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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 26. September 2017 um 8:35 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (AT/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Viel Sympahtie für Jamaika
  2. “Hart aber fair” zum Wahlergebnis – Schlimmer Kater auf Jamaika
  3. Das falsche Gewicht und kein Konzept für die Zukunft
  4. Deutschland, bitte aufwachen!
  5. SPD
  6. AfD
  7. Poliklinik im Hamburger Armenstadtteil: „Die Umstände machen krank“
  8. Im Zeitalter der ökologischen Krise
  9. Unsere Apokalypseblindheit
  10. Alternativer Fahrdienst in London – Uber-Taxis verlieren ihre Lizenz
  11. Geschichtsakrobatik
  12. Jemen: US-Bombe tötete und verstümmelte Kinder in Wohnviertel
  13. Wir sind gescheitert
  14. Öffentlich-Private-Partnerschaften auf ganzer Linie gescheitert
  15. Zu guter Letzt: SPD-Führung übernimmt Verantwortung für Wahl-Desaster und tritt geschlossen zurück

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Viel Sympahtie für Jamaika

    Anmerkung Albrecht Müller: Wieder ein Musterbeispiel dafür, wie mit Umfragen Meinung gemacht wird.
    Einen ganzen Wahlabend lang bis tief in die Nacht wird im Fernsehen auf allen Kanälen diskutiert, dass nach der Entscheidung der SPD-Führung, nicht mehr in eine Große Koalition zu gehen, nur noch Schwarz-Gelb-Grün, also das sogenannte Jamaika-Modell für die Regierungsbildung in Berlin infrage kommt. Dann befragt InfratestDimap in Auftrag der ARD und auf Kosten der Gebührenzahler eine Auswahl von Bürgerinnen und Bürger. Stolz kann am nächsten Tag der dafür zuständige Stratege der Meinungsmache durch Meinungsumfragen, Jörg Schönenborn verkünden: „Viel Sympathie für Jamaika“. Die Zahl der Befürworter dieser Koalition sei von 31 % auf 57 % gestiegen, von einem Tag auf den anderen. Und dann behauptet er noch, eine Wahl verändere die Sicht auf die politischen Verhältnisse. Das war nicht die Wahl, das war die einen-Abend-lange Bearbeitung der Wählerinnen und Wähler durch Medien und auftretende Politikerinnen und Politiker. Außerdem spielte die Einsicht der Bürgerinnen und Bürger eine Rolle, dass offensichtlich keine andere Möglichkeit zur Regierungsbildung bestehe. Aber auch diese Einsicht war im Kern manipuliert. Die meisten Medien haben eine zweite zumindest theoretisch bestehende Möglichkeit der Koalitionsbildung, nämlich eine Koalition aus SPD, FDP, Linken und Grünen, die zusammen auf 49,5 kämen, einfach unter den Tisch fallen lassen.

  2. “Hart aber fair” zum Wahlergebnis – Schlimmer Kater auf Jamaika
    “Wie regieren nach dem Debakel der Volksparteien?” Auf seine Frage bekam Frank Plasberg zwar keine Antwort. Aber immerhin lieferten seine Gäste zwei Analysen, über die sich das Nachdenken lohnt. […]
    Weil man an der Front nicht weiter kam, und der Erfolg der AfD allen sichtlich in den Knochen steckte, flüchtete sich der Talk irgendwann in Medienkritik. Vor allem Familienministerin Katarina Barley (SPD) beklagte die Schlagseite bei den Aufregerthemen, die bloß der AfD genutzt hätten. 54 Prozent der Talkshows im Jahre 2016 hätten von Flüchtlingen, Terror und Islam gehandelt, rechnete Barley vor. “Da können die Leute ja gar nicht anders, als das Gefühl zu haben, dass die Themen, die sie wirklich betreffen, nicht behandelt werden.”
    Interessante Dialektik! Hätten Deutschlands Medien anders ausgewählt, wären die Menschen in Dresden womöglich für höhere Renten, bessere Pflege im Alter und für eine Verantwortungsübernahme der Autoindustrie beim Diesel-Skandal auf die Straße gegangen anstatt von “Umvolkung” zur raunen? Gastgeber Frank Plasberg und Ex-ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender widersprachen vehement: Die Themen rund um die Flüchtlingskrise seien nun mal die gewesen, die das Publikum am meisten interessiert hätten.
    Quelle: SPIEGEL Online

