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Titel: Hinweise der Woche

Datum: 8. Oktober 2017 um 11:00 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

Am Wochenende präsentieren wir Ihnen einen Überblick über die lohnenswertesten Beiträge, die wir im Laufe der vergangenen Woche in unseren Hinweisen des Tages für Sie gesammelt haben. Nehmen Sie sich ruhig auch die Zeit, unsere werktägliche Auswahl der Hinweise des Tages anzuschauen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Erwachen aus wutgetränkter Apathie
  2. Biegt Großbritannien nach links ab?
  3. Finanzgiganten zweifeln an Trumps Steuerplänen
  4. Fachkräftemangel Jeder neunte Arzt kommt aus dem Ausland
  5. Anzahl der Toten durch Schusswaffen in den USA ist höher als Zahl von Kriegsopfern
  6. Oskar Lafontaine hat Recht! DIE LINKE braucht eine andere Flüchtlings- und Migrationspolitik
  7. Die Angst endlich ernst nehmen
  8. Sie hat uns verkohlt
  9. Politische Zensur bei Google? – As Google Fights Fake News, Voices on the Margins Raise Alarm
  10. Deutschland im Herbst

Vorbemerkung: Ursprünglich hatten wir geplant, in unserer Wochenübersicht auch auf die lohnenswertesten redaktionellen Beiträge der NachDenkSeiten zu verweisen. Wir haben jedoch schnell festgestellt, dass eine dafür nötige Vorauswahl immer damit verbunden ist, Ihnen wichtige Beiträge vorzuenthalten. Daher möchten wir Ihnen raten, am Wochenende doch einfach die Zeit zu nutzen, um sich unsere Beiträge der letzten Wochen (noch einmal) anzuschauen. Vielleicht finden Sie dabei ja noch den einen oder anderen Artikel, den es sich zu lesen lohnt. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Erwachen aus wutgetränkter Apathie
    Was der Kapitalismus mit dem Wahlerfolg der AfD zu tun hat – und warum ihre Anhänger einen „autoritären Nationalradikalismus“ vertreten. Ein Gespräch mit dem Soziologen Wilhelm Heitmeyer. […]
    Dadurch werden besonders bestimmte Gruppen abgewertet und diskriminiert, wir nennen das „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“: Betroffen sind Langzeitarbeitslose, niedrig qualifizierte Migranten, Flüchtlinge, Obdachlose, Behinderte. Die sozial Schwachen sehen dann auf die noch schwächeren herab. Und seit einigen Jahren klagen auch jene mit hohem sozialen Status darüber, dass sie als Leistungsträger alle anderen mitschleppen sollen. Es ist zu befürchten, dass dieses Denken weiter um sich greift.
    Die Solidargemeinschaft, wie es sie in den 1990er Jahren noch gab, erodiert unter dem massiven Druck der Durchsetzungs- und Konkurrenzlogik des Kapitals, dem die herrschende Politik folgt. Wenn dann Teile der Politik gleichzeitig vom gesellschaftlichen „Zusammenhalt“ reden, dann ist das bloße Ideologie und Ablenkung. […]
    Das geschieht schleichend schon seit langem. Bereits 2002 konnten wir feststellen, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung rechtpopulistisch eingestellt sind. Ein Teil war wahlpolitisch gesehen bei anderen Parteien unterwegs oder ausgeklinkt. Oder sie sind in ihrer Hoffnungslosigkeit und ihrem Unterlegenheitsgefühl in eine wutgetränkte Apathie verfallen. Bei Pegida und der AfD haben dann viele offenbar das Gefühl gehabt, hier gebe es einen Ort, wo sie sich endlich Gehör verschaffen können.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung
  2. Biegt Großbritannien nach links ab?
    Auf der Insel liegt eine wirtschaftspolitische Zeitenwende in der Luft. Der radikale sozialistische Oppositionschef Jeremy Corbyn treibt eine schwache Regierung vor sich her. […]
    Labour leuchtet so feuerrot wie seit einer Generation nicht mehr – und hat damit, entgegen aller Prognosen, Erfolg bei den Briten. Die Konservativen finden bislang keine schlagkräftige Antwort darauf, wie Hammonds Parteitagsrede zeigt: Die Regierung müsse „zuhören“ und die Sorgen der Leute ernst nehmen, mahnte er. Es gelte „mit der Marktwirtschaft zu arbeiten, um pragmatische Lösungen zu finden, die das alltägliche Leben verbessern“. Die Resonanz auf die wolkigen Ausführungen Hammonds war auch in wohlgesonnenen Kreisen bescheiden: „Stark in der Diagnose, aber schwach, wenn es darum geht, zu agieren“, kommentierte Carolyn Fairbairn, Chefin des Unternehmensverbands CBI.
    Der Gegenspieler Corbyn punktet dagegen bei vielen Briten mit radikalen Versprechungen: Während die Regierung nur signalisiert, die hohen Studiengebühren an den Universitäten nicht weiter zu erhöhen, verspricht Labour, diese komplett abzuschaffen. Familien, die sich kein Eigenheim leisten können, sollen von einer gesetzlichen Mietpreisbremse profitieren. Alte und Kranke lockt Corbyn mit der Ankündigung, viele Milliarden Pfund zusätzlich ins staatliche Gesundheitssystem NHS zu investieren. Finanzieren will Labour diese und weitere Ausgaben mit höheren Steuern für Besserverdiener und Unternehmen. Fachleute halten die Rechnung zwar für unrealistisch, doch tut das dem Erfolg keinen Abbruch.
    „Wir sind jetzt der politische Mainstream“, triumphierte Corbyn kürzlich auf dem Labour-Parteitag in Brighton. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten sieht es so aus, als können mit einem sozialistischen Programm auf der Insel wieder Wahlen gewonnen werden. Wenn demnächst Neuwahlen anstünden – was angesichts der wackligen, konservativen Minderheitsregierung im Parlament durchaus möglich ist – hätte der linke Volkstribun Corbyn gute Chancen, neuer Hausherr in der Downing Street zu werden. Wählerumfragen sehen Labour seit Monaten vor den konservativen Torys der politisch angeschlagenen Premierministerin Theresa May.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung unseres Lesers H.K.: Großbritannien biegt ab und die FAZ kriegt die Kurve nicht. Stellt sie doch fest, dass diese Briten ganz schön radikal sein müssen, wenn sie einem stramm linken Oppositionschef so viel Zustimmung zu seinen Vorstellungen gewähren. Dabei lässt sich selbst in diesem Artikel nicht verschweigen, dass im neoliberalen angebotsgetriebenen Wirtschaftsmodell immer mehr Menschen auf der Strecke bleiben. Jetzt müsste man eben nur noch die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Na los FAZ, spring.

