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Titel: Hinweise der Woche

Datum: 29. April 2018 um 9:30 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Am Wochenende präsentieren wir Ihnen einen Überblick über die lohnenswertesten Beiträge, die wir im Laufe der vergangenen Woche in unseren Hinweisen des Tages für Sie gesammelt haben. Nehmen Sie sich ruhig auch die Zeit, unsere werktägliche Auswahl der Hinweise des Tages anzuschauen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Mit Andrea Nahles steht erstmals eine Frau an der Spitze der SPD
  2. Jemen – Der vergessene Krieg
  3. Ein Gesetz bringt Angst und Schrecken
  4. Sozialverbände gegen AfD
  5. 628 Kliniken soll Geld gestrichen werden
  6. Mindestlohn reicht in vielen Städten nicht – Überleben nur in Leipzig
  7. Jeder Dritte hat nicht mal 1000 Euro verfügbar
  8. Seit Schröder biedert sich die SPD dem neoliberalen Projekt an
  9. It’s the overhang, stupid!
  10. Veranstaltungsbericht: Von Labour lernen!

Vorbemerkung: Ursprünglich hatten wir geplant, in unserer Wochenübersicht auch auf die lohnenswertesten redaktionellen Beiträge der NachDenkSeiten zu verweisen. Wir haben jedoch schnell festgestellt, dass eine dafür nötige Vorauswahl immer damit verbunden ist, Ihnen wichtige Beiträge vorzuenthalten. Daher möchten wir Ihnen raten, am Wochenende doch einfach die Zeit zu nutzen, um sich unsere Beiträge der letzten Wochen (noch einmal) anzuschauen. Vielleicht finden Sie dabei ja noch den einen oder anderen Artikel, den es sich zu lesen lohnt. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Mit Andrea Nahles steht erstmals eine Frau an der Spitze der SPD
    Andrea Nahles ist die erste Frau an der Spitze der deutschen Sozialdemokratie. Mit 66,4 Prozent wurde sie von den Delegierten zur neuen Vorsitzenden gewählt. Sie bekam 414 der 624 gültigen Stimmen. Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange, die gegen Nahles angetreten war, erhielt 172 Stimmen.
    Mit einer sehr persönlichen und emotionalen Rede überzeugte Andrea Nahles die rund 600 Delegierten. Nahles erzählte von ihrer Kindheit in der Eifel: katholisch, Arbeiterkind, Mädchen, Land. Eine Biographie, die keine Karriere für eine Frau, und auch keine Karriere in der SPD vorgesehen hatte. Das war „nicht logisch“, sagte sie.
    Ihren Erfolg verdanke sie ihren Eltern und einem Bildungssystem, das dies möglich gemacht habe. „Und das wiederrum verdanke ich der SPD“. Auch heute noch gebe es jungen Menschen, „denen es nicht in die Wiege gelegt ist“, erfolgreich ihren Weg zu gehen, mahnte Nahles und rief den Delegierten kämpferisch zu: „Nutzt die SPD das zu tun, was ihr euch erträumt“. (…)
    Nach der Wahl gratuliert sie Andrea Nahles zu dem Erfolg. Sie wolle nun „ auch im Sinne der Einheit der Partei, meinen Beitrag zu leisten.“ Der kommissarische Parteivorsitzende Olaf Scholz hatte zu Beginn der Delegiertenversammlung die Bedeutung dieses Parteitages hervorgehoben: „Aber es ist schon ein historischer Moment, wenn die SPD eine Vorsitzende wählt, das ist ein Fortschritt – ein Fortschritt, der lange fällig war.“
    Quelle: vorwärts

    Anmerkung Christian Reimann: Es ist in der Tat überfällig, dass eine Frau an der Spitze der ältesten deutschen Partei steht. Jedoch das Kriterium „Frau“ allein dürfte kaum ausreichen, um für die SPD verloren gegangene Wählergruppen und Mitglieder zurückzugewinnen. Und die Bilanz von Frau Nahles als Bundesministerin fällt – milde ausgedrückt – eher kläglich aus (eine einzige Katastrophe) und lässt Schlimmeres befürchten. Blicke nach Frankreich und die Niederlande mit den bekannten Wahlergebnissen für die Schwesterparteien könnten Vorahnungen liefern …

