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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 5. Februar 2010 um 9:38 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

Heute unter anderem zu folgenden Themen: Steuergeschenke für Firmen; Verbot des Derivathandels mit Rohstoffen; Milliardendeal zwischen HRE und Nordbank; Kopfpauschale; Bahn sahnt ab; Gekaufte Politik; Daten-CD; Hartz-Debatte; SWIFT-Abkommen; Umfragen; Griechenland und der Euro; New York verklagt Bank of America; Bakschisch in Afghanistan; Chaos bei der Studienplatzvergabe; Creditpoints. (MB/WL)

  1. Neue Steuergeschenke für Firmen
  2. Flassbeck fordert Verbot des Derivatehandels mit Rohstoffen
  3. NDR Info enthüllt Milliardendeal
  4. Das Bonner Bankgeheimnis
  5. Bundesgesundheitsminister will Kopfpauschale durchsetzen
  6. Bahn will Kunden stärker anzapfen
  7. Stuttgarts Bahnhof: Dickes Fell
  8. Gekaufte Politik
  9. Zur Daten-CD
  10. Hartz IV – Debatte
  11. EU-Parlament verschiebt Abstimmung über SWIFT-Abkommen
  12. Umfragen
  13. Griechenland und der Euro
  14. Die Gefahr lauert in Spanien und Italien
  15. New York verklagt Bank of America
  16. Bakschisch-Ökonomie in Afghanistan
  17. Warnung auf türkisch
  18. Chaos bei Studienplatzvergabe
  19. Creditpoints an der Uni: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort
  20. Münchner Sicherheitskonferenz: Nicht in unserem Namen!

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Gesetzesentwurf: Neue Steuergeschenke für Firmen
    Die schwarz-gelbe Koalition kommt der Wirtschaft mit weiteren Entschärfungen der Unternehmensbesteuerung entgegen: Die Belastung von Leasingraten und von Produktionsverlagerungen ins Ausland soll abgemildert werden.
    Quelle: FTD
  2. Flassbeck fordert Verbot des Derivatehandels mit Rohstoffen: «Mit Angebot und Nachfrage hat das oft gar nichts mehr zu tun»
    Der Chefökonom der UN-Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD), Heiner Flassbeck, fordert den Ausschluss der Banken vom Derivatehandel mit Rohstoffen. «Die, denen es gar nicht darum geht, Rohstoffe im Preis abzusichern, würde ich schlicht rauswerfen», sagte Flassbeck in einem im Wirtschaftsmagazin «Focus-Money» veröffentlichten Streitgespräch mit dem Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken, Manfred Weber. «Wir können nachweisen, dass der Papierhandel (mit Derivaten) die Rohstoffpreise treibt», betonte Flassbeck mit Verweis auf Studien seines Instituts in Genf. «Mit Angebot und Nachfrage hat das oft gar nichts mehr zu tun.»
    Quelle: B2B Berlin
  3. NDR Info enthüllt Milliardendeal
    Der Codename des Deals war “Saint Pancras”. Pankratius ist der Schutzheilige der Ritter – aber was die Skandalbanken Hypo Real Estate (HRE) und HSH Nordbank da ausbaldowert hatten, war offenbar alles andere als ritterlich. Das belegen vertrauliche Unterlagen, die NDR Info und der “Süddeutschen Zeitung” vorliegen. Der Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate hat wegen dieses Milliardendeals der beiden Geldinstitute gerade Strafanzeige wegen Bilanzfälschung gestellt. “Beide hatten ein Problem. Sie hatten eigentlich zu viele Kredite verausgabt. Es war eigentlich zu wenig Eigenkapital da, sodass man nach außen hin in der Bilanz das Volumen der ausgereichten Kredite reduzieren musste, um nicht eingreifende Maßnahmen der BaFin zu provozieren”, erklärt Strate.
    Quelle: NDR info
  4. Das Bonner Bankgeheimnis
    Was hat der Fall Schreiber mit der Leuna-Affäre zu tun? In beiden Fällen führen Spuren zur DSL Bank. Doch das wird verschleiert. Die DSL Bank war halbstaatlich. Aufsicht hatte die Union. Doch Ermittler dürfen nicht aussagen
    Quelle: taz
  5. Bundesgesundheitsminister will Kopfpauschale durchsetzen: „Alle Politiker sollen an ihren Taten gemessen werden“
    Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler hat bekräftigt, dass er seine politische Zukunft an den Erfolg eines Umbaus des Gesundheitssystems knüpfen will. Er sei mit dem Ziel gestartet, ein effizientes Gesundheitssystem auf den Weg zu bringen.
    „Ich brauche die Zustimmung der gesamten Koalition und die gute Nachricht ist, ich weiß, dass ich mehr als 80 Millionen Menschen auf meiner Seite habe, fünf Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Arbeitnehmer im Gesundheitswesen, und ich glaube, das sind gute Argumente für alle Koalitionäre in diesem Land.“
    Quelle 1: Deutschlandradio (Text)
    Quelle 2: Deutschlandradio (Audio-Podcast)
  6. Bahn will Kunden stärker anzapfen
    Die Deutsche Bahn will im Regionalverkehr künftig deutlich stärker ihre Kunden als Erlösquelle anzapfen. Auf diesem Weg will die DB sinkende staatliche Zuschüsse kompensieren.
    Quelle: FTD
  7. Stuttgarts Bahnhof: Dickes Fell
    Der Ziegenkopf, der im Spottlied von der „Schwäbsche Eisenbahne“ übrig bleibt, weil das sture Viech, das man am hintersten Wagen angeseilt hat, partout nicht mit dem Zug Schritt halten wollte, wurde bei der von 2016 auf jetzt vorverlegten Grundsteinlegung des Megaprojekts „Stuttgart 21“ am vergangenen Dienstag nicht gesichtet. Wohl aber die Eile und Sturheit nicht nur schwäbischer Bahner und Bauer: Vor vierhundert Festgästen, während draußen zweitausend Demonstranten gegen das Vorhaben protestierten, feierten Bundesbauminister Peter Ramsauer und DB-Chef Rüdiger Grube den Beginn der Umwandlung des Stuttgarter Hauptbahnhofs vom Kopf- zum unterirdischen Durchgangsbahnhof – und damit den anstehenden Abriss der Seitentrakte und der Haupttreppe des berühmten, zwischen 1914 und 1929 von Paul Bonatz erbauten Bahnhofs.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung unseres Lesers M.R.: Das ist ein Unding sondergleichen Hier wird Geldverpulvert um einen funktionierenden Bahnhof zu zerstören – draußen auf dem “flachen Land” verlottert alles, weil “kein Geld” da ist.

