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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 23. November 2009 um 8:49 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Heute unter anderem Zu folgenden Themen: Gustav Horn: Sparen ist derzeit die falsche Antwort; Kapitalverkehrskontrollen: Gekühlte Geldströme; Einblicke in Lehmans Milliardengrab; Ex-Siemens-Vorstände belastet; Vermögenssteuer – Neid oder Gerechtigkeit; Schweinegrippe wird zur normalen Grippe; Cyberkrieg unter Klimaforschern; über die Qualität von neuen und alten Medien; dem Kapitalismus laufen die Gläubigen weg; Kritik am Bolognaprozess; zwei Schwache für Europa; FDP und Honduras. (WL)

  1. Ökonom Gustav Horn hält weitere Schulden für unproblematisch
  2. Japan muss mehr Anleihen begeben als je zuvor
  3. Kapitalverkehrskontrollen: Gekühlte Geldströme
  4. Einblicke in Lehmans Milliardengrab
  5. Vertrauliches Gutachten belastet Ex-Siemens-Vorstände
  6. Vermögenssteuer – Neid oder Gerechtigkeit?
  7. Flüchtlingskinder: Wie der Staat seine Fürsorgepflicht verletzt
  8. Was der Test auf H1N1 bringt
  9. Cyberkrieg unter Klimaforschern
  10. Frank Schirrmacher, das Digitakel aus Frankfurt
  11. Afghanistan: Nachrichten zum Fürchten
  12. Die Finanzkrise: Dumme Fragen
  13. Studie sieht Qualität und Unabhängigkeit des Journalismus bedroht
  14. WDR: Keine Behörde, keine Informationsfreiheit
  15. Wahlverdrossenheit: “Demokratische Gleichheit in Bremen in Gefahr”
  16. Dem Kapitalismus laufen die Gläubigen davon
  17. Wahlprogramm DIE LINKE. NRW – Landtagswahl 2010
  18. SPD weiter bei 20 Prozent
  19. Thyssen-Krupp und Steinbrück: Große Politik
  20. Bildungsbarometer: Studentische Kritik am Bologna-Prozess
  21. Freie Uni wird Lenzenfrei
  22. Evangelische Perspektiven zur Situation der Hochschulen in Deutschland
  23. Zwei Schwache für Europa
  24. Volontäre und Exstipendiaten erheben Vorwürfe gegen die FDP-nahe Organisation wegen deren Unterstützung für das Putschregime in Honduras

