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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 10. August 2018 um 8:34 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Luftangriff trifft laut Huthi-Rebellen Schulbus
  2. Lehrermangel: “Die Unterrichtsversorgung ist auf Kante genäht”
  3. Blüm kritisiert sozialpolitische Geisterfahrer bei der Rente
  4. Lkw-Maut
  5. Die unerträgliche Langsamkeit des Zolls
  6. Spahns `Weiter so´ gefährdet die Versorgungsqualität in Krankenhäusern
  7. Italien nimmt liberale Arbeitsmarktreformen zurück
  8. Iran / USA: Pulverfass am Persischen Golf
  9. Mehr Geld zum Verschleudern
  10. Jammern auf hohem Niveau
  11. Die Fakten und die Toten: Wie Tichys Einblick mit einer abstrusen Zahl über ertrunkene Flüchtlinge Stimmung macht
  12. Sammelbewegung „Aufstehen”

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Luftangriff trifft laut Huthi-Rebellen Schulbus
    Bei einem Bombardement im Norden des Jemen wurden mindestens 43 Menschen getötet. Nach Huthi-Angaben starben viele Kinder. Saudi-Arabien nannte den Angriff legitim.
    Quelle: Zeit Online

    Anmerkung unserer Leserin S.I.: Interessant: Bei Zeit Online werden für denselben Vorfall die Huthi-Rebellen zitiert, im Guardian das Rote Kreuz. Im Guardian gibt es Bilder von verletzten Kindern, bei Zeit Online nicht, obwohl man doch in anderen Fällen eine Vorliebe für solche Fotos hat.

    Anmerkung unseres Lesers A.H.: Der Bombenangriff Saudi-Arabiens im Jenem findet in der “Qualitätspresse” und der Politik kaum Nachhall. Man stelle sich nur einmal vor, Russland hätte in Syrien einen Schulbus bombardiert und würde zudem die Häfen des Landes blockieren und eine Hungersnot auslösen. ARD und ZDF würden Sondersendung über Sondersendung ins Programm aufnehmen, in denen “Experten” die aggressive und menschenverachtende Politik Russlands anprangern, die Zeitungen würden das Thema groß aufmachen und in den Kommentaren die “Rückkehr der imperialen Politik” beklagen, die Regierungen der NATO-Staaten würden Sanktionen beschließen, Botschafter zurückrufen und UN-Sondersitzungen beantragen, in denen sie ein sofortiges Ende der Bombardierungen und Blockaden fordern würden. Zudem würde Russland von sämtlichen internationalen Treffen ausgeschlossen.

    Und Saudi-Arabien? Hat nichts dergleichen zu befürchten, denn das Königreich ist ja unser Verbündeter. Im Gegenteil bleiben die Saudis ein begehrter Handelspartner – auch für deutsche Rüstungsunternehmen! So entschlossen wird in Deutschland von Politik und (vielen) Medien mit zweierlei Maß gemessen.

    dazu: Tödlicher Angriff auf Schulbus: Krieg im Jemen – die Welt schaut weg
    Mindestens 29 Kinder sollen getötet worden sein beim einem Luftangriff auf einen Schulbus im Jemen. Der Krieg im Armenhaus der Arabischen Halbinsel verschärfe sich noch, kommentiert Udo Schmidt. Doch darum kümmere sich kaum jemand, auch in Deutschland nicht. […]
    Der Krieg im Jemen, ein Stellvertreterkrieg, den die beiden Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien auf dem Rücken der 28 Millionen Jemeniten austragen, vollzieht sich weitgehend im Verborgenen – jedenfalls aus europäischer Sicht. Die schiitischen Huthi-Rebellen, unterstützt vom Iran und die sunnitisch geprägte Regierung, die nur Teile des Landes kontrolliert, aber eine sogenannte Militärkoalition der Entschlossenen mit Saudi-Arabien an der Spitze auf seiner Seite weiß, diese Kriegsparteien haben nicht nur 10.000 Menschenleben auf dem Gewissen, auch die Zukunft des Landes haben sie mittlerweile ausgesprochen nachhaltig zerstört. […]
    Deutschland hat die saudische Luftwaffe – und die Marine – mit ausgestattet und offenbar noch in diesem Jahr beliefert. Die Luftangriffe auf das Krankenhaus in Hodeida wurden wohl von der Militärkoalition unter saudischer Führung geflogen. Mit deutschen Waffen? Aber wer will das schon so genau wissen, wo doch der Jemen so weit weg ist.
    Quelle: Deutschlandfunk