    Anmerkung Jens Berger: Zum Ende der Sendung hat sich eine sehr interessante Konstellation ergeben. Barley (SPD), Bär (CSU), Lambsdorff (FDP) und auch Habeck (Grüne) kritisierten die Medien und zum Teil sogar Plasbeck selbst hart, die AfD durch eine zu häufige und journalistisch fragwürdige Thematisierung der AfD-Themen unterstützt zu haben. Diese Kritik war zu Beginn des Jahres noch ein einsamer Schrei in der Wüste, der von den NachDenkSeiten ausgesandt wurde. Schön, dass nun eine übergroße Koalition wenigstens eine medienkritische Aussage der NachDenkSeiten teilt. Absurd wurde es dann, als Plasberg und Nikolaus Brender sich mit dem Verweis auf die guten Quoten bei AfD-Themen herausredeten. Und offenbar gehört auch SPIEGEL Online zu den Krähen, die anderen Krähen lieber kein Auge heraus hacken.

  3. Das falsche Gewicht und kein Konzept für die Zukunft
    Angela Merkel hätte schon gestern zurücktreten müssen, weil alles, was jetzt kommt, mit den berühmten „Mühen der Ebene“ nicht mehr angemessen beschrieben ist.
    Was in vier Jahre alles passieren kann. Nach der letzten Wahl gab es noch eine Mehrheit links von der Mitte und eine mutige sozialdemokratische Parteiführung hätte das Heft des Handelns an sich reißen und mit den Grünen und der Linken eine Regierung bilden können, die den Stillstand überwindet und vor allem in Europa neue Impulse setzt. Man hätte auch Angela Merkel in eine Minderheitsregierung zwingen (hier vor vier Jahren diskutiert) und aus der Opposition heraus die Politik verändern können. Hasenfüßig wie man war, wählte man aber lieber den Weg des geringsten Widerstandes, ging in eine große Koalition und ließ unendlich vieles geschehen, was fundamental sozialdemokratischen Werten und Zielen widersprach.
    Und heute stehen die Sozialdemokraten vor einem Scherbenhaufen und das, obwohl die CDU/CSU, ihr Hauptgegner, das schwächste Ergebnis der jüngeren Geschichte erzielt hat. Man fragt sich nur, wie viel Freibier gestern im Willi-Brandt-Haus schon vor 18 Uhr geflossen sein muss, um die anwesenden Genossen bei der Rede des Vorsitzenden zum Jubeln zu bewegen. Die SPD hat nun alle vernünftigen politischen Optionen verloren und das wenigstens hat die Parteiführung erkannt. Ansonsten aber werden sie so weitermachen wie bisher, denn auf Opposition zu setzen, ohne über wirklich alternative politische Konzepte zu verfügen, wird die Profilierung bei dem Gemischtwarenladen einer Jamaika-Koalition noch viel schwieriger machen als bisher.
    Quelle: Makroskop
  4. Deutschland, bitte aufwachen!
    Das Ergebnis der Bundestagswahl garantiert eine geballte Kraft an wirtschaftspolitischem Unvermögen im deutschen Bundestag. Es droht Europa daher eine verstärkte Dosis an Marktfundamentalismus, was die leichte Erholung der letzten Monate abwürgen könnte.
    Während des Schönwetterwahlkampfs der letzten Wochen schien alles so, als ob große Überraschungen ausbleiben sollten. Die Medien und weite Teile der Wirtschaft priesen Angela Merkel für ein Deutschland, in dem wir „gut und gerne leben“ und wurden nicht müde, von der boomenden Wirtschaft und den niedrigen Arbeitslosenzahlen zu schwärmen. Fast, so schien es, hätte Merkel die Kunst der Herrschaft im Sinne Gramscis zur Perfektion getrieben: eine perfekte Balance aus passivem und aktivem Konsens, aus Zustimmung und Zwang (nicht zuletzt wegen der Darstellung der angeblichen Alternativlosigkeit der Merkelschen Politik).
    Bei der Bundestagswahl gestern wurde deutlich, dass die schöne Scheinwelt der großen Koalition eben nichts mit der Realität zu tun hat. Die Wahl in Deutschland kann nach dem Brexit und den vorangegangenen Wahlen in den USA, den Niederlanden und Frankreich nur als ein weiterer Warnschuss gedeutet werden. Die ersten Reaktionen aus dem Konrad-Adenauer-Haus allerdings lassen darauf schließen, dass er nicht gehört wurde. Auch das schlechteste Ergebnis seit 1949 wird mit viel Fantasie noch als „Erfolg“ interpretiert, selbst wenn man anmerkt, dass sich die Union „mehr Stimmen gewünscht hätte“. Man kann nur hoffen, dass Frau Merkel nicht ernst meinte, was sie da von sich gab, denn ansonsten müsste man bei ihr wohl einen vollständigen Realitätsverlust diagnostizieren.
    Quelle: Makroskop
  5. SPD
    1. Die SPD erhält die wohlverdiente Quittung und marschiert unbeirrt dem Untergang entgegen
      Wenn die SPD bei der Bundestagswahl mehr als 20 Prozent erreicht, dann schweige ich zwei Wochen als Blogger, hatte ich vor zweieinhalb Jahren geschrieben. Die Strafe für die Missachtung der Arbeitnehmerinteressen fiel einen Tick weniger drastisch aus als ich damals voraussagte. Trotz der Klatsche sieht alles danach aus, als wollte die SPD-Führung unbeirrt auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit weiterschreiten, den ihre Schwesterparteien in Frankreich und Griechenland bereits gegangen sind.
      Wir erinnern uns an das, was die SPD in den letzten vier Jahren für die normalen Arbeitnehmer erreicht und mitverantwortet hat.

