durchdringt. Und ein Beleg dafür, dass damit genau das Gegenteil erreicht wird, was die marktradikalen Ideologen versprechen.

    Dazu: Griechenland: Millionen ohne Gesundheitsschutz
    250 ehemals staatliche Polikliniken wurden geschlossen oder privatisiert. Viele Ärzte und Pflegekräfte protestieren dagegen – nicht nur, weil ihnen Arbeitslosigkeit droht.
    Quelle: ver.di PUBLIK

  10. Internet-Giganten wussten alle von Prism
    Die oberste Rechtsanwalt der NSA sagte einem Aufsichtsgremium am Mittwoch, dass sich die amerikanischen-Technologie-Unternehmen bewusst waren über die Datensammlung der Überwachungs Agentur. Bisher hatten die amerikanischen Unternehmen das immer bestritten.
    Quelle: Schweiz Magazin
  11. Kommunalwahl-Ergebnis: CSU rutscht in Bayern unter 40 Prozent
    Erstmals seit mehr als 50 Jahren ist die CSU in Bayern unter die 40-Prozent-Marke gerutscht. Das geht aus dem vorläufigen Endergebnis der bayerischen Kommunalwahlen am Sonntag hervor. Nach Auszählung der Stadtrats- und Kreistagswahlen kamen die Christsozialen nur noch auf 39,7 Prozent…
    Eine deutlich größere Schlappe erlitt allerdings die SPD: Die Sozialdemokraten holten mit 20,7 Prozent ihr schlechtestes Kommunalwahlergebnis in Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg. Das sind 1,9 Prozentpunkte weniger als 2008.
    Als Wahlsieger gehen die Grünen aus den Wahlen hervor. Sie legten landesweit von ihrem Rekordergebnis 8,2 Prozent vor sechs Jahren auf jetzt 10,2 Prozent zu…
    Bei der Münchner Stadtratswahl musste die SPD laut Prognosen am Sonntag starke Verluste hinnehmen, sie rangierte mit 31,5 Prozent nur noch knapp vor der CSU mit 31,0 Prozent. Die Grünen erhielten demnach 18,5 Prozent.
    In Nürnberg gelang Amtsinhaber Ulrich Maly von der SPD ein überragender Sieg.
    Quelle: Spiegel Online
  12. 21 Seitenwechsler vor dem Kanzleramt: Regierung muss handeln 38.000 Unterschriften für gesetzliche Karenzzeiten überreicht
    Mit einer Aktion vor dem Bundeskanzleramt protestierten wir heute gegen fehlende Karenzzeiten für Spitzenpolitiker und hohe Beamte. 38.000 Menschen hatten einen entsprechenden Appell an die Bundesregierung unterzeichnet.
    Quelle LobbyControl
  13. Nur ein bisschen weniger neoliberal? Streit um neues NRW-Hochschulgesetz
    In Nordrhein-Westfalen wird seit Wochen über den Entwurf eines neuen Hochschulgesetzes gezofft. Die Unichefs sorgen sich publikumswirksam um die Wissenschaftsfreiheit und bangen insgeheim um das Leitbild der “unternehmerischen Hochschule”. Und mit Bekanntwerden ihrer Gehaltszuschläge in jüngeren Jahren sehen sie obendrein die “Autonomie” bei der eigenen Bezahlung gefährdet. Inzwischen lässt sich auch Kritik von links an der Regierungsvorlage vernehmen. Im Interview mit Studis Online erklärt Bildungsexperte Torsten Bultmann, worum es dabei geht.
    Quelle: Studis Online
  14. Schavan verliert Prozess um Doktortitel
    Die frühere Bildungsministerin muss künftig auf ihren Doktortitel verzichten. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf wies eine Klage Schavans gegen den Entzug des Titels ab.
    Damit hat die Universität rechtmäßig entschieden, als sie der früheren Ministerin den Doktortitel aberkannte.
    Quelle: Zeit Online

    Dazu: Ein guter Tag für die Fußnotenzähler
    Das Gericht hat schnellen Prozess gemacht. In einer nur wenige Stunden dauernden Verhandlung kamen die Richter des Verwaltungsgerichts Düsseldorf zu ihrem Urteil: Die ehemalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat in ihrer vor mehr als 30 Jahren eingereichten Doktorarbeit getäuscht. Die Universität Düsseldorf hat ihr wegen einer Vielzahl von Plagiaten zu Recht den Doktortitel entzogen. Die Klage Schavans wurde abgewiesen. Die Uni Düsseldorf darf sich in ihrer Vorgehensweise und Entscheidung bestätigt fühlen.
    Für das Gericht war offenkundig die hohe Anzahl an Plagiatsstellen maßgeblich, die der Gutachter Stefan Rohrbacher vor Gericht untermauern konnte. Dadurch war das Gericht offenbar davon überzeugt, dass Schavan vorsätzlich getäuscht hat. Das Verfahren erschien den Richtern vor diesem Hintergrund nachrangig.
    Auch die Frage, ob Zitierfehler in mehr als 30 Jahre alte Dissertationen verjährt sein könnten, ist demnach unerheblich. Was zählt, ist allein die Zahl der nicht korrekt zitierten Textstellen.
    Quelle: Zeit Online

