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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 10. April 2007 um 7:49 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

  1. Burkhard Hirsch Der Staat als Herrschaftsmaschine
    Unsere Bürgerrechte sind kein lästiger Bremsklotz, sondern der Kern unserer Rechtsordnung. Die Stärke eines Staates besteht nicht darin, dass der Bürger ihn fürchtet, sondern dass er ihn als seinen Staat begreift und darum bereit ist, in ihm Verantwortung zu übernehmen und ihn zu verteidigen. Niemand wird einen Staat achten und verteidigen, der ihn als potentiellen Straftäter behandelt. Wir, die wir so denken, lassen uns nicht als liberale Restposten aus diesem Staat von denen herausdrängen, die ihre Sicherheit mit unserer Freiheit bezahlen wollen. „Man bekämpft die Feinde des Rechtsstaats nicht mit dessen Abbau, und man verteidigt die Freiheit nicht mit deren Einschränkung“, hieß es in einem Aufruf der Humanistischen Union von 1978. So ist es, und so bleibt es.
    Quelle: SZ
  2. Roman Herzog: Die Deutschen sind generell zu lethargisch, was den Umbau anbelangt
    „Die Mehrheit der Deutschen hat noch nicht verstanden, was und wie viel sich ändern muss“, meint unser „Ruck“-Präsident. Für den früheren Bundespräsidenten Roman Herzog ist die große Koalition „die Ruck-Regierung“. Was sie bisher auf den Weg gebracht habe, könne sich sehen lassen. Die große Koalition biete „eine besondere Chance, denn in beiden Koalitionsparteien stehen diejenigen, die Veränderungen wollen, nicht mehr allein da.“
    Quelle: Focus Online

    Anmerkung: Viel klarer kann man es eigentlich nicht sagen, dass die Große Koalition dazu da ist, „Veränderungen“ gegen die „Mehrheit der Deutschen“ durchzusetzen.
    Herzog ist heute Vorsitzender des „Konvents für Deutschland“, einem Club von selbsternannten System-„Veränderern“ dem etwa Roland Berger, Hans-Olaf Henkel, Manfred Pohl, Wolfgang Clement, Klaus von Dohnanyi, Otto Graf Lambsdorff, Jutta Limbach, Oswald Metzger, Rupert Scholz, Manfred Schneider, Erwin Teufel, Henning Voscherau und Monika Wulf-Mathies versammelt haben. Die Anschubfinanzierung für dies elitäre „Bürgerbewegung“ leistete die Deutsche Bank und derzeit finanziert eine „breite Anzahl von Firmen“.
    Diese Herrschaften zeichnet ein Demokratieverständnis aus, das unlängst der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, anlässlich der Verabschiedung der Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre so treffend offenbart hat: „Für die Investoren ist entscheidend, dass es der Regierung gelungen ist, ein Projekt gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen.“ (dpa/Der Tagesspiegel vom 10.3.2007)
    Nach Meinung von zwei Dritteln der Bundesbürgern (66 Prozent) geht es hierzulande ungerecht zu.

    Quelle: infratest dimap [PDF – 264 KB]

  3. DSW: Die bisherigen Studiengebührenmodelle erfüllen nicht die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Wahrung gleicher Bildungschancen
    Die einfache Bereitstellung von Studiengebührenkrediten sorgt nicht für einen sozialen Ausgleich im Sinne des Sozialstaatsprinzips. Insbesondere für BAFöG-Empfänger ist es unzumutbar zur Zahlung von Studiengebühren gezwungen zu werden.
    Wo ist denn das vollmundig angekündigte Stipendiensystem der Wirtschaft?
    Quelle: dsw journal S. 29 [PDF – 3.1 MB]
  4. US-Firmen bekommen Kontrolle über Iraks Ölreserven
    Die USA scheinen im Irak mit jedem Tag mehr in Bedrängnis zu kommen. Doch eines ihrer wichtigsten Kriegsziele haben sie de facto erreicht: Die Kontrolle über das irakische Öl. Dazu braucht es nur noch eine Abstimmung im irakischen Parlament. Das Gesetz über die irakische Ölindustrie gibt die Kontrolle über die Ölreserven faktisch an die internationalen – in der Praxis: an die amerikanischen – Ölmultis ab. Es sieht vor, dass die Ölfirmen während 30 Jahren 70 Prozent ihrer Produktion für sich behalten können. Weitere 20 Prozent sollen dauerhaft von jeder Art der Besteuerung befreit werden. Damit würden die US-Ölfirmen faktisch die Kontrolle über 64 Prozent der bekannten Reserven übernehmen. Die US-Ölmultis können dank dieser Aufteilung mit einer Rendite von 42 bis 162 Prozent rechnen. Bei einem Ölpreis von 40 Dollar pro Fass wären dies je nach Produktionsmenge zwischen 74 und 194 Milliarden Dollar an verlorenen Einnahmen.
    Quelle: Wiener Zeitung

    Anmerkung: Angeblich geht es doch bei den Militäreinsätzen der USA doch um Freiheit und Demokratie? Über Öl wird nur selten gesprochen, schon gar nicht in den Medien.