    Ergänzende Anmerkung MB: Und dazu gibt es das übliche rethorische Gedudel. Wer den Fortschritt nicht wolle, sei rückständig. Die Pläne seien richtig und im zweiten Anlauf müsse die Kommunikationspolitik besser sein.

  8. Gekaufte Politik
    Unternehmen spenden Geld an Parteien. Autokonzerne, Banken, Versicherungen, Unternehmerverbände, Lobbyisten aus vielen Branchen – sie alle geben den politischen Parteien Geld. Die CDU kassiert am meisten, gefolgt von der FDP und der CSU. Das ist nichts Neues. Und auch wenn Politiker wie die ehemaligen FDP-Wirtschaftsminister Hans Friderichs und Otto Graf Lambsdorff wegen der “Flick-Affäre“ 1987 rechtskräftig aber – entsprechend ihren Positionen – gentlemanlike nicht wegen Bestechlichkeit, sondern nur wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurden, hat sich da offenbar nicht viel geändert.
    Quelle: Neue Rheinische Zeitung

    Anmerkung unseres Lesers G.K.: Es hat sich gegenüber den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts doch etwas geändert: Die Korruption in Wirtschaft und Politik hat zugenommen. Die kritische Aufarbeitung der Korruption durch die Medien (der sog. “Vierten Gewalt”) hat sich hingegen deutlich verschlechtert.

