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Titel: Hinweise der Woche

Datum: 25. Juni 2017 um 9:00 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

Am Wochenende präsentieren wir Ihnen einen Überblick über die lohnenswertesten Beiträge, die wir im Laufe der vergangenen Woche in unseren Hinweisen des Tages für Sie gesammelt haben. Nehmen Sie sich ruhig auch die Zeit, unsere werktägliche Auswahl der Hinweise des Tages anzuschauen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (CW)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Syrien
  2. Frankeich
  3. Griechenland
  4. Flüchtlinge
  5. Koalition peitscht Rüstungsvorhaben im Hauruckverfahren durch den Verteidigungsausschuss
  6. Politik in Geiselhaft
  7. Der nach Gerhard Schröder „beste Niedriglohnsektor“, der in Europa geschaffen wurde, betrifft mehr als jeden fünften Arbeitnehmer in Deutschland
  8. Armut trotz Aufschwung
  9. Fünf Erkenntnisse aus dem Abgasskandal
  10. Sahra Wagenknecht über Unsicherheit durch Überwachungsmaßnahmen
  11. Algorithmen im US-Justizsystem: Schicksalsmaschinen
  12. Wir brauchen einen deutschen Corbyn

Vorbemerkung: Ursprünglich hatten wir geplant, in unserer Wochenübersicht auch auf die lohnendsten redaktionellen Beiträge der NachDenkSeiten zu verweisen. Wir haben jedoch schnell festgestellt, dass eine dafür nötige Vorauswahl immer damit verbunden ist, Ihnen wichtige Beiträge vorzuenthalten. Daher möchten wir Ihnen raten, am Wochenende doch einfach die Zeit zu nutzen, um sich unsere Beiträge der letzten Wochen (noch einmal) anzuschauen. Vielleicht finden Sie dabei ja noch den einen oder anderen Artikel, den es sich zu lesen lohnt. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Syrien
    1. Deutsche Tornados fliegen über einem Pulverfass
      Die Lage in Syrien wird immer gefährlicher. Mittlerweile besteht die Gefahr, dass die beiden Atommächte USA und Russland aneinandergeraten. Es war und ist falsch, unsere Soldaten in US-geführte Öl- und Gaskriege zu schicken – auch wenn sie unter der verlogenen Überschrift „Bekämpfung des Terrorismus“ geführt werden. Statt die Tornados von Incirlik nach Jordanien zu verlagern und von dort aus „den Anti-IS-Einsatz fortzusetzen“, wäre es angesichts der sich zuspitzenden Situation dringend erforderlich, diesen Bundeswehreinsatz in einem völkerrechtswidrigen Krieg zu beenden. Wer sich an den Öl- und Gaskriegen im Nahen Osten beteiligt, erhöht die Terror-Anschlagsgefahr in Europa.
      Quelle: Oskar Lafontaine via Facebook
    2. Macron droht mit Luftschlägen in Syrien
      Der französische Präsident Macron droht mit Luftangriffen, sollte es in Syrien noch einmal zum Einsatz von Chemiewaffen kommen. Er will zudem den Kampf für die Befreiung Syriens fortsetzen. Allerdings sieht er keinen legitimen Nachfolger für Assad.
      Quelle: n-tv

      Anmerkung JK: Yes, der junge Erneuerer voll auf Linie mit der Regime Change Politik der USA.

      Anmerkung Christian Reimann: Der neue französische Präsident befürchtet wohl innenpolitische Probleme und sucht ein Ventil in der Außenpolitik. Dieses Vorhaben könnte jedoch auf einen erneuten Bruch des Völkerrechts in Syrien – sogar mit Ankündigung – hinauslaufen.

