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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 16. Mai 2008 um 9:11 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

(KR/WL)
Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.

Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind.

Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Die letzten Dämme brechen
    Bei der CSU brechen im Vorwahlkampf die letzten Dämme von Anstand und Moral, während der politische Diskurs auf niederstes Stammtischniveau sinkt. Wirtschaftsminister Glos sorgte gestern mit einem Vorschlag für Furore, in dem er kundtut, wie er sich denn die von ihm ins Spiel gebrachte „Vollbeschäftigung“ so vorstellt. Laut Glos ist die Vollbeschäftigung relativ einfach zu erreichen – man steckt ganz einfach alle ALG-II Empfänger – flankiert von der Androhung der Bezugskürzung – in nicht bezahlte Jobs der öffentlichen Hand, schon sind sie aus der Arbeitslosenstatistik verschwunden. Früher nannte man so etwas einmal „Zwangsarbeit“, heute spricht man lieber von „Bürgerarbeit“; natürlich vermeidet man auch das unschöne Wort „Arbeitspflicht“ und spricht lieber von „Pflicht zur Mitgestaltung“. Aber auch diese neuen Euphemismen können nicht über den Charakter dieses Projektes wegtäuschen – es geht der CSU keinesfalls um Arbeitsmarktstimulanzien und auch weniger um Arbeitspflicht, sondern um einen weiteren radikalen Kahlschlag bei den Sozialleistungen und Leistungskürzungen im Niedriglohnbereich, während Glos zeitgleich „Leistungsträger“ mit Steuermitteln beschenken will. Dies ist nicht nur ungerecht, sondern auch eine niederträchtige Form des Wahlkampfes, die das Volk spaltet, anstatt es zu einen.

    Volkswirtschaftlich betrachtet ist Glos „Bürgerarbeit“ ein konsequentes Instrument der neoklassischen Angebotspolitik, die in den 80ern als „Thatcherismus“ und „Reaganomics“ zum Siegeszug antrat und zu recht als Ursache für die sozialen Probleme und die zu schwache Binnennachfrage in vielen Ländern angesehen wird. Moderne Volkswirte halten daher vom „Bürgerarbeitsmodell“ auch überhaupt nichts. Wenn SPON in seiner Überschrift schreibt „Ökonomen sind begeistert“, so ist dies schlichtweg eine Lüge – begeistert scheinen lediglich die Forscher am Bonner „IZA-Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit“ zu sein, auf deren Studie sich Glos stützt. Aber das IZA zeigte sich auch schon von der Idee begeistert, Arbeitslose zu versteigern – ernst kann man diese Begeisterung also kaum nehmen.
    Quelle 1: Spiegelfechter

    Anmerkung Martin Betzwieser: Das im Artikel erwähnte Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) ist ein Tummelplatz für einschlägige Politiker, Wirtschaftsfunktionäre, Aktivisten der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und ein paar gewerktschaftliche Feigenblätter. Wer die Liste der Policy Fellows überfliegt, wird das sozialdarwinistische Gedankengut einschätzen können.
    Quelle 2: IZA

    Dazu die Satire:

    Hartz-IV Hamster
    Nachdem Wirtschaftsminister Glos jüngster Vorschlag, die Zwangsarbeit wieder einzuführen, auf große Zustimmung stieß, stellten heute Glos und sein innig verbundener Kollege aus dem Umweltressort Sigmar Gabriel ein bahnbrechendes Konzept vor, mit dem die Regierung einerseits den Endsieg über die Arbeitslosigkeit besiegeln will, um Deutschland immerwährende Vollbeschäftigung zu bringen, und gleichzeitig Deutschlands Energiepolitik nachhaltig revolutionieren wird. Das Konzept trägt den eher sperrigen Namen „Human Assignment Manifesto for Sustainable Transformation of Energy Resources“ – kurz HAMSTER – und wurde von der Bertelsmann-Stiftung entwickelt.
    Quelle 3: Spiegelfechter

  2. Betriebliche Altersvorsorge scheitert oft an der Beratung
    Trotz der seit 2002 bestehenden staatlichen Förderung nimmt nur knapp die Hälfte der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft die betriebliche Altersvorsorge zur Ergänzung der gesetzlichen Rente in Anspruch. Neben fehlenden finanziellen Mitteln und falschen Vorstellungen über die Höhe der zu erwartenden Alterseinkünfte seien oft auch die Arbeitgeber wegen mangelnder Beratung ihrer Belegschaften für diese Entwicklung verantwortlich, sagte der Vorstandsvorsitzende der Delta Lloyd Versicherungsgruppe, Christof Göldi, gestern bei der Vorstellung einer repräsentativen Studie zur betrieblichen Altersvorsorge.

