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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 22. September 2017 um 8:28 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Zu viele Menschen wohnen sich arm!
  2. Arbeitgeber: “Sachgrundlose Befristungen sind unverzichtbar” – wirklich?
  3. Löhne rauf, Beschäftigung stabil
  4. Arbeitslosengeld II und Sozialgeld: Ausgaben übersteigen gekürztes Soll im Bundeshaushalt 2017 deutlich
  5. Jenseits der Schaumschlägereien: Die Entlohnung in “der” Pflege. Die ist gerade nicht ein Thema für die letzten Wahlkampfmeter
  6. Ganze Schule anstatt Halber Sachen
  7. Stickoxid-Versprechen vom Dieselgipfel: Doch kein Geld für saubere Luft
  8. Zentrales G-20-Dokument: „Wir haben mehr geschwärzt als notwendig war“
  9. Asylfragen vor dem EuGH – ein Balanceakt zwischen Solidarität und Rechtsstaatlichkeit
  10. Panama Papers: Schmutziges Geld und Steuertricks – Wie die Reichen, Mächtigen und Kriminellen uns bestehlen!
  11. Von Loeper lässt nicht locker
  12. Mit Kirche und Kapital
  13. FDP als Türöffner für Wirtschaftsinteressen an Schulen
  14. Nicht Werte bestimmen Merkels Politik, sondern Interessen
  15. Pinocchio vorm Karrieresprung
  16. Edgar Hilsenrath unterstützt Sahra Wagenknecht und DIE LINKE
  17. Das Allerletzte: Zeitung bezeichnet mich als Hans Wurst

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Zu viele Menschen wohnen sich arm!
    Am Sonntag wählen Millionen den neuen Bundestag und damit die neue Bundesregierung. Für die Bundeskanzlerin steht fest: Uns geht es gut. Wachstum stabil, Arbeitslosigkeit auf Rekordtief. Also alles in Butter? Leider nicht. In Deutschland wächst die Ungleichheit trotz Aufschwung. Immer mehr Menschen sind armutsgefährdet. Unsere Infrastruktur ist zum Teil marode. Eine Weiter-So-Politik, für die unsere Bundeskanzlerin wirbt, würde unsere Probleme nicht lösen. Wir brauchen einen Politikwechsel!
    40% der Haushalte in Großstädten haben zu hohe Wohnkosten
    Beispiel Wohnungsnotstand: Vier von zehn Haushalten in 77 deutschen Großstädten haben eine zu hohe Wohnkostenbelastung. Das zeigt eine Studie der Stadtsoziologen Andrej Holm und Henrik Lebuhn. In den untersuchten Städten müssen 40 % der Haushalte mehr als 30 % ihres Einkommens für die Bruttokaltmiete ausgeben. 18,7 % der Haushalte müssen sogar mehr als 40 % ihres Einkommens für das Wohnen ausgeben (siehe Abbildung). Und hier sind die Nebenkosten für Heizung etc. noch nicht einmal inbegriffen.