  2. Frankeich
    1. Dämpfer für Durchmarsch der République en Marche
      Die neue Partei des französischen Präsidenten hat die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung gewonnen, wenn auch mit deutlich weniger Sitzen als vorausgesagt. Eine Sensation besonderer Art ist die historisch einmalig niedrige Wahlbeteiligung. (…)
      Der Aufstieg von Macrons Bewegung wird als Innovation gefeiert, die das angeblich veraltete Links-Rechts-Schema überwindet und die französische Demokratie erneuert. In der politischen Substanz ist Macrons Rezept aber nichts anderes als die Etablierung eines hegemonialen Blocks der sog. Mitte, wie wir ihn in Deutschland, mit der großen Koalition seit acht Jahren kennen. Also marktkonforme Demokratie inklusive Marginalisierung der parlamentarischen Opposition. So innovativ und revolutionär ist REM also keineswegs, auch wenn, anders als bei uns, der hegemoniale Block jetzt in einer einzigen Partei zusammengefasst ist. (…)
      Die „revolutionäre“ Kernbotschaft ergänzt dann eine programmatische Mischung aus der linksliberal-grün-alternativen Erzählung (Gender, sexuelle Minderheiten, Umwelt, Euro-Pathos und Kosmopolitismus), digitalem Start-Up-Modernismus, nach dem Muster „Uber für alle“, ein Schuss Make-France-great-again und schließlich ein smarten Neoliberalismus – quasi Margret Thatcher mit human face. Mit Speck fängt man Mäuse, bzw. einen linksliberalen Grünen ebenso wie den Unternehmerverband. Welche dieser Interessen Priorität besitzen und sich ggf. im Konfliktfall durchsetzen, wird natürlich nach der Wahl entschieden – und zwar von Monsieur le Président.
      Wer dabei meinte, auf Programm und Versprechungen aus dem Wahlkampf vertrauen zu können, hat schon jetzt Anlass zu Ernüchterung. So hat Macron im Widerspruch zu seinen Aussagen vor der Wahl jetzt doch den Ausnahmezustand verlängert. Ein Dokument des Ministerpräsidenten zur inneren Sicherheit sieht weitaus schärfere Maßnahmen beim Abbau demokratischer Rechte vor, als im Programm angekündigt. Und ein geleaktes Dokumente zur Arbeitsmarktreform (s.u.), kündigt eine härtere Gangart gegenüber den Gewerkschaften an, als das sozialpartnerschaftliche Süßholzraspeln im Wahlkampf glauben machen wollte. (…)
      Und dass die autoritäre Versuchung schnell in die Arroganz der Macht umschlagen kann, hat unser „Jupiter“ gleich zu Beginn seiner Amtszeit gezeigt. So kündigte er an, selbst darüber entscheiden zu wollen, welche Journalisten ihn auf seinen Auslandsreisen begleiten dürfen. Nach Protesten hat das Präsidialamt allerdings einen Rückzieher gemacht.
      Besonders gravierend ist freilich seine Ankündigung, sich für den harten Kern seines Programms, die Arbeitsmarktreform, noch in diesem Sommer einen Freibrief von seiner absoluten Mehrheit geben zu lassen, eine Serie von Maßnahmen als Dekret durchzuziehen, also ohne jede weitere parlamentarische Kontrolle. Zur Vorbereitung sollen schon die Sommerferien genutzt werden, wenn selbst die 38% der Franzosen, die sich zuletzt noch an die Urnen begeben haben, von Politik nichts wissen wollen.
      Quelle: Makroskop
    2. „Wir werden keinen Blankoscheck ausstellen“
      Die französische Gewerkschafterin Andrée Thomas über Emmanuel Macrons geplante Arbeitsmarktreform.
      Wie beurteilen Sie die Ankündigungen des neuen französischen Präsidenten, die Reform des Arbeitsrechts weiter vorantreiben zu wollen?
      Seine Ankündigung eines „Loi travail XXL“ ist genau eine unserer großen Befürchtungen, und vor allem, was er mit diesem Gesetz vorhat: die Reform der Sozialpartnerschaft, das heißt der Vertretungen der Tarifpartner, in einer Weise, dass Verhandlungen auf Betriebsebene möglich werden. Nach unserer Einschätzung wird das die Branchenvertretungen schwächen, aber vor allem die Tarifverhandlungen aushöhlen. Deshalb sind wir als Force Ouvrière absolut gegen ein solches Gesetz, das haben wir bereits gesagt, als das erste Arbeitsgesetz vorgelegt wurde. Das ist wirklich ein großes Problem, und da wird es sicher Demonstrationen gegen Macron geben, wenn er rasch mit diesem Arbeitsgesetz weitermacht und vor allem über diesen Aspekt verhandelt.
      Quelle: IPG Journal
  3. Griechenland
    1. Glücklicher Alexis – unglückliches Griechenland
      Der griechische Ministerpräsident ist eine traurige Figur, aber er macht auf Optimismus. Wo er diesen Optimismus hernimmt, bleibt sein Geheimnis. Was er allerdings seinem Land zumutet, ist unerträglich.
      Man glaubt es nicht, aber Griechenland ist wieder einmal „gerettet“. Fast zwei Jahre nach dem griechischen Volks-Votum gegen weitere Austeritätspolitik, das von der Eurogruppe brutal ignoriert wurde, also wieder eine europäische „Hilfe“ für das Land, um die Regierung davor zu bewahren, den Bankrott erklären zu müssen.
      Natürlich kommt auch diese „Hilfe“ nicht ohne Bedingungen. Unter vielem anderen hat sich Griechenland verpflichtet, die ohnehin schon geringen Renten noch einmal erheblich zu kürzen und auf unabsehbare Zeit eine extrem restriktive Haushaltspolitik zu implementieren (der Beschluss der Eurogruppe von vergangener Woche findet sich hier).
      Nicht weniger als zwei Prozent des BIP sollen die Einsparungen bis 2018 erbringen. Zur „Ankurbelung“ des Wachstums (bzw. des Wachstumspotentials) hat man sich natürlich auf „Strukturmaßnahmen“ geeinigt, darunter die weitere Deregulierung stark regulierter Berufsgruppen. Das wird sicher das Wachstum stark ankurbeln, wenn in Zukunft die Apotheker weniger strikte Auflagen erfüllen müssen, um ihre Medikamente zu verkaufen.
      Quelle: Heiner Flassbeck auf Makroskop

      Anmerkung Albrecht Müller: Lesenswert!