    Ergänzende Anmerkung Jens Berger: Mehr als eine Übergangsvorsitzende oder besser Parteiverweserin wird Andrea Nahles ohnehin nicht sein. Spätestens im Mai 2019, wenn die SPD bei den Europawahlen wahrscheinlich an der Einstelligkeit kratzt, wird die Personaldebatte wieder massiv aufflammen. Die eigentliche Frage ist eher, wohin der kommende Übergang führen wird und hier muss man leider sehr pessimistisch sein.

    dazu: Fast jeder Zweite zweifelt an Nahles
    Am Sonntag soll Nahles zur SPD-Chefin gewählt werden, doch etwa die Hälfte aller Bürger ist skeptisch, ob sie die Partei einen und nach vorne bringen kann. Auch der Rückhalt für die GroKo ist laut ARD-DeutschlandTrend gesunken.
    Beim SPD-Parteitag am Sonntag soll Andrea Nahles zur neuen Parteichefin gewählt werden – sie steht vor der Aufgabe, die SPD aus der Personalkrise und aus dem Umfragetief zu führen. Die Frage, ob sie dafür die Richtige ist, beantworten die Bundesbürger jedoch zwiespältig: 47 Prozent der Deutschen sind laut ARD-DeutschlandTrend im Morgenmagazin skeptisch, ob sie als neue Vorsitzende die Sozialdemokraten einen und nach vorne bringen kann. Immerhin: Jeder Dritte traut es ihr zu. (…)
    Der Rückhalt der Bevölkerung in die Große Koalition ist gesunken: Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, würden 32 Prozent die Union wählen, die SPD erhielte 17 Prozent der Stimmen – beide Koalitionsparteien haben damit seit dem DeutschlandTrend vom 5. April je einen Prozentpunkt verloren.
    Gewinner sind AfD und FDP, die in der Wählerzustimmung um je einen Prozentpunkt auf 15 beziehungsweise zehn Prozent zulegen. Zwölf Prozent der Bürger würden laut der Sonntagsfrage die Grünen wählen, zehn Prozent die Linke.
    Quelle: tagesschau.de

    Anmerkung Christian Reimann: Vermutlich ist es kein Zufall, dass so negative Umfragewerte für Frau Nahles erst so kurz/unmittelbar vor dem entscheidenden Parteitag veröffentlicht wurden, oder? Insbesondere die derzeitige SPD-Spitze hätte sich entsprechend informieren können. Offenbar wollten sie das nicht und lieber Frau Nahles als Parteichefin sehen. Bitte lesen Sie dazu auch Warum tun die alten weisen Frauen und Männer der SPD nichts, um ihre Partei vor dem totalen Absturz zu bewahren? Sie lassen Nahles einfach laufen.

  2. Jemen – Der vergessene Krieg
    Im März jährte sich der Beginn des Jemen-Kriegs zum dritten Mal. JusticeNow! nahm dies zum Anlass, um sich intensiv mit diesem vergessenen Krieg auseinanderzusetzen. Das Ergebnis ist dieses sechsteilige Special. Teil 1 befasst sich mit der ungeheuren kriegsbedingten humanitären Katastrophe. Teile 2-4 behandeln die Rollen der vier wichtigsten regionalen Akteure dieses Kriegs: Saudi-Arabien und die Houthi-Rebellen, der Iran und die Vereinigten Arabsichen Emirate. Teil 5 schaut sich die Rolle der Al-Qaida im Jemen an, die die gefährlichste Filiale des globalen Terror-Franchise darstellt. Teil 6 wirft abschließend einen Blick auf die brutale Doppelrolle der USA im schon vor dem Krieg ärmsten Lander Arabischen Welt.
    Quelle: Justice Now

    Anmerkung JK: In der Berichterstattung über den Bürgerkrieg im Jemen oder besser in deren nicht Existenz manifestier sich wieder einmal das Versagen der „Qualitätsmedien“. Liegt das Schweigen im Blätterwald etwa daran, dass die islamische Diktatur Saudi-Arabien hier im Auftrag der „Guten“ die Bürger Jemens massakriert?