  2. Lehrermangel: “Die Unterrichtsversorgung ist auf Kante genäht”
    Vor dramatischen Unterrichtsausfällen warnen Experten zu Beginn des neuen Schuljahres. Doch ein Konzept, wie die Bundesländer gemeinsam gegensteuern könnten, fehlt bisher. […]
    Wie viele Lehrer in Deutschland genau fehlen, weiß niemand. Belastbare Zahlen zum Schuljahresbeginn werde es erst im Herbst geben, heißt es bei der Kultusministerkonferenz (KMK) auf Anfrage. Klar sei nur, dass der Bedarf an Lehrkräften in den kommenden Jahren enorm sei. Nach der offiziellen KMK-Prognose wird die Zahl der Schüler bis 2030 bundesweit um 278.000 auf 11,2 Millionen steigen – über zwei Prozent mehr als 2016. Verantwortlich dafür sind gestiegene Geburtenzahlen und viele Zuwanderer, auch aus anderen EU-Ländern. […]
    Die Bundesländer versuchen mittlerweile, auf ganz unterschiedlichen Wegen dem Lehrermangel entgegenzutreten:

    • Bayern will mit einem Ausbau des Studienangebots auf die steigenden Schülerzahlen reagieren: Ab Oktober soll es dort unter anderem 700 neue Studienplätze fürs Grundschullehramt geben.
    • Mehrere Bundesländer, darunter Nordrhein-Westfalen, versuchen, durch Imagekampagnen mehr Interessenten für ein Lehramtsstudium zu gewinnen. Geworben wird auch um Quereinsteiger ins Lehrerzimmer – was Experten wegen der fehlenden pädagogischen Qualifikation kritisch sehen.
    • Sachsen will mit einer Geldprämie versuchen, den Lehrermangel auf dem Land einzudämmen: Referendare sollen von Januar 2019 an bis zu 1000 Euro Zulage bekommen, wenn sie das Referendariat im ländlichen Raum absolvieren.
    • In Brandenburg können demnächst Lehrer nach der Pensionierung weiter arbeiten, bei einem besonderen dienstlichen Interesse – auch andere Bundesländer beschreiten diesen Weg.
    • In Thüringen hat das Bildungsministerium bei rund tausend noch in der DDR ausgebildeten Erzieherinnen, sogenannten Hortnerinnen, angefragt, ob sie bis zu sechs Stunden pro Woche an Grundschulen unterrichten wollen – zugesagt haben nach Medienberichten bisher nur rund 150.
    • In Berlin hat der Lehrermangel besonders dramatische Züge angenommen: Im Juni fehlten laut Bildungssenatorin Sandra Scheeres in der Hauptstadt noch 1250 Lehrer – so viele wie noch nie. “Unterrichten statt Kellnern” heißt ein Projekt, mit dem die Lücken gestopft werden sollen: Masterstudenten in Lehramtsfächern werden Halbjahres- oder Jahresverträge als Aushilfslehrer an Schulen angeboten.

    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Sicher, alles war nicht vorhersehbar: die steigenden Geburtenzahlen, die starke Einwanderung. Aber die Unterrichtsversorgung war vor ein paar Jahren eben auch schon “auf Kante genäht”, und diese Naht ist jetzt ganz gerissen. Dass die Politiker mit ihrem gnadenlosen sogenannten Sparkurs diese Verwahrlosung befördert haben, ist leicht erklärbar: das “gesparte” Geld wurde für Steuergeschenke an die großen Kapitalgesellschaften gebraucht. Ach ja: es fehlen auch ErzieherInnen, PflegerInnen, Ärzte/Ärztinnen, Verwaltungsangestellte, Breitband-Internet auf dem Land, ordentlich bezahlte Arbeit in Ostdeutschland… im reichsten Deutschland aller Zeiten. Warum?