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Es ist ein bisschen lächerlich, die Forderungen von Corbyn, z. B. die Wiederverstaatlichung der privatisierten Infrastruktur oder die Abschaffung von Studiengebühren, bis 1990 sogar in Deutschland ganz normale „Soziale Marktwirtschaft“, als „radikal“ zu bezeichnen. Immerhin malt die FAZ nicht das Schreckgespenst vom bösen Kommunismus an die Wand, sondern benennt die Probleme – gesunkene Löhne, kaputtgesparter NHS – und gibt zu, dass die Labour-Vorschläge Mainstream sind („mehr als drei von vier Briten [unterstützen] die Pläne Corbyns zur Verstaatlichung von Wasserwerken, Energieversorgern und der Eisenbahnen“). Jetzt kann es nur noch wenige Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis sich die FAZ vom Zerrbild einer angeblichen Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland löst und anerkennt, dass die wirtschaftlichen Probleme hier zwar nicht so furchtbar sind wie in Großbritannien, aber der fast ungehinderte Neoliberalismus in Deutschland ähnliche Schäden angerichtet hat.

    Dazu: Schauderhafte Parteien
    Die Parteien in Großbritannien halten in diesen Tagen ihre Parteitage ab. Wer sich ihre Wirtschaftsprogramme ansieht, den kann es nur schaudern: Die Konservativen sind unfähig zu regieren, Labour würde das Land ins Chaos führen.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung

    Anmerkung unseres Lesers E.P.: Ein schauderhafter Kommentar!

    Ergänzende Anmerkung Albrecht Müller: Dass die Süddeutsche Zeitung so tief sinken kann …. Man muss immer wieder neu staunen.