    Dazu auch:

    Kies-Affäre – Opposition verlangt Aufklärung
    Die Blockade zweier Wasserbauprojekte am Rhein durch das Land Baden-Württemberg schlägt hohe Wellen. Die oppositionelle SPD erhebt gegen die Landesregierung den Vorwurf der Korruption und dringt auf umfassende Aufklärung. Das Regierungshandeln habe sich offenbar “nach privaten Interessen” von südbadischen Kiesfirmen gerichtet, die durch Spenden an die CDU “auch noch besonders unterstrichen wurden”, sagte Fraktionschef Claus Schmiedel.
    Quelle 1: Stuttgarter Zeitung
    Quelle 2: SWR

  9. Zur Daten-CD
    1. Heribert Prantl: Die erfolgreichste CD der Welt
      Ihre bloße Existenz ist eine Gefahr: Aus Angst vor einem silbernen Datenträger werden sich nun viele Steuerhinterzieher selbst anzeigen. So spielt eine CD aus der Schweiz Millionen ein, noch bevor sie das erste Mal abgespielt wird.
      Quelle: SZ
    2. Gestohlene Steuerdaten – Zugriff trotz Hehlerei
      Der moderne Steuerstaat verlangt seinen Bürgern viel ab, vielfach zu viel. Wenn die Hälfte des Einkommens kassiert wird, wird die Bereitschaft, für das Ganze Verantwortung zu übernehmen, über Gebühr strapaziert. Dass es Zeiten in der Bundesrepublik gab, in denen die Steuerlast in der Spitze noch höher war, ändert daran wenig. Es gibt Belastungsgrenzen, die ein Gemeinwesen nicht überschreiten sollte. Der Anreiz, mit allen Mitteln seine Steuerlast zu drücken, nimmt mit wachsender Abgabenhöhe zu. So mancher erliegt dann der Versuchung, auch illegale Wege zu gehen. Kontrollen und Sanktionen allein reichen offensichtlich nicht aus, um die Menschen davon abzuhalten. Hinzu muss ein maßvoller Zugriff des Fiskus kommen.
      Quelle: FAZ

      Anmerkung unseres Lesers J.A.: Steuerhinterziehung als “Notwehr”? Peinliche Ausflucht.

    3. Heribert Prantl: Die Bank – Täter hinter dem Täter?
      Der Anleger hat das Geld, die Bank die Tatherrschaft. Ein Institut, das seinen Profit mit professioneller Steuerhinterziehung macht, ist mehr als nur Gehilfe eines gierigen Geldgebers. Die Gerichte werden sich mit den wahren Verantwortlichen beschäftigen müssen.
      Quelle: SZ
  10. Hartz IV – Debatte
    1. Wissenschaftlicher Rechercheservice der Hans-Böckler-Stiftung: Hartz-IV-Regelsätze für Kinder
      In der kommenden Woche entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Frage, ob die aktuellen Hartz-IV-Leistungen für Kinder ausreichen, um ihr soziokulturelles Existenzminimum zu sichern. Eine Studie der Volkswirtin Dr. Irene Becker im Auftrag von Hans-Böckler-Stiftung und Caritasverband kam schon 2007 zu dem Schluss, dass Familien mit Kindern in der Grundsicherung zu kurz kommen. Das liegt an diversen Mängeln bei der Bedarfsberechnung – nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene.
      Quelle: Böckler [PDF – 104 KB]
    2. Bundessozialgericht: Rekord an Klagen zu Hartz IV
      Fünf Jahre nach ihrem Start sorgt die Hartz-IV-Reform für immer mehr Arbeit – allerdings nur an Deutschlands Sozialgerichten. Die Welle der Klagen zum Thema Grundsicherung für Arbeitssuchende ist seit 2005 von Jahr zu Jahr angeschwollen. Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel nennt die aktuellen Zahlen: 2009 gingen genau 193 981 neue Verfahren bei den erstinstanzlichen Sozialgerichten ein. Ein Jahr zuvor waren es noch ein Zehntel weniger gewesen. “Der Trend hat sich auf hohem Niveau weiter verstärkt”, kommentierte BSG-Sprecher Thomas Voelzke.
      Quelle: FR

      Anmerkung Orlando Pascheit: Vor zwei Wochen noch ritt Roland Koch seine Attacke gegen “arbeitsunwillige” Hartz-Bezieher, dann meldete die SZ: „Der Missbrauch von Hartz IV steigt“. Allerdings erfolgte der Anstieg auf niedrigstem Niveau, von 1,8 % auf 1,9 % der Gesamtzahl der Bezieher. Die SZ konnte sich nicht verkneifen ihren Bericht mit der Selbstverständlichkeit abzuschließen, dass die Dunkelziffer höher liege. Leider fehlt diese Anmerkung zum Anstieg der Klagen auf 193 981, denn viele dürften gar nicht den Weg zum Gericht finden. Wir warten darauf, dass Politiker eine Situation skandalisieren, in der die Ärmsten unserer Gesellschaft die ihnen zustehenden Bezüge auch noch einklagen müssen. In fast der Hälfte der Klagen (48 Prozent) wurde den Klägern Recht gegeben (17.01.2009).