    dazu: Lehrermangel zum Schulstart in Sachsen
    Noch können Sachsens Schüler den Sommer genießen. Doch die Ferien neigen sich dem Ende zu. Am Montag geht die Schule wieder los. Und ganz reibungslos wird dieser Schuljahresstart nicht verlaufen, darauf hat am Donnerstag der Kultusminister Eltern und Lehrer eingestimmt. Denn der Lehrermangel wird noch deutlicher als jemals zuvor spürbar werden, etliche Schulen werden zumindest teilweise die Stundentafeln kürzen müssen, weil nicht alle offenen Stellen besetzt werden konnten.
    Quelle: mdr

    Anmerkung unseres Lesers D.G.: Sachsen kämpft gegen den Lehrermangel, allerdings auch mit kuriosen Mitteln. Für das nächste Schuljahr 2019/2020 hat man sich bereits auf Änderungen bei der Stundentafel verständigt. Begründet wurde das auch mit der zu hohen Belastung der Schüler. Daher werden die Stunden gekürzt, in der 4. Klasse entfällt unter anderem eine Stunde Deutsch, in der Mittelschule werden z.B. Englisch, Mathematik und Biologie gekürzt. Es ist ja nicht etwa so das von allen Seiten seit Jahren gepredigt wird, wie wichtig die MINT-Fächer sind, und wer benötigt schon Deutsch? Aber am Ende wird sich die sächsische Regierung auf die Schulter klopfen, denn weniger Stunden bedeutet auch weniger Lehrermangel und alle Probleme sind gelöst.

  3. Blüm kritisiert sozialpolitische Geisterfahrer bei der Rente
    Der frühere langjährige Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm (83, CDU) hält von der nach dem früheren sozialdemokratischen Arbeits- und Sozialminister Walter Riester benannte Riester-Rente überhaupt nichts. Sie sei ein elementarer Angriff auf die gesetzliche Rentenversicherung, sagte Blüm in einem Interview mit der Bild. (…)
    Blüm sagte der Zeitung, durch die Riester-Rente sei das allgemeine Rentenniveau abgesenkt worden. Eine Riester-Rente, die zudem noch staatlich gefördert werde, würden aber nicht alle Versicherten beziehen. Da würden die finanziell Schwachen auch noch die Renten der Starken mitfinanzieren. „Das ist was für sozialpolitische Geisterfahrer.“
    Das deutsche Rentensystem sei zwar immer noch das sicherste der Welt. Es fehlten der Rentenkasse allerdings die vier Prozent der Beiträge, die für die Riester-Rente in die Kassen der Privatversicherer abgezweigt worden seien.
    Blüm kritisierte zudem, dass der Staat Aufgaben, die er zu übernehmen habe, auf die gesetzliche Rentenversicherung abwälzt. „Die Rente ist kein Reparaturbetrieb für die Gesellschaft.“ So könne sie etwa keine Fehler ausbügeln, die in der Lohnpolitik gemacht würden. Aus Mini-Löhnen würden keine Maxi-Renten entstehen.
    Und die Rentenpolitik könne auch die Mängel der Familienpolitik nicht ausgleichen. Die höhere Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rente sei zwar sinnvoll und richtig, aber sie müsste aus Steuern finanziert werden. Familienleistungen müssten aus Steuergeld gespeist werden, „das ist ein Gebot der Gerechtigkeit“.
    Quelle: VersicherungsJournal.de

    Anmerkung Christian Reimann: Der Sinn für eine Abschaffung der gesetzlichen Altersgrenze ist nicht ganz nachvollziehbar. Ist diese Grenze denn faktisch nicht identisch mit dem Stichtag für Rentenabschläge? Würden von einer Abschaffung der Altersgrenze nicht die Arbeitgeberseite profitieren?

