NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Hinweise des Tages

Datum: 5. Juli 2017 um 8:22 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (PS/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. G20
  2. Ein Russe am Sarg Helmut Kohls
  3. Angies Juniorpartner
  4. Minijob-Tweet fliegt Peter Tauber um die Ohren
  5. John Lennon ist tot
  6. Chefs verdienen 50 Mal so viel wie Angestellte
  7. Knechte fürs Kapital
  8. EU will Offenlegungspflicht: Gegen die Steuertricks der Multis
  9. Geheimniskrämer
  10. Prekarität der Großstädte: Food-Kuriere gehen auf die Barrikaden
  11. Fast jeder Fünfte kann sich keinen Jahresurlaub leisten
  12. NSU-Prozess: Eine Akte soll für 120 Jahre unter Verschluss
  13. Entmenschlichte Flüchtlingspolitik – über haarsträubende Ablehnungsgründe und zahlenfixierte Behörden
  14. Wer dem Irak-Krieg im Wege steht
  15. Die Saudis bewegen sich auf dünnem Eis
  16. „Die Profiteure des Terrors“: Buchpräsentation in Berlin
  17. Spiegel Daily lockt weniger als 3000 Voll-Abonnenten
  18. ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke im Interview: “Wir sollten den Teufel tun, unserem Publikum zu sagen, was es zu denken hat”