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Ökonom Gustav Horn hält weitere Schulden für unproblematisch
    „Wir haben bei weitem noch nicht das Produktionsniveau von vor der Krise erreicht. Von einem Aufschwung kann noch nicht die Rede sein“, warnte Horn in der „Berliner Zeitung“ (Montag-Ausgabe). „Es hat lediglich eine Erholung eingesetzt, die wir auch den Konjunkturprogrammen zu verdanken haben. Diese Politik muss solange fortgeführt werden, bis es einen selbsttragenden Aufschwung gibt. Erst dann muss auf den Sparmodus umgeschaltet werden.“
    Er halte überhaupt nichts davon, schon jetzt festzulegen, dass der Haushalt ab 2011 konsolidiert werden müsse.
    Scharfe Kritik richtete Horn an die EU-Politiker, die zur Haushaltsdisziplin und zum Sparen mahnen. „In Notlagensituationen erlaubt der Maastricht-Vertrag ausdrücklich höhere Defizite als drei Prozent. Und in einer solchen Situation befinden wir uns gerade“, sagte Horn. „Dass Brüssel derzeit so viel Druck auf die Regierungen ausübt, ihre Budgets in Ordnung zu halten, kann ich nicht nachvollziehen. Es erweckt den Eindruck, als hätten wir gar keine Notsituation. Ich halte dieses Verhalten der EU für fahrlässig.“
    Quelle: MM-news
  2. Japan muss mehr Anleihen begeben als je zuvor
    Die japanische Regierung muss sich einem Zeitungsbericht zufolge wegen der Wirtschaftsflaute am Finanzmarkt soviel Geld leihen wie nie zuvor.
    Die Emission von gewöhnlichen Staatsanleihen werde im kommenden Fiskaljahr mit insgesamt über 140 Billionen Yen (umgerechnet 1,1 Billionen Euro) ein Rekordniveau erreichen, hieß es in einem Bericht der Wirtschaftszeitung “Nikkei” am Sonntag.
    Japans Schuldenberg beläuft sich auf insgesamt 170 Prozent der Wirtschaftsleistung und ist damit größer als in allen anderen großen Industrienationen.
    Quelle: Reuters
  3. Kapitalverkehrskontrollen: Gekühlte Geldströme
    Denn mit der Stabilisierung der Weltwirtschaft geht auch die Entstehung von sogenanntem “hot money” einher, hochspekulativen Anlagen, die derzeit unter anderem mit Wetten auf staatliche Konjunkturbemühungen hohe Gewinne erzielen und so neuen Blasen Nahrung geben.
    Deshalb wollen Asiens Regierungen, deren Länder bei der globalen Erholung in Führung gegangen sind, nun auch bei der Eindämmung heißer Geldströme die Initiative ergreifen. In zahlreichen Hauptstädten wird derzeit die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen diskutiert oder bereits begonnen.
    Geschürt werde die Welle an spekulativem Kapital durch die niedrigen Zinsraten der USA, sagte kürzlich Hongkongs Regierungschef Donald Tsang. “Wir haben im Moment einen Carry Trade im US-Dollar”, so Tsang. Dabei nehmen Investoren günstig Kredite in einer Währung auf und konvertieren das Kapital in die Währung eines Landes mit höheren Zinssätzen, um es dort zu investieren. Der übliche geldpolitische Hebel, übermäßige Investitionen durch Zinserhöhungen einzudämmen, wird unwirksam, da er den Zufluss von “hot money” nur verstärkt. “Wo das Geld hinfließt, da werden später auch die Probleme sein: in Asien”, warnte Tsang.
    Quelle: FR
  4. Einblicke in Lehmans Milliardengrab
    Mehr als zwölf Monate nach der Pleite von Lehman Brothers gibt es eine Premiere: Erstmals haben zwei Banken, die als große Verkäufer von Zertifikaten gelten, Summen der bei ihnen eingelagerten Papiere offiziell bestätigt. So haben allein die Kunden der Citibank und der Hamburger Sparkasse 350 Mio. Euro verloren. Die Zahlen leiten sich aus Unterlagen ab, die im Rahmen des Insolvenzverfahrens veröffentlicht wurden. Bis zum 2. November mussten Geschädigte direkt oder über Banken ihre Ansprüche beim Insolvenzverwalter in New York anmelden. Im Rahmen der Anmeldung hat die Citibank Ansprüche im Volumen von gut 300 Mio. Euro geltend gemacht, die Hamburger Sparkasse ist mit mehr als 50 Mio. Euro dabei. Sprecher beider Kreditinstitute bestätigen, dass es sich bei den genannten Zahlen nur um Forderungen ihrer Kunden handelt, die die inzwischen fast wertlosen Zertifikate der US-Investmentbank im Depot hatten. Damit erhärtet sich der Verdacht, dass deutsche Anleger insgesamt zwischen 700 Mio. Euro und 1 Mrd. Euro verloren haben.
    Quelle: FTD
  5. Vertrauliches Gutachten belastet Ex-Siemens-Vorstände
    Der ehemalige Siemens-Vorstand unter dem früheren Konzernchef Heinrich von Pierer soll bereits ab Ende 2003 massive Hinweise auf die Existenz schwarzer Kassen, dubioser Beraterverträge oder fragwürdiger Treuhandkonten erhalten, es aber unterlassen haben, die Kontrollen zügig zu verschärfen.
    Das geht aus einem streng vertrauliches Gutachten der vom Siemens-Aufsichtsrat mit der Klärung von Schadensersatzansprüchen im Rahmen der Korruptionsaffäre beauftragten Düsseldorfer Anwaltskanzlei Hengeler Mueller hervor, das dem SPIEGEL vorliegt.
    Quelle: Spiegel Online
  6. Vermögenssteuer – Neid oder Gerechtigkeit?
    Warum sollen die oberen 30% unserer Bevölkerung, die über ca. 90% des Vermögens verfügen, keinen Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Ausgaben leisten?
    Die Vermögenssteuer ist weder eine „leistungsfeindliche Neidsteuer“ noch bürokratisch. Sie begünstigt weder Kapitalflucht noch kann von Enteignung der Reichen die Rede sein. Zudem ist die Nachkriegszeit längst vorbei, in der Vermögensaufbau volkswirtschaftlich durchaus sinnvoll war.
    Die meisten Industriestaaten haben weit höhere vermögensbezogene Steuern. Deutschland hingegen ist für Vermögende eine Steueroase. Deutschlands Steueraufkommen besteht lediglich zu 0,9% des BIP aus vermögensbezogenen Steuern, also aus Grundsteuern, Erbschaftssteuern, Vermögenssteuern und Kapitalverkehrssteuern.
    Die Wiedereinführung der Vermögenssteuer würde 16 bis 21 Milliarden Euro jährlich in die Staatskassen spülen und einen kleinen aber wichtigen Beitrag zur Steuergerechtigkeit leisten.

