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Titel: Hinweise des Tages II

Datum: 21. Juli 2017 um 16:37 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Brüchige Brücke
  2. Verhandlungen EU-Großbritannien: So geht Brexit – oder auch nicht
  3. Ist der Süden Europas „strukturell“ rückständig?
  4. Notenbanker in der Klemme
  5. Terroralarm bei “Rock am Ring”: Kein Sprengstoff, keine Waffen, kein Plan
  6. Geheimes Dokument: Das BKA will schon dieses Jahr Messenger-Apps wie WhatsApp hacken
  7. Absprachen zu Technik, Kosten, Zulieferern: Das geheime Kartell der deutschen Autobauer
  8. Der große Etikettenschwindel
  9. Schuften in Südkorea
  10. Verwaltungsgerichte überlastet durch Asylklagen
  11. Kritik an polnischer Justizreform: Sitzt Deutschland im Glashaus?
  12. Polizeigewalt in Frankreich: Der Staat als Feind
  13. Brutaler Mietmarkt
  14. Opposition wähnt sich als Sieger
  15. Schwarzseher und Schönredner: Die Moral der Überzeugten

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Brüchige Brücke
    Mit demonstrativer Zurückweisung, faktisch aber relativ zurückhaltenden Maßnahmen reagiert Berlin auf die jüngsten Repressalien Ankaras gegen Menschenrechtler und Journalisten aus Deutschland. Man werde die Kürzung von EU-Zuschüssen für die Türkei diskutieren und eventuell staatliche Exportgarantien deckeln, kündigt Außenminister Sigmar Gabriel an. Tatsächlich hat Brüssel einige bezuschusste Türkei-Programme längst gestrichen, da die erhofften Erfolge ausblieben; auch gehen deutsche Exporte und Investitionen ohnehin bereits zurück. Die vorsichtigen Reaktionen erklären sich daraus, dass Berlin für seine ausgreifende Machtpolitik aus geostrategischen Gründen auch in Zukunft auf die Türkei, seine traditionelle “Landbrücke” nach Mittelost, angewiesen ist, während Ankara sich in zunehmendem Maße vom Westen ab- und dem Osten zuwendet. Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik hat kürzlich Experten untersuchen lassen, ob mit einer umfassenden und dauerhaften Abkehr Ankaras und einer Bindung der Türkei an Russland und China zu rechnen ist. Experten warnen vor langfristigen deutschen Einflussverlusten. […]
    Die Autoren der zweiten BAKS-Kurzstudie, die sich mit Ankaras Beziehungen zu China befasst, weisen darauf hin, dass die Türkei für die Volksrepublik vor allem im Zusammenhang mit der “Neuen Seidenstraße” (“One Belt, One Road” – german-foreign-policy.com berichtete [9]) große Bedeutung gewinnt – sie sei “zentraler Knotenpunkt der neuen ‘Seidenstraßen’ an Land und auf See”.[10] Tatsächlich boomen die türkisch-chinesischen Geschäfte schon jetzt; mittlerweile hat China Deutschland als wichtigster Lieferant der Türkei überholt und stellt bereits mehr als ein Achtel der türkischen Importe. Vorstöße aus Ankara, die auf eine Mitgliedschaft in der häufig als östlich-asiatische Alternative zur NATO gehandelten Shanghai Cooperation Organisation (SCO) zielen [11], würden in Beijing “skeptisch” beurteilt, berichtet die BAKS: In der chinesischen Hauptstadt glaube man nicht an eine umfassende Hinwendung der Türkei nach Osten; man gehe stattdessen davon aus, dass die türkischen SCO-Kontakte “als Trumpf bei Gesprächen mit der NATO, den USA und der EU” dienen sollten und es Ankara dabei darum gehe, “die strategischen Optionen und die Unabhängigkeit des Landes” zu erhöhen. Allerdings biete die derzeitige Lage “eine außergewöhnliche Gelegenheit zur Entwicklung umfassenderer Beziehungen zwischen der Türkei und … China”.