  5. Glos für Senkung der Lohn- und Einkommenssteuer
    Als erstes werde man die Unternehmenssteuern senken, um mehr Jobs zu schaffen, sagte er der “Bild am Sonntag”. Der nächste Schritt seien dann niedrigere Steuern im Bereich Lohn und Einkommen. Der Aufschwung sei noch nicht im Geldbeutel der meisten Bürger angekommen, so Glos. Der Minister glaubt, dass eine mögliche Steuersenkung im Bundestagswahlkampf 2009 ein Thema sein könnte.
    Quelle: Märkische Allgemeine

    Anmerkung: Da fragt man sich, wieso wird zunächst die Mehrwertsteuer erhöht, obwohl diese besonders kleine und mittlere Einkommen belastet? Von einer Senkung der Lohn- und Einkommenssteuer hingegen profitieren Geringverdiener wenig oder gar nicht, während Gutverdienende hiervon in besonderem Maße entlastet werden. Die Gutverdienenden haben jedoch bereits in den vergangenen Jahren außerordentlich stark von dem etwas höheren Wirtschaftswachstum profitiert, während die Durchschnittseinkommensbezieher und in besonderem Maße die Niedrigeinkommensbezieher real an Kaufkraft eingebüßt haben.

  6. Stärkere Erwerbsbeteiligung von Frauen als Schlüssel zu höherer Alterssicherung
    Das Max Planck Institut für demografische Forschung vergleicht Elemente des deutschen Rentensystems mit denen aus Schweden und der Schweiz und stellt heraus, dass Reformen in der Gesetzlichen Rentenversicherung die Rentenlücke kaum schmälern könnten. Vielmehr wären Reformen am Arbeitsmarkt sinnvoll, die die Erwerbstätigkeit von Frauen fördern und damit ihren künftigen Rentenanspruch erhöhen können.
    Quelle: Demografische Forschung [PDF – 420 KB]
  7. Hans-Jürgen Urban (IG Metall): Ausweitung des Entsendegesetzes und ein Verbot sittenwidriger Löhne sind keine Lösung
    Denn wo keine tariflichen Mindestnormen existieren, läuft das Entsendegesetz leer, und das wäre in den eigentlichen Problembranchen oftmals der Fall. Und ein Verbot sittenwidriger Löhne würde auch bedeuten, Armutslöhne von etwa 2,10 Euro im sächsischen Frisörhandwerk, 3,50 Euro im Berliner Bewachungsgewerbe und 4,40 Euro im Hamburger Hotel- und Gaststättengewerbe für rechtskonform zu erklären. Denn die relevanten tariflichen Bezugsgrößen liegen eben nur 20 bis 30 Prozent darüber. Das alles liefe letztlich auf die Karikatur eines Mindestlohns und – absurder Weise – einen Akzeptanzbeschaffer für den Niedriglohnsektor hinaus!
    Quelle: Freitag

    Übrigens: Laut dem ARD-Deutschland-Trend sind 63% der Befragten für einen Mindestlohn.
    Quelle: infratest dimap [PDF – 264 KB]

  8. Nummer eins auf Nummer sicher. Eine konservative Kritik an Horst Köhler.
    Eine Rezension der FAZ der Köhler-Biografie von Gerd Langguth. Wie es kommen konnte, dass ein fleißiger Ökonom und Spitzenbeamter zum ersten Mann im Staate befördert wurde, obwohl er nie zuvor ein politisches Mandat errungen hat. Wie er, ohne jeden Rückhalt in der Partei, zum CDU-Kandidaten werden konnte; und, am wichtigsten, warum er nun zwischen monarchischen Attitüden und tagespolitischer Holzerei irrlichtert, als hätte ihn die Höhe des Amtes schwindelig werden lassen. Antwort: „Was Merkel von Köhler gewollt hatte, war die Verhinderung Schäubles.“ Heute ist sie die mit Abstand beliebteste Politikerin, und Köhler ist wieder der, der er zu Anfang war: Horst wer?
    Quelle: FAZ
  9. Beck für neue Afghanistan-Strategie
    Nachhaltige Friedenslösungen in Konfliktregionen sind nur möglich, wenn für die örtliche Bevölkerung neben Sicherheit auch eine ökonomische Perspektive entsteht. Das gilt auch in Afghanistan. Nach jahrzehntelangem Krieg ist das Land, das weltweit zu den ärmsten Staaten gehört, noch immer weitgehend zerstört und von einfachsten Lebensverhältnissen geprägt. Aber es gibt auch Fortschritte in Afghanistan. Der zivil-militärische Ansatz, den wir dort vertreten, ist der richtige Weg.
    Quelle: FR

    Anmerkung: Wieder einmal typisch Kurt Beck: Auf der einen Seite befürwortet er mit dem Tornado-Einsatz eine Ausweitung der Kriegshandlungen, auf der anderen Seite kostet es gar nichts, einen Appell an diejenigen zu richten, die sich „aus der Umklammerung des harten Kerns der Taliban lösen“ möchten.