  3. Ein Gesetz bringt Angst und Schrecken
    (…) dieser Brief ist ein sorgenvoller Brief, ein Brandbrief. Warum? In meinen dreißig Jahren als Journalist habe ich viel Kritik an Gesetzen erlebt und selber geübt. Aber nie war die Kritik aller Beteiligten und Betroffenen so massiv, so einhellig, so besorgt, so empört, so entsetzt wie zu diesem Gesetz: Das vom bayerischen Ministerrat schon beschlossene Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz ist ein Gesetz, das psychisch kranke Menschen in die Nähe von Straftätern rückt und sie wie Straftäter behandelt.
    Es ist ein Gesetz, das psychisch Kranke zu Gefährdern erklärt, das ihre Ärzte zu Hilfspolizisten und die psychiatrischen Krankenhäuser zu Verwahranstalten macht. Die Menschen, die von diesem “Hilfe-Gesetz” betroffen sind, sollen nach den Regeln des Kriminalrechts in den psychiatrischen Krankenhäusern festgehalten und der Polizei gemeldet werden. Für psychisch Kranke gelten in der Klinik dann die Regeln des Strafvollzugs, die Regeln des Maßregelvollzugs und die Regeln der Sicherungsverwahrung. Ihre Entlassung soll der Polizei annonciert, ihre Krankheitsdaten sollen in einer zentralen Datei gespeichert und von den Sicherheitsbehörden abgerufen werden können. Wer traut sich da noch, mit Depressionen um Hilfe zu rufen, wer traut sich in Ausnahmesituationen um Intervention zu bitten? Er muss damit rechnen, dass ihm aus seiner Krankheit ein Strick gedreht wird, dass er in einem Staatsberuf nicht eingestellt oder dass er nicht befördert wird. Ein Krankenhaus ist aber ein Ort, an dem geheilt werden soll – nicht stigmatisiert.
    Acht Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer psychischen Krankheit; 1,2 Millionen werden stationär behandelt; 120 000 sind zur Diagnose und Therapie untergebracht – davon derzeit zehn Prozent gegen ihren Willen. Sie werden von so einem Gesetz in Angst und Schrecken versetzt. Und weil der Ministerpräsident, unter dessen Ägide dieses Gesetz entstanden ist, jetzt Bundesinnenminister ist, muss man fürchten, dass der Ungeist dieses Gesetzes bundesweit zu spuken beginnt.
    Quelle: Prantls Blick in der SZ

    dazu auch: Widerstand gegen das geplante bayerische Polizeiaufgabengesetz
    Gegen das von der bayerischen Landesregierung geplante Polizeiaufgabengesetz regt sich breiter Widerstand. Bereits am vergangenen Wochenende haben in Nürnberg und Würzburg Tausende protestiert. Ein breites Bündnis, an dem sich auch Attac beteiligt, plant weitere Proteste und ruft zu einer Großdemonstration am 10. Mai in München auf. Unter dem Motto: “Nicht mit uns – Nein zum neuen Polizeiaufgabengesetz – #NoPAG!” wollen neben Attac etwa 50 weitere zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Ablehnung deutlich machen.
    “Was von der Landtagsmehrheit mit dem Stichwort ‘Prävention’ gerechtfertigt wird, ist tatsächlich ein massiver Angriff auf unsere demokratischen Rechte” sagt Laura Pöhler, Sprecherin von Attac im Bündnis “Nein zum Polizeiaufgabengesetz Bayern”. “Diese Grundrechtseingriffe betreffen uns alle, Privatpersonen ebenso wie soziale Bewegungen und politische Proteste. Dagegen müssen wir uns einsetzen!”
    Expert*innen bezeichnen den Gesetzentwurf als schärfstes Polizeirecht seit 1945: Auch ohne das Vorliegen einer konkreten Gefahr sollen die Telefone von Bürger*innen abgehört und deren Post geöffnet, Drohnen und Bodycams eingesetzt und die Gesichtserkennung bei Videos auf öffentlichen Plätzen und Veranstaltungen eingesetzt werden können. Online-Durchsuchungen mit einem direkten Zugriff auf private Computer und der Einsatz von Staatstrojanern, die private Daten nicht nur durchsuchen und abgreifen sondern auch verändern können, sind ebenfalls geplant. Dazu kommt die sogenannte präventive DNA-Analyse von Zufallsfunden der Polizei.
    Quelle: attac

    Anmerkung JK: Das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz und das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz, so sieht sie aus die „Libertas Bavariae“.