    Ein unhaltbarer Zustand für die Betroffenen, da das übrige Geld meist nicht für ein gutes Leben reicht. Wer viel Geld hat, kann auch viel für die Miete ausgeben und hat trotzdem in der Regel eine niedrigere Mietkostenbelastung als Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen. Wer reich ist wohnt größer, komfortabler und öfter im Eigenheim. Die Wohnbedingungen sind deshalb ein Spiegel bestehender Ungleichheit und durch die Mietkostenbelastung wächst diese weiter an. Die Studie stellt fest: „Die Ungleichheit der Wohnverhältnisse entspricht in etwa den Einkommensunterschieden. Die sozialpolitische Dimension der Wohnversorgungssysteme, Einkommensunterschiede zu mildern und einen Beitrag zur sozialen Kohäsion zu leisten, haben sich weitgehend aufgelöst.“
    Quelle: DGB klartext
  2. Arbeitgeber: “Sachgrundlose Befristungen sind unverzichtbar” – wirklich?
    In den Wahlprogrammen mehrerer Parteien werden sachgrundlose Befristungen als Problem beschrieben, das man angehen müsse – das sieht die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände anders. Sie hat vor einiger Zeit ein Argumentationspapier vorgelegt, in dem sie sich nachdrücklich dafür ausspricht, Arbeitsverträge sachgrundlos befristen zu können. Die darin vorgetragenen Gründe allerdings überzeugen nicht.
    Dass Arbeitgeber ein Interesse an möglichst flexiblen Arbeitsverhältnissen haben, überrascht nicht. Dass sie mit entsprechenden politischen Forderungen unterwegs sind, auch nicht. Ihr jüngst vorgelegtes Papier „Sachgrundlose Befristungen sind unverzichtbar“ fasst die wichtigsten Argumente zusammen, mit denen die Arbeitgeberseite ihre Position unterstreichen möchte.
    Quelle: annotazioni
  3. Löhne rauf, Beschäftigung stabil
    Sachsen ist in weiten Teilen Niedriglohngebiet. In keinem anderen Bundesland war der Anteil der unmittelbar vom Mindestlohn betroffenen Betriebe und Arbeitnehmer höher. Vor dessen Einführung hatten konservative Ökonomen dem sächsischen Arbeitsmarkt daher besonders verheerende Auswirkungen prophezeit. Inwieweit diese Befürchtungen berechtigt waren, haben Lutz Bellmann, Mario Bossler, Sandra Dummert und Esther Ostmeier vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) untersucht. Die Wirtschaftswissenschaftler geben Entwarnung: Der Mindestlohn hat nach ihren Berechnungen zu großflächigen Lohnerhöhungen geführt. Die Beschäftigung hat darunter nicht gelitten.
    Die Studie beruht auf Daten des IAB-Betriebspanels, einer bundesweiten Befragung, an der auch etwa 1150 sächsische Betriebe teilgenommen haben. Der Auswertung zufolge haben 44 Prozent dieser Betriebe im Jahr 2015 wegen des Mindestlohns Gehälter angehoben, 16 Prozent der Beschäftigten haben davon profitiert. Sachsen war damit erheblich stärker betroffen als die anderen ostdeutschen Bundesländer, wo 36 Prozent der Betriebe die Löhne von 12 Prozent der Arbeitnehmer erhöht haben.
    Nach Einschätzung der Autoren dürfte die sächsische Ausnahmestellung mit der geringen Tarifbindung und der überdurchschnittlichen Verbreitung von Kleinunternehmen und Niedriglohnbranchen zusammenhängen. Tatsächlich geht aus den Daten hervor, dass Mindestlohn-Betriebe seltener tarifgebunden und personenbezogene Dienstleistungen – zu denen auch das Gastgewerbe gehört – überrepräsentiert sind.
    Quelle: Böckler Impuls
  4. Arbeitslosengeld II und Sozialgeld: Ausgaben übersteigen gekürztes Soll im Bundeshaushalt 2017 deutlich
    „Die im Bundeshaushalt 2017 veranschlagten 21,0 Milliarden Euro (nach geplanten 22,2 Milliarden Euro im ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung) werden nicht ausreichen, um die Ausgaben der Jobcenter für das Arbeitslosengeld II (einschließlich Sozialgeld) zu decken.“ (BIAJ-Kurzmitteilung „Arbeitslosengeld II und Sozialgeld: Im Bundeshaushalt 2017 sind zu wenig Ausgabemittel veranschlagt“ vom 26. Mai 2017: hier) Die Aktualisierung bis zum Abrechnungsmonat August 2017 zeigt: In den vergangenen 12 Monaten, von September 2016 bis August 2017, wurden vom Bund insgesamt 21,228 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II (einschließlich Sozialgeld) ausgegeben. In den ersten acht Monaten 2017 stieg die (gleitende) Jahressumme der Ausgaben monatlich um durchschnittlich etwa 110 Millionen Euro. Siehe dazu die BIAJ-Abbildung vom 21. September 2017 unten.
    Quelle: BIAJ

    Anmerkung Christian Reimann: Wird nun der Druck auf die ALG-II beziehenden Personen erhöht, jede “zumutbare” Stelle anzunehmen?