    2. Europäische Kleingeister
      Nach langen Verhandlungen scheint klar: Das überschuldete Griechenland soll im Juli endlich frische Kredite in Höhe von 8,5 Milliarden Euro von seinen europäischen Partnern erhalten. Da IWF und EU sich nicht über Schuldenerleichterungen einig sind, legt der Internationale Währungsfonds formal ein eigenes Kreditprogramm auf, zahlt aber zunächst kein Geld aus. Dies soll erst fließen, wenn der Streit über mögliche Schuldenerleichterungen beigelegt ist. Wieder einmal wird eine vernünftige Regelung vor allem von Deutschland verhindert.
      Die besonders von Deutschland verordnete Sparpolitik ist zum Scheitern verurteilt – vor allem mit Blick auf den Primärüberschuss. Bis 2022 sollen die Griechen einen Überschuss von 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung erzielen. Das ist de facto nicht zu schaffen, obwohl oder besser: weil die Griechen fast alle Sparauflagen erfüllen. So funktioniert die ökonomische Logik eben nicht. Im Gegenteil: Werden Staatsausgaben drastisch gekürzt, bricht die Wirtschaft ein. Wo im Haushalt ein großes Plus stehen sollte, bleibt im besten Fall ein kleiner Überschuss. Und so ist es auch in Griechenland.
      Die Vertreter des Internationalen Währungsfonds (IWF) haben das längst verstanden und fordern deshalb schon seit einer Weile, dass Griechenland nur einen Primärüberschuss von 1,5 Prozent erbringen sollte und einen Schuldenerlass bekommt. Der IWF liegt damit auf einer Linie mit der großen Mehrheit der Ökonomen. Nur im deutschen Finanzministerium verweigert man sich der realistischen Einschätzung. Dementsprechend hat Schäuble auch bei der aktuellen Kreditzusage an Griechenland nicht einer Schuldenerleichterung zugestimmt, sondern sie erst für 2018 in Aussicht gestellt – mit Blick auf die eigene Klientel also für eine Zeit nach der Bundestagswahl.
      Quelle: DGB
    3. Schuldenkrise in Griechenland: Deutsche Invest pachtet Hafen von Thessaloniki
      Der Hafen von Thessaloniki gilt als Drehkreuz für den ganzen Balkan. Jetzt wird er privatisiert: Ein Konsortium unter deutscher Führung pachtet ihn für die nächsten 40 Jahre.
      Quelle: Spiegel Online
  4. Flüchtlinge
    1. Nach Anschlägen: Bundesregierung setzt offenbar Abschiebungen nach Afghanistan fort
      Anfang Juni hatte die Bundesregierung Abschiebungen nach Afghanistan eingeschränkt. Nach SPIEGEL-Informationen soll in der kommenden Woche nun wieder ein Abschiebeflug von Leipzig nach Kabul gehen. Nach mehreren blutigen Anschlägen in der afghanischen Hauptstadt Kabul Ende Mai und Anfang Juni hatte die Bundesregierung die umstrittenen Abschiebungen nach Afghanistan eingeschränkt. Am kommenden Mittwoch soll nun erneut ein Flieger mit abgelehnten Asylbewerbern Deutschland verlassen. Nach SPIEGEL-Informationen soll der Abschiebeflug von Leipzig nach Kabul gehen.
      Das Bundesinnenministerium wollte diese Informationen weder bestätigen noch dementieren. Dies ist jedoch gängige Praxis des Ministeriums, um eventuelle Proteste zu verhindern und die Maßnahme nicht zu gefährden. Auf Anfrage des NDR verwies das Ministerium zudem darauf, die Abschiebungen seien nicht komplett ausgesetzt – Straftäter, Gefährder und Menschen, die ihre Identität nicht preisgeben wollen, dürften weiter nach Afghanistan zurückgeführt werden.
      Quelle: Spiegel Online

      Anmerkung unseres Lesers J. A.: Unmenschlich und bei einem so unsicheren und gefährlichen Land wie Afghanistan nicht nachvollziehbar – aber Merkel (ja, die gute Freundin der Flüchtlinge) zieht das eiskalt durch.

    2. EU-Gipfel: Lage der Flüchtlinge in Libyen: „Die Menschen schlafen in Schichten“
      Auf dem Weg nach Europa kommen 90 Prozent der Flüchtlinge über Libyen. Die Menschenrechtslage dort sei furchtbar, so der UN-Sondergesandte für Libyen, Martin Kobler. Auch deshalb sei es wichtig, auf dem EU-Gipfel zu einem strategischen Übereinkommen mit der Regierung zu kommen. […]
      Aber dann natürlich das Allerwichtigste: Zu fragen, warum gehen die Leute denn nach Libyen, auf diesen gefährlichen Weg nach Europa? Die Grundursachen in den Ursprungsländern bekämpfen. Eritrea, Somalia, Niger, Nigeria – warum kommen sie denn? Und hier ansetzen, aber wirklich, nicht kleckern, sondern klotzen, mit den Ländern, aus denen diese Flüchtlinge kommen, und hier gute Bedingungen schaffen, ein Leben aufbauen.
      Wenn ich mit den Flüchtlingen rede, warum seid ihr denn gekommen, dann sagen sie, weil wir nichts zu essen haben, oder weil wir politische Probleme haben oder weil wir Terrorismusprobleme haben. Und da muss die Europäische Union ran, da muss die internationale Gemeinschaft ran, in partnerschaftlichen Weisen mit den Anrainerstaaten, mit den Ursprungsländern, aus denen die Flüchtlinge kommen, hier zusammenzuarbeiten, um ihre Probleme dort zu lösen.
      Quelle: Deutschlandfunk Kultur
  5. Koalition peitscht Rüstungsvorhaben im Hauruckverfahren durch den Verteidigungsausschuss
    „In einer wahren Aufrüstungsorgie haben CDU/CSU und SPD heute Beschaffungsvorhaben im Wert von rund 13 Milliarden Euro im Hauruckverfahren durch den Verteidigungsausschuss gepeitscht. Die 23 Vorlagen mit einem Umfang von über tausend Seiten lagen den Ausschussmitgliedern nicht einmal eine Woche lang vor. Von diesem überstürzten Verfahren profitiert nur die Rüstungsindustrie. Es wird unweigerlich dazu führen, dass erneut Milliarden an Steuergeldern verschwendet werden, die im sozialen Wohnungsbau, in der Pflege, bei der Bildung, bei Infrastrukturmaßnahmen oder bei der Integration von Flüchtlingen dringend gebraucht werden und dort auch deutlich sinnvoller investiert wären“, erklären die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE im Verteidigungsausschuss, Christine Buchholz, Alexander Neu und Katrin Kunert.
    Quelle: Die Linke im Bundestag
  6. Politik in Geiselhaft
    Unternehmen und Banken haben über Jahre von kriminellen Steuersparmodellen profitiert. Die Cum-Ex-Betrüger hatten dabei einflussreiche Komplizen. Die Politik muss daraus ihre Lehren ziehen.
    Cum-Ex und Cum-Cum: Hinter diesen Kürzeln verbergen sich Steuerraubzüge, die uns seit der Jahrtausendwende um etwa 32 Milliarden Euro ärmer gemacht haben.
    Komplexe Aktiengeschäfte um den Dividendenstichtag herum sollten Eigentumsverhältnisse verschleiern mit dem Ziel, die Kapitalertragssteuer zu umgehen (Cum-Cum) oder sich diese mehrfach vom Staat zurückerstatten zu lassen (Cum-Ex).
    Entwickelt wurden die kriminellen Steuersparmodelle von Kanzleien wie Freshfields Bruckhaus Deringer; mitgewirkt und profitiert haben zahlreiche Unternehmen sowie über 100 deutsche und ausländische Banken – darunter einige, die gerade erst mit Steuergeldern vor der Pleite gerettet worden waren.
    Erst 2012 – und damit 20 Jahre nach der ersten Warnung – schob die Politik den Cum-Ex-Geschäften einen Riegel vor, Cum-Cum Geschäfte wurden 2016 vom Gesetzgeber etwas erschwert.
    Aber warum haben die verantwortlichen Finanzminister Eichel, Steinbrück und Schäuble so lange geschlafen?
    Nicht zuletzt deshalb, weil die Finanzmafia ihre „Schläfer“ im Finanzministerium platziert hatte: So enthielt das Jahressteuergesetz 2007 eine Art Leitfaden, wie man Cum-Ex-Geschäfte „legal“ gestalten kann – formuliert vom Bundesverband Deutscher Banken.
    Diese Anleitung zur Selbstbedienung beim Steuerzahler war kein Einzelfall. Diverse Gesetze zur Bankenrettung wurden bei der Finanzmafia in Auftrag gegeben, allein an Freshfields zahlte Ex-Finanzminister Steinbrück dafür knapp zwei Millionen Euro Beraterhonorar.
    Quelle: Sahra Wagenknecht in Frankfurter Rundschau