  3. Finanzgiganten zweifeln an Trumps Steuerplänen
    Zwei der mächtigsten Männer der Finanzwelt kritisieren die Steuerreformpläne von US-Präsident Trump. Waren Buffett und Blackrock-Chef Larry Fink halten die geplanten Entlastungen für Unternehmen für übertrieben.
    Es soll die „größte Steuersenkung der Geschichte“ werden: US-Präsident Donald Trump und seine Republikaner wollen sowohl Privatleute als auch Firmen deutlich entlasten. Doch ausgerechnet in der Finanzwelt gehen die Pläne für die Unternehmensteuern einigen zu weit.
    Aktuell kommt die Kritik von zwei absoluten Schwergewichten der Szene: von der 87-jährigen Investorenlegende Warren Buffett und vom Chef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, Larry Fink. Beide äußerten am Dienstag Zweifel, ob Entlastungen in der angestrebten Größenordnung überhaupt nötig sind. […]
    Der Reformplan der regierenden Republikaner sieht vor, dass diese Steuer von derzeit 35 Prozent auf 20 Prozent gesenkt wird. Viele multinational agierende Konzerne zahlen allerdings weniger, denn sie machen reichlich Gebrauch von Schlupflöchern im Steuergesetz. Trump selbst wollte den Satz eigentlich sogar auf 15 Prozent senken.
    Quelle: SPIEGEL Online

    Anmerkung Jens Berger: Das muss man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Da beschweren der reichste Mann der Welt und der Geschäftsführer des größten Finanzkonzerns der Welt darüber, dass ihnen die geplanten Unternehmenssteuersenkungen ZU HOCH sind.

  4. Fachkräftemangel Jeder neunte Arzt kommt aus dem Ausland
    Die Zahl der ausländischen Ärzte hat sich binnen sieben Jahren mehr als verdoppelt. Sie machen laut Ärztekammer nun elf Prozent der Ärzteschaft aus. Besonders oft werden sie in Provinzkrankenhäusern gebraucht.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung JK: Klar muss man hier wieder von Fachkräftemangel reden. Aber auch hier gilt das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Während deutsche Ärzte nach Norwegen, Großbritannien oder in die Schweiz gehen, da dort die Bezahlung besser und Arbeitsbedingungen weniger schlecht sind als hier, holt man sich dann Ärzte lieber aus dem Ausland, als Bedingungen an deutschen Krankenhäusern zu verbessern.
    Gerd Bosbach geht in seinem neuen Buch „Die Zahlentrickser“ auch auf den angeblichen Ärztemangel in Deutschland ein.
    „Seit vielen Jahren geistert der demografisch bedingte Ärztemangel durch die gesundheitspolitischen Debatten in Deutschland. Angeblich gehen uns die Ärzte und Ärztinnen aus, und angeblich liegt es daran, dass es zu wenige junge Leute gibt, die Mediziner werden wollen. Das wäre in einer Gesellschaft mit wachsendem Anteil älterer Menschen problematisch. Doch wir wagen die Gegenrede. Denn es besteht seit Jahrzehnten ein scharfer Numerus clausus im Studienfach Medizin, und der hindert viele junge Leute, die gerne Arzt oder Ärztin werden wollen, daran, ihren Berufswunsch zu realisieren. Wenn es wirklich zu wenige junge Mediziner gibt, wäre es leicht das zu ändern: einfach mehr Geld in die Hochschulen stecken, mehr Studienplätze für Medizin schaffen und den Numerus clausus aufheben. Ob es tatsächlich zu wenig junge Ärzte gibt, steht auf einem anderen Blatt; möglicherweise verteilen sie sich nur ungünstig im Land.
    Wir sehen hierden ´klinischen Fall´ einer postfaktischen Argumentation: Es wird eine Behauptung aufgestellt, die wie ein Faktum aussieht und sogar in Zahlenform dargestellt wird, so als hätte man diesen Mangel gemessen. Zugleich wird ein wesentliches, weithin bekanntes Faktum, der Numerus clausus für das Medizinstudium, komplett ignoriert, obwohl es direkt mit dem ersten´Faktum´zusammenhängt.” (Gerd Bosbach/ Jens Jürgen Korff, “Die Zahlentrickser”, S. 7f)