    “Auf Knien nach Ankara”
    Die Aussicht auf einen wohl nicht umfassenden, aber doch spürbaren Einflussverlust in Ankara veranlasst Berlin, sich weiterhin vergleichsweise nachgiebig zu zeigen. EU-Kommissar Günther Oettinger hat die heutige Lage bereits Anfang 2013 zutreffend vorausgesagt. Mit Blick auf die schwächelnde deutsche Stellung in der Türkei bei gleichbleibend starken geostrategischen Interessen erklärte Oettinger: “Ich möchte wetten, dass einmal ein deutscher Kanzler oder eine Kanzlerin im nächsten Jahrzehnt … auf Knien nach Ankara robben wird, um die Türken zu bitten, Freunde, kommt zu uns.”
    Quelle: German Foreign Policy
  2. Verhandlungen EU-Großbritannien: So geht Brexit – oder auch nicht
    Nach zwei Verhandlungsrunden konstatieren die Chefunterhändler „fundamentale Differenzen“. Worum geht es eigentlich?
    Sie duzen sich und sie loben sich. „Konstruktiv und positiv“ sei die zweite Verhandlungsrunde über den EU-Austritt Großbritanniens gewesen, sagten Michel Barnier und David Davis am Donnerstag vor ihrem abschließenden gemeinsamen Mittagessen in Brüssel – doch in der Sache sind sich die Chefunterhändler aus Brüssel und London nicht nähergekommen. In einigen Fragen gebe es noch „fundamentale Differenzen“, so Barnier.
    Streit gibt es vor allem über die Bleiberechte für die EU-Bürger in Großbritannien und über die „Brexit-Rechnung“, also die Kosten der Scheidung. Davis habe zwar grundsätzlich anerkannt, dass London vor dem Austritt seine finanziellen Verpflichtungen gegenüber der EU erfüllen muss, so Barnier. Doch die rechtlichen Grundlagen für die EU-Forderungen sind ebenso umstritten wie die Gesamthöhe. Von 60 bis 100 Milliarden Euro spricht man in Brüssel, keinen einzigen Cent hat London bisher angeboten. „Wir werden dieses Problem nicht in kleinen Schritten lösen“, räumte Barnier ein. Doch ein großer Sprung zeichnet sich auch nicht ab.
    Meilenweit auseinander liegen beide Seiten auch bei den Bleiberechten. Die Zusagen der britischen Premierministerin Theresa May, dass die EU-Bürger auch nach dem Brexit auf der Insel bleiben dürfen, sind aus EU-Sicht zu vage. Einen Grundsatzstreit gibt es zudem über die Frage, wessen Gerichte nach dem Brexit für sie zuständig sind. […]
    Klar ist im Moment nur, dass beiden Seiten die Zeit davonläuft. Denn bereits im Herbst soll eine erste Einigung stehen, damit über die Gestaltung der zukünftigen Beziehungen gesprochen werden kann. „Die Uhr tickt“, betonten Barnier und Davis. Immerhin in dieser Frage sind sie sich völlig einig. In allen anderen nicht.
    Quelle: taz
  3. Ist der Süden Europas „strukturell“ rückständig?
    „Strukturelle Faktoren“ können die Ungleichgewichte in der EWU nicht erklären. Anhand verschiedener Indikatoren kann man belegen, dass es die deutsche Lohnpolitik und die damit verbundene effektive reale Abwertung Deutschlands war, die für die Krise in der Eurozone verantwortlich ist.