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. G20
    1. Person der Woche: Hartmut Dudde – der G20-Sheriff
      In Hamburg sammelt sich linker Protest aus ganz Europa. Es liegt Gewalt in der Luft. Am meisten aber hassen linke Schläger nicht Donald Trump oder Wladimir Putin – sondern den bemerkenswert geradlinigen leitenden Polizeidirektor Hamburgs. (…) Dudde, scherzt: “Der ideale Austragungsort aus polizeilicher Sicht wäre sicher Helgoland gewesen.” Doch nun muss er Hamburg zur Festung ausbauen. (…) Als Dudde vor einigen Wochen einen leichten Herzinfarkt erlitt, da machte auch das Schlagzeilen und selbst Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz machte sich kurzzeitig Sorgen, wer denn nun den Gipfel schützen könne. Doch Dudde kam direkt aus dem Krankenhaus wieder in der Planungsstab zurück – und Hamburg war erleichtert. (…) 2001 hatte die Schill-Partei bei der Bürgerschaftswahl sensationell 19,4 Prozent geholt – mit einer Forderung nach mehr Polizei und Sicherheit in der Stadt. Ronald Schill wurde nach der Wahl Innensenator – und machte Dudde zum Leiter der Bereitschaftspolizei. (…) Im Elbpark Entenwerder wurde ein Zeltlager von der Polizei gestürmt, obwohl die Protestierenden glaubten, das hätten ihnen die Gerichte erlaubt. Doch Dudde sieht öffentliches Schlafen nicht als Grundrecht des Protests an, woraufhin ihm “Rechtsbruch” und “die Polizei schert sich einen Dreck um die Versammlungsfreiheit” vorgeworfen wird.
      Quelle: Wolfram Weimer bei n-tv
    2. Gefährliche Anwälte? Hamburger Polizei greift freie Advokatur an
      Die Hamburger Polizei greift im Rahmen der rechtlichen Auseinandersetzungen um die Proteste gegen den G20-Gipfel die freie Advokatur und damit ein tragendes Prinzip des Rechtsstaates an. In einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren vertritt die Behörde die Auffassung, die Mitgliedschaft von Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen im RAV (Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein) sei Indiz für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. (…) Die Wahl des Anwalts wird so zur Gefahrenprognose herangezogen. Hierdurch werden Grundregeln des Rechtsschutzes außer Kraft gesetzt.
      Quelle: RAV
    3. Nachtaktive Ordnungsmacht
      Nach einem einigermaßen ruhigen Tag begann die Polizei am späten Dienstagabend rigoros Versammlungsorte zu räumen
      Nachdem am vergangenen Sonntagabend das Protestcamp auf der Elbhalbinsel Entenwerder geräumt wurde und sich am Montag keine einvernehmliche Lösung abzeichnete, entstanden am Dienstag an verschiedenen Stellen der Stadt neue Camps. Teilweise wurden diese als Versammlungsorte akzeptiert, teilweise fühlten die Aktiven sich derart drangsaliert, dass sie die Camps wieder auflösten.
      Innensenator Andy Grote signalisierte im ZDF “Morgenmagazin” ein klares “Nein” zu Schlafzelten, trotzdem gelang es am frühen Abend im Stadtteil Altona, 10 solcher Übernachtungsgelegenheiten durchzusetzen. Zumindest wurden sie spätabends noch von der Polizei geduldet. An vielen Orten in Altona und im Schanzenviertel kamen Menschen zusammen, die bis kurz vor Mitternacht friedlich zusammensaßen und dann z. T. von Wasserwerfern auseinandergetrieben wurden.
      Am späten Abend hieß es, das Schauspielhaus in der Innenstadt sei besetzt. Diese Information machte am Nachmittag schon mal die Runde, entpuppte sich aber als Gerücht. Vor dem Theater wurden daraufhin massiv Polizeikräfte eingesetzt. Kurz nach 23 Uhr stellte die Leitung des Theaters klar, dass Übernachtungsgäste aufgenommen würden. Zunächst versuchten die Uniformierten Augenzeugenberichten zufolge, den Aktiven den Zugang zum Schauspielhaus zu verweigern, zogen dann aber ab. Die St. Pauli Kirche bot ebenfalls Platz zum Schlafen an. Aus dem Schanzenviertel kamen Informationen, dass zu Einbruch der Dunkelheit dort massiv Polizeikräfte zusammengezogen würden .