  5. Anzahl der Toten durch Schusswaffen in den USA ist höher als Zahl von Kriegsopfern

    Dass in den USA zu viele Menschen durch Schusswaffen sterben, ist nicht wirklich neu. Überraschend jedoch sind zwei simple Zahlenwerte, die in einer Grafik von Martin Grandjean gegenübergestellt werden: Seit 1775 war Amerika an sehr vielen Kriegen beteiligt. Die Amerikaner erkämpften sich ihre Unabhängigkeit, trugen zur Beendigung des Ersten und Zweiten Weltkriegs bei. Ihre Interventionen im Irak, in Vietnam, Afghanistan und anderen Ländern schufen zusätzliche Grabsteine auf den Friedhöfen des Landes. Bisher fielen durch diese und weitere bewaffnete Auseinandersetzungen insgesamt 1.396.733 Amerikaner. Aber allein in dem Zeitraum von 1968 bis 2015 starben 1.516.863 US-Bürger. Durch Schusswaffen. Zu Hause, auf amerikanischem Boden, ohne jegliche Kriegseinwirkung.
    Quelle: jetzt.de

  6. Oskar Lafontaine hat Recht! DIE LINKE braucht eine andere Flüchtlings- und Migrationspolitik
    Inzwischen liegen auch Ergebnisse zum Wahlverhalten der Gewerkschaftsmitglieder vor. Sie zeigen ein ähnliches Bild: 29 Prozent für die SPD, CDU 24 Prozent, DIE LINKE 12, Grüne 8, FDP 7 und AfD 15 Prozent. Die AfD lag also selbst bei Gewerkschaftsmitgliedern deutlich vor der LINKEN! Noch deutlicher fiel der Abstand bei den männlichen Gewerkschaftsmitgliedern aus. Hier lag die AfD mit 18 Prozent klar vor der Linkspartei, die nur 11 Prozent wählten.
    Katja Kipping widersprach Lafontaines Stellungnahme sofort. Im ND vom 28. September 2017 hieß es: „Der Vorstand der LINKEN hatte sich mehrfach deutlich gegen eine Aufweichung der flüchtlingspolitischen Positionen der Partei gewendet. Auch am Montag vertrat Parteichefin Katja Kipping die Auffassung, man habe im Wahlkampf dazu die richtigen Antworten gegeben.“
    Sehen wir uns diese „richtigen Antworten“ einmal genauer an. In der Langfassung des Bundestagswahlprogramms 2017 heißt es auf Seite 116: „Wir fordern ein Bleiberecht für alle Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, spätestens, wenn sie fünf Jahren in Deutschland leben.“ Das ist eine richtige und angemessene Forderung. Eine ganz andere Formulierung findet sich aber weiter vorn, auf Seite 12 des Programms: „Wir unterstützen die Forderungen nach einem sofortigen Stopp der Abschiebungen und nach einem Bleiberecht für alle.“ Dazu passt das Verlangen nach „offenen Grenzen für alle Menschen“ auf Seite 65. Dies bedeutet aber, einmal zu Ende gedacht, nichts anderes als die Abschaffung des Asylrechts, denn wenn jeder einmal ins Land Gekommene nicht mit seiner Rückführung rechnen muss, braucht man auch keine aufwändigen Asylverfahren mehr und keine damit befasste Bürokratie. Dies ist eine abenteuerliche Position, die nichts mehr zu tun hat mit einer ernsthaften Suche nach Lösungen für die dringenden Fragen der Ausgestaltung des Asylrechts. Diese Fragen müssen aber gelöst werden, will man den wirklich politisch Verfolgten auch in Zukunft Schutz bieten.
    Ihren Gegnern hat es DIE LINKE damit denkbar leicht gemacht, sie als unverantwortlich darzustellen. Die AfD ließ sich diese Gelegenheit denn auch nicht nehmen: Vor allem im Osten konnte man im Wahlkampf überall auf blauroten Plakaten lesen: „Die Linke fordert Bleiberecht für Alle – Wir nicht! AfD“. Es ist zu vermuten, dass sich viele traditionell linke Wähler allein deshalb bei dieser Wahl umorientierten.
    Die Forderung nach „einem sofortigen Stopp der Abschiebungen und nach einem Bleiberecht für alle“, steht zudem im Widerspruch zur Politik der Linkspartei, wo sie in Bundesländern an der Regierung beteiligt ist oder sogar – wie in Thüringen – den Ministerpräsidenten stellt. Dort führt man selbstverständlich Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber durch.
    Quelle: Andreas Wehr
  7. Die Angst endlich ernst nehmen
    Für nicht wenige aber wirken die globalen Veränderungen vor allem bedrohlich. Sie fürchten um ihre Lebens- und Zukunftsperspektiven, ihre Qualifikation, ihren Job, ihre Familie, ihr Sicherheitsgefühl. Kurz: ihre private, heimatliche Scholle. Für sie bedeutet Globalisierung vor allem eins: Konkurrenz und Angst.
    Die Sorge vor den vielen Flüchtlingen und Migranten tritt hinzu. Durch sie ist die Kehrseite der Globalisierung unmittelbar ins Land und zum Teil auch in ihr Leben getreten. Die Konkurrenz um den Arbeitsplatz – bei der Verlagerung von Produktion in billige Entwicklungsländer bislang oftmals nur virtuell bemerkbar – wird nun scheinbar greifbar: Entwurzelte Menschen aus dem globalen Süden kommen auch aufgrund der erzwungenen Öffnung der Märkte nach Deutschland. Und bilden dort in den Flüchtlingsunterkünften eine Billig-Reservearmee für die Industrie und den wachsenden Dienstleistungssektor.