      • Keine Abkehr von den Hartz-Arbeitsmarkreformen zur Entrechtung von Arbeitnehmern und Gewerkschaften,
      • ein absehbar grundgesetzwidriges Facebook-Zensurgesetz,
      • eine absichtsvoll wirkungslos gestaltete Mietpreisbremse,
      • Ceta,
      • Vorratsdatenspeicherung,
      • Grundgesetzänderung zur Ermöglichung der Privatisierung der Autobahnen und des Schulbaus,
      • Finanzierung der Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge allein durch die gesetzlich versicherten Arbeitnehmer
      • und auf der Habenseite als größten Posten den Mindestlohn, den sie aber durch dauerhaftes Festschreiben auf niedrigem Niveau deutlich entwertet hat.

      20,5 Prozent der abgegebenen Stimmen sind ein recht reichlicher Lohn für diese Arbeit. Bisher sind keine personellen und programmatischen Erneuerungstendenzen zu erkennen. Wenn es dabei bleibt, wird es schwierig für die altehrwürdige Partei, die 20-Prozent-Marke zu halten, die sie vom Übergang ins Reich der Kleinparteien trennt.
      Quelle: Norbert Häring

    2. SPD erneuern!
      Die Bundestagswahl ist ein Desaster. Hier gibt es nichts mehr schönzureden. Es ist deshalb gut, dass die Parteispitze eine große Koalition ausgeschlossen hat, denn dort haben wir stark an Vertrauen und Profil eingebüßt.
      Das kurze Aufflackern mit einem neuen Vorsitzenden, kurzfristig guten Umfragen und Parteieintritten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich sehr viele Menschen von der SPD abgewandt haben. Ein „Weiter so“ wie nach den letzten beiden Bundestagswahlen darf es auch in der Opposition nicht geben. Vor allem der Markenkern der SPD, „die soziale Gerechtigkeit“, ist dabei häufig unter die Räder gekommen.
      Zudem wurde die SPD von oben nach unten regiert und aus einer lebendigen streitbaren Partei ist zu sehr ein Wahlverein geworden. Glaubwürdig wird ein Neuanfang nur, wenn man Verantwortung für die herbe Niederlage übernimmt. Dabei geht es nicht um den „Sündenbock“. Aber es geht sehr wohl um personelle Verantwortung, vor allem derjenigen, die schon länger unseren Kurs an den Schalthebeln der Partei, der Regierung und der Fraktion maßgeblich mitbestimmt haben.
      Die SPD muss wieder demokratischer, lebendiger und moderner werden. Wir müssen raus aus den Hinterzimmern. Es darf nicht sein, dass Fraktions- und Parteispitze wieder vorgegeben werden. In der SPD-Bundestagsfraktion und innerhalb der Partei muss umfassend über eine Neuausrichtung diskutiert werden. Das bedeutet auch, dass die Basis wieder mehr und deutlicher eingebunden werden muss. Und wir brauchen mehr Debatten und politische Auseinandersetzungen. Die SPD war immer dann am stärksten, als sie heftig um die Themen gerungen hat.
      Quelle: Marco Bülow
    3. Schäfer-Gümbel (SPD): “Die Sozialdemokratie braucht eine Zukunftsdebatte”
      SPD-Bundesvize Thorsten Schäfer-Gümbel hat im Dlf verteidigt, dass die SPD nach der Wahlschlappe nun in die Opposition will. Er sehe sogar eine “staatspolitische Verantwortung”, die Führung dort nicht der AfD zu überlassen. Die SPD brauche zudem eine programmatische Erneuerung. […]
      Müller: Was haben Sie denn falsch gemacht? Was stimmt nicht im Programm?
      Schäfer-Gümbel: Wenn wir das so einfach wüssten und wenn es ein Schnellschuss wäre, dann hätten wir das gestern Abend schon gesagt. Aber das können wir eben nicht, weil wir davon überzeugt sind, dass wir eigentlich ein gutes Programm hatten, aber es ist uns damit nicht gelungen. Jetzt werden wir uns sehr genau angucken: Sind es die falschen Antworten gewesen? Sind sie nicht kontrolliert genug gewesen, nicht klar genug gewesen? Ist es stärker ein kommunikatives und organisatorisches Problem? Meine Vermutung ist, dass es am Ende ein ziemlich komplizierter Mix aus allem ist, und deswegen ist die Antwort in der Tat nicht einfach.
      Quelle: Deutschlandfunk