    Fritz Scharpf hatte in einem Beitrag für Makroskop zwischen exportorientierten Ländern (oder „Hartwährungsländern“) auf der einen und „binnenwirtschaftlich orientierten“ Ländern (oder „Weichwährungsländern“) auf der anderen Seite innerhalb der Europäischen Währungsunion (EWU) unterschieden. Mit dieser Unterscheidung versucht er, sich die wirtschaftlichen Spannungen und die Krise des Euro zu erklären.
    Ich habe bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass diese und ähnliche Einschätzung sich zunehmender Beliebtheit erfreuen, um die Probleme in der EWU zu erklären, aber leider sind sie falsch. Ich möchte aufgrund vielfältiger Reaktionen auf meine Kritik an dieser These, die Kritik etwas ausführlicher begründen.
    Quelle: Makroskop
  4. Notenbanker in der Klemme
    Die Wirtschaft wächst. Die EZB könnte die Zinsen erhöhen. Wenn da nicht dieses eigentümliche Problem mit den Löhnen und den Preisen wäre.
    Dass die Zentralbank mit dem Ausstieg zögert, ist kein Wunder. Denn der Aufschwung in Europa ist nicht ganz so schön, wie er manchem scheint. So liegt die Arbeitslosenrate in Frankreich, Italien und Spanien noch bei oder über zehn Prozent. Zudem herrschen Zweifel, ob der Aufschwung „selbsttragend“ ist, also auch ohne Unterstützung der EZB hält.
    Das Hauptproblem der EZB ist allerdings die Entwicklung der Maßzahl, um die sie sich vorrangig kümmern soll: die Inflationsrate. Sie liegt seit Jahren unterhalb des EZB-Zielwerts, und es gibt derzeit laut Draghi „einfach keine überzeugenden Anzeichen dafür, dass sie steigt“.
    Für eine dauerhafte Erhöhung der Teuerung müssten die Löhne in Europa stärker steigen. Doch das tun sie nicht. Das ist eigentlich rätselhaft. Denn nach gängigen ökonomischen Modellen führt eine sinkende Arbeitslosenrate zu höheren Löhnen und damit zu mehr Nachfrage und höheren Preisen. Dieser Zusammenhang jedoch scheint gebrochen – nicht nur in Europa, auch in den USA, wo die Zentralbank sich mit einem ähnlichen Problem herumschlägt.
    Warum steigen die Löhne nicht stärker, trotz Aufschwung? Die Antwort liegt in einem Trend, der oft Flexibilisierung oder Prekarisierung genannt wird: Jobs entstehen, aber sie sind von „geringer Qualität“, so Draghi. Es sind befristete oder Teilzeit-Stellen – Jobs, die eher schlecht bezahlt werden, die die Kaufkraft nicht erhöhen und damit nicht die zahlungsfähige Nachfrage und die Inflationsrate.
    Die Frage ist nun, ob es sich, wie die EZB vermutet, um ein vorübergehendes Phänomen handelt. Sprich: Die Lohnsteigerungen kommen noch im Zuge der Erholung. Oder aber hat die fortdauernde Schwächung der Position der Arbeitnehmer zu einem Strukturbruch geführt, der nicht nur die alten Regeln außer Kraft setzt, sondern auch zu einer Dauerschwäche der privaten Nachfrage führt? Die Antwort steht noch aus.
    Quelle: FR Online
  5. Terroralarm bei “Rock am Ring”: Kein Sprengstoff, keine Waffen, kein Plan
    Was führte zur Unterbrechung des Rockfestivals am Nürburgring? Die Rekonstruktion eines Großeinsatzes, der im Kleinen begann.