    Anmerkung WL: Obwohl sie sich ständig in wissenschaftspolitische oder wie in diesem Promotionsverfahren gar in wissenschaftliche Themen einmischt, sollte man wissen dass die Kommentatorin Marion Schmidt nicht Wissenschaftsredakteurin ist, sondern im Ressort Chancen der Zeit angesiedelt ist. Von einer „Verjährungsfrist“ für Zitierfehler hat man im Wissenschaftsbereich bisher noch nichts gewusst. Würde man dem Weltbild des Ptolemäus eine Verjährungsfrist einräumen, so wäre die Erde bis heute Mittelpunkt des Weltalls.
    Natürlich zählen die nicht korrekt zitierten Textstellen in der Wissenschaft. Sonst wäre Spinat bis heute ein Nahrungsmittel mit außergewöhnlich hohem Eisengehalt.
    Siehe nochmals: Was sind denn die Leistungen der „großen“ Bildungspolitikerin Schavan? und „Die angesehenste Bildungspolitikerin des Landes“ – Ein Meisterstück politischer Propaganda

  15. Exotisches Aussehen als Verdachtsmoment
    Die Berichterstatter straften letzte Woche die malaysischen Sicherheitsbeamten mit Belehrungen, weil die zwei gestohlene europäische Pässe durch ihre Lappen gehen ließen. Mit etwas mehr rassistischem Profiling hätte das gelingen müssen.
    Quelle: Neues Deutschland
  16. Flüchtlingsansturm reißt nicht ab: Italienische Marine rettet über 2000 Personen
    Erneut versuchten in den letzten Tagen Tausende Flüchtlinge mit dem Boot nach Europa zu gelangen. Vor der italienischen Küste nahmen Schiffe in den vergangenen 48 Stunden mehr als 2.000 Menschen auf. Im Herbst 2013 waren bei mehreren schweren Unglücken vor der italienischen Küste und der Mittelmeerinsel Lampedusa mehr als 400 Flüchtlinge ertrunken. Seitdem hat Italien seine Flottenpräsenz vor der Küste verstärkt. Seit Beginn der strikteren Überwachung sind verstärkt Kriegsschiffe, Amphibienboote, Drohnen und Hubschrauber mit Infrarot- und optischer Ausrüstung im Einsatz, um Flüchtlingsboote ausfindig zu machen. Nach Angaben der Behörden wurden seitdem mehr als 10.000 Flüchtlinge, unter ihnen mehr als 1000 Kinder, aus Seenot gerettet.
    Quelle: Tagesspiegel

    Anmerkung Orlando Pascheit: Angesichts dieser großen Zahl stellt sich die Frage : Wieviel Flüchtlinge sind wohl vor der verstärkten Überwachung ertrunken?

  17. Rezension: Max Weber wäre heute wohl streitbarer Außenseiter – die Gründe dafür lassen ihn so aktuell erscheinen
    So sehr der Name Max Weber und der seines Hauptwerkes “Wirtschaft und Gesellschaft” in vielen wissenschaftlich geschulten Köpfen noch verankert sein mögen, so wenig ist Max Weber in der öffentlichen Diskussion, der wissenschaftlichen wie der politischen, präsent. Wie wenig Aufhebens sein Geburtstag bereitet, der sich in diesem Jahr das 150. Mal jährt, mag diesen Standpunkt unterstreichen. Wieviel Orientierung uns Max Webers Denken und Wirken dagegen auch heute noch zu bieten weiß, sowohl, was das Verständnis seiner Zeit und der sie prägende Stand der Wissenschaft und Gesellschaft anbelangt, als auch die Aktualitätsbezüge zur heutigen Welt, zeigt das ebenso breit angelegte wie in die Tiefe gehende Buch von Wolfgang Hellmich auf, das unter dem Titel “Aufklärende Rationalisierung, Ein Versuch, Max Weber neu zu interpretieren”, in der Reihe “Erfahrung und Denken, Schriften zur Förderung der Beziehungen zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften” im Berliner Duncker & Humblot Verlag erschienen ist…
    Quelle: Wirtschaft und Gesellschaft


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