      Anmerkung André Tautenhahn: Alle vier Jahre werden die üblichen Floskeln bemüht und als Ursachenanalyse angeboten. Unter anderem das kommunikative Problem mit dem Wähler, der leider nicht verstanden hat, was die SPD eigentlich Gutes für ihn tun will. Im Übrigen ist es auch kein komplizierter Mix aus allem, den Schäfer-Gümbel erfindet, um keine Erklärung abgeben zu müssen. Die Antwort ist einfach und Schäfer-Gümbel auch bekannt. Er gab sie selbst bereits im März, als Martin Schulz eine Revision der Agenda 2010 vorsichtig andeutete, damit in den Umfragen punkten konnte, aber auch eine Welle der Empörung im Kosmos der marktkonformen Demokratie auslöste. Die eigenen Leute wie Schäfer-Gümbel pfiffen ihn daraufhin zurück, die Umfragen fielen wieder und die Landtagswahlen gingen eine nach der anderen verloren. Es wird ja wirklich kein Schnellschuss von den Sozialdemokraten erwartet, aber dass sie nach 2009, 2013 und 2017 im Stande sind, den ohrenbetäubenden Knall zu vernehmen, richtig einzuordnen und die Konsequenzen zu ziehen, die über ein Weiter so hinausgehen, darf wohl zurecht verlangt werden.