    3. Koch macht auf sozial
      Jeder gegen jeden im Streit um die Neuordnung der Hartz-IV-Verwaltung. Mit seiner Revolte gegen die von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen auf den Weg gebrachten »Reform« der Jobcenter hat Ministerpräsident Roland Koch (beide CDU) die Bundesregierung vor die nächste Zerreißprobe gestellt. Bis Donnerstag schlugen sich gleich mehrere Landesfürsten auf die Seite des hessischen Regierungschefs, der auf dem Wege einer Grundgesetzänderung die Zusammenarbeit von Arbeitsagenturen und Kommunen für die Zukunft sichern will. Damit steht ein Gesetzesentwurf des Arbeitsministeriums, der eine Trennung der Zuständigkeiten bei der Betreuung von ALG-II-Beziehern zum Inhalt hat, bereits eine Woche nach dessen Vorlage wieder auf der Kippe.
      Der »Heuchelei« bezichtigte am Donnerstag der Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland (Elo-Forum), Martin Behrsing, Hessens Regierungschef. Dem ginge es allein um den Erhalt und die Ausweitung der sogenannten Optionskommunen. Nach diesem Konzept haben bundesweit 69 Städte und Landkreise (davon 13 in Hessen) die alleinige Zuständigkeit bei der Betreuung von Hartz-IV-Beziehern inne. Koch wolle das Konstrukt per Verfassungsänderung zementieren, klagte Behrsing, »zum Leidwesen der Betroffenen«. Denn dort herrschten »furchtbare Zustände«. Das sieht man auch beim Deutschen Gewerkschaftsbund so: Die Fortführung der Optionskommunen sei »der reine Hohn«, äußerte sich schon am Mittwoch DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Die Alleinzuständigkeit der Kommunen habe »zu noch schlechteren Eingliederungserfolgen und mitnichten für eine effizientere Mittelverwendung« gesorgt.
      Quelle: junge Welt
    4. Stern-Umfrage zu Hartz IV: Was der Staat zahlen soll – und was nicht
      Klassenreisen und Sport für Kinder zählen für die meisten zum Existenzminimum, doch was nicht? In der stern-Umfrage gaben die Deutschen Auskunft: Auto, Kabelfernsehen, Handy sollen nicht durch staatliche Leistungen finanziert werden. Die Höhe des Hartz-IV-Satzes ist den Bürgern zu niedrig.
      Quelle: Stern
  11. EU-Parlament verschiebt Abstimmung
    Gestern stimmte der Innen- und Justizausschuss zwar mit knapper Mehrheit gegen das Swift-Abkommen. Die Plenarabstimmung wurde aber um einen Tag auf den 11. Februar verschoben. Innenausschussmitglieder berichten, dass sie in den vergangenen Tagen Besuch von Mitarbeitern der US-Botschaft erhielten. Sollte das Abkommen vom Parlament abgelehnt werden, drohe eine Sicherheitslücke, so die Warnung. Außerdem würden die USA dann eben ein bilaterales Abkommen mit Belgien anstreben, um so Zugriff auf die dort gespeicherten Daten aus dem EU-Zahlungsverkehr mit BIC und Iban-Code zu erhalten.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Die USA brauchen sich also nur ein Land herauszupicken und in bilaterale Verhandlungen zu treten. Dass das überhaupt möglich ist, zeigt überdeutlich, wie weit wir von einem politischen Europa entfernt sind, das diesen Namen verdient.

