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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 22. Oktober 2007 um 9:34 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

(KR/WL)
Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.

Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind.
Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Ottmar Schreiner: Weiter Korrekturen müssen folgen
    „Es gibt eine Reihe von anderen Experten, die sagen, dass die gute Konjunktur seit 2006 mit der Agenda 2010 nichts zu tun hat. Die Exportwirtschaft floriert, die Investitionsgüterindustrie floriert, insbesondere der Maschinenbau. Einen Zusammenhang zur Agenda 2010 kann ich kaum erkennen. Wir hatten im letzten Konjunkturzyklus bis zum Jahr 2000 einen deutlich höheren Beschäftigungszuwachs als jetzt. Und damals gab es keine Agenda 2010. Der gute Konjunkturverlauf kann nur stabilisiert werden, wenn im Gegensatz zu den vergangenen Jahren die Löhne wieder angemessen steigen.“
    Quelle SZ
  2. Steinbrück: Abkehr von Agenda 2010 kostet SPD politisch den Kopf
    Eine Abkehr von der Agenda 2010 koste die Regierungsfähigkeit der SPD. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende (?) und Bundesfinanzminister Steinbrück warnte in der “Bild am Sonntag” seine Partei vor Korrekturen an der Agenda 2010. Mit Änderungen würde sich die Partei gleich doppelt bestrafen. “Bei der Durchsetzung der Agenda haben wir viele Schmerzen erlebt und Wahlen verloren. Und jetzt, wo die Agenda positiv wirkt, sagen wir: Das bringt alles nichts?”, sagte Steinbrück.
    Quelle: ZDF

    Anmerkung: Über den Realitätsverlust unseres Finanzministers und Kandidaten für den SPD-Parteivorstand kann man sich nur noch wundern. Da verliert die SPD seit der Agenda eine Wahl nach der anderen; Steinbrück hat mit seiner Hauptparole „Kurs halten“ in Nordrhein-Westfalen eine epochale Wahlniederlage bezogen; sie hat ihn selbst den Job des Ministerpräsidenten „gekostet“. Eine Abkehr von der Agenda würde vielleicht Steinbrück politisch den Kopf kosten, aber kaum die SPD.

  3. Pflegereform, zweiter Akt
    Merkel: Finanzkonzept muss entworfen werden: “Es wird der Tag kommen, da müssen wir eine Kapitaldeckung einführen.”
    Quelle: FR

    Kommentar: Da freuen sich aber der Kapitalmarkt und seine Institute, und warten auf die Rentenreform, zweiter Akt. Professor Raffelhüschen lässt grüßen.

  4. Autobranche gehen Privatkunden verloren
    Nur noch 38 Prozent der Neuzulassungen entfallen nach einem Medienbericht auf private Nutzer. Im dritten Quartal seien fünf Prozent mehr Autos auf den Handel zugelassen worden als 2006, die Werkszulassungen hätten sogar 27,2 Prozent über dem Vorjahresniveau gelegen. Bei Privatkunden habe es dagegen einen Rückgang um 24,6 Prozent gegeben. Das Kraftfahrtbundesamt hatte jüngst einen Rückgang bei den Neuzulassungen im September um elf Prozent auf rund 265.000 Fahrzeuge gemeldet.
    Quelle: FTD

    Anmerkung: Wenn schon Autos keine Autos kaufen, so kaufen immerhin Firmen noch Autos.