  5. Jenseits der Schaumschlägereien: Die Entlohnung in “der” Pflege. Die ist gerade nicht ein Thema für die letzten Wahlkampfmeter
    Es gibt ja viele, die den bisherigen Wahlkampf dahingehend kritisiert haben, dass gesellschaftspolitisch wichtige Themen kaum oder nur in Spurenelementen behandelt worden sind. Beispielsweise die Pflege. So auch meine Kritik an der thematischen Verirrung beim sogenannten “TV-Duell” zwischen Merkel und Schulz, die ich unter die Überschrift Realitätsverweigerung gestellt habe. Darin findet sich mit Blick auf die Pflege dieser Passus: »Und wir müssen uns nicht nur um die größer werdende Zahl an Senioren kümmern, auch die Pflegebedürftigen werden mehr. Und hier wird besonders erkennbar, dass unser System auf Selbst-und Fremdausbeutung basiert und ohne diese zusammenbrechen würde. Wir haben mittlerweile über 3 Million Pflegebedürftige. Mehr als 70 Prozent werden zu Hause betreut, nicht in Heimen, viele ausschließlich von Angehörigen, häufig Frauen, die dann selbst einen hohen Preis zahlen müssen. Und in vielen dieser Haushalte arbeiten geschätzt 200.000 Osteuropäerinnen, vom Wohlstandsgefälle in unser Land gezogen, niemals zu legalen Bedingungen. Und die derzeit schon 800.000 in Pflegeheimen untergebrachten Menschen sind mit oftmals menschenunwürdigen Bedingungen konfrontiert. Derzeit wird überall eklatanter Personalmangel in den Heimen beklagt. Nicht nur in Bremen gibt es Belegungssperren, weil dort weniger als 50 Prozent des Personals Fachkräfte sind.«
    An sich ist das Thema Pflege in den Wahlprogrammen der Parteien eher stiefmütterlich behandelt worden, vgl. dazu beispielsweise Pflege: Das wollen die Parteien oder So wollen die Parteien die Pflege reformieren. Eine ausführliche Auseinandersetzung findet man in dem Beitrag Was sagen die Wahlprogramme zu ‚Pflege‘? auf der Website des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK).
    Aber auf den letzten Metern des Wahlkampfs hat sie es doch in den Strudel der temporären Aufmerksamkeit geschafft, die Pflege. Und die Medien haben daran einen nicht zu unterschätzenden Anteil.
    Quelle: Aktuelle Sozialpolitik

    dazu: Überlastet, ausgebrannt – und weg
    Schreiende Patienten, überfordertes Personal: Der Pflegenotstand ist auf den letzten Metern zum Wahlkampfthema geworden. Wie schwierig ist die Situation und woher sollen die vielen neuen Fachkräfte kommen? […]
    70.000 Fachkräfte fehlen laut der Gewerkschaft ver.di bereits jetzt bundesweit in der Krankenpflege. 40.000 zusätzliche Fachkräfte bräuchte es in der Altenpflege. Und dieses Problem wird sich in Zukunft noch deutlich verschärfen. 300.000 Pflegekräfte werden laut Prognosen des Deutschen Pflegerats bis 2030 fehlen, davon allein 200.000 in der Altenpflege. Und niemand weiß, woher die Tausenden neuen Kranken- und Altenpfleger kommen sollen.
    Quelle: Tagesschau

  6. Ganze Schule anstatt Halber Sachen
    Ganztagsschulen stehen für Ganzheitlichkeit: Jedes Kind soll einen abwechslungsreichen Schulalltag mit Lernen, Erlebnissen und Erholung über den Tag verteilt erleben. Die optimale Förderung und Entwicklung in einem angenehmen Lernumfeld stehen im Fokus. Die Schultasche bleibt in der Schule, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird gewährleistet. Dafür braucht es ein qualitätsvolles Angebot auf Basis eines pädagogischen Konzeptes mit motivierten multiprofessionellen PädagogInnenteams.
    Was bedeutet Qualität in Ganztagsschulen?

    • Bessere Vereinbarkeit für berufstätige Eltern
    • Engagierte multiprofessionelle PädagogInnenteams
    • Gut ausgestattete Arbeitsplätze für das PädagogInnenteam
    • Schlüsselfaktor Autonomieerleben
    • Stärkung von Beziehungen zwischen Kind, LehrerIn und Eltern