    Vermögenssteuer – Neid oder Gerechtigkeit?

    Quelle: DGB abrufbar unter DGB Themen unter Klartext 41/2009 v. 20. November 2009 [PDF – 128 KB]

  7. Wie der Staat seine Fürsorgepflicht verletzt
    Die Auseinandersetzung über die Rechte von Flüchtlingskindern in Deutschland ist eine schier unendliche Geschichte politischen Versagens; eine erbärmliche Folge der Verletzung von Fürsorge- und Obhutspflichten des Staates, nicht eingelöster Versprechen, des nachlässigen Umgangs mit internationalem Recht, der Folgenlosigkeit und Missachtung von Parlamentsbeschlüssen. Dies soll am Beispiel der Kontroverse um die Rücknahme der Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention (KRK) dargelegt werden, welche die Bundesregierung (Kohl) anlässlich der Ratifizierung am 5. April 1992 hinterlegte. Die Anmaßung in der Vorbehaltserklärung, keine Bestimmung der Kinderrechtskonvention könne dahin ausgelegt werden, “dass sie das Recht der Bundesrepublik Deutschland beschränkt, (…) Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen”, widerspricht den zentralen Absichten der Konvention, Art. 2 und Art. 3 der KRK, in denen ein Nichtdiskriminierungsgebot und der Vorrang des Kindeswohls festgeschrieben sind. Dieser Vorbehalt trägt einen gefährlichen rassistischen Bazillus – mit irreversiblen Folgen behördlicher Benachteiligung und gesetzlicher Willkür für Flüchtlingskinder in der Verfahrenspraxis.
    Quelle: FR
  8. Was der Test auf H1N1 bringt
    Fieber, Husten, Kopf- und Gliederschmerzen – wenn der Arzt sich jetzt weigert, einen H1N1-Test zu machen, reagieren viele Patienten entsetzt. Dabei hat er gute Gründe.
    Quelle: Focus Online

    Anmerkung unseres Lesers MR:  Das ist nun der absolute Witz, erst machen die so einen Aufstand wegen der angeblich so schlimmen Grippe –  und nun lässt man das Thema ausklingen – wie seinerzeit SARS und Vogelgrippe. Der Artikel ist – wie anderen auch – ein reiner Widerspruch in sich.  Die wollen gar nicht wissen, wer die Schweinegrippe hat, denn sonst würde rauskommen, dass die Menschen  einfach eine normale Erkältung haben, wie um diese Jahreszeit  so üblich. Ohne Test lässt sich die Zahl der vermeintlichen Grippekranken einfach so mal schätzen, so wie es seit Jahren mit der “normalen” Grippe auch gemacht wird.  Die veröffentlichten Zahlen sind keine tatsächlich festgestellten Erkrankungen, sondern werden einfach nach Angaben von eineigen “Schwerpunktpraxen” hochgerechnet aufs Land …