      Alles in allem schien es zu später Stunde, als ob die Polizei sich auf eine lange Nacht vorbereite. Die Bilder, die via Facebook und Twitter gepostet wurden, ließen nichts Gutes ahnen. Unter dem Hashtag #nog20 lassen sich die Ereignisse verfolgen.
      Quelle: Telepolis
  2. Ein Russe am Sarg Helmut Kohls
    Mit Spannung habe ich die Berichte und Kommentare unserer Lückenpresse zu den Trauerfeierlichkeiten für Helmut Kohl gelesen. Dass der „Kanzler der deutschen Einheit“ mit seiner Einladung an einen russischen Spitzenpolitiker – in Straßburg sprach der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew – etwas ausdrücken wollte, ist den deutschen Kampagnen-Journalisten offensichtlich entgangen. Es hätte ja so gar nicht ins Bild gepasst. Es kann kein Zweifel bestehen, dass Helmut Kohl seine Dankbarkeit gegenüber Russland zum Ausdruck bringen wollte – dem Land, ohne dessen Zustimmung es die deutsche Einheit niemals gegeben hätte. Wir kennen die Verbitterung Michail Gorbatschows, dem man das Wort gegeben hatte, die Nato nicht nach Osten zu erweitern. Wie Helmut Kohl diesen Wortbruch des Westens am Ende seines Lebens beurteilt hat, wissen wir nicht. Aber seine Bewunderer in der deutschen Lückenpresse machen sich zu Zwergen, wenn sie diese eindeutig symbolische Einladung allenfalls beiläufig zur Kenntnis nehmen und ihre unübersehbare Kritik an der falschen Russland-Politik Angela Merkels ignorieren. Gorbatschow sprach vom europäischen Haus. Und die ihm nachfolgenden russischen Präsidenten suchten die Zusammenarbeit mit Deutschland und Europa. Aber der US-Imperialismus sieht in der Ukraine den Dreh-und Angelpunkt, um den eurasischen Kontinent zu beherrschen (Brzeziński) und Russland zu schwächen. Kohls symbolische Einladung ist eine klare Aufforderung, die im elementaren deutschen und europäischen Interesse liegende Ost- und Entspannungspolitik wieder aufzunehmen.
    Quelle: Oskar Lafontaine via Facebook
  3. Angies Juniorpartner
    Viele in der Partei haben es sich zu lange in der Großen Koalition bequem gemacht, meint der SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow. Es ist Zeit für mehr Risiko
    Es ist Dienstagnachmittag. Ich betrete den Otto-Wels-Saal der SPD-Bundestagsfraktion. Wer weiß schon noch, dass Wels der Sozialdemokrat war, der die Demokratie mutig und unter Lebensgefahr im Reichstag gegen die Nationalsozialisten verteidigt hat? Das erste Treffen nach dem Wahlsonntag in Nordrhein-Westfalen. 52 meiner 193 Kollegen hier haben ihren Wahlkreis im einwohnerstärksten Bundesland. Lange Gesichter. Wir sind untergegangen. Hannelore Kraft hat alle Ämter niedergelegt, man könnte glatt Respekt haben, dass mal jemand aus einer deutlichen Niederlage Konsequenzen zieht. Andere fühlten sich nach ihren krachenden Niederlagen in NRW dagegen damals berufen, uns in Berlin weiterhin die Welt zu erklären.
    Ich erwarte die üblichen Floskeln. „Es ist nichts verloren“ oder „Wir müssen jetzt zusammenstehen“. Und die Parolen, dass wir endlich mehr auf die Themen Innovation und Innere Sicherheit und nicht nur auf Gerechtigkeit setzen dürfen. Dass Rot-Rot-Grün ein Bürgerschreck sei. Ich ergänze genervt im Kopf: „Wir sollen scheinbar wieder wie die Union sein, etwas sozialer, etwas liberaler.“ Zurück zu Mutti, als verlässlicher, braver Koalitionspartner in der GroKo. So, als hätte es den „Schulzzug“ nie gegeben. […]
    Schnell ist vergessen, wo wir noch Anfang des Jahres standen. Es wird ignoriert, wer die Wahlen in Saarland, Schleswig-Holstein und NRW wirklich in den Sand gesetzt hat, und dass unsere Glaubwürdigkeit schon seit längerem erschüttert ist. […]
    Auch die Berater, Wahlmanager und Spindoktoren bilden seit Jahren einen massiven Kern. Was passiert, wenn man sich mit diesem Establishment der SPD – eine Mischung aus Hauptamtlichen und Mandatsträgern – anlegt, musste Kurt Beck erleben. Die Devise heißt anpassen, mitmachen, nicht kritisieren. Wer ausschert, ist raus. Wer verändern will, wird kleingemacht. Das erkennt man bei den meisten Personalentscheidungen, die oft im Hinterzimmer vollzogen werden.
    Quelle: Marco Bülow im Freitag