    Den Tag gemeinsam erleben
    So eine Ganztagsschule gibt es zum Beispiel in Wien. Hier ist der Tagesablauf projektorientiert und mit reformpädagogischen Elementen gestaltet. Unterricht und Freizeit verschränken sich quasi von selbst.
    Als Voraussetzung für das Gelingen dieser Arbeit sieht die Direktorin stabile Teams, in denen nicht nur alle LehrerInnen, sondern auch FreizeitpädagogInnen an der Konzeption und Durchführung der Arbeit in und mit der Klasse gleichberechtigt beteiligt sind. Zusätzlich gibt es modulares und klassenübergreifendes Arbeiten. Dieses findet in einer Kurs- bzw. Förderschiene an zwei Tagen in der Woche statt. Hier kann es sich in Kreativkurse, Sprachkurse oder spezielle Förderkurse einwählen.
    Quelle: blog.arbeit-wirtschaft.at

    Anmerkung Christian Reimann: Auch in Deutschland dürften solche Ganztagsschulen sinnvoll sein. Das Gesamtschul-Modell ist ähnlich angelegt. Damit könnte dann endlich auch die Dreigliedrigkeit im deutschen Schulsystem überwunden werden. Aber leider versucht selbst die SPD seit vielen Jahren nicht mehr, dieses Modell in den von ihr regierten Bundesländern umzusetzen.

  7. Stickoxid-Versprechen vom Dieselgipfel: Doch kein Geld für saubere Luft
    750 Millionen Euro hatte die Kanzlerin den Kommunen versprochen, um die Luft sauber zu machen. Im Haushalt finden sich nur 9 Millionen wieder. […]
    In der Antwort auf eine Anfrage der Grünen, die der taz vorliegt, hat das Finanzministerium nun erklärt, um welche Gelder es sich handelt. Genutzt werden soll ein Haushaltstitel, aus dem eigentlich eine Strategie für automatisiertes Fahren finanziert werden sollte, schreibt CDU-Staatssekretär Norbert Barthle. Dieser Haushaltsposten enthält für das Jahr 2017 jedoch nur noch Restmittel von 9,4 Millionen Euro – ganze 1,3 Prozent der von Merkel versprochenen Summe. Über weitere Gelder muss der neue Bundestag im Rahmen des Haushaltsplans für 2018 entscheiden; zur Verfügung stünden sie frühestens Mitte nächsten Jahres.
    Das Versprechen der Kanzlerin sei daher “ein Täuschungsmanöver” gewesen, “um Regierungshandeln zu simulieren und sich über die Bundestagswahl zu retten”, kritisierte der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Sven Kindler. “Die Bundesregierung lässt die Menschen in den Städten mit dreckiger Luft allein.” Unsicher sind auch noch die von der Autoindustrie zugesagten Gelder. Die Konzerne haben sich intern noch nicht über die Aufteilung geeinigt, eine verbindliche Verpflichtungserklärung gegenüber dem Bund gibt es nicht.
    Quelle: taz
  8. Zentrales G-20-Dokument: „Wir haben mehr geschwärzt als notwendig war“
    Zählte während des G-20-Gipfels der Schutz der Staatsgäste wie Donald Trump mehr als der der Bürger? DIE WELT veröffentlicht den umstrittenen Rahmenbefehl, den die Polizei immer noch nicht komplett frei gegeben hat. […]
    Strafrechtler hält Rahmenbefehl für verfassungswidrig
    Dass der Senat den Rahmenbefehl, jenes zentrale G-20-Dokument, noch immer nicht vollständig freigeben will, dürfte für weitere Diskussionen sorgen. Im Kern geht es um die Frage, inwieweit der Senat Abwägungen für die Sicherheit der Gäste einerseits und den Schutz der Bewohner anderseits vornehmen darf. Auf Seite 13 heißt es in einer Aufzählung der „taktischen Ziele“: „Der Schutz und die Sicherheit der Gäste haben höchste Priorität.“ Eine solche Abwägung ist hoch umstritten.
    Der Hamburger Strafrechtler Gerhard Strate hält sie für verfassungswidrig: „Die Bürger haben neben den Gästen ein gleichrangiges Anrecht darauf, geschützt zu werden“, sagte Strate im Juli der WELT. Das habe ihnen der Bürgermeister mit seiner „Sicherheitsgarantie“ vorher versprochen und damit auch politisch den Auftrag des Grundgesetzes bestätigt. „Im Befehl jedoch wurde die Priorität dann ganz anders ausgelegt. Die Folgen sind bekannt“, sagt Strate: „Noch nie waren so viele Polizisten in einer Stadt, um so wenig zum Schutz ihrer Bürger zu tun.“
    Die WELT veröffentlicht den vollständigen Bericht auf ihrer Internetseite – ungeschwärzt. Jeder kann sich nun sein eigenes Bild machen.
    Quelle: Welt Online