  12. Umfragen
    1. Schwarz-Gelb sackt ab – auch in NRW
      Rund 100 Tage nach Übernahme der Regierung steht die schwarz-gelbe Koalition denkbar schlecht da. Auch im stern-RTL-Wahltrend fällt das Bündnis zurück. Das gilt ebenso in Nordrhein-Westfalen, wo im Mai ein neuer Landtag gewählt wird.
      Quelle: Stern
    2. ARD-DeutschlandTREND Februar 2010
      FDP bei acht Prozent – Grüne mit Rekordwert – Bundesbürger geben Regierung Durchschnittsnote 3,9 – Mehrheit bewertet Schwarz-Gelb schlechter als Vorgängerregierung
      Quelle: Presseportal
    3. Passend dazu:

    4. FDP im freien Zerfall
      Der Katastrophenstart der Koalition beschädigt vor allem die FDP. Sie könnte an ihren Versprechen scheitern und untergehen. Und in der Union kichern sie leise.
      Am Wochenende machte ein Kurzinterview Pinkwarts mit dem Spiegel Schlagzeilen: Der Stellvertreter Guido Westerwelles forderte, den Mehrwertsteuerrbatt für Hotels zu kippen. In Berlin wären sie fast von den Sitzen geflogen. Pinkwart hatte die Bremse ohne jede Vorwarnung gerissen. Das Gepäck flog, bildlich gesprochen, quer durchs Abteil. Die FDP hatte den Steuerrabatt verlangt, war zwischendurch sogar kurz schwankend, dann aber von der CSU weiter vorangetrieben worden. Die FDP musste sich eine Klientelpartei schimpfen lassen und sogar den Verdacht der Käuflichkeit abwehren wegen einer Millionenspende des Mövenpick-Besitzers August Baron von Finck. Und dann so was! Als Pinkwart am Montag im Thomas-Dehler-Haus ins Parteipräsidium kommt, prallt er auf eine Wand aus unterdrückter Wut. Einer wird ihm im Lauf der Sitzung unmissverständlich deutlich machen, dass sie ihn zum Sündenbock erklären werden, wenn es am 9. Mai in Nordrhein-Westfalen schiefgeht. Die Wut wird nicht geringer dadurch, dass jeder der Anwesenden die Briefe kennt, die mittlerweile in alle FDP-Landesverbände hageln: Von “Schande” reden die Briefeschreiber und davon, dass sie sich heute dafür “schämen müssen, meinem Nachbarn die Wahl der FDP empfohlen zu haben”.
      Quelle: Zeit
  13. Griechenland und der Euro
    1. Sprengt Griechenland den Euroraum?
      Muss Europa das hoch verschuldete Griechenland retten, weil sonst die Gemeinschaftswährung gefährdet ist? Ein Papier der Finanzminister erhärtet den Verdacht. Der Druck auf Deutschland zu helfen wächst, doch Kanzlerin Merkel zögert noch. Die Märkte dagegen reagieren: Börsen und Euro stürzen ab.
      Quelle: FR
    2. Der Euro kann die Staatspleite verkraften
      Stürzt das pleitebedrohte Griechenland die Euro-Staaten in die Krise? Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger warnt vor Horrorszenarien: Im Interview sagt er, warum unsere Währung sogar den Finanzkollaps eines Staates überstehen würde – und fordert ein neues globales Geldsystem.
      Quelle: Spiegel

      Passend dazu:

    3. Robert von Heusinger: Die Rechnung kann nicht aufgehen
      Die Griechen müssen jetzt drakonisch sparen. Binnen dreier Jahre soll das Haushaltsdefizit wieder unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen. Das verlangen die EU und ihr Stabilitätspakt. Sie hat mit den Griechen mal durchgerechnet, wie man das schafft: Dafür werden die Löhne im öffentlichen Dienst gekürzt, die Steuern erhöht, dürfen die Menschen erst mit 67 Jahren in Rente. Wie realistisch ist die Rechnung, selbst unter der Annahme, dass die Bevölkerung alles brav hinnimmt?
      Die Antwort ist simpel: Die Rechnung kann nicht aufgehen. Volkswirtschaftlich ist es unmöglich, das Staatsdefizit durch Radikalsparen in den Griff zu bekommen, solange die Wirtschaft nicht boomt, sondern schwächelt.
      Quelle: FR
    4. Heiner Flassbeck: Griechen haben Haushalts- und Leistungsdefizit – Euroanleihe könnte Erste-Hilfe-Lösung sein
      Als eine mögliche Lösung für die massiven staatlichen Finanzprobleme Griechenlands sieht der Chefökonom der UN-Welthandels- und Entwicklungskonferenz, Heiner Flassbeck, die Ausgabe einer Euroanleihe aller Staaten der Gemeinschaft.
      Quelle 1: Deutschlandradio Kultur (Text)
      Quelle 2: Deutschlandradio Kultur (Audio-Podcast)
  14. Die Gefahr lauert in Spanien und Italien
    Mit Protesten und Warnstreiks haben die Staatsbediensteten in Griechenland auf die von Brüssel verordnete Sparpolitik reagiert. Eigentlich befindet sich Athen mit seinem auf Pump finanzierten Staatshaushalt in guter Gesellschaft: Gegen 20 der 27 EU-Mitgliedstaaten läuft ein Defizitverfahren. Zudem steuert Griechenland nur 3 Prozent zur Wirtschaftsleistung der Eurozone bei – ein Bankrott Spaniens oder Italiens wäre für den Euro bedrohlicher. Als Musterschüler hingegen gilt Irland. Bereits im vergangenen April wurden dort die Gehälter im öffentlichen Dienst um 7,5 Prozent gekürzt. Damit war Irland eines der ersten Länder der Eurozone, das nach der Rezession einen strengen Sparkurs einschlug. Im Dezember wurden zusätzliche Kürzungen bei den Beamtengehältern um bis zu 15 Prozent angekündigt. Außerdem sollen die Sozialausgaben um 4 Prozent gesenkt werden – das bedeutet unter anderem Streichungen beim Kindergeld und bei der Arbeitslosenhilfe. Einen noch drastischeren Sparkurs fährt Lettland, das allerdings noch nicht zur Eurozone gehört. Kredite des Internationalen Währungsfonds und der EU verhinderten dort den Staatsbankrott – sie sind aber mit strengen Auflagen verbunden. Deshalb hat die Regierung in Riga im vergangenen Jahr die Staatsausgaben um 40 Prozent gesenkt – mit verheerenden sozialen Folgen.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Was heißt das? “Lettland, das allerdings noch nicht zur Eurozone gehört.” Geht es hier nur noch um den Euro? Während in anderen Ländern “nur” Gehälter beim Staat gekürzt werden, wurden in Lettland Schulen und Krankenhäuser geschlossen. Das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen, in den verbliebenen Krankenhäusern werden nur noch absolute Notfälle behandelt, ansonsten nur gegen Bares. Eine Gallen-OP kostet 600 Euro, die Durchschnittsrente beträgt 155 Euro, da muß mancher seine Koliken ertragen lernen. Wer je eine gehabt hat, weiß, wie da ist. Aber noch schlimmer ist, dass die Fachkräfte, z. B Ärzte und Krankenschwestern, das Land verlassen, eine solide Schulbildung in Frage gestellt ist. Wie soll das Land je wieder den Anschluß an Europa finden? Die Menschen sind einem Trugbild von Europa aufgesessen, ohne zu ahnen, dass die ganze Osterweiterung letztlich nur eine erweiterte Freihandelszone ist, geschaffen vom expansionswilligen europäischen Exportkapital. Abstrakte Marktmechanismen würden das mit dem Wohlstand schon regeln, hieß das Versprechen.  Kein Mensch hat sich Gedanken gemacht, mit welchen Waren diese Länder in den Wettbewerb mit den hochentwickelten Volkswirtschaften des europäischen  Zentrums treten können. Schauen sie sich die Warenstruktur der lettischen und dann auch gleich der griechischen Exporte an. Da ist kaum Hochwertiges, das Devisen in das Land bringt. Die ‘taz’ hat letztes Jahr eine lettische Lehrerin zitiert: “Ich sehe hier keine Zukunft für meine Kinder. Ich glaube nicht mehr an dieses Land. Es produziert nichts, was der Rest der Welt haben will”. Wo waren da unsere superschlaue Kommission oder die großen europäischen Industrienationen, um diese Länder in ihrem Bemühen zu unterstützen und zu beraten, den Anschluß an den zentraleuropäischen Lebensstandard zu finden. Markt, Markt haben sie bis zur Bewußtlosigkeit gestammelt, bis der Finanzmarkt über ihnen zusammenbrach.