    Nur etwa 25 Prozent der Beschäftigten würden aktiv von ihrem Arbeitgeber über die Vorteile der betrieblichen Altersversorgung informiert, so Göldi. Zudem würden in vielen Unternehmen nur selten Beratungsgepräche zu diesem Vorsorgebereich angeboten. Allerdings lehnten mehr als 35 Prozent der 1.000 befragten Arbeitnehmer eine Pflicht zur betrieblichen Altersvorsorge, wie sie von manchen Experten gefordert wird, “strikt ab”, sagte Göldi.
    Quelle: Ihre Vorsorge

    Anmerkung Martin Betzwieser: „Ihr unabhängiger Altersvorsorge-Berater – Eine Initiative der Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung und der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See“. Dort wird jetzt wohl schon jeder Versicherungsvorstand mit seinen Tips für Betriebe und Beschäftigte zitiert. Arbeitnehmerfinanzierte betriebliche Altersvorsorge ist keine Ergänzung der gesetzlichen Rente, sondern bewirkt deren Minderung. Und von welchen „Experten“ die Pflicht zur betrieblichen Altersvorsorge gefordert wird, können wir uns schon weitgehend denken. Dieses Internetportal wird von Rentenversicherungsbeiträgen finanziert – unglaublich.

    Schon ein paar Tage alt, aber es passt dazu …

    Betriebliche Altersvorsorge: Unternehmen drohen Milliardenklagen
    Millionen Mitarbeiter können von ihren Arbeitgebern Schadenersatz für Verluste bei der Betriebsrente fordern. Wie Arbeitnehmer an ihr Geld kommen.

    Sie wollte alles richtig machen. Da die Renten nicht mehr sicher sind, entschloss sich eine Autoverkäuferin aus Rosenheim, selbst etwas für ihre Altersversorgung zu tun. Sie verzichtete monatlich auf 178 Euro ihres Gehalts und vereinbarte mit ihrem Chef, dass dieser das Geld – per Entgeltumwandlung – in eine betriebliche Altersvorsorge investiert.

    Knapp drei Jahre später verließ die Verkäuferin das Unternehmen. Im Glauben, bereits eine stattliche Summe fürs Alter zurückgelegt zu haben, erkundigte sie sich, wie sie die Police nach dem Jobwechsel weiterführen kann. Umso erstaunter war sie, zu erfahren, dass von ihren bereits eingezahlten 6230 Euro nur noch 639 Euro übrig waren. Die Assekuranz hatte gut 90 Prozent der Beiträge dafür verwendet, ihre Abschluss- und Verwaltungskosten (insbesondere Provisionen für Versicherungsvertreter) zu begleichen.

    Die Arbeitnehmerin wollte sich mit diesem Verlust nicht abfinden. Sie verklagte ihren Chef – und gewann. Die Richter des Münchener Landesarbeitsgerichts befanden: Der Arbeitgeber habe seine Pflicht verletzt, das Geld gewinnbringend für eine Altersvorsorge anzulegen und müsse den Schaden von 5591 Euro ersetzen (Az. 4 Sa 1152/06). „Damit hat das Gericht allen Arbeitgebern die rote Karte gezeigt, die die Altersvorsorge ihrer Mitarbeiter einer Gesellschaft übertragen, die mit unlauteren Methoden Geschäfte macht“, freut sich der Münchener Rechtsanwalt Johannes Fiala, dessen Kanzlei das Urteil erstritten hat. Von dem Richterspruch könnten mehr als 90 Prozent aller Arbeitnehmer profitieren, die die Entgeltumwandlung nutzen, um für ihren Ruhestand vorzusorgen.
    Quelle 1: Focus

    Nachdenkseiten-Leser/innen war das Problem schon länger bekannt:

    Quelle 2: Nachdenkseiten vom 27.04.2007

    Quelle 3: Nachdenkseiten vom 02.05.2007

  3. Kasse machen mit Privatpatienten
    Die Diskussion über eine Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland bekommt neuen Auftrieb. Gesundheitsforscher prangern “anachronistische” Vergütungsunterschiede für Ärzte an
    Quelle: FR
  4. Statistisches Bundesamt: Die deutsche Wirtschaft blieb auch im ersten Quartal 2008 auf Wachstumskurs
    Um 1,5% war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) – preis-, saison- und kalenderbereinigt – im ersten Vierteljahr 2008 höher als im vierten Quartal 2007.
    Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, stieg das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2008 im Vergleich zum Vorjahr um 1,8%. Kalenderbereinigt betrug der Zuwachs sogar 2,6%, weil im Berichtsquartal zwei Arbeitstage weniger zur Verfügung standen als im ersten Vierteljahr 2007.

    Getragen wurde das Wirtschaftswachstum sowohl von der inländischen Verwendung als auch vom Außenhandel. Vor allem die Bruttoinvestitionen konnten im Vergleich zum vierten Quartal 2007 als auch im Vorjahresvergleich zulegen, in geringerem Umfang aber auch die Konsumausgaben. Vom Außenbeitrag kamen positive Wachstumsimpulse indessen nur im Vorjahresvergleich.
    Quelle: Statistisches Bundesamt

    Anmerkung WL: Das Statistische Bundesamt wird immer mehr zu einem Propagandaorgan. Da werden im Sinne der gängigen Propaganda lächerlich geringe Wachstumsraten zu Erfolgsmeldungen hochgejubelt. Vgl. die Tabelle in „Was man uns so zumutet, bis der Tag vorüber ist, ist schon beachtlich“

  5. Greenwashing
    Das Image der Energieversorger ist zur Zeit nicht das Beste: Abzocke bei den Preisen, illegale Absprachen, überzogene Managergehälter, und vor allem sind sie die schlimmsten Klimasünder. Den größten Teil der Energie erzeugen sie immer noch mit Dreckschleudern, in denen Kohle, Gas oder Öl verbrannt wird. Höchste Zeit also für ein neues Image, und zwar am besten gleich als Klimaschützer. Damit die Ausgaben für die aufwändige PR auch nachhaltig investiert sind, präsentiert die Firma Vattenfall sich und ihr Logo in Schulen…
    Quelle: SWR
  6. Eon-Netzverkauf an Private: vom Regen in die Traufe
    “Zwei laufende EU-Kartellverfahren, eine drohende Strafe des Bundeskartellamtes wegen überhöhter Netzentgelte, ein verrottetes Netz und ein gigantischer Investitionsstau: Eon steht das Wasser bis zum Hals, die Verkaufsankündigung ist ein Manöver, um den Druck durch die Kartellbehörden zu vermindern”, sagte Alexis Passadakis vom Attac-Koordinierungskreis. “Mit dem geplanten Verkauf an einen privaten Investor – etwa an die australische Bank Macquarie oder die Deutsche-Bank-Tochter RREEF – kämen die Verbraucher und die Umwelt vom Regen in die Traufe.” Statt um einen sozialen und ökologischen Betrieb würde es lediglich um Profite gehen.

    Attac fordert, die Netze der Stromkonzerne in die öffentliche Hand zu überführen und soziale und ökologische Ziele in einem künftigen öffentlichen Netzunternehmen zu verankern. Der angemessene Kaufpreis liege dabei bei null Euro. Der Grund: Die Stromkonzerne fahren durch die Netzentgelte jährlich Monopolgewinne in Milliardenhöhe ein, während sie gleichzeitig dringend notwendige Investitionen in ihre Netze verschleppen. So betrugen die Netzentgelte in 2006 rund 21 Milliarden Euro; in die Infrastruktur investiert wurden 2,4 Milliarden Euro.
    Quelle: attac