  6. AfD
    1. Germany’s election gives the country a reality check
      Perhaps it’s a useful dose of realism: As it turns out, Germany is not so exceptional after all. It’s true that German voters have just given the ruling Christian Democratic Union yet another majority. It’s true that Angela Merkel will remain chancellor for a remarkable fourth term, according to exit polls. But Germany did not escape the Western populist wave altogether.
      The full election result is hard to express simply, but here goes: Merkel’s center-right Christian Democrats did worse than before, and worse than expected. The center-left Social Democrats went the way of the center-left across the continent and did much worse than before, and much worse than expected. Smaller parties, such as the liberals, the Greens and the far-left, did better than before. And the Alliance for Germany (AfD), the anti-immigration, anti-European Union, anti-NATO party, did better than ever before, winning a projected 13.5 percent of the vote.
      The upshot: As in the Netherlands, Austria, France, Poland — and, let’s face it, the United States, Britain, Hungary, Sweden, Finland, Italy and just about everywhere else — the nationalist far-right will now have a loud voice in mainstream politics in Germany.
      Quelle: Washington Post
    2. Der Trost des Nationalismus
      Wahlkampf Warum protestieren die Menschen gegen Flüchtlinge und nicht gegen kapitalistische Ausbeutung? Über Mobilisierungserfolge, die nicht irrational sind
      Wo immer Angela Merkel im Wahlkampf auftaucht, stören Pfiffe und Rufe ihre Auftritte. Mitglieder der AfD und anderer rechter Gruppierungen orchestrieren diese Demonstrationen. Sie stellen Wahlkampf in eigener Sache dar, denn der Protest verspricht Aufmerksamkeit. Mit der AfD wird wohl erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik eine Partei rechts von CDU und CSU in den Bundestag einziehen. Doch was wissen wir wirklich über die Ursachen und Motive des Protestes? Was wissen wir über die Ursachen der Ohnmacht und den Grund für den Hass auf Einwanderer und Flüchtlinge? Während am einen Extrem alarmierte Intellektuelle einen Rückfall in die Barbarei des Faschismus befürchten und die Ursache für den Rechtsruck im Aufwallen „rechtsextremer Einstellungen“ und autoritärer Persönlichkeitsstrukturen vermuten, deuten andere wie die US-Philosophin Nancy Fraser den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien als Zeichen eines baldigen Endes der Vorherrschaft des Neoliberalismus. Die Irritation bleibt: Warum schließen sich die Protestler nicht lieber gleich den linken Parteien an? Warum protestieren sie gegen Einwanderung, Asylunterkünfte und Islam anstatt gegen kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse?
      Quelle: der Freitag
    3. Eklat um Frauke Petry: “Die AfD häutet sich”
      Der Verzicht von Frauke Petry auf die Fraktionsmitgliedschaft deute daraufhin, dass die Streitereien innerhalb der Partei jetzt erst richtig losgingen, sagte Hans Vorländer von der TU Dresden im Dlf. “Wenn sie 30 getreue Anhänger findet, die das mit ihr machen, und dann wird sich die AfD spalten”, so die Prognose des Politikwissenschaftlers. […]
      Vorländer: Die AfD häutet sich. Vielleicht haben wir demnächst zwei AfD-Fraktionen im Bundestag. Aber es legt nur offen, was eigentlich in der AfD ja ohnehin schon beobachtbar war. Es gibt mindestens zwei Richtungen: einen sehr rechtsextremen, nationalistisch-konservativen und dann einen, der noch aus der alten Lucke-Konstellation übrig geblieben war, ein eher konservativer, zum Teil auch wirtschaftsliberaler Flügel. Da sind die Spaltungstendenzen lange Zeit sichtbar gewesen und jetzt sind sie richtig aufgebrochen.
      “Es ist in der Tat erstaunlich, wie sie sich gewandelt hat”
      Schulz: Für den moderaten Teil steht inzwischen Frauke Petry. Sie hat ja auch einen Wandlungsprozess vollzogen über ihre Rolle in der Partei. Wie wahrscheinlich ist es, dass sie jetzt ihre Unterstützer mitnehmen wird?
      Vorländer: Das bleibt abzuwarten. Es ist aber in der Tat erstaunlich, wie sie sich gewandelt hat, denn sie war früher eigentlich eher auf dem rechten Flügel der Partei, gegen Lucke auch, hatte den Kampf ja gegen Lucke gewonnen, und jetzt rückt sie schon wieder eher in die Mitte. Vielleicht liegt das daran, dass sie schon länger mit dem Oppositionsgeschäft im Parlament vertraut ist, denn die AfD ist ja in Sachsen, wo Petry herkommt, seit 2014 bereits im Landtag und vielleicht hat sie das realpolitischer werden lassen.
      Quelle: Deutschlandfunk
  7. Poliklinik im Hamburger Armenstadtteil: „Die Umstände machen krank“
    Auf der Hamburger Veddel hat ein Kollektiv ein Gesundheitszentrum gegründet, das nicht nur Symptome behandeln, sondern auch die Ursachen angehen will. […]
    In den letzten Jahren haben fast alle Ärztinnen und Ärzte die Veddel verlassen. Habt Ihr noch welche kennengelernt?
