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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 25. April 2017 um 8:34 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JK/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Frankreich
  2. Meister der Verdrängung
  3. Eine Frage der Glaubwürdigkeit
  4. Warum Populisten derzeit so erfolgreich sind
  5. Europa und USA – Die Rechten bieten sich heute als Schutzmacht der kleinen Leute an
  6. Gemeinsam für die Freiheit des Kapitals?
  7. Deutschland: einsam – aber mit Überschuss
  8. Warnung der Bundesbank – Überalterte Gesellschaft bremst Deutschlands Wirtschaftswachstum
  9. Am Tropf der Weltkonzerne
  10. Rechnungshof prangert Autobahn-Pläne der Bundesregierung an
  11. Rüstungsoffensive und Totalumbau der Bundeswehr
  12. Im Gesetz zum elektronischen Personalausweis versteckt sich ein automatisierter Abruf für Geheimdienste
  13. Ist die Wissenschaft wirklich in Gefahr?
  14. Die Königin wird mit Handkuss abserviert – ein Drama in fünf Akten
  15. Das Erbe der Thatcher-Ära
  16. Grüne: Inbegriff des Uncoolen

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Frankreich
    1. Frankreichs Wahl
      Mit Emmanuel Macron hat der Favorit Berlins die erste Runde der französischen Präsidentenwahl gewonnen. Macron konnte sich am gestrigen Sonntag mit – laut jüngsten Hochrechnungen – rund 23,4 Prozent der Stimmen durchsetzen; Marine Le Pen vom Front National kam demnach mit 22,6 Prozent auf Platz zwei. Macron gilt als wahrscheinlicher Sieger in der zweiten Wahlrunde am 7. Mai. Die deutsche Regierung hatte zunächst auf den konservativen Kandidaten François Fillon gesetzt und offen für ihn geworben, sah sich nach seinen Umfrageeinbrüchen wegen des Skandals um hohe Mitarbeitergehälter für seine Ehefrau aber gezwungen, auf Macron umzuschwenken, den ein Berliner Think-Tank als ebenso “Deutschland-kompatibel” einstuft wie Fillon. Sämtliche sonstigen Kandidaten seien demnach wegen ihrer Kritik an EU und/oder NATO für eine “konstruktive Zusammenarbeit” ungeeignet. Berlins Einmischung zugunsten Macrons, für den kürzlich noch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eine offene Wahlempfehlung abgegeben hat, zeigt einmal mehr, dass die deutsche EU-Dominanz an nationalen Grenzen kein Halten mehr kennt. Zudem stellt sie, wie ein bekannter Brüsseler EU-Beobachter konstatiert, die dünne russische Einmischung in Frankreich bei weitem in den Schatten.
      Quelle: german foreign policy
    2. Gratulation an Macron: Warum “hilft” die Bundesregierung Marine Le Pen?
      Realsatire nach der Frankreich-Wahl: Seibert gratuliert Emmanuel Macron und wünscht alles Gute. Auch Außenminister Gabriel ist stolz auf Macron. Nur warum macht die Bundesregierung das? Warum ist man so dämlich mit diesen Statements Marine Le Pen in die Hände zu spielen? Deutsche Unterstützung für Macron ist Wasser auf die Mühlen der Le-Pen-Wähler. Die freudige Bundesregierung weiß gar nicht, was das Problem ist und meint sogar: Man mischt sich gar nicht in die Frankreichwahl ein!
      Ausschnitt aus der BPK vom 24. April 2017
      Quelle: jung und naiv
    3. Bravo Jean-Luc!
      Mit 19,6 Prozent hat der Kandidat der französischen Linken Jean-Luc Mélenchon ein grandioses Wahlergebnis erreicht. Er landete nur knapp hinter Marine Le Pen. Hätten die verbliebenen Linken in der Parti Socialiste ihn in den letzten Tagen unterstützt, dann wäre Marine Le Pen ausgeschieden und Frankreich hätte eine echte Alternative. Der smarte Rothschild-Banker steht für ein „Weiter so“, steht für Sozialabbau und für die Unterstützung von Banken und Konzernen. Wenn er im zweiten Wahlgang zum Präsidenten gewählt wird – und vieles spricht dafür – dann wird, wie der Soziologe Didier Eribon voraussagt, der Front National weiter Zulauf haben.
      Für alle diejenige in der europäischen Linken, die eine soziale und demokratische Erneuerung Europas wollen, Ist das unerwartet gute Wahlergebnis, das Jean-Luc Mélenchon erreicht hat – bei der letzten Wahl kam er auf 11,1 Prozent – eine große Ermutigung. Als einziger Kandidat hat er dem neoliberalen Europa seit Jahren den Kampf angesagt, den rücksichtslosen deutschen Exportnationalismus kritisiert und für eine neue Wirtschafts- und Währungsordnung geworben, die allen europäischen Ländern eine faire Chance lässt.
      Die Werte der französischen Revolution – Egalité, Liberté, Fraternité – zeigen uns den Weg, der notwendigen europäischen Erneuerung:

      • Egalité verpflichtet dazu, in allen europäischen Ländern gleichwertige Partner zu sehen und auf Bevormundung und Troika-Diktate zu verzichten,
      • Liberté verpflichtet dazu, die Vormundschaft der Banken und Konzerne zu beenden und die Freiheit des Einzelnen durch Arbeitnehmer-Rechte und demokratische Mitbestimmung wieder herzustellen und
      • Fraternité verpflichtet uns, den Nationalismus zu überwinden und das Europa der guten Nachbarschaft im Geist der Europa-Hymne wieder aufzubauen: „Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.“

      Quelle: Oskar Lafontaine via Facebook

    4. Die Bande des Monsieur Macron
      Macron realisierte den üblichen Traum, eine Elitehochschule zu besuchen, mit dem Studium an der Science Po. 1999 führte ihn der Historiker François Dosse bei dem Philosophen Paul Ri­cœur ein, der einen Assistenten suchte. Als Mitarbeiter Ricœurs fand Ma­cron Zugang zur Zeitschrift Esprit, die der „deuxième gauche“ (zweite Linke) nahesteht und damals die Sozialversicherungsreform von Ministerpräsident Alain Juppé unterstützte.
      Im Esprit präsentierte Macron sein theoretisches Konzept für die Ausübung von Macht: „Der Diskurs und die politische Aktion können sich nicht mehr einem Programm unterwerfen, das man bei der Wahl präsentiert und dann fünf Jahre lang durchzieht.“1 In der Politik brauche man eher einen Horizont als einen Maßnahmenkatalog. Bei der deuxième gauche fand er die Ideologie, aus der er sein politisches Handeln begründen konnte.
      Während des Studiums an der ENA freundete er sich mit Henri Hermand an. Der 2016 verstorbene Hermand, der viel Geld mit Gewerbeimmobilien gemacht hatte, gehörte zu den Ziehvätern einer christlichen Linken, die sich explizit über drei „antis“ definierte, nämlich als antikommunistisch, antikolonialistisch und antijakobinisch. 2007 stellte der Direktor der Finanzaufsicht, Jean-Pierre Jouyet, den vielversprechenden jungen Mann Jacques Attali vor.
      Quelle: Le monde diplomatique

      passend dazu: Diese Milliardäre jubeln über Macrons Erfolg
      […] Bernard Arnault, 43 Milliarden Euro Vermögen
      Der zehntreichste Mann der Welt, wie Pinault aus mittelständischen Verhältnissen zum Luxuszar mit LVMH (Louis Vuitton, Dior, Bulgari) aufgestiegen, gilt laut Presseberichten als Finanzier von Emmanuel Macron. Verbürgt ist eine familiäre Verbundenheit: Macrons Frau Brigitte war Französischlehrerin seiner Söhne Frédéric und Jean, sie lässt sich auf Rat seiner Tochter Delphine (die mit Macron-Fan Xavier Niel liiert ist) mit Louis Vuitton einkleiden. LVMH-Chef Renaud Dutreil begleitete Macron auch zum Start von “En Marche”. Für die Konservativen bedeutet Arnaults Abwendung einen herben Verlust.
      Einst gehörte Bernard Arnault, der sich auch als Kunstmäzen mit eigenen Museen betätigt und das Wirtschaftsblatt “Les Echos” verlegt, zu ihren Kreisen. Er war sogar Trauzeuge für Nicolas Sarkozys erste Ehe und Gast auf dessen Party zum Wahlsieg 2007. Später wurde Arnault zum Auslöser einer Debatte über Steuerflucht, als er 2012 die belgische Staatsbürgerschaft beantragte. Im Jahr darauf zog er das als “Geste meiner Verbundenheit zu Frankreich und meines Vertrauens in seine Zukunft” zurück. Macron verspricht, auch Arnaults Steuern drastisch zu senken.
      Quelle: Manager Magazin