    Wer fürchtet, dass ein Neuankömmling ihm seinen Job oder seine Wohnung abspenstig macht, hat für die viel gepriesene Willkommenskultur wenig bis nichts übrig. Zumal die Migranten in der Regel nicht dort untergebracht werden, wo die Lobsinger der Flüchtlingsaufnahme leben, sondern in sozial schwachen Vierteln. Dort treten sie in Wettbewerb mit denen, die selbst dringend eine erschwingliche Bleibe brauchen.
    Das ist die unmittelbare Seite des Flüchtlingsproblems. Die Abstiegsangst hat aber längst nicht nur Arbeiter und Arbeitslose ergriffen, die bei der Bundestagswahl millionenfach von Union, SPD und der Linken zur AfD abgewandert sind. Sie reicht inzwischen weit in die arbeitende Mitte hinein. Auch dort greift die Verunsicherung und die Angst vor dem Verlust der vertrauten Sicherheit um sich.
    Weder die Union noch die linken Parteien oder linke Intellektuelle haben bislang darauf eine Antwort gefunden. …
    Die Grünen haben keine Antwort auf die Sorgen der kleinen Leute, weil ihre Führung ebenfalls abgehoben ist. Und weil ihre gut verdienende Öko-Klientel ebenso wie die der FDP überwiegend zu den Globalisierungsgewinnern zählt.
    Aber auch die SPD und selbst die Linke tun sich schwer. Auch ihnen ist ihre ureigenste Klientel aus dem Blick geraten, wie Oskar Lafontaine, der frühere SPD- und Linken-Vorsitzende, nach der Wahl zu Recht kritisiert hat. Die soziale Gerechtigkeit verpflichte dazu, denen zu helfen, die darauf am meisten angewiesen sind, schrieb er. Man dürfe die Lasten der Zuwanderung über verschärfte Konkurrenz im Niedriglohnsektor, steigende Mieten in Stadtteilen mit preiswertem Wohnraum und zunehmende Schwierigkeiten in Schulen mit wachsendem Anteil von Schülern mit mangelnden Sprachkenntnissen nicht vor allem denen aufbürden, die ohnehin die Verlierer der steigenden Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen seien.
    Quelle: Zeit Online
  8. Sie hat uns verkohlt
    Die ganze Kraft, über die Angela Merkel noch verfügt, wird in die Stabilisierung der neuen Koalition fließen (…)
    Wer an einer „Jamaika“-Koalition zweifelt, weil die Entfernungen der beteiligten Parteien untereinander zu groß seien, der hat den Glauben an die Integrität der handelnden Personen offenbar noch nicht aufgegeben. Wir anderen, Ernüchterten, müssen hingegen feststellen: Es gibt buchstäblich kein Thema, bei dem sich selbst CSU und Grüne am Ende nicht doch einig würden, wenn der Preis die Macht ist.
    Man sollte also die Standhaftigkeit sowohl der Grünen als auch der CSU nicht überschätzen. Für die CSU steht mehr auf dem Spiel als für die Grünen – was die Macht kostet, darüber wird darum eher CSU-Chef Horst Seehofer bestimmen als Cem Özdemir. Natürlich hört man jetzt aus Bayern, dass es ohne die berüchtigte „Obergrenze“ keine Koalition geben werde. Aber am Ende ist das auch nur ein Wort und die Koalitionsvereinbarung eine Frage der Formulierung. Es ist gut vorstellbar, dass die Grünen der CSU das Wort „Heimat“ schenken und dafür im Gegenzug das Wort „Klimaschutz“ bekommen – und Merkel supervidiert den Tausch.
    Wie flexibel die Grünen selbst in Menschenrechtsfragen sein können, hat sich vor drei Jahren gezeigt, als mit der Zustimmung des grünen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, das Asylrecht verschärft wurde und der westliche Balkan wider besseres Wissen zur „sicheren“ Herkunftsregion erklärt wurde. Wenn sie eines Morgens im Bündnis mit der FDP aufwachen, dann werden die Grünen ihre lange Reise aus dem Schoß des Bürgertums über einige Umwege des politischen Aufbegehrens zurück zum Ort ihres Ursprungs vollendet haben. Mutlangen, Gorleben, selbst Stuttgart 21 – all das erscheint ja schon heute wie der lang zurückliegende Mittsommernachtstraum einer fernen Jugend.
    Es gibt also derzeit keinen Grund, an der äußeren Stabilität von „Jamaika“ zu zweifeln, auch wenn eine solche Regierung aus CDU, CSU, FDP und Grünen kaum so geräuschlos – ja so totenstill – funktionieren würde wie die Große Koalition. Aber die ganze Kraft, über die Merkel noch verfügt, wird in die Aufrechterhaltung dieser komplizierteren Koalition fließen. Für alles andere – Bildung, Digitalisierung, Bürgerrechte, Chancengleichheit, Steuergerechtigkeit, Europa – wird es an Lust und Laune fehlen. „Jamaika“ wird damit das Gegenteil eines politischen Projekts sein. Die Wiederauferstehung des alten Westdeutschlands von den Toten. Ruhe ist die erste Regierungspflicht.
    Quelle: Jakob Augstein in der Freitag