    dazu auch: Steueraffäre kostet Landesbank 20 Millionen Euro
    Die Luxemburger Tochterfirma der Bayern LB hat mit Briefkastenfirmen reichen Kunden in Panama geholfen, Vermögen zu verstecken.
    Es ist nach vielen Jahren Misswirtschaft die letzte Altlast bei der Bayerischen Landesbank, die jetzt bereinigt wird. Eine Altlast, die nicht so teuer kommt wie andere Affären, die aber politisch besonders unschön ist. Die ehemalige Tochter der Bayern LB in Luxemburg, die Banque LB Lux, muss wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung mehr als 20 Millionen Euro Bußgeld zahlen.
    Dafür aufkommen muss am Ende die Bayern LB. Deren Luxemburger Tochter hat im vergangenen Jahrzehnt zahlreichen vermögenden Kunden aus Deutschland Briefkastenfirmen in Panama vermittelt. Die reichen Kunden konnten dort Vermögen vor dem Fiskus verstecken. Ausgerechnet eine Tochter der bayerischen Staatsbank hat also geholfen, den Staat um Steuereinnahmen zu bringen und zu betrügen. Geschehen ist das vor allem in den Amtszeiten der Finanzminister und CSU-Politiker Kurt Faltlhauser und Erwin Huber, die zeitweise auch das Aufsichtsgremium der Bayern LB geleitet hatten, den Verwaltungsrat.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung

  7. Der nach Gerhard Schröder „beste Niedriglohnsektor“, der in Europa geschaffen wurde, betrifft mehr als jeden fünften Arbeitnehmer in Deutschland
    Im Januar 2005 – Hartz IV hatte gerade das Licht der Welt erblickt – preist der damalige Noch-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in seiner Rede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos sein ganz besonderes Kind: „Wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.“
    Nun war das im Jahr 2005. Mittlerweile sind wir in 2017 angekommen. Und da, nach Jahren des „Jobwunders“ in Deutschland, wird man mit so einer Meldung konfrontiert: Knapp jeder Vierte arbeitet für Niedriglohn: »Der Anteil der Arbeitnehmer, die in Deutschland einen Niedriglohn beziehen, ist im europäischen Vergleich hoch. So verdienen 22,5 Prozent der Beschäftigten unter der Niedriglohnschwelle von 10,50 Euro pro Stunde … Zum Vergleich: Im Euroraum insgesamt kommen nur 15,9 Prozent der Arbeitnehmer mit Niedriglohn nach Hause und haben aber mehr in der Tasche als deutsche Niedriglöhner: Im Euroraum beginnt der Niedriglohn erst unterhalb von 14,10 Euro.« Als Niedriglohn gilt nach einer Definition der OECD ein Verdienst, der unterhalb von zwei Dritteln des mittleren Bruttostundenlohns (gemessen am Median, nicht am arithmetischen Mittel) liegt. In Frankreich arbeiten nur 8,8 Prozent der Beschäftigten für einen Niedriglohn, der dort mit nur zehn Euro etwas niedriger liegt als in Deutschland. An der Niedriglohnschwelle von 10,50 Euro pro Stunde wird auch erkennbar, dass eine Vergütung nach dem gesetzlichen Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro pro Stunde nicht dazu führen kann, die betroffenen Arbeitnehmer aus dem Niedriglohnbereich herauszuholen – er ist ja auch „nur“ eine Lohnuntergrenze.
    Woher die Zahlen kommen? Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der Linken im Deutschen Bundestag: Der deutsche Mindestlohn gemessen an der Niedriglohnschwelle und im internationalen Vergleich, BT-Drs. 18/12722 vom 13.06.2017.
    Der durchschnittliche Brutto-Stundenverdienst in Deutschland lag im Jahr 2014 bei 17,78 Euro, die Niedriglohnschwelle liegt bei 10,50 Euro und der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland anfangs bei 8,50 Euro und mittlerweile bei 8,84 Euro. Die Bundesregierung bezieht sich in ihrer aktuellen Antwort auf Daten von Eurostat. Zur Feststellung der Stundenverdienste wird EU-weit alle vier Jahre eine Verdienststrukturerhebung von den statistischen Ämtern durchgeführt. Und die Bundesregierung zitiert in ihrer Antwort die Werte aus der Erhebung in 2014, es handelt sich also nicht um Werte aus 2016 oder gar 2017.
    Quelle: Aktuelle Sozialpolitik