  15. New York verklagt Bank of America
    Der frühere Chef der US-Großbank Bank of America, Ken Lewis, ist wegen Betruges angeklagt worden. Die Vorwürfe stehen im Zusammenhang mit dem umstrittenen Kauf des Investmenthauses Merrill Lynch durch die Bank of America, teilte der New Yorker Generalstaatsanwalt Andrew Cuomo am Donnerstag mit. Neben Lewis richtet sich die Klage auch gegen Ex-Finanzvorstand Joseph Price. Das Verhalten der Bank nannte Cuomo “ungeheuerlich und verwerflich”. Der Anklage zufolge hatte die Großbank unter anderem ihren Aktionären vorsätzlich Informationen über massive Verluste von Merrill Lynch vorenthalten, um auf dem Höhepunkt der Finanzkrise im September 2008 die Zustimmung für die Übernahme zu erhalten. Lewis soll zudem der Regierung vorgegaukelt haben, sein Geldhaus benötige Milliardenhilfen vom Staat, um den Deal abzuschließen. Die Großbank einigte sich unterdessen am Donnerstag mit der US-Börsenaufsicht SEC im Zusammenhang mit Vorwürfen in einer anderen Sache in einem Vergleich und zahlte 150 Millionen Dollar Strafe. Die Börsenaufsicht hatte dem Geldinstitut auch angelastet, ihre Aktionäre bei milliardenschweren Bonuszahlungen an Merill-Lynch-Banker hinters Licht geführt zu haben. Die Bank versprach überdies, ihre Hauspolitik bei der Offenlegung von Informationen zu verbessern.
    Quelle: Spiegel

    Anmerkung Orlando Pascheit: Wieviel Geschäfte dürfte die Finanzwelt wider besseren Wissens ihren Kunden aufgeschwatzt haben?

  16. Bakschisch-Ökonomie
    Die Bevölkerung Afghanistans sieht in der ausufernden Korruption das größte Hindernis beim Wiederaufbau des verwüsteten Landes. Zu diesem Ergebnis kam eine breit angelegte Umfrage des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC), die am 19. Januar der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Hierbei wurden 7600 Afghanen aus zwölf Städten und mehr als 1200 Dörfern befragt. Insgesamt gaben 56 Prozent der Umfrageteilnehmer an, daß die allgegenwärtige Bestechlichkeit für sie das größte Problem darstelle – noch vor der angespannten Sicherheitslage (54 Prozent) und der hohen Erwerbslosigkeit (52 Prozent). Inzwischen sei es nahezu »unmöglich«, in Kontakt mit afghanischen Staatsbediensteten ohne Schmiergelder Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, erklärte Antonio Maria Costa, der Vorsitzende des UNODC, anläßlich der Vorstellung des Berichts. Bestechungsgelder werden inzwischen für alles Mögliche verlangt, vom Passieren eines Checkpoints bis zur Gewährleistung von Drogenhandel und Menschenschmuggel. In der Umfrage gab nahezu jeder zweite Afghane an, im vergangenen Jahr einen Vertreter der Staatsmacht bestochen zu haben. Zumeist sind es die Staatsbediensteten selber, die Schmiergelder direkt einfordern, wobei besonders der ländliche Raum betroffen ist: 80 Prozent der ländlichen Bevölkerung gaben an, daß die Korruption in den letzten fünf Jahren stark angestiegen sei, in den Städten waren 40 Prozent der Befragten dieser Ansicht. Am korruptesten sollen dem Umfrageergebnis zufolge lokale Polizisten und Beamte sein, gefolgt von Richtern, Staatsanwälten und auch Regierungsmitgliedern.
    Quelle: junge Welt
  17. Warnung auf türkisch
    Landesweiter Solidaritätsstreik mit entlassenen Tabakarbeitern unter Beteiligung von Millionen Menschen. Erdogan droht mit staatlichen Repressionen. Da Arbeitern nach türkischen Gesetzen die Teilnahme an Solidaritätsstreiks verboten ist, sprachen die Gewerkschaften statt von einem Generalstreik von einer Generalaktion. Zehntausende Gewerkschafter demonstrierten in Städten wie Istanbul, Ankara, Izmir, Adana und Diyarbakir. Während in Izmir an der Ägäisküste das öffentliche Leben durch den Streik zum Erliegen kam, Bergleute in der Schwarzmeerprovinz Zonguldak die Arbeit ruhen ließen und im kurdischen Batman die Ölraffinerien stillstanden, blieb die Streikbeteiligung in Istanbul und Ankara gering. Die Bedeutung des in nur zwei Tagen vorbereiteten Streiks lag damit weniger in der Gesamtzahl der Streikenden als in seiner landes- und branchenweiten Ausdehnung. Selbst auf dem 5165 Meter hohen Berg Ararat hißte eine 20köpfige Bergsteigergruppe ein Solidaritätstransparent. »Wenn die Tekel-Arbeiter in der Kälte stehen müssen, gehen auch wir in die Kälte«, erklärten die Sportler auf dem eisbedeckten Gipfel. Erdogan beschuldigte unterdessen die Tekel-Arbeiter, sich von »extremistischen Kräften« zum Kampf gegen die Regierung mißbrauchen zu lassen
    Quelle: junge Welt