    Anmerkung Werner Rügemer:

    Hallo Jakob Augstein,

    in unserer Situation sollte man sich so viel Oberflächlichkeit wie Sie in Ihrem Kommentar zu Merkel und zum Wahlausgang nicht leisten. Sehen wir uns einige Ihrer Behauptungen an:
    *Merkel habe „den Augenblick eines Abschieds in Würde verpasst“: Sie ließ sich würdelos ins Amt der CDU-Parteivorsitzenden schieben, gefeatured von der FAZ und mit Kassenübergabe an den neuen Schatzmeister, der nun ganz direkt vom Haupt- und Dauersponsor gestellt wurde und extra seinen Vorstandsposten in der Deutschen Bank abgab (er hieß Cartellieri).
    Aus „Kohls Mädchen“ wurde dann „Ackermanns Mädchen“.

    Sie ließ sich würdelos von jedem dahergelaufenen Automobil-, Energie-, Rüstungs- und Finanzkonzern erpressen und lernte, das dann alles freiwillig zu machen und als ihre Dienstaufgabe, den Amtseid verletzend, betrieb.

    Jedem US-Präsidenten, welcher Partei auch immer und für welchen Krieg auch immer, stand sie würdelos zu Diensten.

    Sie lässt sich abhören, widerstands- und würdelos. Beim Antrittsbesuch bei Trump wiederholte sie unterwürfig – gebeten oder ungebeten – das Versprechen der Aufrüstung, das sie schon Obama gegeben hatte.

    *Merkel schleppe sich „in ihre vierte Amtszeit, gestützt von zwei kleinen Parteien“: nein, das ist die öffentliche Inszenierung.

    Geschleppt wird sie von den Automobil- usw. Konzernen, aufgepeppt als politische Symbol- und Kunstfigur, um jegliche Demokratisierung der Gesellschaft und der Wirtschaft zu verhindern, nämlich um die antidemokratische, privatprofit-kompatible „marktkonforme Demokratie“ zu repräsentieren und mit scheinbarem Nicht-Regieren abzusichern, die Bevölkerung zu verdummen und die Politik zu entpolitisieren. Sich vordergründung ein bißchen zu sozialdemokratisieren, um sogar das unmöglich zu machen, was sozialdemokratische Politik wollen könnte.