  7. Italien: Schluss mit der Realpolitik
    Dem Philosophen ist der Kragen geplatzt. Wer die Homepage der Zeitschrift MicroMega anklickt, findet unter der Überschrift “Nach den Wahlen” einen Beitrag des Philosophen Paolo Flores D’Arcais. Titel: “Schluss mit der Realpolitik”. Was nach der Lektüre des Artikels genau so klingt wie: Schluss mit lustig. Realpolitik – damit meint D’Arcais all das, was von ihm als Grundfehler der Linken erkannt wird: die Politik der Kompromisse, des Verzichts auf eine linke Sozialpolitik, der nachgiebigen Haltung gegenüber einem politischen Gegner, der tagtäglich die Verfassung mit Füßen tritt und in keinem anderen demokratischen Land gewählt würde, weil er sämtliche Fernsehsender des Landes kontrolliert.
    Quelle: FR
  8. Flüchtlinge aus der Politik
    Der Schritt von der Politik zum unternehmerischen Lager kommt immer häufiger vor. Diese Beziehungen, frei von jeder Kontrolle und im wesentlichen antidemokratisch, sind das Vorzimmer der Korruption. Ein Beitrag über den „Drehtüreffekt“ und die geheimen „Netzwerke“ von Joaquín González, Chef des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) und Autor des Buches Corrupción y justicia democrática, in der spanischen Zeitung El Pais übertragen von Ulrich Fischbach.
    Quelle: El Pais [Word Dokument – 36 KB]
  9. EU-Finanzminister suchen nach Ablenkung
    Statt mühsam an gemeinsamen Lösungen bei Zinsbesteuerung und Mehrwertsteuerbetrug zu arbeiten, würde manch ein Finanzminister in Brüssel lieber über das Dauerthema der zu hohen Managergehälter und -abfindungen reden.
    Quelle: TAZ
  10. Jens Wernicke: Privilegien den Privilegierten
    Stipendien sind nicht Lösung, sondern Teil des Problems: Solange Noten und Leistung die entscheidenden Vergabekriterien sind, wird immer sozial selektiert.
    Quelle: Der Autor hat uns diesen Beitrag aus der jungen Welt zur Verfügung gestellt [Word Dokument – 30 KB]
  11. Nach Müllbergen brennen Roma-Baracken
    Wie die braven Bürger Neapels ihre Stadt sauber halten: Pogrome in Roma-Elendssiedlungen vor laufender Kamera. Die neue Rechtsregierung Italiens liefert die passende politische Begleitmusik. Auch die Linke hat Verständnis dafür
    Quelle: TAZ
  12. Die Sache Tibets
    Die Tibetbewegung fordert “Freiheit für Tibet”, aber ohne zu sagen, was sie unter Freiheit, geschweige denn Tibet versteht. Auch die Exilbewegung und der Dalai Lama bleiben vage. Das reicht nicht mehr aus – besonders jetzt, da China sich öffnet und wahrer politischer Fortschritt möglich ist.
    Quelle: SZ
  13. Themen im Freitag:

    Lasst 1000 Blumen blühen
    Vom 19. bis 30. Mai wird Bonn Gastgeber der 9. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über die biologische Vielfalt sein. Was Umweltminister Sigmar Gabriel als reine »Naturschutzkonferenz« etikettiert, geht aber weit darüber hinaus. Neben dem Artenschutz und der Ausweisung von neuen Schutzzonen wird in Bonn auch über den gerechten Vorteilsausgleich verhandelt. Länder mit großer Artenvielfalt, aber auch die Ursprungsbevölkerungen sollen künftig von der biologischen Vielfalt profitieren. Und last but not least geht es um Geld: Wer soll für den Artenschutz bezahlen?

    Karl-Heinz Götze: Erinnerungen an Wolfgang Abendroth
    Der Text kreist um die Frage, was 1968 bedeutete, vor allem, was es mir bedeutete, und was es dort bedeutete, wo ich 1968 studierte, in Marburg, einem exzentrischen Zentrum der Studentenbewegung. Davon, wie ich dort hingeriet, warum, was ich damals gelernt habe, von wem und auf welche Weise. Man kann darin Gedanken und Theorien neu besichtigen, die mir damals wichtig waren, darunter auch einige, die mir heute noch wichtig sind. Man findet darin Glücksmomente, die sich nicht festhalten ließen. Sie lachen über Irrtümer, auch über die eigenen, wenn auch längst nicht über alle.


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