  2. Meister der Verdrängung
    Wenn an der Börse die Sektkorken knallen, muss die Fortsetzung der bisherigen Politik gesichert sein. Das ist eigentlich ganz einfach zu verstehen. Dennoch glauben viele, mit Emmanuel Macron beginne nun so etwas wie eine andere, mutmaßlich sozialere Politik. Vor allem die deutschen Sozialdemokraten blamieren sich mit ihrer Lobhudelei auf einen Kandidaten, der im Grunde für einen strammen Neoliberalismus und damit für die Fortsetzung der bisherigen Politik steht.
    Der Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, wird wie folgt zitiert:
    Sollte Macron siegen, »dann könnten wir, er als Präsident in Frankreich und ich als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, auf der Grundlage einer nachhaltig gestärkten deutsch-französischen Kooperation, die Reform der Europäischen Union in Angriff nehmen«.
    Es darf nicht nur laut gelacht werden, angesichts der sinkenden Umfragewerte für den Buchhändler der SPD. Man darf auch entsetzt darüber sein, wie gleichgültig und ignorant sich die Sozialdemokraten erneut gegenüber dem Abschneiden ihrer Brüder und Schwestern in einem europäischen Nachbarland geben. (…)
    Dass es für die Sozialdemokraten noch tiefer gehen kann wenn sie sich vor dem Neoliberalismus verneigen, zeigt aber nicht nur die Präsidentschaftswahl in Frankreich, sondern auch die Parlamentswahl in den Niederlanden vor ein paar Wochen. Dort büßte das SPD-Pendant, die PvdA satte 19 Prozentpunkte ein und stürzte auf nahezu unbedeutende 5,7 Prozent ab. Die deutsche Sozialdemokratie jubelte aber auch damals, weil es ja gelang, einen zu großen Erfolg des Rechtsextremisten Geert Wilders zu verhindern. Die Sozialdemokraten bleiben damit Meister der Verdrängung und taub gegenüber dem Unbehagen der Menschen, die die Ergebnisse sozialdemokratischer Politik zunehmend skeptischer sehen.
    Quelle: TauBlog
  3. Eine Frage der Glaubwürdigkeit
    ZDF-Moderator Claus Kleber und Korrespondent Theo Koll nennen Macron schon den künftigen Präsidenten. Haben die nichts gelernt?
    Der öffentlich-rechtliche Journalismus ist wie ein Krebspatient, dem man ein Stück Lunge entfernt hat. Als hätte das, was ihn zerfrisst, nichts mit ihm zu tun, sitzt er im Rollstuhl vor der Kliniktür und raucht. Seine Vertreter sind getrieben. Vernunft ist es nicht.
    Emmanuel Macron, einer von elf Kandidaten, die zur Wahl um das Amt des französischen Präsidenten angetreten sind, hat mit 23,75 Prozent die meisten Stimmen bekommen. Es folgt Marine Le Pen mit 2,22 Prozentpunkten weniger. Weil eine absolute Mehrheit ausblieb, wird es am 7. Mai eine Stichwahl geben. […]
    Das Geschrei und die Selbstgeißelung unter den Medienvertretern waren groß: Wieso haben wir diese Ergebnisse nicht vorhergesehen? Wo liegen die Versäumnisse unserer Analysen und Betrachtungen? Haben wir uns von Wunschdenken statt von Fakten leiten lassen? […]
    Doch die Einsicht ist vielerorts so fern, wie es bei Nicolae Ceauşescu im Moment seiner Hinrichtung die Erkenntnis war. Sie würde lauten: Wir verkünden nur das, was Fakt ist. Das ZDF „heute journal“ aber hat – als jüngstes Beispiel öffentlich-rechtlicher Ausdenkerei – am Wahlabend kein Problem damit, seine profiliertesten Nachrichtenmänner jenseits aller Fakten Macron als zukünftigen Präsidenten zu handeln, etwa, wenn Claus Kleber sagt: „Es ist ein Präsident, der als Außenseiter beginnt …“
    Für das ZDF gibt es keine Wahl am 7. Mai. Für Kleber und den Leiter des Pariser Studios, Theo Koll, reicht eine in Aussicht gestellte Unterstützung Macrons durch die unterlegenen Parteien, um von ebendiesem als künftigen Präsidenten Frankreichs zu sprechen. Sie missachten damit nicht nur die Realität, sondern zeigen „dem Volk“ und der Diskussion um journalistische Glaubwürdigkeit auch ganz klar, was sie von ihnen halten: Sie sind ihnen egal.
    Quelle: Silke Burmester in der taz
  4. Warum Populisten derzeit so erfolgreich sind
    Warum haben Populisten in den letzten drei Jahren so viel Erfolg? Das analysieren in dem Band “Die große Regression” 15 bekannte Intellektuelle. Primär machen sie dafür den Neoliberalismus verantwortlich, der viele Menschen wirtschaftlich abhängte. Sie fordern linke und liberale Parteien dazu auf, sich wieder stärker um die Benachteiligten zu kümmern.
    Weitgehende Einigkeit der Beiträge von “Die große Regression” besteht denn vor allem darin, dass in den letzten Jahrzehnten im Zuge der neoliberal gestalteten Globalisierung ärmere Teile der Bevölkerung weltweit – wie in Israel – ökonomisch und sozial abgehängt wurden. So konstatiert die New Yorker Philosophin Nancy Fraser:
    “Der Clintonismus ist in hohem Maße mitverantwortlich für die Schwächung der Gewerkschaften, den Niedergang der Reallöhne, die Prekarisierung von Arbeit und den Rückgang ausreichender Alleinverdiener-Einkommen (. . .) zugunsten der ‚Zwei-Verdiener-Familie‘.”
    Der Neoliberalismus ist nicht nur der große Feind der rechten Populisten. Die Kritik am Neoliberalismus vereint ironischerweise auch alle Autoren des Bandes. Der Darmstädter Soziologe Oliver Nachtwey behauptet:
    “Der zutiefst autoritäre Marktglaube ist ein ‚anonymer Gott, der die Menschen versklavt‘, weil er sich selbst als alternativlos darstellt.”
    Eine ähnliche Kritik formuliert der englische Fernsehjournalist Paul Mason in Bezug auf die Volksabstimmung über die britische EU-Mitgliedschaft. Doch er erweitert die Motivlage der Wähler, die für den Austritt aus der EU gestimmt haben, um eine Dimension, die sich wie der Neoliberalismus in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, nämlich die Liberalisierung der Gesellschaft.
    Quelle: Deutschlandradio