    Kaum. Wir haben einmal mit der Ärztin gesprochen, die hier noch praktiziert. Damals gab es auch noch eine Apotheke, die aber 2014 geschlossen hat. Die anderen ÄrztInnen sind in Rente gegangen und haben keine Nachfolge gefunden, weil es sich nicht mehr gelohnt hat. Die Veddel ist ein kleiner Stadtteil. Es gibt nicht viele privat versicherte Menschen hier und viele, die keine Krankenversicherung haben.
    Lebt Ihr selbst vor Ort?
    Einer von uns wohnt seit September auf der Veddel, es gibt ein paar, die in Wilhelmsburg wohnen, die meisten anderen leben auf der anderen Elbseite. Die Veddel wird oft als Problemstadtteil der Parallelgesellschaften dargestellt. Unserer Ansicht nach ist es eher so, dass die Communities sehr gut funktionieren und dass es ein kosmopolitischer Ort ist. Wir kommen nicht hierher, um ein Charity-Projekt zu beginnen, sondern wir benutzen den Bedarf für unsere Arbeit.
    Was war bei Euch Henne und was Ei – ein Gesundheitskollektiv zu gründen oder etwas gegen die Ungleichheit in der medizinischen Versorgung zu tun?
    Wir haben erst darüber nachgedacht, ein Projekt aufzubauen und dabei noch keinen Stadtteil im Auge gehabt. Viele von uns kommen aus dem Medibüro, das ist eine Vermittlungs- und Beratungsstelle für Migranten und Leute ohne Papiere. Da haben wir gemerkt, dass es oft die Umstände sind, die die Leute krank machen, nicht ihr individuelles Verhalten. Wenn Leute Existenzangst haben, Stress auf der Arbeit, Schimmel in der Wohnung und dann mit Bauchschmerzen kommen, dann kann man ihnen nicht einfach Säurehemmer geben und damit ist das Problem gelöst.
    Quelle: taz
  8. Im Zeitalter der ökologischen Krise
    Die Meere steigen, Stürme und Dürren bedrohen ganze Regionen, Arten verschwinden: Der Klimawandel ist zum täglichen Thema geworden – überall, ständig. Doch dadurch wird die Debatte immer unpolitischer, so der Soziologe Bruno Latour. In seinem neuen Buch will er das ändern. Und bemüht dafür einen antiken Mythos.
    Der Mensch ist ein ziemlicher Neuling auf der Erde. Lange vor ihm waren die Bakterien da. Die ersten Lebewesen überhaupt. Es gibt sie seit gut dreieinhalb Milliarden Jahren. Die meiste Zeit davon blieben sie auch die einzigen Erdbewohner. Danach kamen die Einzeller und erst sehr viel später die Reptilien und die Säugetiere. Im Verlauf der Erdgeschichte sind viele Lebewesen neu entstanden. Viele sind auch wieder verschwunden. Und selbst wenn sie sich über eine längere Zeit fortpflanzen können, besonders alt werden die meisten Exemplare nicht. Das älteste, noch lebende Bakterium ist immerhin zweihundertfünfzig Millionen Jahre alt. Entdeckt wurde es bei einer Bohrung in einer Höhle in New Mexico, die als eine mögliche Endlagerstätte für Atommüll dienen sollte. Bis zur Übersiedlung ins Labor hatte es einsam in einer Salzlake vor sich hin gelebt.
    Quelle: Deutschlandfunk
  9. Unsere Apokalypseblindheit
    Klimawandel Wir sind unseren eigenen Schöpfungen nicht gewachsen. Bleibt nur Resignation?
    Für unseren Umgang mit Klimawandel, Ressourcenknappheit und Artensterben gab es schon ein Wort, als wir von diesen Gefahren noch gar nichts ahnten: Apokalypseblindheit.
    So hat der Philosoph Günther Anders, Jahrgang 1902, unsere Unfähigkeit bezeichnet, sich die Folgen menschlichen Tuns auszumalen und angemessen darauf zu reagieren. Er schrieb über die atomare Bedrohung, über die Fähigkeit, Bomben zu bauen, die die Erde als Ganzes auslöschen können. Darüber, dass wir das Ungeheuerliche zwar irgendwie verstehen, aber nicht wirklich erfassen, was es bedeutet – für die ganze Menschheit, für das Leben auf der Erde, wie wir es kennen. Wir sind apokalypseblind, schrieb Anders, blind für die Ungeheuerlichkeit der Gefahr, die wir selbst erschaffen haben. Wir sind unseren eigenen Schöpfungen nicht gewachsen.
    Der Konflikt zwischen den USA und Nordkorea erinnert gerade daran, dass die atomare Gefahr nicht gebannt ist. Gleichzeitig haben wir uns in weitere globale Bedrohungen manövriert, auf die wir ebenso unfähig reagieren. Nicht nur wir Wähler sind apokalypseblind, auch die Parteien im Wahlkampf sind es. Natürlich kommen in jedem Programm ein bisschen Klimawandel und Umwelt vor – doch nicht einmal bei den Grünen in der Deutlichkeit und Radikalität, die Wissenschaftler fordern, die wir bräuchten, um Katastrophen zu verhindern.
    Quelle: der Freitag
  10. Alternativer Fahrdienst in London – Uber-Taxis verlieren ihre Lizenz
    Die Londoner Transportbehörde wirft Uber vor, eine Täuschungssoftware zu benutzen und sexuelle Übergriffe von Fahrern nicht zu melden. […]
    Die Londoner Verkehrsbehörde hatte am Freitag erklärt, Uber agiere verantwortungslos; die Ende September auslaufende Lizenz werde daher nicht verlängert. Das Start-up hat drei Wochen Zeit, Widerspruch einzulegen – und wird während des wahrscheinlich monatelangen Berufungsverfahrens weiterfahren können.
    In London gibt es unterdessen Protest gegen den Lizenzentzug. Bis Sonntagnachmittag unterzeichneten 640.000 Londoner eine Onlinepetition, um Uber zu retten. In London buchen rund 3,5 Millionen Menschen pro Jahr Fahrten über die Uber-App. Mehr als 40.000 Fahrer bieten ihre Dienste auf der Plattform an. Das Nettogehalt beträgt rund 15 Pfund pro Stunde. 20 bis 25 Prozent des Einkommens gehen dabei als Kommission an Uber.
    Quelle: taz