    Am Ende schreibt der Oberstaatsanwalt eine Verfügung. Das Verfahren gegen Abdul Ghani A., 24, Mohammad Yusef Z., 21, und Namik Cemal T., 37, werde eingestellt. “Der Anfangsverdacht von Straftaten wegen Einbringens von aus der Ferne zündbaren Strengstoffs auf dem Festgelände der Veranstaltung ‘Rock am Ring’ konnte widerlegt werden”, heißt es im schönsten Juristendeutsch.
    Übersetzt bedeutet das so viel wie: Es gab nie einen Plan, das Festival am Nürburgring anzugreifen. Wie konnte es überhaupt zu dem Verdacht kommen? Wie entstand die Situation, in der die Polizei die Großveranstaltung unterbrechen ließ, weil sie glaubte, deren Sicherheit nicht mehr garantieren zu können?
    Interne Dokumente der Ermittlungsbehörden, die der SPIEGEL auswerten konnte, erlauben nun eine Rekonstruktion des Terroralarms. Und sie gewähren Einblicke in eine Branche von Sicherheitsfirmen und Personaldienstleistern, in der billige Aushilfskräfte so kurzfristig und unkonventionell angeworben werden, dass sie kaum überprüft werden können. Gerade vor dem Hintergrund des Terroranschlags auf ein Konzert in Manchester könnte sich das als problematisch erweisen.
    Quelle: Spiegel Online
  6. Geheimes Dokument: Das BKA will schon dieses Jahr Messenger-Apps wie WhatsApp hacken
    Das Bundeskriminalamt will noch in diesem Jahr seinen Staatstrojaner erweitern, um Smartphones zu hacken und Messenger mitzulesen. Das geht aus einem geheimen Bericht des Innenministeriums hervor, den wir veröffentlichen. Ein zweiter, gekaufter Staatstrojaner kann dagegen immer noch mehr als gesetzlich erlaubt.
    Vor einem Monat hat der Bundestag den Einsatz von Staatstrojanern massiv ausgeweitet. Bisher durfte das BKA Geräte hacken, um internationalen Terrorismus zu verhindern. Jetzt kann die Polizei immer dann in Geräte eindringen, wenn sie ein Telefonat abhören darf – also tausendfach. Dafür rüsten die Behörden ihre Spionage-Software weiter auf.
    Das Innenministerium berichtet regelmäßig über die Entwicklung der Staatstrojaner, leider als „nur für den Dienstgebrauch“ eingestufte Verschlusssache. Wir haben trotzdem die ersten beiden Ausgaben publiziert, jetzt veröffentlichen wir an dieser Stelle auch den dritten Bericht im Volltext.
    Quelle: netzpolitik.org
  7. Absprachen zu Technik, Kosten, Zulieferern: Das geheime Kartell der deutschen Autobauer
    Die deutsche Autoindustrie unter Kartellverdacht: Nach SPIEGEL-Informationen haben sich VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler in geheimen Arbeitskreisen abgesprochen – und so die Basis für den Dieselskandal gelegt.
    Die deutsche Autoindustrie hat sich seit den Neunzigerjahren in geheimen Arbeitskreisen über die Technik, Kosten, Zulieferer und sogar über die Abgasreinigung ihrer Dieselfahrzeuge abgesprochen. Das belegt eine Art Selbstanzeige, die der VW-Konzern nach Informationen des SPIEGEL bei den Wettbewerbsbehörden eingereicht hat. Es könnte einer der größten Kartellfälle der deutschen Wirtschaftsgeschichte werden.
    An den Absprachen waren laut Schriftsatz des VW-Konzerns alle großen deutschen Autobauer beteiligt: Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler. Seit den Neunzigerjahren haben sich demnach mehr als 200 Mitarbeiter der Unternehmen in mehr als 60 Arbeitskreisen abgestimmt. Gezielt wurde mit den Absprachen der Wettbewerb außer Kraft gesetzt.
    Quelle: Spiegel Online