    *die jetzige Wahl bedeute eine „Zeitenwende: Nazis im Parlament!“, so pflichten Sie dem Spiegel-Autor zu. Bei der Wahl des ersten Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, eines gewissen Konrad Adenauer, waren sehr viel mehr Nazis im Parlament, in der Adenauer-Regierung und in Verwaltungen und Konzernen und Banken sowieso.

    Der erste Vorsitzende der christlich lackierten CDU wird bis heute legendenumwoben und vorbildhaft hochgehalten, mithilfe einer staatlich alimentierten Legendenverwaltung, der Stiftung, die seinen Namen trägt.

    Der hat in der Bundesrepublik eingeübt, was Merkel bei ihrem würdelosen Einschleichen in die Adenauer-Demokratie offensichtlich mühelos gelernt bekam: In dieser Art parlamentarischer Demokratie kannst du als Gewählter und Gewählte mit den Wählerstimmen machen, was du willst – du hast ja Mächtigere neben und hinter dir, und zwar nicht nur an einem Tag alle vier Jahre.

    Sie schließen, Jakob Augstein, mit einem lustlosen und desillusionierten Ausblick auf die vermutlich dann hingemauschelte „Jamaika“-Koalition. Was halten Sie davon, dass wir uns wesentlich um Folgendes kümmern: die Selbstorganisation der Demokraten!

    Werner Rügemer

  9. Politische Zensur bei Google? – As Google Fights Fake News, Voices on the Margins Raise Alarm
    When David North, the editorial chairman of the World Socialist Web Site, noticed a drop in the site’s traffic in April, he initially chalked it up to news fatigue over President Trump or a shift in political consciousness.But when he dug into the numbers, Mr. North said, he found a clearer explanation: Google had stopped redirecting search queries to the site. He discovered that the top search terms that once brought people to the World Socialist Web Site were now coming up empty.“This is not an accident,” Mr. North said. “This is some form of deliberate intervention.” (…) Mr. North said that Google has not responded to his claims. Google declined to comment on the World Socialist Web Site. (…) “I’m against censorship in any form,” he said. “It’s up to people what they want to read. It’s not going to stop with the World Socialist Web Site. It’s going to expand and spread.”
    Quelle: New York Times

    Anmerkung Paul Schreyer: Die NachDenkSeiten hatten bereits im Juli zu diesem Fall berichtet. Dass nun auch die New York Times dem Fall Gewicht beimisst und Google sogar deren Anfragen in Sachen womöglicher politischer Zensur unbeantwortet lässt, zeigt die wachsende Brisanz des Themas.

  10. Deutschland im Herbst
    Deutschland feiert wieder einmal den Tag der deutschen Einheit, will aber nicht wahrhaben, dass es diese Einheit immer noch nicht gibt
    Es ist Oktober geworden, aber die politische Ernte ist in diesem Jahr ausgefallen. Das Klima war nicht schlecht, aber der intellektuelle Dung hat gefehlt, den der karge Boden gebraucht hätte, um eine gute Ernte zu erlauben. Deutschland hat sich verhakt im Klein-Klein, in eingebildeten Problemen auf der einen Seite und in Widersprüchen, die sich daraus ergeben, dass man die wirklichen Probleme systematisch leugnet.
    Und das betrifft nicht nur Europa, wo das deutsche Leugnen zu einer nicht enden wollenden Krise geführt hat. Nein, es betrifft Deutschland selbst, wo zehn Jahre vor der Europäischen Währungsunion schon einmal eine Währungsunion, die deutsch-deutsche nämlich, aufgrund intellektueller Defizite gegen die Wand gefahren wurde.
    Heute wird man wieder mit großen Worten die deutsche Einheit feiern, obwohl die Wahl vom letzten Sonntag im September besser als tausend Studien gezeigt hat, dass es sie immer noch nicht gibt. Wenn in Sachsen, wo man so stolz auf die Errungenschaften der deutschen Einheit ist, eine Partei in Führung liegt, deren Konzept fast nur aus Parolen wie der besteht, dass man die „Nation“ zurückgewinnen oder Deutschland wieder den Deutschen zurückgeben müsse, weiß man als vernünftiger Mensch, was die Stunde geschlagen hat.
    Quelle: Heiner Flassbeck auf Telepolis


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