    Anmerkung Jens Berger: Gut so, London war der Schwerpunkt des europäischen Arms von Uber. Die NachDenkSeiten hatten schon ausführlich über das Thema berichtet.

  11. Geschichtsakrobatik
    An den deutschlandpolitischen Positionen des Kaczyński-Lagers werden die Bundestagswahlen wohl nichts ändern. Ohnehin waren in Polen fast alle Beobachter seit längerem davon ausgegangen, dass im Nachbarland fast alles beim Alten bleibe. Doch die Nationalkonservativen dürften ein wenig frohlocken, denn mit der AfD ist nun eine kräftig auf Nation und aufrechtem Konservatismus pochende Kraft in den Bundestag eingezogen, die zuletzt oft genug als Beispiel herhalten musste, wenn in den eigenen Gazetten die Verletzung der Medienfreiheit in Deutschland angeprangert wurde, weil die AfD eben dortzulande ausgegrenzt werde. Nun wird sich zeigen, ob eher die Gemeinsamkeiten zwischen der Kaczyński-Partei und der Gauland-Partei überwiegen, oder ob doch die gewichtigen Unterschiede zwischen den beiden nationalkonservativen Parteien den Ausschlag geben werden.
    Einig sind sich die beiden rechten Gruppierungen in der Ablehnung der Europäischen Union. Kaczyńskis Chefberater in der Deutschlandpolitik heißt Zdzisław Krasnodȩbski, derzeit in Brüssel und Straßburg Europaparlamentarier für die Nationalkonservativen, zuvor langjähriger Professor für Politikwissenschaften an der Universität Bremen. Krasnodȩbski hält die EU in ihrer jetzigen Gestalt für gescheitert und überholt, der bevorstehende Brexit sei nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Er rät also unentwegt, das sinkende Schiff zu verlassen – allein dem klugen Mann steht außer kräftigem Poltern gegen Brüssel und Berlin auch kein Rettungsweg vor Augen. Insofern nützt er Kaczyński mit seiner Expertise nur wenig, so dass dem nichts weiter bleibt, als auf einer Insel Zuflucht zu suchen: „Niemand wird uns von außen den Willen aufzwingen. Selbst wenn wir in einigen Fragen in Europa alleine sein werden, so werden wir bestehen bleiben und wir werden die Insel der Freiheit, der Toleranz und all dessen sein, was so überaus stark in unserer Geschichte gegenwärtig gewesen ist.“
    Quelle: Das Blättchen
  12. Jemen: US-Bombe tötete und verstümmelte Kinder in Wohnviertel
    Die 5-jährige Buthaina verlor bei einem Luftangriff ihre Familie
    Bei einem Luftangriff auf ein Wohnviertel in der jemenitischen Hauptstadt am 25. August wurden 16 Zivilist*innen getötet, 17 weitere wurden verletzt. Sieben Kinder kamen ums Leben, acht wurden zum Teil schwer verletzt. Die 5-jährige Buthaina verlor Vater, Mutter und ihre fünf Brüder und Schwestern. Ein Waffenexperte von Amnesty International analysierte Reste der Bombe, die vor Ort gefunden wurden. Markierungen auf den Fragmenten stimmen mit US-Komponenten überein, die für lasergesteuerte Luft-Boden-Raketen verwendet werden.
    Quelle: Amnesty International
  13. Wir sind gescheitert
    Die Wahl ist gelaufen. Auch für die beteiligten Werber. Die CDU hatte sich für ihre Kampagne Deutschlands bekannteste Agentur Jung von Matt an Bord geholt. Die hatte für diese Aufgabe sogar ihr ehernes Prinzip außer Kraft gesetzt, nicht für politische Parteien zu arbeiten. Während des Wahlkampfs wollten sich die Agenturchefs nicht zu dem Mandat äußern. Jetzt zieht Vorstand Thomas Strerath, der sich federführend um die CDU-Kampagne gekümmert hat, eine erste persönliche Bilanz. “Wir könnten enttäuschter nicht sein”, so sein Fazit im Gastbeitrag für HORIZONT Online. […]
    Humor, der sich über die AfD und ihre Wähler lustig macht? Futter für die Hydra. Den Rest haben die Strategen unter den Merkel-Anhängern aus dem Sommer erledigt; manche CDU-Anhänger waren sich zu sicher und begannen, strategisch ihre Stimmen bei FDP und den Grünen zu platzieren. Was beiden geholfen hat und uns nun vielleicht wenigstens Jamaika ermöglicht.
    Und wir? Wir hatten in den drei Wochen nach dem TV-Duell, in den drei Wochen der Skandale der AfD, keine neue Antwort mehr. Zu statisch, zu defensiv war der Angang. Ist der Gegner jetzt rechts oder links oder grün oder gelb? Und mit abnehmender Zustimmung in den letzten Tagen vor der Wahl, war dann nicht mehr genug Mut, genug Kraft, wenn überhaupt genug Erkenntnis über das da, was gerade in Deutschland passiert ist. So haben wir vielleicht erst geholfen, das zu ermöglichen, was wir genau verhindern wollten. Wir könnten enttäuschter nicht sein. Merkel hat gewonnen, wir sind gescheitert.
    Quelle: Horizont
  14. Öffentlich-Private-Partnerschaften auf ganzer Linie gescheitert
    Die Merkel-Regierung und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) haben die “Schwarze Null” durchgepeitscht. Dafür haben sie 2009 die “Schuldenbremse” ins Grundgesetz geschrieben: Bund, Bundesländer und Kommunen sollen keine neuen Schulden machen. Dafür muss überall “gespart”, also gekürzt werden. Und vorgeblich um die öffentlichen Kassen zu schonen und Schulden zu vermeiden, sollen private Investoren sich nach dem Modell Öffentlich-Private-Partnerschaften, ÖPP, um Autobahnen, Straßen, Schulen, Gefängnisse, Rathäuser und vieles mehr kümmern. Aber was kommt dabei heraus? Hinterrücks noch mehr Schulden!
    Der Steuerzahler kommt für alles auf
    Worum geht es aktuell bei dem Wirbel um das gescheiterte ÖPP-Projekt bei Ausbau und Betrieb der Autobahn A1 Bremen-Hamburg? Die Banken Unicredit, Commerzbank, Caja Madrid und Deka- und DZ-Bank verklagen die Bundesrepublik Deutschland auf Zahlung von 787 Millionen Euro. Diese Banken haben der Betreibergesellschaft der Autobahn Bremen – Hamburg, der A 1 mobil GmbH, 600 Millionen Euro an Krediten gegeben. Damit sollte die A 1 mobil GmbH von 2008 an die Autobahn in beiden Richtungen um eine Spur erweitern, sie reparieren und 30 Jahre lang bis 2038 betreiben. Dafür sollen die Investoren 30 Jahre einen Anteil aus der LKW-Maut bekommen. So steht es im Vertrag vom Juli 2008 mit der Bundesrepublik.
    Jetzt erklären die Banken den Vertrag für ungültig. Sie jammern: Wegen der Finanzkrise seien ab 2008 doch weniger LKW als erwartet durchgefahren. Der Vertrag soll geändert werden: Der Staat soll die Verluste ausgleichen. Toll! Die Banken sind 2008 schon einmal mit mehreren hundert Milliarden vom Staat vor der selbstverursachten Pleite gerettet worden. Jetzt haben sie sich wieder verzockt, und jetzt wollen sie durch die Hintertür die Steuerzahler ein zweites Mal abzocken.
    Quelle: Werner Rügemer in verdi Publik