    dazu: Kriminelle Energie in der Autoindustrie ist erschreckend
    „Spätestens jetzt wird niemand mehr daran glauben können, dass es sich um einen reinen VW-Skandal handelt. Sollten sich die heutigen Meldungen zu Absprachen in der Automobilindustrie bestätigen, dann hätten die betreffenden Konzerne damit nicht nur die Zulieferer geschädigt, sondern auch ihre Kunden und vor allem die Gesundheit der in Innenstädten lebenden Menschen. Und das dabei zu Tage getretene Maß an krimineller Energie in der Branche wäre wirklich erschreckend“, kommentiert Herbert Behrens (DIE LINKE), ehemaliger Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zum Abgasskandal, die heute veröffentlichten Berichte über Absprachen der Automobilindustrie über die Preisgestaltung und die Konfiguration von Abgasnachbehandlungssystemen.
    Quelle: Die Linke im Bundestag

  8. Der große Etikettenschwindel
    Seit vier Jahren schon laufen Geheimverhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan – genannt JEFTA. Ein weiteres Abkommen, in dem es vor allem um Investorenschutz und Konzern-Profite geht (…)
    Die EU unter Führung der deutschen Bundeskanzlerin macht den Freihandel geradezu zum neuen Markenzeichen der Demokratie. Da kann man sich auch so schön gegen den US-Präsidenten Donald Trump abgrenzen, der so plump sein Land gegen die guten deutschen Exporte abschotten will. Aber das symbolträchtige Markenzeichen Freihandel ist ein Etikettenschwindel, eine gigantische Verdummungsoperation. Warum?
    Im Mai 2017 urteilte der Europäische Gerichtshof (EUGH) über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Singapur: Die Ratifizierung darf sich nicht auf die Europäische Kommission oder das Europäische Parlament beschränken. Auch die nationalen Parlamente der 27 EU-Mitgliedsstaaten müssen über das Abkommen entscheiden. Denn: Die EU hat zwar laut EU-Vertrag das Mandat für die Außenhandelspolitik. Aber das Abkommen EU-Singapur geht weit über Außen- und Freihandel hinaus. Da werden auch die Rechte von Investoren und die private Schiedsgerichtsbarkeit geregelt, und dies fällt in den Aufgabenbereich der nationalen Gesetzgeber. Mit anderen Worten: Der Freihandelsvertrag EU-Singapur ist im Wesentlichen kein Freihandels-, sondern ein Investitionsvertrag. Und die Bedingungen für Investitionen – etwa Arbeits-, Steuer- und Umweltgesetze – werden in der EU immer noch von den nationalen Parlamenten beschlossen. (…)
    Zu NAFTA gehören private Schiedsgerichte. Nur Investoren sind klageberechtigt. (…)
    Bis 2015 hat Kanada sechs Klagen, Mexiko fünf Klagen verloren. Die USA hingegen haben noch keine gegen sie gerichtete Klage verloren – US-Großkanzleien beherrschen die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit.
    Ähnliches gilt für TTIP, CETA, TISA, JEFTA und auch für die Partnerschafts-Abkommen mit Afrika. Die nationalen Gesetzgeber sollen überflüssig, Profite langfristig gesichert werden. Arbeitsrechte sind nicht sanktionsfähig und können vor den Schiedsgerichten nicht eingeklagt werden. (…)
    Konzerne mit Hauptsitz in Deutschland gehören schon längst zu den Profiteuren. Sie nutzen den größten Niedriglohnsektor in der EU und sind Exportmeister. Diese nationalistische Politik soll weitergehen: erst europaweites, jetzt weltweites Lohndumping. Siemens, Bayer, Deutsche Post DHL und Deutsche Bahn zum Beispiel machen durch ihre Niederlassungen in den USA und rund um den Erdball mehr Umsatz und Profit als in Deutschland. Die Lufthansa – Miteigentümer ist wie bei Post und Bahn der deutsche Staat – baut ihre deutschen Technikzentren ab und lässt ihre Flugzeuge auf den Philippinen, in Puerto Rico und Bulgarien (Mindestlohn pro Stunde 1,24 Euro) reparieren. Ingenieure kriegt man dort für 600 statt für 4.000 Euro im Monat. Und Afrika soll das neue Mexiko werden. Das wird noch ein bisschen feministisch verschönt, indem man afrikanische Unternehmerinnen fördert.
    Beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigt: Diese Art “Freihandel” muss weitergehen. Die EU-Führung polemisiert gegen die Abschottung der USA durch Präsident Donald Trump. Aber keine Region wird so hart abgeschottet wie die EU-Festung.
    Quelle: ver.di publik