    dazu: Nahles streitet mit Experten im ZDF: Warum die Grundrente in Deutschland unmöglich ist
    Sozialwissenschaftler Stefan Sell hat in der Sendung zum Thema “Abenteuer Alter” die Reformpläne der großen Koalition als eine „Mischform aus bedürftigkeitsabhängiger Sozialhilfe und ein bisschen Aufstocken“ kritisiert. Um das Problem der Altersarmut zu beheben schlägt er eine Grundrente nach dem niederländischen Prinzip vor.
    SPD-Chefin Andrea Nahles, die ebenfalls bei Hayali zu Gast ist, hält davon nichts. Sie sagt: „Wir können hier nicht von einem Rentensystem mit einer 125 Jahre alten Tradition in ein anderes reinspringen.“ Weiter erklärt Nahles: „Das können Sie nicht einfach übertragen. Sie müssen erstmal gucken, wie zum Beispiel der Alterquotient ist. Wieviele Jüngere stehen Älteren gegenüber? Können wir uns das leisten? Ist das in unser System Integrierbar?“
    Quelle: Focus Online

    Anmerkung André Tautenhahn: Mal abgesehen von dem Vorschlag einer Grundrente nach niederländischem Prinzip ist doch die Reaktion der SPD-Chefin einmal mehr bemerkenswert. Man könne ja nicht einfach in ein anderes Rentensystem hineinspringen, meint sie. Dabei hat das die SPD doch gemacht, als sie beschloss, die gesetzliche Rente zu kürzen und die private Altersvorsorge mit öffentlichen Mitteln zu fördern. Können wir uns das leisten, fragt dann ausgerechnet Nahles, obwohl ihre Partei in der Regierung auch weiterhin viel Geld für die private Altersvorsorge verschleudern möchte. Im Koalitionsvertrag ist von einem attraktiven standardisierten Riester-Produkt die Rede. Wenn man dann auch noch die Zahlen vergleicht und weiß, dass österreichische Rentner mit der gesetzlichen Altersvorsorge im Schnitt 800 Euro mehr bekommen als deutsche Rentner, fragt man sich, was die SPD im Wahlkampf mit dem Spruch gemeint haben könnte: „Damit die Rente nicht klein ist, wenn die Kinder groß sind.“ Um mehr Gerechtigkeit kann es da nicht gegangen sein.

    dazu auch: Gericht schützt abschlagsfreie Rente
    Hartz-IV-Empfänger, die nach ihrem 63. Geburtstag nur noch kurze Zeit auf eine abschlagsfreie Rente für langjährig Versicherte warten müssten, darf das Jobcenter nicht in eine vorgezogene Rente mit Abschlägen drängen. Jedenfalls bei einer Wartezeit von vier Monaten wäre dies “unbillig”, wie das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel entschied.
    Der Kläger aus Neubrandenburg bezieht seit 2014 mit seiner Ehefrau Hartz IV. Im August 2017 feierte er seinen 63. Geburtstag. Nun konnte er eine vorzeitige Altersrente mit Abschlägen beantragen, was das Jobcenter verlangte. Da er bereits mit 14 Jahren gearbeitet hatte, hatte er aber auch die 45 Beitragsjahre für eine abschlagsfreie Rente für langjährig Versicherte längst voll. Allerdings musste er hierfür noch vier Monate warten. Vor diesem Hintergrund sei der Antrag auf eine Rente mit Abschlägen in Höhe von in dem Fall 9,6 Prozent unzumutbar, meinte er.
    Hintergrund ist die Staffelung des Zugangsalters für die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren. Wie bei der Abschlagsrente lag das Mindestalter ursprünglich bei 63 Jahren, es wird aber stufenweise angehoben. Hier beim Geburtsjahrgang 1954 lag es bei 63 Jahren und vier Monaten.
    Quelle: n-tv