  9. Cyberkrieg unter Klimaforschern
    Zwei Wochen vor dem Klimagipfel in Kopenhagen bringen Hacker prominente Wissenschaftler in Erklärungsnot: Unter den geknackten Mails und Dokumenten finden sich peinliche Lästereien über Kollegen – und Andeutungen über Daten-Manipulationen. Ein gefundenes Fressen für ihre Gegner.
    Tatsächlich lassen E-Mails und Dokumente etliche prominente Klimaforscher nicht gut aussehen. Sie schimpfen über Journalisten und diskutieren ganz offen über die beste Strategie gegen die sogenannten Klimaskeptiker, also diejenigen Kollegen, die sich bis heute weigern, der These zuzustimmen, dass der Mensch Verantwortung für den Klimawandel trägt. Das geht von harmlosen Lästereien über bösartige Beschimpfungen bis zu Überlegungen, wie man die vorliegenden Forschungsergebnisse so präsentiert, dass sie Kritikern keine Angriffspunkte bieten.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung WL: Wir haben des Öfteren bekannt, dass wir keine Klimaexperten sind, dass wir aber bei irreversiblen Prozessen wie einem möglichen Klimawandel zur Vorsicht und zur Prävention raten. Die Dokumente sollten Anlass sein, Ungereimtheiten und Fehler aufzuklären.

  10. Frank Schirrmacher, das Digitakel aus Frankfurt
    “Ich lebe ständig mit dem Gefühl, eine Information zu versäumen oder zu vergessen, und es gibt kein Risiko-Management, das mir hilft.” Trotz ausbleibender Hilfe sei er aber “noch nicht bereit, den Bankrott zu erklären”.
    Sonst hätte er jetzt auch gleich auf sein neues Buch verzichten können. So empfiehlt er aber dort Albrecht Müllers Nachdenkseiten (“im besten Sinne alteuropäische Diskurse”).
    Quelle: Digitaz

    Anmerkung WL: Über dieses überraschende Lob aus Schirrmachers Feder freuen wir uns natürlich.

  11. Nachrichten zum Fürchten
    Als im Juni 2009 die Menschen in Iran auf die Strassen gingen, waren es zum ersten Mal die Bürger selbst, die im großen Stil live über eine Krise berichteten. “Während der Unruhen habe ich die meiste Zeit im Internet oder am Radio verbracht”, sagt Victor Kocher [Nahost-Korrespondent der NZZ], “PTV erbringt eine großartige Dienstleistung, und da ich Persisch spreche, kann ich sie nutzen. Das gibt mir den Raum zur Reflexion.” Denn auch für die Tageszeitung gilt: “Wenn so etwas passiert, muss was ins Blatt!” Seine Aufgabe sei es, “to make sense of it” – aus den Ereignissen schlau werden, ihnen eine Bedeutung geben. Um das tun zu können, müsse man wissen, wie die Republik funktioniert, die seit ihrer Gründung um den richtigen Kurs zwischen den göttlichen Satzungen des Islams einerseits und dem Volkswillen andererseits ringt. Was bedeutet es, wenn etwa Revolutionsführer Khamenei im Freitagsgebet das Ende der Kundgebungen verlangt? Wer sind die Drahtzieher der Volksbewegung? Wie genau fordern sie den Apparat heraus? Gibt es eine ernst zu nehmende Spaltung im Regime? Man müsse wissen, was Ahmadinejad, Rafsanjani, Mussawi und andere Galionsfiguren in den letzten Jahren getan hätten, wie sie zueinander stünden, um ihre Gesten und Worte decodieren zu können. “Während andere die Toten zählen”, sagt Kocher, “versuche ich, die Fäden im Marionettentheater zu entdecken. Nicht jede Aufregung mitzumachen, das ist die Stärke der Zeitung.”  Zum Tod von Neda Agha Soltan gab es eine kurze Agenturmeldung im Blatt und wenige Meldungen online. Viktor Kocher hat Neda in keinem der rund 15 Artikel, die er während der Unruhen verfasst hat, erwähnt. Tote zählen. Mit anderen Worten: Die Reduzierung der Auslandsberichterstattung auf Brennpunkte, das ist es, was der Nahostkorrespondent Ulrich Tilgner dem Fernsehen, aber auch allen anderen Medien vorwirft.
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Olrando Pascheit: Ein Artikel, der über den Tag hinausweist und nicht nur die Bedeutung des Bürgerjournalismus im Internet, sondern auch den Jornalismus als Vierte Gewalt thematisiert.