  4. Sozialverbände gegen AfD
    Es geht uns alle an: Wachsam sein für Menschlichkeit! Die unsägliche AfD-Anfrage zu Schwerbehinderungen durfte nicht unwidersprochen bleiben. Gemeinsam im Bündnis mit 18 Organisationen, darunter zahlreiche Behindertenverbände, stellen wir uns entschlossen gegen diese unerträgliche Menschen- und Lebensfeindlichkeit. Wir sagen „Nein“ zu jeder Abwertung von Menschen mit Behinderung und zu jeglicher Form des Rassismus. Ideologien der Ungleichwertigkeit menschlichen Lebens haben keinen Platz in diesem Land.
    Quelle: Der Paritätische Wohlfahrtsverband – Gesamtverband via Facebook

    Dazu: Sozialverbände entsetzt über AfD-Anfrage zu Behinderten
    Sozialverbände aus ganz Deutschland haben gegen eine Kleine Anfrage der AfD zu Schwerbehinderten in Deutschland protestiert. “Wir rufen die Bevölkerung auf, wachsam zu sein und sich entschlossen gegen diese unerträgliche Menschen- und Lebensfeindlichkeit zu stellen”, heißt es in einer Anzeige von 18 Organisationen, die in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erscheint. Zuerst hatte das ZDF darüber berichtet.
    In der Kleinen Anfrage vom 23. März wollten AfD-Bundestagsabgeordnete von der Bundesregierung wissen, wie sich die Zahl der Behinderten in Deutschland seit 2012 entwickelt habe, und zwar “insbesondere die durch Heirat innerhalb der Familie entstandenen”. Daran schlossen sie die Frage an, wie viele dieser Fälle einen Migrationshintergrund hätten. Die Verknüpfung von Behinderung mit Inzucht und Migration löste in Politik und Gesellschaft breite Empörung aus. (…)
    Als Warnruf schalten die Sozialverbände nun die Zeitungsanzeige, in der sie sich entsetzt über das Vorgehen der AfD äußern. “Die Fraktion der AfD erkundigt sich vordergründig nach der Zahl behinderter Menschen in Deutschland, suggeriert dabei jedoch in bösartiger Weise einen abwegigen Zusammenhang von Inzucht, behinderten Kindern und Migrantinnen und Migranten”, heißt es darin. Die Anfrage erinnere damit “an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte, in denen Menschen mit Behinderung das Lebensrecht aberkannt wurde und die zu Hunderttausenden Opfer des Nationalsozialismus wurden”.
    Quelle: Zeit Online