  5. Lokführerstreik
    • Offener Brief an den Bahnvorstand
      Ein Lokführer schrieb einen offenen Brief an den Bahnvorstand. Daraus ein Auszug:
      „Ist Ihnen bekannt, dass mir als Lokführer die Jahresarbeitszeit von 1984 Stunden auf 2087 Stunden erhöht wurde? … Damit hätten wir zunächst eine Lohnsenkung von 5%
      nachgewiesen. Ist Ihnen bekannt, dass mir ein Urlaubstag gestrichen wurde? … Ist Ihnen bekannt, dass meine famose Interessenvertretung, der mehrheitlich von der Transnet gesteuerte Gesamtbetriebsrat, mit dem Management eine Betriebsvereinbarung geschlossen hat, die es, vorbei an jeglichen gesetzlichen Bestimmungen, erlaubt, Schichten mit bis zu 14 Stunden zu planen, wobei dann der AN zwei Stunden unbezahlt als „Pause“ zu übernehmen hat? … Das sind wieder einige Zehntelprozent übers Jahr. Dazu nehmen wir noch einen (zu optimistischen) Satz von zwei Prozent Teuerung und unser fantastischer Abschluß mit Transnet und Gdba ist als herrliches Geschenk an Sie entlarvt… Die o.g. effektiven Lohnabzüge hat es nur bei den Lokführern gegeben. Haben Sie etwas gehört von Protesten anderer Berufsgruppen zu einer derartigen Behandlung der Lokführer? Wer hat hier das Recht, von Solidarität aller Beschäftigten zu reden?!“
      Quelle: Gewerkschaft Deutscher Lokführer [PDF – 24 KB]
    • Das hohle Lied der Solidarität – Neoliberal darf offenbar nur die Bahn selbst sein
      Bahnchef Mehdorn predigt anderen gern vom Wasser der Beweglichkeit, möchte selbst aber weiter möglichst viel vom Wein der Gleichförmigkeit genießen. Glaubwürdig ist das nicht. Wenn die Marktmacht die Gehälter von Ackermann & Co bestimmt, muss das auch für Lokführer gelten. Merke: Was du nicht willst, das man dir tut, das füg’ auch keinem andern zu.
      Quelle: Tagesspiegel
    • Bundesbank-Chef ruft GDL zur Vernunft
      Ungewöhnliches Statement von Bundesbank-Präsident Axel Weber: Er meldet sich im Bahn-Tarifkonflikt zu Wort und bezieht indirekt Partei gegen die Lokführer. Ein zu hoher Lohnabschluß, warnt er, könne die Inflationsgefahr weiter steigern.
      Quelle: Spiegel-Online

      Kommentar Orlando Pascheit: Wehe, es wird Kritik an der Geldpolitik der Zentralbanken geübt, dann wird deren Unabhängigkeit beschworen. Aber mit der größten Selbstverständlichkeit mischen sich deren Vertreter vornehmlich in die Angelegenheiten der Tarifparteien ein. Daran ändert auch nichts, schnell nachgeschoben, das obligate “man akzeptiere aber die Tarifautonomie.” Vollkommen lächerlich ist die Sorge über die “in den letzten Monaten schon höheren Abschlüsse … in der Metallindustrie, in der Chemie, auch am Bau.” Warum kommentiert Axel Weber nicht das Zustandekommen der Preise für Kraftstoffe und Lebensmittel oder die angekündigten unverschämten Erhöhungen der Strom- und Gasversorger. Die “höheren Abschlüsse” werden bald aufgezehrt sein.

  6. Was die Bosse wirklich verdienen
    Nicht der langfristige Unternehmenserfolg, ein stetiges Wachstum und eine breite Geschäftsbasis sind gut für den Manager. Um sein Einkommen zu optimieren, ist es besser, er geht höhere Risiken ein, optimiert kurzfristig die Rendite und sorgt für Aktienhöchststände immer dann, wenn die Bonusberechnung ansteht. Langfristige Investitionen sind in diesem Kalkül nur persönliche Gehaltsvernichter.
    Anleger, Mitarbeiter, ja selbst die Kunden leiden darunter, wenn technologische Fortschritte, etwa in der Medizin oder beim Umweltschutz, auf sich warten lassen, weil weniger entwickelt wird. Grundlagenforschung bleibt heutzutage zunehmend staatlichen Einrichtungen überlassen, weil die Chance auf schnelle Rendite dabei gering ist. Die Struktur der Managerversorgung führt dazu, dass Unternehmenschefs häufig nicht wie Unternehmer handeln, sondern wie Zocker. Geht die Wette auf das schnelle Geld schief, fliegt man zwar raus. Aber immerhin gibt es dann Abfindung, Übergangsgeld – und meist schnell wieder einen neuen Job.
    Quelle: stern

    Anmerkung: So unterschiedlich funktioniert das „Anreiz“-System zwischen oben und unten:
    Bei den Managern bedeutet „Anreiz“: Millionengehalt, Sonderzahlungen, Aktienoptionen, Luxusrenten und dicke Abfindungen, wenn sie rausfliegen. Bei den Arbeitnehmern heißt „Anreiz“: Druck auszuüben und die Drohung mit dem raschen Absturz auf das Existenzminimum.