    dazu: TiSA ist eine große Gefahr, selbst wenn es scheitert
    Die neuseeländische Rechtswissenschaftlerin Jane Kelsey hat einen extrem informativen und kundigen Bericht über die Verhandlungen zum Trade in Services Agreement (TiSA) vorgelegt, dem Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen. Es ist Pflichtlektüre für alle, die sich mit internationalen Handelsvereinbarungen beschäftigen und des Englischen mächtig sind. Denn die extremen Vorschläge zur dauerhaften Deregulierung von Datengebrauch und –missbrauch und sonstigen Aspekten des internationalen Handels, die im Rahmen von TiSA verhandelt werden, dienen als Steinbruch, um sie in jedes verfügbare Abkommen einzupassen, nicht zuletzt auch das europäisch-japanische Handelsabkommen.
    Quelle: Norbert Häring

  9. Schuften in Südkorea
    Der Mindestlohn in Südkorea ist im wahrsten Sinn des Wortes ein Hungerlohn. Das illustrierten Gewerkschaftsaktivisten im vergangenen Jahr im Rahmen einer breitangelegten Kampagne mit einem Hungerstreik. Nach dem Regierungswechsel sind die Aktivisten ihrem Ziel eines menschenwürdigen Mindestlohnes ein bescheidenes Stück nähergekommen. Die südkoreanische Mindestlohnkommission kam zum Ergebnis, dass die untersten Löhne um 16 Prozent angehoben werden sollen.
    Obwohl diese immer noch deutlich unter der Armutsgrenze liegen, ist die Aufregung bei den Unternehmensverbänden groß. Sie befürchten den massenhaften Konkurs kleiner Betriebe. Gewerkschaftsvertreter weisen allerdings darauf hin, dass es nach wie vor nicht möglich ist, von dem Mindestlohn menschenwürdig zu leben. Alba, die Gewerkschaft der Teilzeitarbeitenden und Minijobber, machte während der Kampagne immer wieder deutlich »10.000 WON (7,72 Euro) Mindestlohn ist Menschenrecht! Menschenrecht ist nicht verhandelbar.« Folglich gab es zwar eine gewisse Genugtuung bezüglich des kleinen Fortschritts bei der Erhöhung des Stundenlohnes, das Grundproblem ist jedoch noch nicht gelöst und Alba ließ in einer Stellungnahme verlauten: »Trotz der relativ großen Erhöhung können wir uns nicht freuen, weil man nach wie vor ein menschenunwürdiges Leben ertragen muss.«
    Hinter der Kommissionsentscheidung stehen grundlegende gesellschaftliche Auseinandersetzungen. Südkorea ist zwar die viertgrößte Volkswirtschaft in Asien, die Rechte der Arbeiter sind allerdings in Vergleich mit anderen OECD-Ländern nur sehr schwach verankert. Nach Regierungsangaben hat etwa ein Drittel der Beschäftigten keine regulären Arbeitsverhältnisse. Sie leben von mehreren Teilzeitstellen. Befristungen sind fast schon normal, gerade bei jungen Menschen. Etwa jeder Vierte erhält maximal den Mindestlohn. So erschreckend die offiziellen Zahlen sind, der Internationale Gewerkschaftsbund ITUC geht von rund fünfzig Prozent irregulären Beschäftigungsverhältnissen aus. Bei den Arbeitsrechten verortet der ITUC Südkorea in der gleichen Liga wie Kambodscha, Nigeria und Bangladesch.
    Diese prekäre Lage prangerte der am 9. Mai gewählte Präsident Moon Jae-in in seiner Wahlkampagne an. Zu seinen Zielen gehört die Reduzierung der maximalen Wochenarbeitszeit von 68 auf 52 Stunden. Er versprach eine Anhebung des Mindestlohnes bis 2020 auf 10.000 Won in der Stunde sowie die Schaffung von 810.000 neuen Stellen, vor allem durch Umwandlung befristeter Stellen im öffentlichen Dienst in reguläre Stellen. Moon Jae-in hofft durch diese Maßnahmen die Binnennachfrage in Südkorea deutlich anzukurbeln und die Exportabhängigkeit des Landes zu verringern.
    Quelle: junge Welt

    Anmerkung Christian Reimann: Das Verhalten von Unternehmerseite ist wohl global: Widerstand gegen Verbesserungen der Arbeitnehmerschaft. Das Ansinnen der neuen Regierung ist zu begrüßen. Leider wird es hierzulande wohl nicht zu einer Regierung kommen, die diesen Mut aufbringt und sich klar gegen den seit vielen Jahren existierenden Exportwahn stellt.