    dazu: Verdi schlägt Alarm
    44 Prozent verdienten 2015 weniger als 2500 Euro brutto im Monat. Verdi-Chef Frank Bsirske fordert deshalb eine Umkehr der Renten- und Lohnpolitik.
    Viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Deutschland werden nur Rentenansprüche auf Sozialhilfeniveau erwerben. Bleibt es bei der geplanten Absenkung des Rentenniveaus auf 43 Prozent des durchschnittlich erzielten Nettoeinkommens, würden 30 Prozent der west- und 40 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten nach 45 Beitragsjahren auf Renten von rund 800 Euro und weniger kommen – die Grundsicherung im Alter lag 2015 im Bundesdurchschnitt bei 771 Euro. Das sind die zentralen Ergebnisse einer Studie im Auftrag der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Deshalb fordert Verdi-Chef Frank Bsirske eine Umkehr der Renten- und Lohnpolitik.
    Grundlage der Berechnungen des Pestel-Instituts in Hannover sind die Bruttoarbeitseinkommen sozialversicherungspflichtig Beschäftigter von 2015. Danach verdienten 44 Prozent 2015 weniger als 2500 Euro brutto im Monat. Dabei stehen Beschäftigte in den ostdeutschen Ländern deutlich schlechter da. In Thüringen etwa lag der Verdienst von 62,1 Prozent der Beschäftigten unter der 2500-Euro-Schwelle, im wohlhabenden Baden-Württemberg waren es nur 37,8. (…)
    Der von der SPD jüngst vorgestellte Plan, das Rentenniveau bis 2030 auf dem derzeitigen Stand von knapp 48 Prozent des Arbeitsnettoeinkommens zu stabilisieren, reiche nicht aus, sagte der Gewerkschaftschef. Das Niveau müsse bis 2030 auf 50 Prozent steigen. Österreich mit einem Beitragssatz von derzeit 22,75 Prozent und durchschnittlich um 500 Euro höheren Monatsrenten zeige, dass auskömmliche Altersbezüge möglich seien.
    Quelle: Frankfurter Rundschau

    und: Mindestlohn: Mehr als Geld
    Der Mindestlohn bringt Beschäftigten nicht nur eine bessere Bezahlung. Auch die Wertschätzung durch Vorgesetzte oder das Betriebsklima beeinflusst er positiv.
    Arbeitsbedingungen und Arbeitszufriedenheit von Niedriglohnbeschäftigten haben sich mit dem Mindestlohn verbessert. Das zeigen WSI-Forscher Toralf Pusch und Miriam Rehm von der Arbeiterkammer Wien in einer empirischen Studie. Die Wissenschaftler haben Angaben von mehr als 340 Beschäftigten ausgewertet, die 2014 weniger als 8,50 Euro in der Stunde verdienten und nach dem 1. Januar 2015 im gleichen Job weiterarbeiteten. Die Daten stammen aus dem Panel Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung (PASS), für das die Bundesagentur für Arbeit jedes Jahr repräsentativ ausgewählte Niedriglohnbeschäftigte befragt. Um zu kontrollieren, welche Effekte wirklich auf dem Mindestlohn beruhen, verglichen Pusch und Rehm die Antworten der zum Mindestlohn Beschäftigten mit denen von rund 440 vergleichbaren Arbeitnehmern, die 2014 zwischen 8,50 und 13 Euro in der Stunde erhielten. Die zentralen Ergebnisse lauten:
    Der Stundenlohn der befragten Niedrigverdiener stieg von durchschnittlich 6,70 Euro brutto pro Stunde auf im Mittel 8,20 Euro im Jahr 2015. Der Mittelwert von weniger als 8,50 Euro zeigt zwar, dass der Mindestlohn im Jahr seiner Einführung noch nicht überall gezahlt wurde. Die Verbesserung um gut 22 Prozent übertraf trotzdem das durchschnittliche Lohnwachstum in der Vergleichsgruppe (3,7 Prozent) um ein Vielfaches.
    Quelle: Böckler Impuls

  8. Armut trotz Aufschwung
    Trotz guter Konjunktur und gefüllter Staatskassen steigt in Deutschland die Armut – darunter leiden vor allem Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien. Für sie fordert der Paritätische Wohlfahrtsverband eine Bildungsoffensive. Der Vorschlag für die Finanzierung lautet: Vermögenssteuer. (…) „Für uns als Paritätischen ist klar: die Vermögensteuer muss reaktiviert werden angesichts der extremen Vermögensspreizung ist dies ein Gebot sowohl der Gerechtigkeit als auch einfach der Vernunft. Zweitens: Die Erbschaftssteuer ist so auszugestalten , dass sie bei 300 Milliarden Euro, die alljährlich vererbt werden auch zu nennenswerten Steuereinnahmen führt.“
    Quelle: Deutschlandfunk

    dazu: Abschied vom Aufstieg!? Paritätisches Jahresgutachten 2017
    Der Paritätische hat in seinem vorgelegten Jahresgutachten besorgniserregende Defizite bei den individuellen Möglichkeiten, den sozialen Aufstieg zu schaffen, identifiziert. Er kritisiert, dass das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft zunehmend leer laufe und belegt diese Schlussfolgerung durch eine Fülle an empirischen Ergebnissen und Studien.
    Quelle: Der Paritätische

    Anmerkung Christian Reimann: Das Jahresgutachten können Sie hier nachlesen.