    Anmerkung JK: In diesem Zusammenhang muss noch einmal an das eigentlich Groteske der Wahl in Frankreich erinnert werden. Nun wird ganz Frankreich aufgerufen sein Macron zu wählen und dem Neoliberalismus damit ein Plebiszit ohne gleichen verschaffen. Der französische Soziologe Didier Eribon und aktuell der amerikanische Linguist Noam Chomsky haben in ihren Analysen ebenfalls dezidiert dargelegt, dass der FN und Le Pen, die AfD, UKIP und Trump die Ausgeburten des Neoliberalismus und einer Politik sind, die seit über zwanzig Jahren die Lebensumstände einer Vielzahl von Bürgern permanent verschlechtert hat. Über die Kunstfigur Macron benutzt der Neoliberalismus nun den Rechtspopulismus, den er selbst hervorgebracht hat, als Legitimation für seine angebliche Alternativlosigkeit.

  5. Europa und USA – Die Rechten bieten sich heute als Schutzmacht der kleinen Leute an
    Die politische Rechte in Europa und den USA habe vor allem in den unteren gesellschaftlichen Schichten Anhänger gefunden, sagte der Soziologe Sighard Neckel im DLF. Das liege unter anderem daran, dass sich die Rechten als Schutzmacht der kleinen Leute anbieten würden und die linken Parteien aus dieser Rolle ausgetreten seien.
    Auch US-Präsident Donald Trump habe kein anderes politisches Programm als die autoritäre Rechte in Europa, sagte Neckel. Dass Trump Milliardär ist, spiele für die amerikanischen Arbeiter keine Rolle.
    Sowohl Trump als auch den europäischen Rechten sei es gelungen, die Frage der sozialen Sicherheit in eine Frage der öffentlichen Sicherheit zu übersetzen, so Neckel. Sie hätten sich als Schutzmacht gegenüber potenziellen Gefährdungen von außen angeboten – wofür insgesamt die Globalisierung, Zuwanderung, die Flüchtlinge und der Islam stünden.
    Quelle: Deutschlandfunk
  6. Gemeinsam für die Freiheit des Kapitals?
    Die Eliten proben den Aufstand der Anständigen. Wer gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung ist, muss auch gegen Handelsschranken und für freie Märkte sein, so die Botschaft. Das liberale Bürgertum will jetzt die Anti-Trump-Stimmung nutzen, um einer gescheiterten marktradikalen Politik eine zweite Chance zu geben. Gewerkschaften sollten aber auf einen eigenen Standpunkt beharren. Nur eine sozial gerecht gestaltete Globalisierung ist auch im Interesse der abhängig Beschäftigten. (…)
    Die Neue Rechte ist aus den Ruinen des Neoliberalismus auferstanden: Eine neoliberal gestaltete Globalisierung trug dazu bei, dass die Ungleichheit weltweit zunahm. Niedriglöhne, prekäre Beschäftigung, Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung trieben die soziale Spaltung voran. Trump, Farage, Le Pen, Wilders, Petry & Co gelang es anschließend, den sozialen Protest der Unter- und Mittelschichten auf ihre Mühlen zu lenken. Nicht zuletzt aufgrund des langjährigen Flirts der US-Demokraten und der europäischen Sozialdemokratie mit dem Neoliberalismus. Häufig ist die Stimme für die Rechtspopulisten auch eine Stimme gegen marktradikale Politik.
    Im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung stehen heute Trumps nationalistische Wirtschaftspolitik und der Wunsch vieler Briten der EU den Rücken zu kehren. Der angelsächsische Versuch das Rad der Globalisierung zurückzudrehen, führt aus wirtschaftsliberaler Sicht direkt in den Untergang. Doch Vorsicht! Der Absturz der vermeintlichen Bruchpiloten May und Trump ist keineswegs so sicher, wie von liberalen Ökonomen vorhergesagt.
    Quelle: blog.arbeit-wirtschaft.at
  7. Deutschland: einsam – aber mit Überschuss
    Auch im Jahr 2017 taucht eine absurde Diskussion, abseits von zwingenden volkswirtschaftlichen Zusammenhängen auf. Sind die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse gut oder schlecht und kann der Staat lenkend eingreifen oder nicht. Für Bundesfinanzminister Schäuble ist alles klar, so wie immer: “Es gibt weder vernünftige Maßnahmen, die Deutschlands Leistungsbilanzüberschuss senken, noch brauchen wir aktive wirtschaftspolitische Maßnahmen, um dies zu erreichen”. Mit dieser Meinung stehen die deutschen Überschuss-Interessenvertreter ziemlich alleine auf dem internationalen Parkett. Denn die Realität, volkswirtschaftliche Logiken und Wirtschaftsdaten zeigen offensichtlich anderes!
    Die Leistungsbilanz ist neben der Kapitalbilanz Bestandteil der Zahlungsbilanz. Die Leistungsbilanz spiegelt die Handelsbilanz, die Dienstleistungsbilanz, die Erwerbs- und Vermögenseinkommen und die laufende Übertragungen mit dem Ausland wider.
    Der erzielte akkumulierte Leistungsbilanzüberschuss ist 1:1 der Finanzierungssaldo des Auslands, um diese akkumulierte Summe verschuldet sich das Ausland um deutsche Nettoexporte zu absorbieren. Im anhaltenden Strom verschuldet die deutsche Überschusswut das Ausland bzw. Schulden sind die Genese des Auslandes um deutsche Waren Netto zu importieren. Dies feuert ganz eindeutig außenwirtschaftliche Ungleichgewichte an und diese Ungleichgewichte sind Quelle von Verschuldungen, von immer stärkeren Gläubiger/ Schuldner Verhältnissen, Abhängigkeiten und die damit in der chronischen Version schon fast zwingend in Finanzkrisen münden müssen.
    Quelle: Querschüsse
  8. Warnung der Bundesbank – Überalterte Gesellschaft bremst Deutschlands Wirtschaftswachstum
    Noch floriert Deutschlands Wirtschaft. Doch mittelfristig muss sich Europas größte Volkswirtschaft auf weniger Wachstum einstellen. Der Grund: Die Zahl der erwerbsfähigen Personen sinkt deutlich.
    Die Überalterung der Gesellschaft dürfte ein schwächeres Wirtschaftswachstum in Deutschland nach sich ziehen. Davor warnt die Bundesbank in ihrem aktuellen Bericht für den Monat April. Der Notenbank zufolge wird in den Jahren 2021 bis 2025 das Wachstum voraussichtlich auf durchschnittlich 0,75 Prozent zurückgehen. Zum Vergleich: Das durchschnittliche Wachstum in den Jahren 2011 bis 2016 betrug 1,25 Prozent.
    Gegenläufig wirke zwar eine weiterhin hohe Zuwanderung, da der deutsche Arbeitsmarkt für Ausländer voraussichtlich attraktiv bleibe, so die Bundesbank. Die Notenbank-Experten gehen aber davon aus, dass die Zuwanderung nach der zuletzt sehr starken Immigration mittelfristig schwächer ausfallen wird.
    Grundlage für die Prognose ist die Zahl der erwerbsfähigen Personen, die nach Berechnungen der Bundesbank in Deutschland bis zum Jahr 2025 um fast 2,5 Millionen zurückgeht. Zudem werde der Altersschnitt der Erwerbsfähigen steigen. Der Anteil der älteren Erwerbsfähigen von 55 bis 74 Jahren wird demnach bis 2025 um sieben Prozentpunkte auf fast 40 Prozent zunehmen.
    “Während sich die aktuelle Lage und die kurzfristigen Perspektiven der deutschen Wirtschaft momentan günstig darstellen, belastet die demografische Entwicklung die mittel- bis langfristigen Wachstumsaussichten”, teilte die Bundesbank mit. “Der Bevölkerungsrückgang sowie die Alterung der Erwerbspersonen in Deutschland wird das trendmäßige Wirtschaftswachstum mittelfristig deutlich senken.”
    Quelle: SPIEGEL