  5. 628 Kliniken soll Geld gestrichen werden
    Der Gemeinsame Bundesausschuss GBA hat am Donnerstagnachmittag einen Beschluss gefasst, der die Notfallversorgung in Deutschland tief greifend verändern könnte. 628 Kliniken sollen keine Zuschläge mehr für die Notfallversorgung erhalten. Den Häusern wird allerdings eine Übergangsfrist gewährt, in der sie ihre Strukturen anpassen können.
    Auch bei der ambulanten Notfallversorgung geraten die Krankenhäuser unter Druck.
    Ein Gutachten des RWI – Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung, das am Vormittag vorgestellt worden war, geht von mehr als 700 Krankenhäusern aus, die für die ambulante Notfallversorgung nicht benötigt würden. Exakt 736 gemeinsam von KVen und Krankenhäusern betriebene Notfallzentren sollen laut RWI-Analyse ausreichen.
    Das Institut hat im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) infrage kommende Standorte für Notfallzentren identifiziert. Hauptkriterien waren die Erreichbarkeit binnen 30 PKW-Minuten und die Ausstattung. 99,6 Prozent der Bevölkerung könnten mit diesem Modell versorgt werden, sagte Professor Boris Augurzky vom RWI bei der Vorstellung des Gutachtens am Donnerstag in Berlin.
    Das Konzept werde der Realität nicht gerecht, hieß es dazu aus der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Es seien schließlich die Menschen, die die Krankenhäuser als Versorger wählten. Die Kliniken seien verpflichtet, die Menschen zu behandeln, die sich an sie wendeten.
    Quelle: ÄrzteZeitung
  6. Mindestlohn reicht in vielen Städten nicht – Überleben nur in Leipzig
    Wer die vorgeschriebenen 8,84 Euro pro Stunde verdient, ist in fast allen Großstädten zusätzlich auf staatliche Unterstützung angewiesen.
    Der aktuelle Mindestlohn von 8,84 Euro reicht für ein Leben ohne Hartz IV – aber nur, wenn man in Leipzig wohnt. In allen weiteren der 19 größten Städte in Deutschland ist das nicht der Fall. Das hat das zur gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gehörende Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) errechnet.
    Es hat ermittelt, wie hoch der Stundenlohn eines Single-Arbeitnehmers mit 37,7-Stunden-Woche sein müsste, damit der Betroffene keinen Anspruch auf Aufstockungsleistungen – also Hartz IV – mehr hätte. Geringverdiener erhalten staatliche Zuschüsse, sofern ihr Verdienst unter der Anspruchshöhe des Arbeitslosengelds II liegt.
    In Leipzig reicht laut WSI ein Stundenlohn von 8,48 Euro, um nicht mehr anspruchsberechtigt zu sein. In München müsste man hingegen 12,77 Euro pro Stunde verdienen – knapp 45 Prozent mehr als der aktuelle Mindestlohn. „Der Mindestlohn ist vielerorts nicht existenzsichernd“, sagt Thorsten Schulten, der die Berechnungen für eine Stellungnahme des WSI bei der Mindestlohnkommission durchgeführt hat. „Das liegt vor allem an den hohen Mieten in den Großstädten.“
    Die Forscher haben den Regelsatz mit Heizkosten, Freibeträgen und den Wohnkosten addiert, die die lokalen Jobcenter übernehmen. Die Berechnungen zeigen, dass einige Städte für Geringverdiener unerschwinglich sind und die hohen Mietkosten vom Staat subventioniert werden müssen.
    „Über Ortszuschläge nachdenken“
    Vor allem demonstrieren sie aber, dass der gesetzliche Mindestlohn zumindest in Großstädten nicht für ein Leben oberhalb des Existenzminimums ausreicht. Das WSI befürwortet deshalb eine Erhöhung des Lohnminimums über die Tarifentwicklung hinaus. „In besonders teuren Städten wie München sollte über einen Ortszuschlag nachgedacht werden“, fordert Thorsten Schulten.
    Das WSI zieht dennoch eine positive Bilanz des 2015 eingeführten Mindestlohns.
    Quelle: taz

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Die SPD will sich also feiern lassen für einen Mindestlohn, der – laut einem SPD-nahen Institut! – in keiner Großstadt, nicht einmal im tiefsten (und ärmsten) Ruhrgebiet, nicht im Osten, auch nur zum Überleben (!!) eines Alleinlebenden reicht, auch nicht zu einer ausreichenden Rente, geschweige denn zu einem halbwegs normalen Leben in der unteren Mitte. Ein Mindestlohn, den die SPD erst jahrelang bekämpft und dann auf allerniedrigstem Niveau weder flächendeckend noch allgemeinverbindlich eingeführt hat – und eben nicht einmal existenzsichernd, was eigentlich die Definition für einen Mindestlohn ist. Sehen so “soziale Gerechtigkeit” und #SPDErneuern aus? Ich verstehe aber auch nicht, warum der WSI “eine positive Bilanz des […] Mindestlohns” ziehen kann, der zu allem Überfluß nicht einmal konsequent kontrolliert wird.