    Anmerkung Jens Berger: Marco Bülow ist einer der wenigen Hoffnungsträger in einer Partei, die eigentlich hoffnungslos ist.

  4. Minijob-Tweet fliegt Peter Tauber um die Ohren
    Am Montagabend hat der 42-Jährige selbst verschuldet großen Unmut auf sich gezogen. Er retweetete einen WELT-Kommentar zum am Montag vorgestellten Bundestagswahlprogramm von CDU und CSU mit der Überschrift „‚Vollbeschäftigung‘ ist viel besser als ‚Gerechtigkeit‘“. Ein Twitter-User fragte ihn daraufhin: „Heißt das jetzt drei Minijobs für mich?“, worauf Tauber ihm provozierend antwortete: „Wenn Sie was Ordentliches gelernt haben, dann brauchen Sie keine drei Minijobs.“
    Quelle: Welt

    Anmerkung unseres Lesers F.P.: Dies ist angesichts der Arbeitsmarktrealität in Deutschland eine ungeheuerliche Aussage. Schließlich steigt die Arbeitslosigkeit selbst unter den angeblich „händeringend gesuchten“ MINT-Akademikern seit Jahren. In Deutschland arbeiten mehr als 100.000 Ingenieure mittlerweile als Leiharbeiter und zehntausende weitere in oft prekären Solo-Selbstständigkeiten. Akademiker aller Fachrichtungen sehen sich mittlerweile mit prekären Beschäftigungsformen wie Praktika, Volontariaten, sogenannten „Traineeships“, der Leiharbeit und vor allem mit kettenbefristeten Jobs zu sehr niedrigen Löhnen konfrontiert. Nicht nur in der Leiharbeit müssen viele Arbeitnehmer deutlich unterhalb ihrer eigenen Qualifikation, also „unterwertig“ arbeiten. Wer sich arbeitslos melden muss und in die Mühlen des „Hartz-IV“-Systems gerät, wird ohnehin ganz schnell in prekäre Beschäftigungsformen und den Niedriglohnsektor gedrängt. Schließlich wurde mit der Einführung von „Hartz-IV“ ganz gezielt jeder Qualifikationsschutz abgeschafft und jede Tätigkeit für „zumutbar“ erklärt, damit jeder Arbeitslose ganz unabhängig von seinem Qualifikationsniveau in jeden noch so unqualifizierten und noch so gering entlohnten Job gezwungen werden kann – auch unter Androhung sogenannter „Sanktionen“. Und der größte Zynismus ist: Den Menschen, die in prekäre Jobs und in den Niedriglohnsektor abgeschoben wurden, wird vonseiten der Politik auch noch vorgeworfen, an ihrer Situation selbst schuld zu sein.

  5. John Lennon ist tot
    Der liberale Kosmopolitismus und offene Grenzen nützen lediglich dem globalen Kapital. Mit der fortschreitenden Hyperglobalisierung, vor allem aber seit der beispiellosen Zuspitzung der Flüchtlingskrise im Sommer 2015, haben die europäischen Gesellschaften als Ganzes, einschließlich der Linken, die Herausbildung von zwei extremen Lagern erlebt, die einen philosophischen Grabenkrieg führen: die Ultraliberalen und die Ultrakonservativen. Sozialistische Anliegen wurden völlig ausgeblendet. Und das ist ein Fehler. (…) Kurz gesagt ist der Mangel an liberalen Ansichten unter den Arbeiterschichten in der Peripherie nicht auf eine zivilisatorische Rückständigkeit oder moralische Unreife zurückzuführen, wie es einige liberale Chauvinisten aus westlichen Metropolen annehmen, sondern auf die globale kapitalistische Wirtschaft mit ihrer ungerechten strukturellen Ordnung, die Widerstand gegen den flachen westlichen Liberalismus hervorruft, ganz gleich ob er links oder rechts eingefärbt daherkommt. (…) Die Linke kann – und sollte – in Bezug auf kulturelle Fragen politisch gemäßigt auftreten. Sie kann ihre progressiven Schwerpunkte dem Niveau der kulturellen Entwicklung in den jeweiligen Gemeinschaften anpassen. Was die Wirtschaft angeht, muss die Linke jedoch radikal sein und nach sozialistischen Alternativen zum neoliberalen globalen Kapitalismus suchen.
    Quelle: IPG Journal
  6. Chefs verdienen 50 Mal so viel wie Angestellte
    Die Vorstände der DAX-Unternehmen verdienen einer Studie zufolge 50 Mal so viel wie ein durchschnittlicher Beschäftigter. Allerdings ging die Schere im vergangenen Jahr nicht weiter auseinander, wie aus einer Untersuchung der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und der Technischen Universität München hervorgeht. Zwei Jahre zuvor hatten die Topmanager der 30 Dax-Konzerne noch das 54-fache kassiert. Damit wuchsen die Vorstandsgehälter das zweite Jahr in Folge langsamer als die Bruttolöhne, die um 2,5 Prozent zulegten. Die Vergütung der Vorstände insgesamt stieg im Schnitt um ein Prozent auf rund 3,4 Millionen Euro.
    Quelle: Tagesschau

    Anmerkung Paul Schreyer: Hat sich da jemand verrechnet? Teilt man 3,4 Millionen Jahresgehalt durch 50, dann kommt man auf 68.000, sprich rund 5.700 Euro Monatslohn. In welchem Unternehmen bitte ist das der Durchschnittsverdienst? Ein solcher „Durchschnitt“ kann eigentlich nur durch die exorbitanten, völlig losgelösten Bezüge an der Spitze zustande kommen. Vergleichswert sollte ehrlicherweise nicht der Durchschnitt sein, sondern der niedrigste im Unternehmen gezahlte Lohn. Die DAX-Vorstände verdienen laut den aktuellen Zahlen im Monat übrigens das 700-fache des Hartz-IV-Satzes – soviel zum Thema Schere zwischen arm und reich.