  12. Die Finanzkrise: Dumme Fragen
    Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass wir knietief in der größten Wirtschaftskrise seit 1929 stehen. Detroit ist keine Autostadt mehr, Regierungen mussten Banken retten, die Rezession greift um sich. Es hat sich inzwischen auch herumgesprochen, dass der Auslöser dieser Krise ein Wort aus dem Maklerjargon war: Subprime-Mortgage, zu deutsch minderwertige Hypothek. So weit, so bekannt. Aber wer hat wirklich verstanden, was passiert ist? Die Zeitungen drucken kryptische Analysen im Fachchinesisch der Ökonomen. Da ist von «Derivat-Emittenten» die Rede und von «gehedgten Positionen». Es geht uns wie damals im Physikunterricht, als alle nickten und keiner sich traute, nachzufragen, weil jede Frage bewiesen hätte, dass man nichts verstanden hatte. Schwierige Zeiten sind gute Zeiten für Journalisten. Alex Blumberg, Adam Davidson und Ira Glass, drei Radioreporter aus Chicago, entschieden sich, ein paar dieser «dummen» Fragen zu stellen.
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Das Jahr neigt sich den Ende zu. Hier ein  Hinweis auf drei  amerikanische Radioreporter, die vor einem Jahr versuchten den Leuten die Finanzkrise nahe zu bringen. Das überarbeitete Transkript ist zwar relativ konkretistisch, aber es gibt doch manch erhellendes Detail. Natürlich wissen wir heute alle, was damals ein Insider zögerlich einräumte: “Na ja, an den Finanzmärkten ist die Trennlinie zwischen Geldanlage und Spekulation oder Glücksspiel noch nie besonders scharf gewesen.”

  13. Studie sieht Qualität und Unabhängigkeit des Journalismus bedroht
    Um den Zustand des Qualitätsjournalismus in Deutschland ist es nicht gut bestellt. Die meisten Faktoren, die sich wesentlich auf die Güte und die mittel- bis langfristigen Rahmenbedingungen der journalistischen Arbeit auswirken, haben sich in den vergangenen Jahren verschlechtert. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie der Hochschule Darmstadt. Heute stünden wir dem Problem “insbesondere der Güte und Unabhängigkeit journalistischer Berichterstattung” gegenüber, so Studienleiter Professor Geribert E. Jakob vom Fachbereich Media der Hochschule Darmstadt in seinem Fazit.
    Quelle: Telepolis
  14. WDR: Keine Behörde, keine Informationsfreiheit
    Der Westdeutsche Rundfunk muss nach einer Verwaltungsgerichts-Entscheidung nicht offenlegen, an welche Fremdfirmen er Auftrage vergeben hat. Der freie Journalist Marvin Oppong hatte auf Herausgabe dieser Geschäftsverbindungen gedrungen, um zu recherchieren, ob sich Rundfunkratsmitglieder öffentlich-rechtliche Aufträge zuschustern lassen.
    In seiner Klage berief sich Oppong auf das nordrhein-westfälische Informationsfreiheitsgesetz, das Bürgern gegenüber Behörden einen weitreichenden Informationszugang einräumt. Das Verwaltungsgericht Köln entschied jedoch, der WDR sei trotz Gebührenerhebung keine Behörde – und negierte somit die Auskunftspflicht.
    Quelle: Netzpresse Recht
  15. Wahlverdrossenheit: “Demokratische Gleichheit in Bremen in Gefahr”
    Der Wahlforschung zufolge gibt es einen engen Zusammenhang zwischen sozial und materiell unsicheren Lebenslagen und Wahlbeteiligung. Dies zeigt sich auch in der Verteilung von Armutsquoten und Nichtwähler-Zahlen (siehe Bericht Seite 7).
    Das Land Bremen führt den Tross der wahlmüden Bundesländer im Westen an. Und Bremen ist auch das Bundesland mit der – im Westen – höchsten Armutsquote. Zudem spitzt sich ein seit langem bestehender Trend zu: Während in den klassisch bürgerlich geprägten Stadtteilen, in denen Menschen mit hohem sozialen Prestige leben, Wahlbeteiligungen von über 80 Prozent durchaus üblich sind, sackt die Beteiligung in Stadtteilen, in denen nur geringe materielle und soziale Sicherheit besteht auf nahezu 50 Prozent ab.