    Siehe auch: Militäreinsatz ist unbeliebt
    Quelle: FR

  10. Stecken hinter dem deutschen Drängen nach einer EU-Verfassung weltmachtpolitische Ambitionen?
    Zum zentralen Ziel der deutschen Ratspräsidentschaft hat die Bundesregierung erklärt, einen Weg zur Verabschiedung der EU-Verfassung zu finden. Der vorliegende Verfassungsentwurf entspricht den Berliner Vorstellungen für die künftige Entwicklung Europas in hohem Maße. Die darin vorgesehene Straffung einer gemeinsamen Außenpolitik würde es ermöglichen, weltpolitische Konzepte, die von der deutschen Strategie abweichen, gerade auch britische Konzepte, zu schwächen und langfristig vielleicht sogar auszuschalten — jedenfalls dann, wenn die deutsche Position innerhalb der EU so dominant bleibt, wie sie es gegenwärtig ist.
    Quelle: Sozialistische Zeitung

    Anmerkung: Die These einer deutschen Schaukelpolitik zwischen Ost und West passt nicht zusammen mit den Plänen Merkels zu einer transatlantischen Freihandelszone. Dabei geht es doch eher um eine wirtschaftliche An- und Einpassung in angloamerikanische Wirtschaftsstrukturen. Auch andere Zuspitzungen wie etwa die Parallele zum Hitler-Stalin-Pakt sind ziemlich weit hergeholt. Dennoch enthält der Beitrag von Horst Teubert viele Elemente einer kritischen Bewertung der deutschen EU-Politik, die einer Diskussion wert sind.

  11. DGB-Chef Sommer verlangt Mindestlohn für Zeitarbeitsbranche
    DGB-Chef Michael Sommer hat einen einheitlichen Mindestlohn für Beschäftigten der Zeitarbeitsbranche verlangt. Jeder achte Zeitarbeiter verdiene so wenig, dass er Hartz-IV-Leistungen als Ergänzung erhalte. Es sei höchste Zeit, das Armutsrisiko in der Zeitarbeit zu beseitigen, so Sommer. Er fordere deshalb Bundesarbeitsminister Franz Müntefering auf, durch Aufnahme der Zeitarbeit in das Entsendegesetz endlich grünes Licht für den vereinbarten Mindestlohn bei der Leiharbeit zu geben.
    Quelle: FR
  12. In Polen stößt der geplante Aufbau eines US-Raketenabwehr auf heftigen Widerstand in der Bevölkerung
    Europa ist den Kaczynskis in der Raketen-Frage herzlich egal, sie wollen vor allem Vorteile für Polen herausschlagen. Vizeaußenminister Witold Waszczykowski hat dies unlängst offen zugegeben. Polen hoffe, sagte er in einem Interview mit der Tageszeitung Rzeczpospolita auf einen “militärisch-politischen Pakt mit den USA”, der die Sicherheit des Landes stärken könne. Auf die Versicherungen der Nato, Polen im Fall eines Angriffes beizustehen, gibt man in Warschau nicht viel. Auch drei Jahre nach dem EU-Beitritt traut man den neuen Partnern im Westen nicht. Als Beispiel wird der Streit um die Pipeline zwischen Russland und Deutschland angeführt, bei dem Polen sich von seinen Verbündeten im Stich gelassen sah.
    Quelle: FR
  13. Recht haben wird unbezahlbar
    Seit Herbst 2005 wird das Mittel der zivilgerichtlichen Auseinandersetzung immer häufiger benutzt, um unliebsame Berichterstattung von vornherein zu unterbinden. Die dabei entstehenden hohen Prozessrisiken drohen jede freie Berichterstattung zu unterbinden. Sie sind zudem bei der gegenwärtigen Rechtsprechungslage geradezu unkalkulierbar und unvermeidbar.
    Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellt die bisherige Rechtsprechung auf den Kopf: Die Meinungsfreiheit sei schon verletzt, wenn eine Formulierung deutungsoffen ist und eine dieser möglichen Deutungen das Persönlichkeitsrecht verletzt.
    Quelle: taz

    Anmerkung: Die NachDenkSeiten können in dieses Klagelied der taz nur einstimmen.

  14. Die schöne neue globalisierte Welt der Deutschen Bank
    Mit der Globalisierung entstünde Wettbewerb um Arbeitskosten mit der Folge, dass manche von uns “nicht so viel verdienen werden, wie sie in Deutschland zum Überleben brauchen”. Dann müssten zwei oder drei Mitglieder einer Familie arbeiten. Zum Beispiel in Dubai oder in Hongkong. Das Sozialleistungsniveau soll nach Vorstellung der Deutschen Bank “beträchtlich abgesenkt” werden. Mit 68 Jahren solle man in Rente gehen und davor weniger verdienen, da man nicht mehr so produktiv sei. Die Rente danach müsse durch mehr “Eigenverantwortung” erwirtschaftet werden. Um die “nächste Neuentwicklung” schnell auf den Markt zu bringen, sollten Arbeitskräfte motiviert werden, zum Beispiel 60 Stunden pro Woche zu arbeiten oder zwei Jahre lang auf ihren Jahresurlaub zu verzichten.
    Quelle: ngo-online


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