  7. Knechte fürs Kapital
    Fast jeder sechste Einwohner Bremens lebt von Grundsicherung. Der Anteil Betroffener an der Bevölkerung ist damit nur knapp geringer als in der deutschen Hartz-IV-Hauptstadt Berlin. Tausende von ihnen haben seit vielen Jahren keinen Job. Das Jobcenter und die Arbeitsagentur des Stadtstaats wollen dem Abhilfe schaffen und zugleich die Wirtschaft beglücken. Sie planen, Langzeitarbeitslose als Hilfsarbeiter in Kommunen und privaten Unternehmen zu verpflichten. Entlohnen sollen die Profiteure ihre künftigen Knechte nicht. Hintergrund ist der anvisierte Ausbau des Bundesprogramms »Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt«. Das Konzept hatten der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, und Arbeitsministerin Andrea Nahles (beide SPD) im März vorgestellt. Das Programm ist eine Neuauflage der sogenannten Bürgerarbeit. Nach den Änderungen wird es aber einen entscheidenden Unterschied geben: Die geförderten Jobs für Langzeiterwerbslose sollen nicht mehr zwingend »zusätzlich und wettbewerbsneutral« sein. Jobcenter könnten somit Erwerbslose auch Privatfirmen als kostenlose Hilfskräfte anbieten. Man wolle »nachhaltige Chancen für Langzeitarbeitslose schaffen«, erklärte die Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), Nadja Jung, auf jW-Nachfrage. Aus dem von ihr übermittelten Konzept geht zudem hervor: Jobcenter können Menschen mit »Vermittlungshemmnissen« bis zu fünf Jahre lang in Betriebe oder Einrichtungen zum Arbeiten schicken. Im ersten Jahr übernimmt der Staat den kompletten Lohn. Im zweiten Jahr muss der Unternehmer lediglich zehn Prozent beisteuern, im dritten 20 Prozent und so weiter. »Die hohe Förderung soll dem Arbeitgeber einen Anreiz zur Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen geben«, heißt es.
    Quelle: junge Welt

    Anmerkung Christian Reimann: Da sage noch jemand, die SPD und vor allem Bundesministerin Nahles setzen sich für soziale Gerechtigkeit ein. Vielmehr sollen wohl “nachhaltige Chancen” für Arbeitgeber geschaffen werden.

  8. EU will Offenlegungspflicht: Gegen die Steuertricks der Multis
    Es ist ein erster Schritt zu mehr Steuertransparenz für multinationale Unternehmen: In einer ersten Abstimmung sprachen sich Abgeordnete des Europaparlaments für einen Gesetzesvorschlag aus, der die Konzerne verpflichten würde, ihre weltweiten Steuern und Umsätze offenzulegen. (…) Allerdings wurde zum Leidwesen von Grünen, Linken und Sozialdemokraten im Gesetzentwurf dann doch noch ein Hintertürchen eingebaut. Demnach sollen Unternehmen, die nachweisen können, dass die Offenlegung ihren Geschäften schaden würde, von der Verpflichtung ausgenommen werden.
    Quelle: Tagesschau
  9. Geheimniskrämer
    Die vier großen deutschen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sind überproportional in Steuerparadiesen tätig, zeigt eine neue Studie. Aber sie verschleiern, was genau sie dort tun. (…) In der Studie wirft der britische Ökonom und Steuerexperte Richard Murphy den Wirtschaftsprüfern von Deloitte, Pricewaterhouse Coopers (PwC), KPMG und EY (früher Ernst&Young) vor, nicht exakt über das Ausmaß ihres globalen Geschäfts zu berichten. Murphy fand heraus, dass sie alle in mehr Staaten tätig sind, als sie in ihren Jahres- und Transparenzberichten vorgeben. Oft sei nicht ersichtlich, was sie in einzelnen Ländern genau tun. (…) So wie andere Experten fordert Murphy anhand der Ergebnisse, die Wirtschaftsprüfung und das Beratungsgeschäft strikt zu trennen, die Firmen also aufzuspalten. Derartige Firmennetzwerke sollten als global integrierte Konzerne reguliert, als solche zu konsolidierten Finanzberichten verpflichtet werden und exakte länderspezifische Daten veröffentlichen müssen. Zudem plädiert er für die Einführung einer EU-Lizenz mit strengen Auflagen – bislang ist die Regulierung der Wirtschaftsprüfer weitgehend Sache der Mitgliedstaaten. “Wenn wir effektiv gegen Steuerflucht vorgehen wollen, müssen wir zuerst diese Firmen anders behandeln”, sagt Murphy.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung
  10. Prekarität der Großstädte: Food-Kuriere gehen auf die Barrikaden
    Keine Antwort, kein Geld, keine Unterstützung. Nicht nur bei Unfällen bekommen die Fahrradkuriere von Deliveroo und Foodora die Risiken des Freelancer-Modells oft hart zu spüren. Jetzt regt sich Widerstand – auch in Berlin und Wien.
    Quelle: Deutschlandfunk Kultur