    und: »Vermögenssteuer ist überfällig«
    Linkspartei fordert sanktionsfreie Grundsicherung, höheren Mindestlohn und will Reiche zur Kasse bitten. Gespräch mit Sabine Zimmermann
    Unter dem Motto »Umsteuern: Armut stoppen, Zukunft schaffen« findet am 27. und 28. Juni in Berlin der zweite Armutskongress statt, der von verschiedenen Sozialverbänden und Gewerkschaftsgliederungen veranstaltet wird. Bleiben wir beim Motto der Konferenz: Wie lässt sich Ihrer Meinung nach Armut stoppen und Zukunft schaffen?
    Da braucht es natürlich ein ganzes Maßnahmenbündel. Arbeit muss wieder existenzsichernd werden. Vor allem muss auch der Altersarmut endlich der Kampf angesagt werden. Die gesetzliche Rente muss gestärkt und armutsfest gemacht werden, unter anderem durch Anhebung des Rentenniveaus auf mindestens 53 Prozent, Abschaffung der Kürzungsfaktoren und der Rente ab 67 sowie die Einführung einer solidarischen Mindestrente in Höhe von 1.050 Euro. Es ist eine Frage des grundlegenden Anstands in unserer Gesellschaft, dass Menschen, die lange Jahre und Jahrzehnte schwer gearbeitet haben, Anerkennung erfahren für ihre Lebensleistung. Aber auch die soziale Absicherung muss auf eine neue Grundlage gestellt werden. Statt Hartz IV braucht es eine sanktionsfreie Mindestsicherung, die wirklich vor Armut schützt und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Nicht zuletzt ist auch ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor, mit existenzsichernden Arbeitsplätzen, längst überfällig.
    Quelle: junge Welt

  9. Fünf Erkenntnisse aus dem Abgasskandal
    Nachdem der Dieselskandal bei Volkswagen bekannt wurde, setzte der Bundestag einen Untersuchungsausschuss ein. Der legt in den kommenden Tagen seinen Abschlussbericht vor – mit erschreckenden Erkenntnissen. (…) Um die Autoindustrie zu schützen, ließ der Minister die Autobauer mit freiwilligen Rückrufaktionen davonkommen. Er entschied sich für tausende Arbeitsplätze – und gegen die Umwelt und die Gesundheit der Bürger. (…) Die Regulierung ist zu industriefreundlich gestaltet. Kein Wunder: Die Autobauer mischen bei Gesetzesvorhaben kräftig mit. Ein Zeuge im Ausschuss erinnerte sich etwa daran, dass bei Plänen für eine neue Regulierung „ein oder zwei Fachbeamte der EU“ oder der Mitgliedsstaaten anwesend gewesen seien – „und ungefähr zwanzig Vertreter der Industrie“. (…) Die Autobauer beaufsichtigen sich selber. Die offizielle Aufsicht, das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), das dem Verkehrsministerium unterstellt ist, lässt die Autobauer gewähren. Im Abschlussbericht heißt es, dass die Kontrolle „anhand der Informationen des Herstellers über seine eigenen Kontrollen durchzuführen“ sei. Hält die Aufsicht die Informationen für unzureichend, fordert sie zusätzliche Daten vom Hersteller an. Erst, wenn dann immer noch nicht alles in Ordnung scheint, veranlasst das KBA eine eigene Prüfung. Doch selbst dann ist das KBA nicht unabhängig. Die zu prüfenden Fahrzeuge seien „in Zusammenarbeit mit dem Hersteller“ auszuwählen, heißt es im Bericht. Fazit: Deutschland handelt wie eine Bananenrepublik.
    Quelle: Wirtschaftswoche

    Anmerkung unseres Lesers J. S.: Angesichts derartiger Aussagen in der wirtschafts- und regierungsfreundlichen Wirtschaftswoche auf Basis eines Berichts des durch CDU/SPD dominierten Bundestags-Untersuchungsausschusses dürfte wirklich jedem endgültig klarwerden, dass hier eine Verstrickung von Politik und Automobilwirtschaft sondergleichen herrschte. Und weiterhin herrscht. Denn: Personelle Konsequenzen in der Politik? Strafrechtliche Verfolgung wegen Betrugs? Staatsanwaltliche Untersuchungen wegen bewusster Inkaufnahme der Schädigung Dritter, mithin zehntausender vorzeitiger Todesfälle? Bisher: keine. (Das aktienrechtliche Verfahren bezieht sich nur auf die mögliche Schädigung von Anteilseignern, nicht Autobesitzern und gesundheitliche Schädigungen.)

    dazu: Der schmutzigste Diesel ist ein Audi A8 der Abgasstufe Euro 6
    Deutsche Umwelthilfe misst bei Straßenmessungen höchste je gemessene NOx-Werte eines Diesel-Pkw.
    Audi-Chef Stadler liefert das beste Argument dafür, dass es keine Ausnahme von Diesel-Fahrverboten für die aktuelle Abgasstufe Euro 6 geben darf – Ausgerechnet der Dienstwagen vieler Spitzenpolitiker und Firmenchefs zeigt mit 1.938 mg NOx/km höchste jemals vom Emissions-Kontroll-Institut der DUH auf der Straße gemessene Stickoxid-Emissionen – DUH findet Hinweise, dass Audi auch bei Euro 6 Modellen, und nicht nur wie bereits überführt nur bei Euro 5 Diesellimousinen, Abschalteinrichtungen einsetzt – Bundesverkehrsminister Dobrindt soll Typzulassung entziehen – DUH hat auch bei Euro 6 Diesel-Luxus-Limousinen anderer Hersteller wie der Mercedes S-Klasse und BMW 750 auffallend hohe NOx-Werte im Straßenbetrieb gemessen
    Quelle: DUH

    Anmerkung Jens Berger: Und nun raten Sie mal, welchen Dienstwagen Bundesumweltministerin Barbara Hendricks fährt. Da kommen Sie nie drauf. Dazu:

  10. Sahra Wagenknecht über Unsicherheit durch Überwachungsmaßnahmen
    Immerhin Ehrgeiz haben Frau Merkel und ihre Kabinetts-Kollegen. Kurz vor der Sommerpause des Bundestages wollen sie sich offenbar noch ein weiteres ‚Prädikat‘ verdienen. Ihr Ziel: nicht nur als Große Koalition des Staatsversagens, der Aufrüstung und der sozialen Spaltung in die Geschichtsbücher eingehen, sondern auch noch als Große Koalition des Grundrechte-Abbaus, die die wohl weitreichendsten Überwachungsmaßnahmen seit dem ‚großen Lauschangriff‘ beschließt. Ihr Gesetzentwurf sieht vor, dass der Staat künftig im Bereich der Strafverfolgung Mobilgeräte hacken, dort Wanzen installieren und Betroffene auf diese Weise ausspähen kann. Es ist ein Trugschluss, dass solche Staatstrojaner unsere Sicherheit erhöhen. Richtig ist vielmehr: Um hacken zu können, muss man gezielt IT-Sicherheitslücken kennen. Dafür gibt es einen Schwarzmarkt, den bislang Kriminelle nutzen – und künftig auf Wunsch von Innenminister de Mazière dann eben auch Polizisten. Im Ergebnis führt das zu einer Kultur der IT-Unsicherheit für uns alle – und das kann schnell zu ganz realer Unsicherheit und Gefahr werden. Mein Fazit: Solch eine Politik ist fahrlässig und gehört gestoppt. Noch ein Grund mehr, den dafür verantwortlichen Politiker bei der Wahl im Herbst eine deutliche Klatsche zu verpassen!
    Quelle: Sahra Wagenknecht via Facebook

    dazu: Der Staatstrojaner ist ein Einbruch ins Grundrecht
    Heimlich, still und leise beschließt der Bundestag ein Gesetz, das Computer und Handys zu staatlichen Spionageanlagen macht. Das ist ein Skandal.
    Man soll nicht bei jeder Gelegenheit von einem Skandal reden. Aber das, was heute am späten Nachmittag im Bundestag geschehen soll, ist eine derartige Dreistigkeit, dass einem die Spucke wegbleibt. Ein Gesetz mit gewaltigen Konsequenzen, ein Gesetz, das den umfassenden staatlichen Zugriff auf private Computer und Handys erlaubt, wird auf fast betrügerische Weise an der Öffentlichkeit vorbeigeschleust und abgestimmt.
    Heimlich, still und leise wurden Regeln über das staatliche Hacking, über die Einführung von Staatstrojanern und die Einführung der Online-Durchsuchung an ein schon laufendes, harmlos klingendes Gesetzgebungsverfahren angehängt; in diesem Gesetz ging es ursprünglich vor allem darum, dass künftig die Fahrerlaubnis auch bei Delikten weggenommen werden kann, die mit dem Straßenverkehr nichts zu tun haben.
    Quelle: Heribert Prantl in der Süddeutschen

    Anmerkung unserer Leserin H. K.: Die Methode, einzelne kritische Gesetze, quasi durch die Hintertür in ein Gesetzespaket hineinzuschmuggeln, hat sich schon bei der GG-Änderung zur Autobahnprivatisierung „bewährt“. Bundestag und Bundesrat haben sich „erpressen“ lassen. Wer oder was hat sie dazu genötigt? Demokratie, Rechtstaat und bürgerliche Freiheitsrechte werden etappenweise demontiert. Die Attacken nehmen kein Ende. Wird das Gesetz beschlossen, ist es evident grundrechtswidrig. Das muss allen Abgeordneten bewusst sein. Es wäre ein weiterer Fall von (versuchtem) Machtmissbrauch durch Legislative und Exekutive. Wird das Gesetz verabschiedet, wartet auf das BVerfG noch mehr Arbeit. So wächst noch mehr Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber den gewählten „Repräsentanten“. Sie bringen sich selbst in Verruf.

    und: Dauerfeuer gegen das Grundgesetz – so treibt die Große Koalition das Land in den Überwachungsstaat
    Bis zum bitteren Ende baut die große Koalition den Überwachungsstaat aus. Eine umstrittene Ausweitung wie den Staatstrojaner versteckt sie mittlerweile sogar in einem anderen Gesetz, damit es keine Debatte gibt. […]
    Die düsteren Träume der Hardliner gehen immer weiter: Vorratsdatenspeicherung für Postsendungen, Erfassung aller Reisebewegungen, Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, Fußfesseln für alle möglichen möglichen Täter, Verknüpfung von Geheimdiensten, Polizei und Datentöpfen aller Art. Garniert mit dem gerade eingeübten Einsatz der Bundeswehr im Innern und Gesetzen, die Ordnungshütern nach obrigkeitsstaatlichen Vorbild eine Sonderrolle zuweisen, wird unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung und mit Verweis auf ein subjektives Unsicherheitsgefühl mittlerweile alles gerechtfertigt. Ohne Augenmaß. Und ohne jeglichen Beweis von Effizienz und Wirksamkeit.
    Die letzten vier Jahre waren Dauerfeuer gegen das Grundgesetz und sind eine DDos-Attacke gegen das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Kaum auszudenken, was es für die bundesrepublikanische Demokratie bedeuten würde, wenn die Koalition aus Union und Sozialdemokraten nach der Bundestagswahl weitere vier Jahre Raubbau an Grund- und Freiheitsrechten betreiben dürfte. Dystopische Aussichten – mal ganz abgesehen davon, welche Instrumente dieser mittlerweile gut ausgebaute Überwachungsstaat für die Profiteure eines populistischen Rechtsrucks bereithalten würde.
    Quelle: netzpolitik.org

  11. Algorithmen im US-Justizsystem: Schicksalsmaschinen
    Algorithmen entscheiden heute oft über Aktieninvestitionen, Bewerbungen und die Kreditwürdigkeit eines Kunden. In den USA lässt nun auch die Justiz zunehmend Software über Schicksale entscheiden. Computerprogramme erstellen Profile und geben so Prognosen über Straftäter und deren Wiederholungsgefahr ab. Eine Vielzahl solch „evidenzbasierter“ Beurteilungssysteme ist auf dem Markt. Einige stammen von Behörden und Forschungsgruppen, andere werden von Firmen verkauft. Die kommerziellen Anbieter versprechen ihrer Kundschaft – Gerichten, Gefängnisverwaltungen und Bewährungshelfern – eine billigere, effizientere und gerechtere Verbrechensbekämpfung.
    Quelle: Deutschlandfunk
  12. Wir brauchen einen deutschen Corbyn
    Martin Schulz muss nachlegen, wenn er Kanzler werden will, sagt DGB-Chef Reiner Hoffmann. Wie soziale und proeuropäische Politik geht, hätten Macron und Corbyn gezeigt.
    Quelle: ZEIT