    Demokratische Gleichheit in Bremen in Gefahr

    Quelle: Arbeitnehmerkammer Bremen

  16. Dem Kapitalismus laufen die Gläubigen davon
    Zum 20. Jahrestag des Mauerfalls, gedacht als Beitrag zur Jubelfeier eines triumphierenden Kapitalismus, hat die britische BBC Ergebnisse einer weltweiten Umfrage veröffentlicht, die kaum dazu angetan gewesen wären, das Berliner „Fest der Freiheit“ vom 9. November anzureichern.
    Nur eine Minderheit – nicht mehr als elf Prozent der Weltbevölkerung – teilt noch den seltsamen Köhler-Glauben, dass die „freie Marktwirtschaft“ anstandslos funktioniert, und jeder Versuch zur Regulierung dieses wunderbaren Systems nur stört. Dagegen scheint fast ein Viertel der Weltbevölkerung davon überzeugt: Wir haben es beim Kapitalismus mit einem irreparablen, nicht reformierbaren Wirtschaftssystem zu tun – eine Alternative ist wünschenswert. Eine knappe Mehrheit von 51 Prozent der Befragten ist der Ansicht, die kapitalistische Reproduktion sei angeschlagen, aber durch Reformen innerhalb des Systems und mehr Regulierung reanimierbar.
    Kapitalismuskritiker unterschiedlicher Konsequenz haben also eine Mehrheit von 74 Prozent. 2005 ermittelte das gleiche Institut Globscan bei einer ähnlich gelagerten Umfrage in 20 Ländern noch eine Majorität von 63 Prozent, die den Kapitalismus für das beste aller Systeme hielt.
    Fazit all dieser Angaben: Regulierung ja, Umverteilung ja, Staatseigentum an den Produktionsmitteln ja, aber mit Vorbehalten. Das „gemischte Wirtschaftssystem“ hat weltweit mehr Freunde als der „reine“ Kapitalismus. Eine Mehrheit weiß oder ahnt, dass der Kapitalismus bisher nur überlebt hat, weil er nie Kapitalismus an sich war.
    Quelle: der Freitag
  17. Wahlprogramm DIE LINKE. NRW – Landtagswahl 2010
    Quelle: DIE LINKE NRW [PDF – 436 KB]

    Anmerkung WL: Bevor Sie mit verzerrenden Schreckbildern in den Medien konfrontiert werden, lesen Sie lieber einmal selbst nach.

  18. SPD weiter bei 20 Prozent
    Konstant niedrige Umfragewerte nach Entscheidungen für personelle und inhaltliche Kontinuität
    Wie heute bekannt wurde, entschied sich die Basis in Baden-Württemberg für Nils Schmid als neuen Landeschef. Schmid promovierte am Lehrstuhl von Ferdinand Kirchhof, dem nicht nur bluts-, sondern auch geistesverwandten Bruder des Steuerrechtlers Paul Kirchhof, der den Halbteilungsgrundsatz erfand und die Flat Tax einführen will.
    Quelle: Telepolis
  19. Thyssen-Krupp und Steinbrück: Große Politik
    Neue Aufgabe für Peer Steinbrück: Thyssen-Krupp-Legende Berthold Beitz holt den früheren Finanzminister in den Aufsichtsrat des Stahlkonzerns. Nachdem er in der Politik nicht mehr mitmischt, wird der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück nun ein wichtiges Mandat in der Wirtschaft übernehmen: Der SPD-Politiker soll im Januar für die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung in den Aufsichtsrat der Thyssen-Krupp AG einziehen. Beitz sieht sich damit in der Tradition des letzten Alleinbesitzers Alfried Krupp, der bis zu seinem Tode 1967 seine soziale Verantwortung hochhielt. Manchmal, sagt Beitz, “überlege ich: Was hätte Alfried dazu gesagt?” Und bei der Personalie Steinbrück, da ist er sicher, hätte der Alte geantwortet: “Gut gemacht, Beitz!”
    Quelle: SZ