  7. Jeder Dritte hat nicht mal 1000 Euro verfügbar
    Es muss bloß das Auto oder die Waschmaschine kaputtgehen, und etwa jeder dritte Deutsche stößt an seine finanziellen Grenzen. Materielle Not zieht sich nach offiziellen Zahlen weit durch die Gesellschaft.
    Fast jeder dritte Bundesbürger im Alter ab 16 Jahren ist nach einem Bericht der „Saarbrücker Zeitung“ von materieller Entbehrung betroffen. Demnach konnten sich im Jahr 2016 gut 31 Prozent dieser Altersgruppe in Deutschland keine unerwarteten Ausgaben in Höhe von 985 Euro leisten.
    Das waren 21,3 Millionen Menschen, schreibt das Blatt unter Berufung auf aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes. Der Geldbetrag entspricht dem seinerzeit statistisch maßgeblichen Schwellenwert bei der Armutsgefährdung in Deutschland. Er wird regelmäßig neu berechnet.
    Sparen bei Essen und Urlaub
    Fast 4,9 Millionen Personen mussten darüber hinaus wegen ihrer bescheiden materiellen Lage beim Essen sparen. Sie konnten sich allenfalls nur jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit leisten.
    12,8 Millionen Bundesbürger sahen sich nicht in der Lage, einen einwöchigen Urlaub außerhalb ihres Zuhauses zu finanzieren. Das war fast jede fünfte Person im Alter ab 16 Jahren. Kommen mehrere Probleme dieser Art in einem Haushalt zusammen, sprechen die Statistiker von „erheblichen materiellen Entbehrungen“.
    „Armut ist in Deutschland kein Randphänomen, sondern zieht sich quer durch die Bevölkerung“, zitiert die Zeitung die Linken-Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann. Sie hatte die Daten angefordert. Die Bundesregierung müsse endlich ein umfassendes Konzept zur Armutsbekämpfung vorlegen, forderte die Sozialexpertin.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Ein Drittel der Menschen in Deutschland steht also mit dem Rücken zur Wand, obwohl sie sich weder einen Urlaub noch ordentliches Essen leisten. Und das steht in der neoliberal-konservativen FAZ, während der SPIEGEL in Jubelarien schreibt, “Wir sind reich”.

  8. Seit Schröder biedert sich die SPD dem neoliberalen Projekt an
    Viel zu lange hat sich die SPD von Angela Merkel und den Turbo-Kapitalisten einlullen lassen. Der Partei gelingt nur noch eine Placebo-Therapie gegen deren Auswüchse. Da hilft nur knallharter linker Realismus – findet ein SPDler.
    „Die Märkte lieben Angela Merkel“, sagte der Europachef der Investmentbank Goldman-Sachs, Richard Gnodde, vor der letzten Bundestagswahl. „Die deutsche Kanzlerin hat bewiesen, dass sie eine sehr vertrauenswürdige, sehr stabile, sehr starke Anführerin ist – und das über viele Jahre, durch etliche Krisen. Das alles schätzen die Märkte“, meinte Gnodde.
    Da versteht man sich. Merkel und die Hardcore-Kapitalisten: eine Einheit, eine wahre Liebe. Genau das ist aber das Problem: diese Einheit von Turbo-Kapitalisten und den Regierungschefs.
    Die Linke muss sich dagegen nun erheben und laut anprangern und damit authentischen Veränderungswillen zeigen. Das heute ist alles nicht das, was uns nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion angekündigt wurde. Das ist nicht das „goldene Zeitalter“. Und wir sind auch nicht auf gutem Weg dahin. Wir sind vielmehr vom Weg abgekommen.
    Die Linke hat dabei zentral dazu beigetragen, dass wir vom Weg abgekommen sind. Gerade die moderate Linke ist es, die half, den Glauben von allen geschlagenen Kämpfen und dem „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) sowie den Glauben an eine „Autobahn des Fortschritts“ (Pankaj Mishra) zur kulturellen Hegemonie zu machen.
    New Democrats, New Labour, Neue Mitte. All das sind Überschriften einer fundamentalen Grundsatzentscheidung gewesen. Denn durch sie hat sich die Linke für einen postideologischen Kurs des Spiegelstrichpragmatismus entschieden und wurde zum Helfershelfer des großen Finanzkapitals. Sie gab also ihre Rolle als Gegenmacht zum Kapital und als Schutzmacht der kleinen Leute weitgehend auf. Die SPD etwa biederte sich so seit Gerhard Schröder dem neoliberalen Projekt an und macht seitdem nur noch eine Placebo-Therapie gegen die wildesten Auswüchse der neoliberalen Agenda.
    Quelle: WELT

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: So etwas von einem SPD-Grundsatzreferenten in der WELT – Respekt!