    Anmerkung unseres Lesers J. A.: Ein mäanderndes Interview, in dem sich der DGB-Chef nicht entscheiden kann, ob die Lage in Deutschland denn nun gut oder schlecht, Schulz ein Sozialdemokrat wie Corbyn oder ein Neoliberaler wie Macron sein soll, ob die EU gut oder schlecht funktioniert. Mit solchen Wischi-Waschi-Gewerkschaften ist kein Staat zu machen. Aber Hauptsache, der Interviewer von der ZEIT weiß Bescheid und kann das neoliberale ABC herunterleiern: „[In Deutschland] steigen die Löhne, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Staatskassen gefüllt. Übertreiben Sie nicht ein wenig? — Viele Arbeitgeber behaupten: Wir finden keine qualifizierten Leute mehr. — Die von Ihnen kritisierte Flexibilisierung am Arbeitsmarkt, der Niedriglohnsektor, ist das nicht der Preis für die Erfolge, die Deutschland seit Jahren feiert? — Hatten wir das nicht schon mal? Mehr Wachstum mit mehr Schulden? — Sind das nicht Rezepte aus den Siebzigern? Die EU wächst wieder, sogar Spanien und Portugal haben wieder recht hohe Wachstumsraten, die Arbeitslosigkeit sinkt. Ist es bei aller Kritik an der Austeritätspolitik nicht langfristig wachstumsfördernder, Strukturreformen vorzunehmen, als nur Geld in den Markt zu pumpen und neue Eisenbahnlinien zu bauen? — Aber an der demografischen Entwicklung kommen Sie nicht vorbei. Immer weniger Arbeitnehmer zahlen für immer mehr Rentner. Das Rentenniveau muss sinken, wenn die Rente bezahlbar bleiben soll.“ — Es ist nutzlos, gegen die Wand zu argumentieren.

    Anmerkung JK: Das Interview ist in der Tat die absolute Katastrophe. Hoffmann widerspricht sich darin mehrmals selbst und weiß offenbar überhaupt nicht welche Position er beziehen soll. Wie kann man überhaupt Jeremy Corbyn und Macron in einem Atemzug nennen? Wie kann man überhaupt Parallelen zwischen Schulz und Jeremy Coryn sehen?

    Ergänzende Anmerkung Jens Berger: Der Mann hat wirklich Chuzpe! Jeremy Corbyn hat es vor allem den Gewerkschaften zu verdanken, dass er den Machtkampf gegen den rechten Parteiflügel gewinnen konnte. Mit den DGB-Gewerkschaften hätte er dies jedoch nie und nimmer geschafft, da vor allem IG Metall und IG BCE doch gar keine progressive Politik wollen und konstruktive Alternativen bereits im Keim ersticken. Diese Gewerkschaften stehen doch den Anhängern Blairs und Schröders um vieles näher als einem Jeremy Corbyn. Dass Hoffmann sich einen „deutschen Corbyn“ wünscht, ist daher auch absurd. Die Gewerkschaften tragen ein gehöriges Maß an Mitverantwortung, dass wir in Deutschland eben keinen Corbyn haben und keinen Corbyn bekommen werden.

    dazu: Die britische Jugend schlägt zurück
    Von wegen faul und unpolitisch: Nach dem Brexit-Schock erhöht sich die Wahlbeteiligung der Briten zwischen 18 und 24 um knapp zehn Prozentpunkte. Zwei Drittel stimmen für Labour – wegen des Altlinken Corbyn.
    Viel spricht dafür, dass der 68 Jahre alte Linke der richtige Kandidat ist für die britischen Millennials. Vorher, so erzählt es der 25-jährige Ingenieur Lynton bei jetzt.de, hätten viele Gleichaltrige gedacht, dass ihre Stimme keinen Unterschied mache: „Und plötzlich taucht ein Underdog wie ‚Jezza‘ auf und spricht von den Dingen, die uns wichtig sind.“
    Zehntausende Aktivisten haben aus Corbyn „Jezza“ gemacht und für diesen in den sozialen Netzwerken geworben und ihren „Messias“ gegen Kritik verteidigt. Der Labour-Kandidat steht nicht nur für ein Ende des Tory-Sparkurses, der Studiengebühren abschaffen, den Mindestlohn erhöhen und Geld in das Gesundheitssystem pumpen will: Er verspottet die Zyniker und wirbt stattdessen für Optimismus und den Glauben an eine bessere und vor allem gerechtere Zukunft. Ingenieur Lynton spricht für viele, wenn er sagt: „Wir wollen May so schnell wie möglich loswerden. Sie macht Großbritannien zu einem hoffnungslosen Ort für uns alle.“
    Quelle: SZ

    Anmerkung JK: Ein Nachtrag zur britischen Unterhauswahl, der noch einmal visualisiert, dass die Wähler zwischen 18 und 34 mit überwiegender Mehrheit für Labour und Jeremy Corbyn gestimmt haben. Die Frage die sich hier geradezu aufdrängt ist: Ticken die Jungen und Jüngeren in Deutschland so gänzlich anders als in Großbritannien? Oder wäre dies mit einer konsequenten Politik „for the many, not for the few“ auch in Deutschland möglich? Der anfängliche Jubel um Schulz hat gezeigt, dass eine sehr große Hoffnung auf einen echten Politikwechsel vorhanden war. Selten hat ein Politiker diese Hoffnung so schnell und gründlich enttäuscht wie Schulz, der, wie die SPD-Führung, geglaubt hat, mit oberflächlicher politischer Kosmetik ließen sich die Wähler bis zur Bundestagswahl täuschen.


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