  10. Verwaltungsgerichte überlastet durch Asylklagen
    Die Zahl der Asylklagen in Deutschland bringen Verwaltungsgerichte dem Richterbund zufolge an ihre Grenzen. Die Lage sei mit mehr als 250.000 anhängigen Verfahren dramatisch. Experten sehen das Bundesamt in der Pflicht. Fehlerhafte Asylbescheide trugen zur Situation bei. […]
    Das Bundesamt für Flüchtlinge steht seit Langem in der Kritik, fehlerhafte Asylbescheide zu erlassen. Die Erfolgsaussichten vor Gericht gegen Ablehnungsbescheide schätzen Experten in vielen Fällen als hoch ein. Häufig reagiere das Bundesamt auch bei offensichtlichen Mängeln nicht und überlasse aus eigener Überforderung die Prüfung den Richtern.
    Quelle: Migazin
  11. Kritik an polnischer Justizreform: Sitzt Deutschland im Glashaus?
    Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel kritisierte das polnische Justizreformvorhaben im Spiegel mit der Bemerkung: “Wir können in der Welt nicht Rechtsstaatlichkeit und Demokratie predigen und unsere eigenen Standards nicht beachten”. Die twitterbekannte Rechtswissenschaftlerin Barbara Brandner meinte dagegen: “Wer Polen wegen der Justizreform kritisiert, sollte sich das deutsche Richterwahlrecht genauer ansehen.”
    Ein zentraler Punkt der Kritik an der geplanten polnischen Regelung ist nämlich, dass der Sejm zukünftig über die personelle Bestückung eines Landesrichterrats entscheiden soll, der Richter ernennt. Damit, so die Kritiker, entscheide das Parlament indirekt auch über Richterposten, was ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung sei. Bezüglich der Sauberkeit dieser Trennung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative sind auch die geltenden deutschen Regelungen angreifbar: Über die Vorsitzenden der Bundesgerichte entscheiden beispielsweise Bundesministerien – und die Verfassungsrichter werden nach Artikel 94 Absatz 1 Satz 2 des deutschen Grundgesetzes “je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt.”
    Da der Bundestag dieses Recht an einen Wahlausschuss weiterreichte, der mit Zweidrittelmehrheit beschließt, entscheiden nur acht Personen. Faktisch können das den Parteihierarchien wegen sogar lediglich die Führer der beiden großen Volksparteien sein. Oder eine Kanzlerin, die eine Große Koalition anführt. Es ist auch möglich, dass sich eine Partei bei Koalitionsverhandlungen das Recht sichert, einen Richterkandidaten ihrer Wahl zu nominieren (vgl. Wenig transparent und der Bedeutung unangemessen). Juristische Kommentare halten diese Situation zum Teil für verfassungswidrig und fordern öffentlichen Anhörungen der Kandidaten, wie es sie beispielsweise in den USA gibt. Ob Verfassungsrichter wie die umstrittene Susanne Baer nach solchen Anhörungen problemlos an ihre Posten gelangt wären, ist zumindest zweifelhaft.
    Quelle: Telepolis
  12. Polizeigewalt in Frankreich: Der Staat als Feind
    Tote gibt es immer wieder bei Polizeieinsätzen. Auch Ali Ziri hat seine Festnahme in einem Pariser Vorort nicht überlebt. Die beteiligten Polizisten müssen nicht viel befürchten, die Ermittlungen werden oft eingestellt. Viele Franzosen nehmen das nicht mehr hin – und leisten Widerstand.
    Samstagnachmittag in der Pariser Vorstadt Argenteuil. Auf einer Kreuzung stehen mehr als hundert Menschen, sie rufen “Justiz und Gerechtigkeit für Ali Ziri”. Einige halten ein vergrößertes Passfoto in die Höhe. Hohe Stirn, melancholische braune Augen, weißer Schnurrbart. So sah Ali Ziri vor acht Jahren aus, als ihn Polizisten bei einer Verkehrskontrolle an dieser Straßenecke festnahmen. Zwei Stunden später war er tot, sagt Arezki Semache, ein Verwandter.

    “Ali Ziri war fast 70 Jahre alt. Er war nur Beifahrer. Die Festnahme ist tödlich ausgegangen, weil die Polizisten eine Technik angewandt haben, die man Falten nennt.”