    Anmerkung J.K.: Einer zahlt immer, dass sollte man gerade bei im Prinzip auf Ausbeutung gründenden Geschäftsmodellen, wie die genannten Lieferdienste aber auch Uber, nicht vergessen.

  11. Fast jeder Fünfte kann sich keinen Jahresurlaub leisten
    Für viele wird der einwöchige Jahresurlaub zum Luxus – fast jeder fünfte Deutsche ist zu arm, um zu verreisen. Unter den Alleinerziehenden sei es sogar deutlich mehr als jeder Dritte, berichtet die Saarbrücker Zeitung” unter Berufung auf aktuelle Daten des Europäischen Statistikamtes Eurostat. Die Zahlen wurden von der Linken-Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann angefordert. Demnach waren im vergangenen Jahr 19,2 Prozent der Menschen in Deutschland nicht in der Lage, einen einwöchigen Urlaub anderswo als zu Hause zu verbringen. Bei den Haushalten mit Kindern waren es 19,9 Prozent und unter den Alleinerziehenden sogar 39,6 Prozent.
    Quelle: T-Online

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Alle Jahre wieder der verdienstvolle Hinweis auf die große Armut … und alle Jahre wieder die üblichen Beschwichtigungen (“Deutschland geht es so gut wie nie”, “wer sich weiterbildet, findet gute Arbeit”) von den regierenden Parteien. Und alle Jahre wieder keine Änderung der bestehenden Verhältnisse.