    Anmerkung Orlando: Ist das wirklich große Politik, wenn ein Konzern einen Ex-Minister einwirbt? Politik leitet sich aus dem griechischen Polis ab, und meint das Gemeinwesen. Es ist wohl kaum zu erwarten, dass Thyssen-Krupp sich am Gemeinwohl ausrichtet, und nicht am Profit, auch wenn die SZ so tut, als geschehe die Verpflichtung Peer Steinbrücks aus sozialer Verantwortung. Der Konzern will sich die noch heißen Verbindungen Steinbrücks zur Politik zunutze machen, der übrigens im Gegensatz zur Behauptung der SZ als Bundestagsabgeordneter immer noch in der Politik mitmischt. Oder zählt ein Bundestagsmandat gar nichts mehr? – Es macht mich immer noch fassungslos, wie sozialdemokratische Spitzenpolitiker so übergangslos, wahrscheinlich schon längst abgesprochen, in die Wirtschaft überwechseln können. Wie soll da der Bürger glauben, dass sich die Entscheidungen solcher Politiker in der Vergangenheit am Gemeinwohl ausgerichtet haben und nicht am Privatwohl der eigenen Person bzw. der Konzerne.
    Ergänzende Anmerkung WL: Ich hätte allerdings eher vermutet, dass Steinbrück in die Finanzindustrie wechselt, schließlich ist man ihm dort mehr als zum Dank verpflichtet. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
    Es ist übrigens niemand zu verübeln, dass jemand nach seinem politischen Amt einer weiteren Tätigkeit nachgeht. Bemerkenswert ist allerdings, wo Schröder, Clement oder Fischer – um nur einige zu nennen – landen. Warum engagiert sich aber keiner von ihnen etwa in einer karitativen Einrichtung oder nutzt sein politisches Netzwerk für soziales Engagement?

  20. Bildungsbarometer: Studentische Kritik am Bologna-Prozess
    Eine Flexibilisierung des Übergangs vom Bachelor- zum Masterstudiengang sowie eine flexiblere Handhabung der Länge des Studiums bis zum Abschluss Bachelor beschreiben den Wunsch nach einer größeren Offenheit der Gestaltung. Zusammen vereinen diese beiden Kategorien bereits fast 47% der abgegebenen Voten. Was die Befragten ferner bewegt ist eine grundsätzliche Klärung der Möglichkeiten zum Berufseinstieg, die der Bachelor-Abschluss bietet. Hier gibt es nicht nur einen großen Bedarf an Informationen, sondern konkreten Optionen für die Absolventen.
    Insgesamt zeigen die hier aufgeführten Beispiele aus der Auswertung der Fragen zum Thema „Bologna“, dass eine intensive Auseinandersetzung mit der Gestaltung der Umsetzung und eine Überarbeitung im Sinne einer Vereinfachung der Handhabung vieler Bereiche dringend notwendig ist, um den Reformprozess positiv zu steuern.
    Die online-Befragung zum Thema „Bildungsproteste“ wurde in der Zeit zwischen dem 23. September und dem 25. Oktober 2009 durchgeführt.
    Quelle: Zentrum für empirische pädagogische Forschung [PDF – 70 KB]
  21. Freie Uni wird Lenzenfrei
    Der Präsident der Freien Universität nimmt seinen Hut – und geht nach Hamburg. Dort hatte es bereits im Vorfeld Proteste gegen den autoritären Wirtschaftsfreund gegeben.
    Der umstrittene Unipräsident Dieter Lenzen kommt einer Urabstimmung zuvor: Er verlässt Berlin vorzeitig und wird neuer Präsident der Universität Hamburg. Die Studierenden hatten bereits 2.100 Unterschriften beisammen – notwendig wären 3.500 gewesen. Das Ergebnis der Abstimmung wäre allerdings nicht verbindlich gewesen.
    Der Hamburger Hochschulrat stimmte einstimmig für Lenzen, den einzigen Kandidaten. Der Akademische Senat folgte mit 14 Ja-, zwei Nein-Stimmen und einer Enthaltung.
    Quelle: taz

    Anmerkung WL: Lenzen hat aber seine Wahl in Hamburg noch nicht angenommen. Siehe zu Lenzen nochmals Bodo Zeuner „Die Freie Universität vor dem Börsengang? – Bemerkungen zur Ökonomisierung der Wissenschaft“.