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Wieder eine der üblichen, einseitigen und intellektuell extrem schwachen, weil ideologiegetriebenen, “Analysen” der Bundesbank. “Natürlich” werden nur die Angebotsbedingungen für das Wirtschaftswachstum betrachtet, in diesem Fall das Arbeitskräfteangebot, als wären die Nachfragebedingungen nicht viel wichtiger für das Wirtschaftswachstum. Dann ist zu fragen, warum die Zahl der *Erwerbsfähigen* betrachtet wird, nicht die der *Erwerbstätigen*, denn per definitionem kurbeln doch nur letztere die Wirtschaft an. Griechenland z. B. hat ganz viele Erwerbsfähige, die aber leider keine Arbeit haben, und die Wirtschaft schrumpft seit Jahren. Weiter haben wir doch angeblich die beste aller Arbeitsmarktwelten seit Jahrzehnten und die meisten Erwerbstätigen in Deutschland, die es je gab, und das Wirtschaftswachstum beträgt im Durchschnitt der Jahre 2011 bis 2016 lächerliche 1,25 Prozent pro Jahr (im Vergleich z. B. zu 1,8 Prozent pro Jahr in den 1990er Jahren). Selbst für das Jahr 2025 wird noch Massenarbeitslosigkeit vorhergesagt, die Anzahl der Erwerbsfähigen (hier wird immer nur auf die Anzahl abgestellt) also groß genug sein. Daten, Prämisse, Herangehensweise und Schlußfolgerungen stehen sämtlich auf sehr tönernen Füßen. Der Knaller ist aber die extrem weite Definition von Erwerbsfähigkeit: “Der Anteil der älteren Erwerbsfähigen von 55 bis 74 Jahren wird demnach […] zunehmen.” Ach so ist das also: mit 74 sollen wir noch erwerbsfähig sein.

    Anmerkung Jens Berger: Mit diesem „Unsinn“ kommt die Bundesbank nun mindestens schon seit der Zeit meines Studiums in unregelmäßigen Abständen an die Öffentlichkeit. Schon damals hat mich als Student interessiert, warum es gesamtwirtschaftlich besser sein soll, wenn ein 20jähriger 100 Euro für ein Open Air ausgibt als wenn ein 60jähriger 100 Euro für einen Opernbesuch ausgibt. Mein damaliger Professor stand zwar natürlich voll und ganz hinter der Aussage der Bundesbank, konnte diese und andere Fragen jedoch auch nicht beantworten.