  9. It’s the overhang, stupid!
    Geschickt habt ihr das eingefädelt, Neoliberale – die Schwarze Null macht niedrige Lohnabschlüsse, und niedrige Lohnabschlüsse machen die Schwarze Null. Und alle machen mit, da es so vernünftig ist …
    Man fragt sich ja, weshalb für die letzten sechs Monate der 30-monatigen Laufzeit des Abschlusses im Öffentlichen Dienst ein Anstieg von 1,06 % vereinbart wurde, nachdem es für die beiden vorangegangen 13 bzw. 11-monatigen Zeiträume 3,19 % bzw. 3,09 % waren. (…)
    In der Tat hat ver.di in der eben abgelaufenen Tarifrunde (abermals) eine große Chance vertan, endlich die eingeschlafene deutsche Lohnlandschaft aufzuwecken. Kein Mensch – außer den Verhandlungsbeteiligten – versteht, warum die ursprüngliche Forderung, einen auf 12 Monate begrenzten Abschluss hinzukriegen, sang und klanglos aufgegeben wurde. Trickreich – und sachlich falsch – erklärt der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske, nach 13 Monaten gäbe es bereits 6,3 % mehr Einkommen. Erstens sind es tatsächlich 6,4 % und zweitens erst im 14. Monat nach Laufzeitbeginn (also nach fast der Hälfte der Gesamtlaufzeit) – wobei er die 250€ Einmalzahlung im Basisjahr ignoriert. Es ist schon doll, wie die ursprüngliche Forderung von „6 % für 12 Monate“ in einen Erfolg von „6,3 % nach 13 Monaten“ (klingt ja irgendwie ganz ähnlich) umgemodelt wird.
    Nachdem die IG Metall bereits versagt hatte, welche andere Gewerkschaft außer ver.di soll es denn richten, aus dem allgemeinen deutschen Lohntief herauszukommen?
    Nein, mit diesem Abschluss ist auf absehbare Sicht die letzte Hoffnung dahin, dass sich an der eingeübten Haltung der deutschen Gewerkschaften etwas ändern wird. Genauso, man könne vielleicht doch noch durch Vernunft zur Abschaffung der Schwarzen Null kommen. Denn selbstverständlich ist sie es, die die Tarifabschlüsse unter das Diktat der Kassenlage zwingt. Man kann nur anerkennend sagen: Geschickt habt ihr das eingefädelt, Neoliberale – die Schwarze Null macht niedrige Lohnabschlüsse, und niedrige Lohnabschlüsse machen die Schwarze Null. Und alle machen mit, da es ja so vernünftig ist.
    Quelle: Makroskop
  10. Veranstaltungsbericht: Von Labour lernen!
    Ein überaus informativer und lebendiger Vortrag wurde am 19. April im Kieler Gewerkschaftshaus präsentiert. Steve Hudson, Aktivist bei der britischen Corbyn-Labour-Kampagne MOMENTUM und Vorsitzender des NoGroKo e.V. in Deutschland, berichtete über die unglaublich erfolgreiche Geschichte der Labour-Party in den vergangenen 2 ½ Jahren. Hier das Video von Steves Vortrag.Können soziale Bewegungen, können linke Parteien von den britischen Erfahrungen lernen?Die SPD fängt möglicherweise an: Bei der Wahl zur Parteivorsitzenden erhielt Simone Lange zwar nur 27,6% der Stimmen, die 66,4% von Andrea Nahles könnten aber eher Abgangssignale sein. Dass die SPD noch nicht reif ist für den Wechsel à la Labour, zeigte sich nicht nur im Abstimmungsergebnis. Beinahe symptomatisch mit tragikkomischen Zügen ist das Eintreten der Gallionsfigur der NoGroKo-Bewegung Kevin Kühnert für die Gallionsfigur des ProGroKo-Parteiestablishments Andrea Nahles.Warum ist das auch für die Seniorenaufstands-Bewegten wichtig? Weil mit Andrea Nahles in den letzten Jahren und mit dem Koalitionsvertrag auch in der Zukunft eine Verfechterin des Drei-Säulen-Modells bei der Altenversorgung steht. Das bedeutet, sie wird den Kurs der systematischen Altersverarmung und der Schwächung der gesetzlichen Rentenversicherung nicht nur als Fraktionsvorsitzende, sondern jetzt auch als Parteivorsitzende weiter betreiben.172 Stimmen für Simone Lange sind aber ein deutliches Signal, das es auch anders kommen könnte…
    Quelle: Seniorenaufstand

    Anmerkung Christian Reimann: Insbesondere über den aktuellen Juso-Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert lesen auch bzw. erneut Es bleibt uns nichts erspart: Juso-Vorsitzender Kühnert als Kriegsbefürworter.


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