    Siehe dazu:

    Hochschulrat und AS ziehen Hau-Ruck-Verfahren durch – Uni Hamburg wird mit Dieter Lenzen nicht glücklich werden
    Alleine der kurzfristig anberaumte Sitzungsort im stark gesicherten DESY in Bahrenfeld spricht Bände – das gesamte Verfahren war nicht auf Demokratie und Transparenz ausgelegt und schließt die Hochschulöffentlichkeit komplett aus. Ein Universitäts-Präsident sollte aber die gesamte Uni vertreten und sich auch dieser vorstellen. Nichts dergleichen ist geschehen, obwohl am Donnerstag mehr als 1.000 Studierende zumindest eine öffentliche Vorstellung verlangten. Viele Studierende und Mitarbeiter/innen der Universität sowie die Besetzer/innen des Audimaxes halten die Bestätigung Lenzens deswegen für falsch – genauso falsch wie das Verfahren oder den Kandidaten Lenzen.
    Lenzen selbst gab sich bei seiner Rede vor dem AS gönnerisch: Sinngemäß ließ er verlauten, wenn er mit großer Zustimmung gewählt werde, werde er es machen. Das grenzt an Erpressung. Ganz entschieden wollen wir nochmals die perfide Taktik der Findungskommission unter Leitung Albrecht Wagners kritisieren: Die Streichung von Kandidat/innen von der Shortlist, bevor sich diese vorstellen konnten, verengte jeglichen Handlungsspielraum und setzte alle am Entscheidungsprozess beteiligten unter Druck. Die Logik dahinter ist: Wer diesen, einzigen Kandidaten ablehne, schade der Uni (Friss-oder Stirb-Taktik).
    Quelle: Hamburg brennt

  22. Evangelische Perspektiven zur Situation der Hochschulen in Deutschland
    Ein Votum des Evangelischen Hochschulbeirats der Evangelischen Kirche in Deutschland.
    Quelle: Forum kritische Pädagogik [PDF – 124 KB]

    Anmerkung WL: Vieles kann man nur unterschreiben, schade aber, dass die Evangelische Kirche trotz ihres Plädoyers für Chancengleichheit keine klare Haltung bei den Studiengebühren einnimmt und die „nachgelagerte“ Gebühr als akzeptable Lösung betrachtet.

  23. Zwei Schwache für Europa
    Die “Nacht der langen Messer” fand nicht statt. Nur rund zwei Stunden benötigten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft am Donnerstagabend, um sich über die Besetzung der beiden neuen Brüsseler Spitzen-Ämter zu verständigen. Keine Marathon-Sitzung, kein undurchsichtiger Kuhhandel. So etwas hat es bei vergleichbaren Anlässen bisher selten gegeben. Das ist allerdings auch schon das beste, was man über den Donnerstagabend sagen kann. In zwei Wochen tritt der EU-Reformvertrag von Lissabon in Kraft – und das neue Europa erlebt einen Fehlstart. Die Personalentscheidungen sind enttäuschend. Die Gemeinschaft sucht sich Führungskräfte ohne Ausstrahlung, ohne Visionen, ja zum Teil sogar ohne einschlägige Erfahrung aus.
    Quelle: FR

    Dazu auch:

    Gesichter eines Kontinents
    Die Personalentscheidungen auf dem Brüsseler Gipfel machen deutlich, wie sich Europas Staats- und Regierungschefs das Personal an der Spitze der EU vorstellen: Geschmeidig, effizient und möglichst lautlos. Eigentlich wäre es jetzt an der Zeit gewesen, dass die EU Männer und Frauen an ihre Spitze beruft, deren Wort in der Welt gehört wird.
    Quelle: Tagesspiegel

  24. Volontäre und Exstipendiaten erheben Vorwürfe gegen die FDP-nahe Organisation wegen deren Unterstützung für das Putschregime in Honduras
    Die Vorwürfe in der „Erklärung gegen die Position der Friedrich-Naumann-Stiftung in Honduras“ sind hart: Die FDP-nahe Organisation stehe unter dem Einfluss „kleiner Phantomgrüppchen und Organisationen der extremen Rechten in Lateinamerika“ und habe den Kontakt zu Realität verloren. So lautet zumindest das Urteil von rund 30 Volontären und ehemaligen Stipendiaten der deutschen Parteistiftung. Diese hatte sich nach dem Sturz des letzten gewählten Präsidenten des mittelamerikanischen Landes, Manuel Zelaya, unmittelbar auf die Seite des Putschregimes geschlagen. Das rund dreiseitige Papier wurde Ende der Woche über E-Mail verbreitet. Diese und eine weitere Erklärung haben in Honduras für Furore gesorgt.
    Quelle: Telepolis


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