    Anmerkung OP: Anscheinend machen uns türkische Gewerkschaftler vor, wie man einen an sich verbotenen Generalstreik durchzieht, und das einem sicher schwierigeren Umfeld als dem deutschen. Schade, dass unsere Gewerkschaften etliche Privatisierungen verschlafen haben. Wer sich für den Streik interessiert, siehe auch hier auf labournet.de.

  18. Chaos bei Studienplatzvergabe
    Die Probleme bei der Studienplatzvergabe haben sich entgegen den Beteuerungen von Hochschulrektoren und Politik auch in diesem Wintersemester fortgesetzt. Das belegt eine bislang unter Verschluss gehaltene Erhebung der Kultusministerkonferenz. Demnach waren wegen organisatorischer Mängel vier Wochen nach Beginn des Vorlesungsbetriebes Anfang November immer noch “mindestens 18.000 Studienplätze” in begehrten Numerus-clausus-Fächern unbesetzt.
    Dem Bericht zufolge haben viele Universitäten ihre Studiengänge stark überbucht, weil sie mit vielen Absagen rechnen müssen. An der Universität Mainz beispielsweise soll es im Bachelor-Studiengang Biologie 108 Studienplätze gegeben haben, für die sich 877 Bewerber interessierten. Die Uni erteilte 677 Zulassungen, woraufhin sich bis zum Studienbeginn aber nur 92 Studierende immatrikulierten.
    An der Universität Würzburg waren in einigen Studiengängen bis zu acht Nachrückverfahren nötig, um die Studienplätze zu besetzen. Die Verfahren zogen sich bis Mitte November hin, also bis weit nach Semesterstart Anfang Oktober. Das System der Zulassung ist also weiterhin alles andere als effizient.
    Klagen über das jährliche Einschreibchaos an den Hochschulen gibt es jetzt seit mehr als fünf Jahren. Länder und Bund hatten den Hochschulen 2003/2004 durch verschiedene Gesetzesänderungen mehr Eigenverantwortung überlassen.
    Quelle: SZ

    Anmerkung WL: Siehe dazu Vom Versagen der Politik und der Scheu vor Verantwortung

  19. Creditpoints an der Uni: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort
    Nachdem die Studenten vor kurzem noch darüber lachten, ob man sich die Credit Points des Europe Credit Transfer Systems (ECTS) nicht auch in Cash auszahlen lassen könnte, müssen sie schon wenige Jahre nach der Einführung der Bologna-Reformen an den Universitäten einsehen: Die Hoffnung, es handele sich um einen von oben implementierten Patzer, der in zehn Jahren wieder korrigiert sein würde, war trügerisch. Die Professoren mögen über die Autonomie des Universitätssystems gegenüber dieser wirtschaftlichen Leistungsmesserei referieren – den Studenten, deren Studienzeit nun mal in dieses Kapitel der Universitätsgeschichte fällt, wird auch der kritische Diskurs über das ECTS in Leistungspunkten ausgezahlt.
    Quelle: SZ
  20. Nicht in unserem Namen !
    Am 5. Februar 2010 will Oberbürgermeister Christian Ude die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der „46. Münchner Sicherheitskonferenz“ zu einem festlichen Empfang im Alten Rathaussaal einladen. Dort möchte der OB im Namen der Stadt München Regierungschefs, Militärexperten und Minister, Politiker und Diplomaten der führenden Nato-Staaten, Generäle der Nato und der Bundeswehr sowie Wirtschafts- und Rüstungsmanager begrüßen und damit diese Militärkonferenz im Namen aller Münchner und Münchnerinnen legitimieren.
    Dazu erklären wir: Das geschieht nicht in unserem Namen!
    Quelle: Nicht in unserem Namen


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