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Man sollte die WELT für so eine Arbeit auch mal loben – und Merkel die Beschlußfassung zum G-20-Gipfel und den, wie es hier heißt *verfassungswidrigen*, Rahmenbefehl um die Ohren hauen. Leider kann sich Merkel in unserer Republik praktisch sanktionsfrei alles erlauben, was gegen das Grundgesetz und gegen die Interessen der Bürger gerichtet ist.

  9. Asylfragen vor dem EuGH – ein Balanceakt zwischen Solidarität und Rechtsstaatlichkeit
    Mit Urteil vom 6. September 2017 hat der EuGH die Klagen Ungarns und der Slowakei gegen die vorläufige obligatorische Regelung zur Umsiedlung von Asylbewerbern abgewiesen (Rs. C-643/15 und C-647/15). Kernaussage ist: In einer asylrechtlichen Notlage gemäß Art. 78 Abs. 3 AEUV tragen die Mitgliedstaaten die „Lasten“ – unglücklich allerdings die Wortwahl (!) – solidarisch. Die Reaktionen sind ambivalent: Einige begrüßen die Umsiedlungs-Entscheidung als Zeichen der Solidarität. Andere Stimmen – auch auf diesem Blog – werfen dem EuGH Rechtsbruch vor, weil er Solidarität über die Köpfe der unsolidarischen Umsiedlungs-Verweigerer hinweg „verordnet“ habe. Was ist von dieser Kritik zu halten, und wie lässt sich Solidarität dauerhaft sichern? (…)
    Vorschläge für eine neue Dublin IV-Verordnung verfolgen das Peitschen-Prinzip und perpetuieren die bisherigen Missstände. So ist zwar die Einführung eines „Korrekturmechanismus einer fairen Lastenverteilung“ für „Situationen unverhältnismäßigen Drucks auf einzelne Mitgliedstaaten“ vorgesehen. Auch ist die Teilnahme an diesem Umverteilungsmechanismus für alle Mitgliedstaaten freiwillig. Der Haken ist aber, dass die Umsiedlungs-Verweigerer für jeden abgelehnten Asylsuchenden Strafzahlungen in Höhe von 250.000 Euro leisten müssen (Art. 37 Abs. 3 des Kommissionentwurfs). Ob sich so ein „Geist der Solidarität“ einstellt, ist mehr als zweifelhaft. Auf Dauer lässt sich ein solidarisches Asylsystem eher durch finanzielle Anreize für jene, die sich dem Umverteilungsmechanismus freiwillig anschließen, schaffen. Also: Lieber „Zuckerbrot statt Peitsche“!
    Der „Geist der Solidarität“ will es, dass seine Befolgung nicht erzwingbar ist. In der Asylpolitik sind die Grenzen der Solidarität deutlich geworden. Wer Heilserwartungen an den EuGH richtet, riskiert Einbußen bei der Rechtsstaatlichkeit. Richtigerweise begreift man die Asyl-Rechtsprechung des EuGH als Handlungsauftrag an die Legislative. Gesetzgeberische Bemühungen sollten darauf abzielen, das Gegenseitigkeitsverhältnis zu wahren. Andernfalls leidet nicht nur die Solidarität unter den Mitgliedstaaten, sondern auch die Solidarität gegenüber den Flüchtlingen.
    Quelle: Verfassungsblog
  10. Panama Papers: Schmutziges Geld und Steuertricks – Wie die Reichen, Mächtigen und Kriminellen uns bestehlen!
    Die GUE/NGL-Fraktion im EP hat eine neue Broschüre zu Geldwäsche und Steuerdumping veröffentlicht! Auf 32 Seiten erklären wir, wie Konzerne und Mächtige jedes Jahr die Gesellschaft um hunderte Milliarden an Steuern bringt und wie Kriminelle mit Hilfe von Schattenfinanzplätzen ihr schmutziges Geld weiß waschen.