  9. Am Tropf der Weltkonzerne
    Internationale Investoren sind nach Polen gekommen, um in abgegrenzten Gewerbeparks von Sonderkonditionen durch den polnischen Staat zu profitieren. Die entstandenen Arbeitsplätze bringen den Menschen in der Region jedoch nicht nur Vorteile, vor allem heimische Unternehmen haben das Nachsehen.
    Toyota produziert in WaŁbrzych Motoren und Getriebe. Die Arbeit ist sehr eng getaktet, berichtet der Solidarność-Gewerkschafter Sławomir Bielakiewicz. Wie eng die Zeitvorgaben sind, macht er an einem Beispiel deutlich:
    “Eine Schraube nehmen, sie reindrehen und es überprüfen – dafür haben Sie eine bestimmte Zeit: Um die Schraube aus der Schachtel zu nehmen: 0,6 Sekunden. Um sie einzudrehen: 0,9 Sekunden. Für die Kontrolle: 1,4 Sekunden. Für diese drei Dinge haben Sie also 2,9 Sekunden. Wenn Sie aber Schnupfen haben oder irgendwas im Auge, dann führt das schon zu einer Verzögerung. Das müssen Sie hinterher irgendwie wieder aufholen.”
    Tomek hat bei Toyota den Mindestlohn verdient. Das waren damals 1750 ZŁoty, umgerechnet etwa 430 Euro im Monat, pro Stunde sind das 2,70 Euro. Festangestellte verdienen in der Produktion rund 3000 Złoty, etwa 750 Euro.
    Auch in Polen ist das sehr wenig, die Preise für viele Produkte des täglichen Gebrauchs sind schon auf westlichem Niveau. Viele Angestellte bei Toyota kommen mit nur einem Einkommen kaum mehr über die Runden.
    Quelle: Deutschlandfunk
  10. Rechnungshof prangert Autobahn-Pläne der Bundesregierung an
    Der Bundesrechnungshof schlägt Alarm: Die geplante private Autobahngesellschaft könnte der erste Schritt zu einer streckenabhängigen Maut sein – und die würde Autofahrer stärker belasten als versprochen.
    Die obersten Rechnungsprüfer der Republik sind alarmiert. Der Bundesrechnungshof (BRH) kritisiert die Pläne der Bundesregierung für eine private Autobahn-Gesellschaft. Verschwendung beim Autobahnbau sei dadurch Tür und Tor geöffnet, bemäkeln die Prüfer.
    Und das Gesetz ziele darauf, langfristig eine streckenabhängige Pkw-Maut zu etablieren – also genau das, was es laut Bundesregierung nicht geben sollte. Die Gesellschaft soll, das sei der Geist der Gesetze, „perspektivisch ein sich selbst tragendes Geschäftsmodell aufbauen“, warnt BRH-Präsident Kay Scheller.
    Was der Gesetzgeber damit plane, sei „ein Paradigmenwechsel für autobahnnutzende Bürger.“ Das Konzept nutzerfinanzierter Autobahnen tauche „durchgängig“ in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung auf, warnt Matthias Märing, der Leiter der Grundsatzabteilung des BRH.
    Käme es dazu, wäre das der Bruch eines Versprechens an die Bürger. Hatten doch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) zugesichert, dass kein Autofahrer durch die Einführung der Pkw-Mautschlechter gestellt werde. Die Pkw-Maut soll nach den bisher kommunizierten Plänen als jährliche Abgabe mit der Kfz-Steuer verrechnet werden.
    Quelle: WELT
  11. Rüstungsoffensive und Totalumbau der Bundeswehr
    Im Juni 2010 erging ein Kabinettsbeschluss, demzufolge sämtliche Ressorts bis 2014 zusammen 81,6 Mrd. Euro einsparen sollten – 8,3 Mrd. sollten aus dem Etat der Bundeswehr stammen. Der daran angelegte Bundeswehrplan sah deshalb eine empfindliche Senkung der deutschen Rüstungsausgaben vor und ein – offizielles – Ziel der am 18. Mai 2011 vorgelegten „Eckpunkte für die Neuausrichtung der Bundeswehr“ war es dann auch, unter anderem über eine Verkleinerung der Truppe Gelder einzusparen.[1]
    Auch wenn der Sparbeschluss dann ohnehin schnell gekippt wurde und wir seit einiger Zeit einen rasanten Anstieg der deutschen Rüstungsausgaben erleben – was sich nun mit den „Vorläufigen konzeptionellen Vorgaben für das künftige Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“ anbahnt, ist Rüstung in einer ganz neuen Dimension: Mehr Personal, mehr schwere Divisionen, mehr Panzer, mehr Kampfflugzeuge, mehr Schiffe und nicht zuletzt natürlich mehr Geld.
    Begründet wird das Militarisierungspaket mit der „Notwendigkeit“, sich gegen Russland hochzurüsten – allerdings ohne gleichzeitig die Fähigkeiten für Auslandsinterventionen zu verlieren, wohlgemerkt.
    Quelle: Informationsstelle Militarisierung e.V.