  4. Lkw-Maut
    1. Mautbetreiber Toll Collect: Systematisch zu viel abgerechnet
      Lkw-Maut-Betreiber Toll Collect hat Hunderte Millionen Euro zu viel beim Bund abgerechnet. Darunter sollen auch Posten wie ein Luxushotel-Ausflug und eine Oldtimer-Rallye sein.
      Vertraulichen Dokumenten zufolge, die dem ARD-Magazin Panorama, der “Zeit” und “zeit.online” vorliegen, hat Toll Collect dem Bund das Sponsoring der Oldtimer-Rallye “Hamburg-Berlin-Klassik”, einen Ausflug der Toll-Collect-Chefs ins Brandenburger Luxushotel “Zur Bleiche” sowie die Unterstützung des Berliner Kinderheims Elisabethstift in Rechnung gestellt. In allen drei Fällen rechnete der Mautbetreiber die Ausgaben als “Marketingkosten” für die Maut ab, was der vertraglichen Regelung mit dem Bund widerspricht.
      Dabei handelt es sich nicht um Einzelfälle: Laut einem Gutachten der Prüfungsgesellschaft Mazars hat Toll Collect in nur drei stichprobenhaft untersuchten Jahren mindestens 298 Millionen Euro zu viel abgerechnet. Ein früherer Mitarbeiter von Toll Collect, der bis 2012 für die Vergütung durch den Bund zuständig war und sich nun erstmals öffentlich äußert, nennt das Abrechnungssystem eine “Einladung zum Betrug”. Er hatte 2016 anonym Anzeige erstattet. Dabei ging es um Abrechnungen bei der Maut auf Bundesstraßen.
      Quelle: Tagesschau
    2. “Ich ahnte, dass hier eine Bombe tickt”
      Die Regierung will die Lkw-Maut wieder privatisieren – obwohl sie daran schon einmal fast scheiterte. Ex-Verkehrsminister Manfred Stolpe über den Hochmut von Konzernen […]
      ZEIT ONLINE: Was haben Sie getan, um die Probleme in den Griff zu bekommen?
      Stolpe: Ich nutzte die ruhige Zeit nach der Wahl, um mich zu informieren. Ich fragte die Staatssekretäre und die Abteilungsleiter nach möglichen Problemen. “Alles bestens.” Ich suchte die Vorstandsvorsitzenden der drei Träger auf: Siemens, Telekom und Daimler – sie hielten meine Fragen für unangemessen, ja dumm. Das haben Fachleute erarbeitet und freigegeben, hieß es. Alle drei waren fest davon überzeugt, dass alles gut laufen würde. Bei dem Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden von Daimler half mir der Bundeskanzler, denn ich bekam kurzfristig keinen Termin. In dem Gespräch zu dritt fragte ich: Wenn das Projekt trotzdem nicht funktioniert? Da antwortete der Industriepartner: Dann ist es so, wie wenn ein Auto nicht läuft – Pech gehabt. Da sind dann Milliarden in den Sand gesetzt. Das kommt vor. Das bringt uns nicht um.
      ZEIT ONLINE: Hat Sie diese Antwort zufriedengestellt?
      Stolpe: Im Bundesverkehrsministerium arbeitete ein Referatsleiter schon jahrelang am Mautsystem. Den suchte ich auf, ohne die Zwischeninstanzen – Abteilungsleiter, Hauptabteilungsleiter, Staatssekretär – zu verständigen. Der Referatsleiter war erschrocken. Noch nie war ein Minister in seinem Büro gewesen. Ich versprach ihm absolute Verschwiegenheit. Ich würde seinen Namen niemals erwähnen. Ich wollte nur das System verstehen. Da sagte er mir, die Zeit war zu kurz. Der Vertrag sollte bis zur Bundestagswahl abgeschlossen sein. Die Unternehmen nutzten den Zeitdruck, um das Risiko auf den Bund zu schieben.
      In der Öffentlichkeit war noch alles ruhig. Aber ich konnte nicht sagen, ob das Mautsystem jemals funktionieren würde. Die Offiziellen der Konzerne und der Bund sagten: Das Mautsystem wird funktionieren.
      Quelle: Zeit Online
    3. Bund stellt eigenem Prüfsystem bei Toll Collect Persilschein aus
      Alles bestens im Sinne der Steuerzahler. So versucht das Verkehrsministerium einen brisanten Vorwurf zu entkräften, vom Lkw-Mautbetreiber Toll Collect jahrelang hinters Licht geführt worden zu sein. Laut Medienberichten hat Toll Collect dem Staat strittige Ausgaben für Marketing in Rechnung gestellt – der Bund hat sie nach eigenen Angaben aber nicht bezahlt.