  7. Stadtwerke verklagen Deutsche Bank
    Nicht nur die Stadt Pforzheim, auch die Stadtwerke haben bei riskanten Derivat-Geschäften mit der Deutschen Bank Federn gelassen. Die SWP sprechen von „eklatanter Falschberatung“ und ziehen vor Gericht. Ähnlich wie den Stadtwerken Pforzheim erging es bereits der Stadt Pforzheim und laut SWP mehreren hundert Städten, kommunalen Versorgungsunternehmen und auch privaten mittelständischen Unternehmen.
    Quelle: Pforzheimer Zeitung
  8. IW-Chef Michael Hüther: Der Anspruch der Marktwirtschaft und die Funktionsweise des demokratischen Gruppenstaates sind sich fremd
    Der Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in seinem „ordnungspolitischen Einspruch“ im Handelsblatt: „Ökonomisches Denken und politische Logik sind selten harmonisch zu verbinden. Individuelle Entscheidungsfreiheit und Haftung, Wettbewerb und Leistungsgerechtigkeit sind der Funktionsweise des demokratischen Gruppenstaates durchaus fremd. Der Anspruch der Marktwirtschaft an die Politik, sich vor allem auf die Definition von Regeln zu konzentrieren und im Übrigen auf die Effizienz dieses ansonsten dezentral gesteuerten Systems zu setzen, ist dagegen bescheiden.“
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung: Selten kann man so eindeutig nachlesen, welches Verhältnis der Wirtschaftsliberalismus zum demokratischen Staat des Grundgesetzes hat: Marktradikalismus und demokratische Herrschaft sind sich „fremd“.

  9. »Die Medien kommen ihrer Verpflichtung nicht nach«
    Gespräch mit Florian Opitz. Über den Dokumentarfilm »Der große Ausverkauf«, Widerstand gegen Privatisierungen und das Versteckspiel von IWF und Weltbank: „Ich denke auch, dass die Ideologie des Neoliberalismus in den Medien als alternativlos dargestellt worden ist. Ich glaube aber, das hängt vor allem damit zusammen, dass der wirtschaftliche Sachverstand in den Medien, zumal in den elektronischen, nicht so stark entwickelt ist, dass man bestimmte Glaubenssätze, die ja wirklich sehr weit verbreitet sind, hinterfragt. … Ich glaube, dass einfach die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einen etwas weiteren Horizont und mehr Platz hatten auch für nicht genuin Journalistisches. Und man merkt heute schon sehr, dass es bei dieser nachgerückten Generation auch ein Bedürfnis gibt, sich abzulösen von den Vorgängern, von diesen »Alt-68ern«, mit anderen Worten, öffentlich-rechtliche Zöpfe abzuschneiden und der Quote nachzuschielen. Ich glaube, dass das eine sehr schädliche Entwicklung ist.“
    Quelle: Junge Welt
  10. Exzellenzinitiative: Der Elite-Wettbewerb schwächt die Hochschulen
    Spitzenunis findet Richard Münch überhaupt nicht spitze – sondern überflüssig. Im Interview erklärt der Bamberger Soziologe, warum er das Geld aus der Exzellenzinitiative für ein “problematisches Geschenk” hält und den Studenten eher Nachteile drohen.
    Quelle: SPIEGEL online

    Anmerkung WL: In der Sache geht es bei der Elite-Initiative um die Verteilung unzureichender Mittel für universitäre Forschung durch die staatlichen Haushalte. Um von der Unterfinanzierung der Forschung in Deutschland abzulenken, wird ein ruinöser Wettbewerb um „Exzellenz“ und um den Titel „Eliteuniversität“ veranstaltet. Wer nicht gewinnt, steigt ab. Allein das jährliche Budget von Harvard ist höher als der Betrag, der im Rahmen der Exzellenzinitiative für die erfolgreichen Universitäten in den kommenden fünf Jahren zur Verfügung stehen wird. Für die „zweitklassigen“ Unis wird das Eliteprogramm eher zu einem weiteren Abstieg führen. Der Bund bezahlt den Löwenanteil der „Elite-Geld-Spritze“ und zwingt die Länder, ein Viertel des Zuschusses selbst beizusteuern. Diese Mitfinanzierung dürfte in den meisten Ländern durch Kürzungen bei jenen Unis oder Fachbereichen erwirtschaftet werden, die nicht zur Elite zählen.