    Anmerkung Christian Reimann: Die Bundeswehr soll also fit gemacht werden für einen militärischen Konflikt mit Russland. Nicht wundern dürfte, wenn demnächst auch über die Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert wird.
    Bitte lesen Sie dazu auch Wider das Gewöhnen an weltweite Hochrüstung.

  12. Im Gesetz zum elektronischen Personalausweis versteckt sich ein automatisierter Abruf für Geheimdienste
    Innenminister Thomas de Maizière will Ausweise nur noch mit aktivierter Funktion zur elektronischen Identifizierung ausgeben. Außerdem möchte er die biometrischen Merkmale von Ausweis und Pass in einem automatisierten Verfahren den Geheimdiensten freigeben.
    Die Bundesregierung plant die zwangsweise Ausweitung der Nutzung des elektronischen Identitätsnachweises, der mit dem Chip im deutschen Personalausweis und im elektronischen Aufenthaltstitel eingeführt wurde. Außerdem soll laut dem Gesetzentwurf durch Änderungen des Passgesetzes und des Ausweisgesetzes künftig die automatisierte elektronische Übermittlung der digitalisierten Passbilder an sämtliche Geheimdienste erlaubt werden.
    In dem Gesetzentwurf verstecken sich darüber hinaus noch einige nicht unmittelbar mit der eID in Zusammenhang stehende Änderungen: So sollen sämtliche Geheimdienste ab dem Jahr 2021 im automatisierten Verfahren auf die Daten in den Meldeämtern zugreifen können. Dazu gehören auch die biometrischen Passbilder.
    Auch heute können Polizeien und andere Behörden Informationen aus den Melderegistern abrufen. Neu ist jedoch die Möglichkeit, dass die Geheimdienste das nach eigenem Gutdünken automatisiert dürfen sollen. Denn der jetzt geplante automatisierte Abruf wird ohne eine Protokollierung bei den Meldeämtern erfolgen. Die Kontrolle darüber, welche Geheimdienste in welcher Anzahl davon Gebrauch machen, wird dadurch erschwert.
    Quelle: netzpolitik.org
  13. Ist die Wissenschaft wirklich in Gefahr?
    Das plötzliche Aufblühen einer Pro-Wissenschaftsbewegung: Geht es um eine Ersatzreligion oder um kritisches Denken?
    Zehntausende Menschen haben sich am Samstag weltweit an Märschen für die Freiheit der Wissenschaft beteiligt (siehe Science March: Spät, aber wichtig). Auch in Deutschland gab es eine eigene Homepage für diese Aktivitäten. Dort wird allgemein kritisches Denken propagiert. (…)
    Historisch gesehen, waren sowohl die marxistischen als auch die anarchistischen Formationen der Arbeiterbewegung sehr wissenschaftsfreundlich. So gehörte in der Sozialdemokratie vor ca. 110 Jahren eine Fülle von wissenschaftlichen Traktaten, Broschüren und Büchern zum Sortiment des Verlags- und Literaturwesens. Führende Sozialdemokraten bemühten sich, den Arbeitern wissenschaftliche Grundkenntnisse nahezubringen. Da waren die Schriften von Darwin ebenso gefragt wie die von Ernst Haeckel.
    Der anarchistische Teil der Arbeiterbewegung ließ sich bei der Wissenschaftsfreundlichkeit von den Sozialdemokraten nicht übertreffen. Anarchisten wie Proudhon oder Kropotkin waren besonders bemüht, Erkenntnisse der Wissenschaft in ihren Kreisen populär zu machen. Tatsächlich stand ein emanzipatorisches Grundanliegen dahinter. Die Arbeitermassen sollten sich nicht mehr von Esoterik und Religion einfangen lassen. (…)
    Es gibt eine lange und fruchtbare Tradition einer linken Wissenschaftskritik, die man bei Theoretikern der Kritischen Theorie ebenso findet, wie im Strukturalismus. Der Name des französischen Soziologen Michel Foucault steht für eine besondere Spielart der Wissenschaftskritik. Vor allem der nun wieder propagierte Wahrheitsanspruch der Wissenschaft wurde damals massiv in Frage gestellt.
    Quelle: Telepolis
  14. Die Königin wird mit Handkuss abserviert – ein Drama in fünf Akten
    Wie man eine Parteivorsitzende kaltstellt – und ein Abwesender triumphiert. Ein absurd tragisches Theaterstück in fünf Akten, aufgeführt durch die Alternative für Deutschland im Kölner „Maritim“-Hotel. […]
    Dann ruft Gauland in den Saal: „Wir wollen das Land behalten, das wir von unseren Müttern und Vätern ererbt haben. Unsere Identität! Wir sind stolz darauf, Deutsche zu sein und gegen den Ausverkauf an fremde Interessen!“ Womit vermutlich jene „Globalisten“ und „entartete Oligarchen“ gemeint sind, von denen Kubitschek, Glaser und Höcke reden. Letzterer war nie da. Aber sein Gespenst ging im „Maritim“ um, und sein Geist durchzieht das Wahlprogramm. „Ab jetzt!“, so ruft Gauland, „ab jetzt gibt es keine Auseinandersetzungen mehr!“
    Nun wünscht man Frauke Petry, sie würde Erich Kästners Vers beherzigen: „So tief du immer auch fällst/ So tief darfst du nicht sinken/ Von dem Kakao, durch den man dich zieht/ Auch noch zu trinken.“ Aber sie trinkt. Gauland küsst ihr die Hand. Der Vorhang fällt.
    Quelle: WELT
  15. Das Erbe der Thatcher-Ära
    Ziel der Thatcher-Herrschaft war die vollständige Durchsetzung der Kapitalinteressen durch das Ausschalten von Gewerkschaften und renitenten Arbeitern. Später gerieten auch andere selbstorganisierte Gruppen ins Visier.
    Thatcher sah in den faschistischen chilenischen Militärherrscher Pinochet einen Gleichgesinnten und Freund. Doch die schlimmste Spätfolge der Thatcher-Konterrevolution ist der Blairismus. Damit gemeint ist die maßgeblich von Tony Blair und seinen Gesinnungsfreunden vorangetriebene Zurichtung der Labourpartei zu einer Partei, die sich auf den Boden des Wirtschaftsliberalismus stellt. Blair setzte im Grund Thatchers Werk fort, nur dass er es nun als Premierminister einer Labourregierung machte.
    Erst damit hatte die Thatcher-Konterrevolution vollständig gesiegt. Es sollte keine Alternative zum Markt geben – Gesellschaft ist nur ein Traum von Linken, hatte Thatcher verkündet. Doch erst wenn diese Thesen von der Labourpartei ganz selbstverständlich übernommen werden, hat sie sich durchgesetzt. Das war die Rolle von Blair und Co. Wer sich noch auf Themen und Diskurse der britischen Arbeiterbewegung der 1970er Jahre bezog, galt nun als extremer Linker, Kommunist und Traumtänzer.
    Genau das ist der Grund für die mediale Hetzkampagne gegen Corbyn und seine Verortung als radikaler Linker. In der Realität ist er ein Mitte-Links-Sozialdemokrat, der keinesfalls einen Bruch mit der kapitalistischen Verwertungslogik plant. Doch er bezieht sich auf die Sozialdemokratie der Vor-Thatcher-Ära und erkennt an, dass es Klassenkämpfe gibt und dass sich die Lohnabhängigen organisieren müssen, wenn sie nicht leer ausgehen wollen. Das allein reicht schon für einen Großteil der Medien, um ihn zum Linksaußen zu stempeln.
    Quelle: Telepolis