    Die Broschüre kann hier herunterladen werden:
    Quelle: Fabio De Masi [PDF]
  11. Von Loeper lässt nicht locker
    Nicht zum ersten Mal haben Eisenhart von Loeper und Dieter Reicherter Strafanzeige gegen Bahn-Vorstände und -Aufsichtsräte erstattet. Diesmal hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufgenommen. Das Netz um das Stuttgart-21-Kartell wird enger.
    “Ich glaube, Sie gehören auch zu den klugen Leuten, die wissen, dass, was geschrieben wird … – erstens kenn’ ich das nicht …” – so antwortete der damalige Bahnchef Rüdiger Grube im Februar 2010, am Tag der Prellbockanhebung, also des symbolischen Baubeginns des Projekts Stuttgart 21, als er von einem Reporter des ZDF-Magazins “Frontal 21” auf ein Gutachten des Bundesrechnungshofs angesprochen wurde. Das Gutachten prognostizierte bereits 2008 Gesamtkosten von 5,3 Milliarden Euro. Die ungläubige Nachfrage des Reporters, “Sie kennen den Bericht des Bundesrechnungshofs nicht?”, unterbrach er mit einem wiederholten “Lassen Sie mich mal ausreden?” Nach weiteren Anfragen, unter anderem beim damaligen Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, kam das Magazin zu dem Ergebnis: “Niemand nimmt den Bericht des Bundesrechnungshofs zur Kenntnis, auch der Verkehrsminister nicht” – damals Peter Ramsauer.
    Quelle: Kontext: Wochenzeitung
  12. Mit Kirche und Kapital
    Vor hundert Jahren wurde Konrad Adenauer, der spätere erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, zum Kölner Oberbürgermeister gewählt
    Am 18. September 1917 wählten die beiden bürgerlichen Parteien im Kölner Stadtrat, das katholische Zentrum und die Unternehmerpartei der Liberalen, Konrad Adenauer zum Oberbürgermeister. Aber erst nach der Ermächtigung durch Seine Majestät, Wilhelm II., durfte der Gewählte einen Monat später sein Amt antreten. In seiner Antrittsrede geißelte der für seine Durchhalteparolen bekannte Politiker die »feindliche Eroberungsgier«, die auch »dem Rhein und seiner Metropole« gelte, und lobte den »Heldenmut des für immer geeinten Volkes«. Er schloss kaisertreu: »Wie könnten wir diese für Köln so bedeutungsvolle Stunde würdiger schließen als mit dem von heißer Dankbarkeit durchglühten Schwur der Treue zu Kaiser und Reich, dem Rufe: Seine Majestät, unser allergnädigster Kaiser und König, er lebe hoch, hoch, hoch!«
    Der Jurist Adenauer trat 1906 in die katholische Zentrumspartei ein und wurde ohne fachliche Qualifikation zum Beigeordneten der Stadt Köln für Steuern und Märkte gewählt, 1909 zum Ersten Beigeordneten und damit zum Stellvertreter des Oberbürgermeisters. In dieser Funktion baute er bald die Stadtverwaltung auf Kriegsbedürfnisse um. Köln hatte für die kriegswirtschaftliche Steue­rung eine herausragende Bedeutung, sowohl auf militärischem wie zivilem Gebiet. Die Stadt am Rhein war Festungs- und Garnisons­stadt und wichtiger Standort der neuen Flugindustrie. Von Köln aus starteten Luftschiffe zu ersten Bombenangriffen auf städtische Zivilbewohner in Europa, zuerst gegen das belgische Lüttich (Liège), dann auf Antwerpen und London.
    Quelle: Werner Rügemer auf junge Welt