    Anmerkung Albrecht Müller: Über das Thema haben die NDS häufig berichtet. Das hier ist eine gute Zusammenfassung von Werner Rügemer. Die Große Koalition hat das Thema A1 jahrelang lange unter der Decke gehalten. Diese massiven Fehler sind auch nicht Gegenstand der Wahlanalyse der SPD Führung. Das ist bequem, aber das führt zu falschen Wahlanalysen und falschen Schlüssen für die Zukunft.

  15. Zu guter Letzt: SPD-Führung übernimmt Verantwortung für Wahl-Desaster und tritt geschlossen zurück
    Berlin (dpo) – Die SPD zieht Konsequenzen aus dem schlechtesten Wahlergebnis der Nachkriegszeit: Bei einer Pressekonferenz verkündeten heute die Hauptverantwortlichen der Niederlage Martin Schulz, Hubertus Heil, Thomas Oppermann, Andrea Nahles und Sigmar Gabriel geschlossen ihren Rücktritt.
    Der erfolglose Kanzlerkandidat Schulz erklärte sich zuerst: “20,5 Prozent sind das schlechteste Wahlergebnis der SPD in der Geschichte der Bundesrepublik. Ich übernehme Verantwortung für den trostlosen Wahlkampf, der es verpasst hat, die Bürger mit ihren Problemen direkt anzusprechen, und ziehe mich aus der Führungsspitze der Partei zurück. Jeder mit einem Funken Anstand würde so handeln. Die SPD braucht jetzt eine Rückbesinnung auf ihre Wurzeln.”
    Quelle: Der Postillon

    Anmerkung: Großartiger satirischer Artikel, der genau auf den Punkt bringt, was die SPD-Spitze machen sollte, um die Glaubwürdigkeit der Partei nicht völlig ins Bodenlose stürzen zu lassen.


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