    Anmerkung JK: Man muss hier schon fast verzweifelt fragen, warum gelingt in Deutschland nicht, was Jeremy Corbyn in England, Bernie Sanders in den USA, der Podemos in Spanien und Jean-Luc Mélechon in Frankreich gelungen ist – Menschen zum Widerstand gegen den Neoliberalismus zu mobilisieren. Eine populäre Führungsperson gäbe es mit Sahra Wagenknecht, sofern diese sich in dieser Rolle wiederfindet oder diese übernehmen möchte. Es fehlt aber an einer schlagkräftigen und modernen Organisation. Das größte Hindernis für eine breite, linke und populäre Bewegung ist inzwischen kurioserweise die “DIE LINKE” selbst. Nicht unerhebliche Teile der LINKEN beschäftigen sich lieber damit ihre eigenen Fraktionsvorsitzende zu demontieren, als gemeinsam Widerstand gegen den Neoliberalismus zu leisten.

    Ergänzende Anmerkung Jens Berger: Mit Parteiapparaten, die sich lieber selbst demontieren, als sich hinter einen progressiven Kandidaten zu stellen, haben die anderen genannten Politiker – allen voran Sanders und Corbyn – aber auch einige Erfahrung. Dies ist beileibe kein Alleinstellungsmerkmal der deutschen Linken.

  16. Grüne: Inbegriff des Uncoolen
    […] Sieht man sich die politischen Entwicklungen der letzten Jahre an, öffnen sich Erklärungen dafür, warum die Grünen von vielen Wählern als überflüssig angesehen werden: Die regierende Union übernahm 2011 eines ihrer beiden Hauptziele aus der Entstehungszeit der Partei, den Atomausstieg. Das andere Hauptziel, den Frieden, räumten die Grünen unter Joseph Fischer 1999 selbst ab. 2015 übererfüllten Angela Merkel und Sigmar Gabriel auch noch die migrationspolitischen Forderungen der Grünen, die spätestens seitdem auch in den Medien der “Mainstream” sind.
    Das scheint vielen Grüne in eine Identitätskrise geführt zu haben: Früher begriffen sie sich als “Gegenkultur”. Aber der Mainstream kann aus Gründen der Logik nicht gleichzeitig die Gegenkultur sein, auch wenn er das noch so sehr glaubt und wünscht. Der Mainstream ist das Gegenteil der Gegenkultur, er ist sein Angriffsziel. Dafür kann er die Repression nutzen, während der Gegenkultur nur der Humor bleibt, auf den der Mainstream oft erzürnt reagiert. Das macht ihn jedoch “uncool”.
    Quelle: Telepolis


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