    Der Menschenrechtsverein “Aktion der Christen für die Abschaffung von Folter”, kurz ACAT genannt, hat den Fall Ali Ziri genau studiert und auf Grundlage der Prozessakten eine Zeichnung angefertigt. Sie veranschaulicht, wie der Polizist vorgegangen ist: Ali Ziri sitzt im Polizeiwagen, die Hände im Rücken mit Handschellen gefesselt. Der Polizist presst Ziris Kopf auf die Knie, mit der anderen Hand drückt er auf den Rücken, der Beamte hat es selbst so bezeugt. Diese Technik aber quetscht den Brustkorb zusammen, sie kann zum Ersticken führen.
    Quelle: Deutschlandfunk

  13. Brutaler Mietmarkt
    Wie der Staat Immobilienmultis reich macht
    Immobilienfirmen werden staatlich begünstigt. Ziel vom Bund: Steuerliche Anreize sollen die Schaffung von dringend benötigtem Wohnraum befördern. Doch viele Immobilienunternehmen bauen kaum neue Wohnungen, sondern kaufen nur bereits bestehende Wohnblöcke auf.
    Quelle: BR Mediathek Video

    Anmerkung Christian Reimann: Das ist die Folge des Ausstiegs der Kohl-Regierung aus dem sozialen Wohnungsbau und von Privatisierungen kommunalen Wohneigentums.
    Günstiger Wohnraum ist zur Mangelware geworden. Das ist ein gesellschaftliches Problem – betroffen sind Frauen und Männer, alte und junge Menschen. Zu wünschen wären u.a. Gründungen von Wohnungsbaugenossenschaften – gerne auch in den Händen von Gemeinden und Städten.

  14. Opposition wähnt sich als Sieger
    Venezuelas Rechte will nach »Plebiszit« Gegenregierung bilden
    In Venezuela hat nach dem am vergangenen Sonntag durchgeführten »Plebiszit« der rechten Opposition und dem gleichzeitigen Probelauf für die Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung der Streit um die Interpretation der Ergebnisse begonnen. Beide Seiten reklamieren für sich, Millionen Menschen mobilisiert zu haben – obwohl die Ergebnisse juristisch in keinem der beiden Fälle verbindlich sind.
    Das rechte Bündnis MUD (Tisch der Demokratischen Einheit) hatte seinen Anhängern drei Fragen vorgelegt, die allesamt eine Ablehnung der Regierungspolitik und der verfassunggebenden Versammlung beinhalteten. Nach Angaben der Oppositionsführer sollen exakt 7.535.259 Stimmen abgegeben worden sein, was etwa 33 Prozent der Wahlberechtigten Venezuelas entsprechen würde. Obwohl die Mesa de la Unidad Democrática das als großen Erfolg feiert, liegt sie damit deutlich unter ihrer im Vorfeld ausgegebenen Zielmarke von mehr als zehn Millionen Teilnehmern, einige hatten sogar zwölf bis 15 Millionen Unterstützer prognostiziert. Zudem liegt diese Zahl unter dem Ergebnis, das die Opposition bei den Parlamentswahlen 2015 erringen konnte, als sie von 7,7 Millionen Menschen gewählt wurde.
    Quelle: junge Welt

    dazu: Venezuela – Mit Generalstreik und „Parallelregierung” gegen Nicolás Maduro testet Opposition die Reaktion des Militärs
    Quelle: NachDenkSeiten

  15. Schwarzseher und Schönredner: Die Moral der Überzeugten
    Mancher, der sich vor Überfremdung fürchtet, kennt kaum Fremde. Aber umgekehrt sind auch jene realitätsblind, die für Weltoffenheit werben, aber selbst von Problemvierteln abgeschottet wohnen. Schriftsteller Michael Lösch kritisiert auf beiden Seiten eine “Moral der Überzeugten”.
    Wer sich die Teilnehmer von AfD-Kundgebungen ins Gedächtnis ruft, wird sich auch an Typen mit gepflegten grauen Bärten und braunglänzenden Lederschuhen erinnern. Vor einem Reportermikrofon zeigen sie den gemessenen Ton eines Majoratsherren, wirken sortiert und politisch sehr verantwortungsvoll. Viele haben offenbar einen höheren Bildungsabschluss.
    Ganz ähnliche Herren gehören zu meinem Bekanntenkreis. Sie leben in München mit seinem bekannt hohen Ausländeranteil. Auch sie tragen Bärte. Ihre Lederschuhe sind weniger gepflegt, aber teurer als die ihrer östlichen Kollegen. Der Einfachheit halber nenne ich beide Gruppen die der Studienräte.
    Quelle: Deutschlandfunk Kultur


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