  12. NSU-Prozess: Eine Akte soll für 120 Jahre unter Verschluss
    Im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss löste zuletzt ein interner Bericht des Landesamts für Verfassungsschutz Wirbel aus. Der Dienst hatte als Folge des Mordes an dem Kasseler Deutschtürken Halit Yozgat geprüft, ob er zwischen 1992 und 2012 Hinweise auf den NSU übersehen oder sonstige Fehler im Kampf gegen Neonazis begangen hatte. Spuren zum NSU fanden sich nicht. Dafür gestand der Dienst ein, manchen Informationen über Waffen- und Sprengstoffbesitz bei Rechtsextremen nicht zügig genug nachgegangen zu sein. Eigenartig. Viel eigenartiger erscheint aber die Sperrfrist, mit der die Analyse versehen ist: Sage und schreibe 120 Jahre lang soll der Rapport den Augen der Öffentlichkeit entzogen werden.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung
  13. Entmenschlichte Flüchtlingspolitik – über haarsträubende Ablehnungsgründe und zahlenfixierte Behörden
    Die „Flüchtlingskrise“ ist nicht vorbei. Sie wurde nur mithilfe von Unternehmensberatungen bürokratisiert und aus der öffentlichen Wahrnehmung entfernt. Aus sichtbaren, menschlichen Schicksalen wurden Zahlen gemacht. Zahlen, die mithilfe von Methoden zur Effizienzsteigerung oder mit „Prozessbeschleunigungsmaßnahmen“ abgebaut werden sollen. Dabei bleibt das Recht auf Asyl immer häufiger auf der Strecke. Psychisch Kranke, Vergewaltigungsopfer und Kriegsflüchtlinge werden in den Mühlen der auf Effizienz getrimmten Behörden entmenschlicht und zurück ins Elend geschickt. Kurz: Die Bundesregierung macht AfD-Politik – in vorauseilendem Gehorsam und aus Angst, die Gunst einiger WählerInnen zu verlieren.
    Quelle: Zebralogs
  14. Wer dem Irak-Krieg im Wege steht
    Vor 15 Jahren dokumentierte „Der Freitag“ eine bemerkenswerte Rede von Jose Bustani. Der damals weltweit geachtete Chef der Chemiewaffenkontrollbehörde OPCW wurde entlassen und bezichtigte die US-Regierung unter George W. Bush einer Verschwörung gegen internationale Prinzipien. Im Vorspann zu dieser Rede schrieb „Der Freitag“: Die US-Regierung dreht durch. Jüngstes Opfer: Jose Bustani, brasilianischer Diplomat und seit fünf Jahren Generaldirektor der Internationalen Chemiewaffenkontrollbehörde (OPCW – Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons). Während seiner Amtszeit wurden zwei Millionen Chemiewaffen zerstört und zwei Drittel aller Produktionsanlagen inspiziert. “Er hat mehr für den Weltfrieden getan als irgendjemand sonst”, schreibt der Londoner Guardian. Seit Beginn dieses Jahres passt Bustani nicht mehr ins US-Konzept, weil er an der Gleichbehandlung aller Mitgliedsländer der OPCW, inklusive der Vereinigten Staaten, festhält – vor allem jedoch, weil er sich für die Mitgliedschaft des Irak in der OPCW einsetzt. Damit aber wäre dem geplanten Krieg der Boden entzogen, und deshalb startete die US-Regierung eine beispiellose Kampagne gegen den Chef einer internationalen Behörde. Druck und Erpressung brachten schließlich am Montag dieser Woche den gewünschten Erfolg: Bustani wurde entlassen. Doch zuvor verteidigte er in einer ungewöhnlich offenen und engagierten Rede seine Haltung vor den Repräsentanten der Mitgliedsstaaten. Wir dokumentieren Auszüge.
    Quelle: Freitag

    Anmerkung unseres Lesers H.T.: Die Geschichte ist schon 15 Jahre her, zeigt aber, wie die Dinge (nicht immer, aber doch sehr häufig) laufen. In der aktuellen Auseinandersetzung um den Artikel von Seymour Hersh und die Rolle der OPCW ist diese Rede aufschlussreich.