    Zur „Exzellenzinitiative“: siehe auch nochmals Michael Hartmann.

    Und der Chef des Bertelsmannschen CHE, Müller-Bölling, fordert schon jetzt höhere Studiengebühren für Elite-Universitäten: „Eine Uni, die viele Studenten anzieht, muss auch mehr Geld bekommen…“
    Quelle: Stern

  11. Deutschland bricht Bildungsabkommen
    Mit den Studiengebühren verstößt Deutschland gegen internationale Vereinbarungen, rügen Gewerkschaften und Studierendenverbände. Heute legen sie dazu einen Bericht vor. Darin fordern sie die UN auf, gegen Deutschland vorzugehen
    Als die Bundesländer das Bezahlstudium berieten und schließlich einführten – bislang sind es sieben Länder mit verschiedenen Varianten – , brach die Zahl der Erstsemester sofort um 17 Prozent ein. Die Studienzurückhaltung ist auch am Anteil der Studienanfänger unter Abiturienten abzulesen: 2004/2005 nahmen fast 80 Prozent ein Studium auf, mit der beginnenden Gebührendebatte waren es nur noch 72 Prozent, zuletzt ging deren Zahl auf 60 Prozent zurück. Ähnliche Beobachtungen hat die OECD gemacht.
    Quelle: taz
  12. Zentralabitur und Abiturstandards: Sieg des taktischen Lernens
    Man kann Prüfungen auch ganz anders verstehen, als einen Spiegel, in dem die Schüler sich erkennen. Lernen als Umwandelung des Mangels in Stärken. Aber das geht nicht, wenn Schüler meinen, ihre Schwächen verbergen zu sollen. Wie können also Prüfungen das Engagement fürs Lernen steigern? Können sie dazu beitragen, Lernen zum großen Projekt des eigenen Lebens zu machen?
    Quelle: Die Zeit

    Anmerkung WL: Das einzige, was unseren Bildungspolitikern zur Förderung der Qualität einfällt, sind Prüfungen und Tests und die teure Entwicklung von Standards. Zur besseren Ausstattung mit Lehrern und zur Verbesserung pädagogischer Konzepte ist kein Geld da. Erfolgreiche
    Bildungssysteme wie das Finnlands haben die Inspektion inzwischen abgeschafft und setzen auf Vertrauen in ihre Lehrerinnen, Lehrer und Schulleitungen.

  13. Kritik an der Offenen Ganztagsschule in NRW
    Ergebnis einer Befragung unter offenen Ganztagsschulen in Nordrhein-Westfalen durch GEW und ver.di: “Zusammengefasst kann man sagen, dass das System Offene Ganztagsgrundschule weiterhin kritisch eingeschätzt wird; es werden aber auch die Chancen gesehen, die es durch sein Vorhandensein unter dem Dach der Grundschule mit sich bringt. Die OGS wird als Teil der GS von der Idee her überwiegend akzeptiert, ihre pädagogischen Möglichkeiten werden aber aufgrund der geringen finanziellen Ausstattung stark kritisiert. Das, was aus der OGS gemacht worden ist, ist denen zu verdanken, die sich über das bezahlte Maß hinaus engagieren und sich mit ihrer Arbeit identifizieren. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist allerdings unakzeptabel, dass die Beschäftigten – einschließlich der verantwortlichen Schulleitungen – ausgenutzt werden. Zufriedene Eltern, zufriedene Kinder durch sich aufopfernde Beschäftigte? Nein, die OGS muss besser finanziert werden! Zur Erinnerung: In den Horten stehen 2 ausgebildete Kräfte für 20 Kinder zur Verfügung. Für die OGS wird in etwa ein Drittel der Hortkosten je Gruppe veranschlagt. Jetzt wurden auch noch die Mittel für die Betreuung bis 13 Uhr von 4.000 Euro je Gruppe auf 5.500 Euro je OGS gekürzt. Statt auf Qualität hat das Land NRW auf Quantität gesetzt. Das muss sich ändern!”
    Quelle: GEW, ver.di OWL [PDF – 252 KB]


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