    Anmerkung Albrecht Müller: In diesem Text beschreibt Werner Rügemer, was für ein Opportunist Typ Konrad Adenauer war. Und vieles mehr. Lesenswert.

  13. FDP als Türöffner für Wirtschaftsinteressen an Schulen
    LobbyControl beobachtet die im Koalitionsvertrag in NRW geäußerten Vorstellungen der Landesregierung im Themenbereich Schule mit Sorge. Wir haben uns deshalb heute in einer Stellungnahme an die NRW-Schulministerin gewandt, um unsere Bedenken mitzuteilen.
    Stiftungen und andere außerschulische Akteure zur Schulfinanzierung heranziehen, Laien als Lehrer einsetzen sowie das Fach Wirtschaft einführen: Was im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Regierung als Schulfreiheit verkündet wird, könnte zu einer schwerwiegenden Umwälzung an NRWs Schulen führen. Unter dem Druck von LehrerInnenmangel und finanzieller Unterversorgung der Schulen fördert die NRW-Landesregierung gezielt einen verstärkten Einfluss von Unternehmen und privaten Stiftungen in den Schulen in Nordrhein-Westfalen oder nimmt ihn zumindest in Kauf.
    Quelle: LobbyControl
  14. Nicht Werte bestimmen Merkels Politik, sondern Interessen
    Wegen ihrer Unfähigkeit zur Politik-Analyse haben viele große Medien am wahrscheinlichen Wahlerfolg von Angela Merkel und dem Aufstieg der AfD einen großen Anteil
    “Die Bundeskanzlerin hat also nicht aus Gefühlen, Launen oder Kalkülen heraus gehandelt, sondern im Einklang mit den heiligen Werten des Westens.” So könnte ein Abschnitt eines Schulaufsatzes über die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel in den Jahren 2015 bis 2017 enden.
    Im folgenden Abschnitt könnte dann ausgeführt werden, dass Merkel feststellen musste, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung die Aufnahme einer unüblich hohen Zahl von Flüchtlingen stark ablehnte. Auf die humanitäre Phase sei dann die rigide gefolgt, um das Wahlvolk nicht zu verprellen. So sei also beiden Seiten Genüge getan worden: Immerhin über eine Million Flüchtlinge wurden aufgenommen, die Deutschen aber bekamen gezeigt, dass sie trotz Weltoffenheit und Humanität der Regierung immer noch am längeren Hebel als irgendwelche Ausländer sitzen. Der Aufsatz könnte dann im Fazit den Begriff “Werteorientierung der merkelschen Realpolitik” unterbringen.
    Quelle: Telepolis
  15. Pinocchio vorm Karrieresprung
    Neben A1 Mobil verklagt noch ein zweiter Autobahnbetreiber den Bund wegen Profitausfällen. Minister Dobrindt wollte auch das vertuschen
    Lügen haben bekanntlich kurze Beine, was bedeuten soll, man kommt damit nicht weit. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat das größte Stück schon hinter sich. Bis zum Ziel sind es noch zwei Tage, dann ist Bundestagswahl und seine politische Karriere mit ziemlicher Sicherheit am Ende. Gerade im letzten Jahr seiner Amtszeit hat sein Lügenregister noch mal stattlich zugelegt. Nicht nur mimte er in Sachen Dieselskandel immer wacker den ­Ahnungslosen, auch beim Thema Autobahnprivatisierung stellt er sich seit Wochen derart dumm, dass Pinocchio seinen Spaß daran hätte. […]
    Für den Minister Dobrindt geht es einstweilen nur noch darum, dass die Union und seine Bundeskanzlerin den Wahlsonntag möglichst unfallfrei überstehen. Und die paar Macken am eigenen Lack werden seiner künftigen Karriere gewiss nicht abträglich sein. Wer die Interessen der Wirtschaft so »glaubwürdig« vertritt wie er, muss sich um die Zukunft keine Sorgen machen.
    Quelle: junge Welt
  16. Edgar Hilsenrath unterstützt Sahra Wagenknecht und DIE LINKE

    Quelle: Edgar Hilsenrath
  17. Das Allerletzte: Zeitung bezeichnet mich als Hans Wurst
    Der Bergsträßer Anzeiger hat mich in einem Artikel in der Ausgabe am Montag in einer Bildunterschrift als „Hans Wurst“ bezeichnet. Versehentlich, wie mir der zuständige Redakteur am Telefon versicherte… Das war dem Blatt eine knapp gehaltene Entschuldigung in der nachfolgenden Ausgabe wert. Den von mir beantworteten Frageboden nebst meinem Bild und richtigem Namen gibt es nach wie vor nur in der Online-Ausgabe und wurde nicht noch einmal abgedruckt. Pech, für die Leute, die die „bedauerliche“ Entschuldigung vielleicht übersehen.
    Quelle: Sascha Bahl

    Anmerkung Jens Berger: Sascha Bahl ist Direktkandidat der Linkspartei im Kreis Bergstrasse. Hätte ein Redakteur einen Unions- oder SPD-Direktkandidaten derart verunglimpft, hätte er sich sicherlich bereits einen neuen Job suchen können.


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