  15. Die Saudis bewegen sich auf dünnem Eis
    Im Interview mit Ramon Schack erläutert Robert Baer (ein prominenter ehemaliger Mitarbeiter des US-Nachrichtendienstes CIA, dessen Aufgabe die Infiltrierung von Hisbollah und al-Qaida war) die aktuellen Entwicklungen am Persischen Golf aus einem ganz besonderen Blickwinkel.
    Quelle: Telepolis
  16. „Die Profiteure des Terrors“: Buchpräsentation in Berlin
    US-Präsident Donald Trump fordert gerade von den NATO-Partnern eine massive Erhöhung ihrer Militärausgaben. Doch Luftschläge im Irak und Syrien sowie Waffenlieferungen an strategische Partner wie Saudi-Arabien haben bislang kaum dazu beigetragen, die mörderische Islamistenarmee an den Wurzeln zu bekämpfen. Stattdessen beschert die Aufrüstungswelle in Nahost deutschen Rüstungsfirmen und Konzernen volle Auftragsbücher.
    Markus Bickel dokumentiert mit erschütternden Zahlen und Fakten, wer die wahren Profiteure des Rüstungswahnsinns sind. Und er beschreibt den fatalen Teufelskreis von Aufrüstung, Militarisierung und Repression durch die Regime in der Region.
    Buchvorstellung und Diskussion mit: Bodo Ramelow, Ministerpräsident Thüringen,
    Georg Wilhelm Adamowitsch, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), Michael Ebenau, Gewerkschaftssekretär IG Metall Bezirksleitung Mitte, Markus Bickel, Autor von „Die Profiteure des Terrors“
    Moderation: Dietmar Ringel, Redakteur und Moderator beim Inforadio rbb
    Donnerstag 6. Juli 2017, 19:00 Uhr
    Vertretung des Freistaats Thüringen beim Bund
    Mohrenstr. 64
    10117 Berlin
    Quelle: Westend Verlag
  17. Spiegel Daily lockt weniger als 3000 Voll-Abonnenten
    Knapp zwei Monate ist die neue digitale Tageszeitung Spiegel Daily jetzt am Markt. Doch der Erfolg des als Hoffnungsträger gestarteten Angebots scheint sehr verhalten, die Verkäufe äußerst mau. Nach MEEDIA-Informationen wurden bislang weniger als 3000 Abos abgeschlossen. Damit gerät Verlagsgeschäftsführer Thomas Hass nach den Flops von Spiegel Classic und Spiegel Fernsehen weiter unter Druck.
    Quelle: Meedia

    Anmerkung Paul Schreyer: Es scheint, dass die Spiegel-Macher auch kommerziell immer mehr den Kontakt zu ihren Lesern verlieren.

  18. ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke im Interview: “Wir sollten den Teufel tun, unserem Publikum zu sagen, was es zu denken hat”
    “Das Herz eines Journalisten darf nie übers Hirn bestimmen.” Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-aktuell, hat sich im Interview mit dem Medienmagazin journalist für eine sachlich-nüchterne Berichterstattung ausgesprochen – “egal ob uns populistische Bewegungen oder demokratisch gewählte Präsidenten gefallen oder nicht”. So verfahre die Tageschau auch bei US-Präsident Donald Trump. Gniffke: “Wir haben uns nicht zu positionieren, sondern nur nüchtern zu beschreiben, wie sich Trumps Politik unter Berücksichtigung aller Fakten darstellt. Wir sollten den Teufel tun, unserem Publikum zu sagen, was es zu denken hat. Auch nicht zwischen den Zeilen. Das wäre das Ende unserer Glaubwürdigkeit und ehrlich gesagt auch das Gegenteil von dem, was ich unter guten Journalismus verstehe.”
    Quelle: journalist – Das Medienmagazin

    Anmerkung Paul Schreyer: Die Worte klingen gut, allein die Taten stehen in erheblichem Widerspruch dazu, wie hier berichtet. Gniffke selbst hat bereits eingeräumt, dass es bei der ARD Sprachregelungen auch zur Beschreibung politischer Akteure gibt. Schon vor einem Jahr hieß es dazu in einem Artikel von Stefan Niggemeier: „Bei der ‚Tagesschau’ sind zwei Arbeitsgemeinschaften dafür zuständig, sich über treffende Wörter Gedanken zu machen und heikle Begriffe zu klären. Die AG Sprache besteht aus sechs Chefs vom Dienst (CvD) aus den verschiedenen Redaktionen von ARD-aktuell (‚Tagesschau’, ‚Tagesthemen’, tagesschau.de). Einmal im Quartal nehmen die sich einen Tag lang Zeit, um ausführlich über Formulierungen in den Nachrichtensendungen zu reden, im vergangenen Jahr etwa ausführlich über die Griechenland-Berichterstattung. Ihre Ergebnisse gehen an alle Redakteure und werden in einem Redaktions-Wiki festgehalten. Die kleinere Arbeitsgemeinschaft Richtlinien (drei CvDs) ist zuständig, wenn vertiefende Recherchen notwendig sind, um Begrifflichkeiten zu klären. Sie beraten, ob eine Partei ‚rechtspopulistisch’ oder ‚rechtskonservativ’ genannt werden soll, und entscheiden, wie bestimmte Organisationen als Quellen zu bewerten sind.“


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=39055