      Wie die Wochenzeitung “Die Zeit”, das Portal Zeit Online und das ARD-Magazin Panorama berichten, handelte es sich etwa um Sponsoring für eine Oldtimer-Rallye, einen Aufenthalt der Toll-Collect-Chefs in einem Hotel sowie die Unterstützung eines Kinderheims. Dies sei jeweils als “Marketingkosten” für die Maut abgerechnet worden, was aber der vertraglichen Regelung mit dem Bund widerspreche.
      Das Verkehrsministerium erklärte nun, das Prüfungssystem des Bundes habe zu 100 Prozent funktioniert. “Strittige Ausgaben im Marketingbereich, die Toll Collect zur Abrechnung vorgelegt hat, wurden vom dafür zuständigen Bundesamt für Güterverkehr geprüft, abgelehnt und nicht bezahlt.” Klarheit und Wahrheit stünden stets im Vordergrund – sowohl bei Ermittlungen der Justiz, als auch im Verwaltungsverfahren. Das Ministerium wies Vorwürfe strikt zurück, man habe staatsanwaltschaftliche Ermittlungen beeinflussen wollen.
      Quelle: manager magazin
    4. Kartell gegen die Steuerzahlenden – Regierungsversagen bei der LKW-Maut
      Die neuesten Enthüllungen zum Skandal um Toll Collect zeigen, dass die Bundesregierung milliardenschwere Aufträge an private Konzerne vergibt und sich dann leichtfertig abzocken lässt. Die Betreiber Daimler, Telekom und die französische Cofiroute sollten als Konsortium ab 2003 die LKW-Maut für den Bund erheben. Es kam zu technischen Problemen, die Einführung verzögerte sich und es kam zum Rechtsstreit. Jetzt wurde bekannt, dass es weitere Betrugsvorwürfe gibt und das Verkehrsministerium kein Interesse an weiterer Aufklärung hat.
      Wie kann eine Regierung zulassen, dass nur Toll Collect die genaue Kostenstruktur für die Maut-Erhebung kennt und der Bund jede Rechnung glauben muss? Das ist eine Einladung zum Betrug, die nur durch einen tapferen Whistleblower aus dem Konzern öffentlich geworden ist. Die Renditeerwartungen der Daimler- und Telekom-Aktionäre stehen für die Toll-Collect-Manager über dem Prinzip, zu möglichst niedrigen Kosten eine öffentliche Dienstleistung bereitzustellen.
      Jetzt kommt der Vorwurf der Einflussnahme auf Ermittlungsbehörden durch das Verkehrsministerium hinzu. Angeblich hatte das Ministerium dem leitenden Staatsanwalt mitgeteilt, dass es sich nicht geschädigt fühle und kein Interesse an einem Betrugsverfahren zu Lasten von Toll Collect habe. Es ist eine Missachtung des Parlaments, dass die milliardenschweren Verträge mit den Maut-Betreibern nicht mal dem Haushaltsausschuss zugänglich gemacht werden und auch der Rechnungshof hier nicht prüfen kann.
      Quelle: DIE LINKE. im Bundestag
  5. Die unerträgliche Langsamkeit des Zolls
    Sie sollte ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Mafiosi und Terroristen werden. Doch die Geldwäsche-Spezialeinheit im Zoll geriet zum Sicherheitsrisiko. Wie konnte es so weit kommen?
    Der Geschäftsmann aus dem Norden Deutschlands schuldet dem Staat viel Geld. Fast 400.000 Euro bekommt das Finanzamt noch von ihm, doch angeblich kann Martin R.* diese Summe nicht aufbringen. Allerdings geht an einem Sommertag 2017 auf seinem Privatkonto plötzlich eine halbe Million Euro ein – die Bank schickt umgehend eine sogenannte Geldwäsche-Verdachtsmeldung an den Zoll. Jetzt wäre die Gelegenheit, das Geld zu pfänden. Doch der Zoll schweigt.
    Die Sparkasse meldet sich erneut und bittet die Zöllner dringend um Klärung, was mit dem Geld geschehen soll. Die Bank weiß inzwischen, dass R. es weiter transferieren will. Doch es geschieht immer noch nichts. Mehr als drei Wochen später, als das Geld längst weg ist, meldet eine Zöllnerin den Fall dem Landeskriminalamt (LKA), das umgehend Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft informiert. Vergeblich. Der Staat hatte seine Chance – und hat sie verstreichen lassen.
    In einem vertraulichen Papier, das dem SPIEGEL und dem Bayerischen Rundfunk vorliegt, empören sich die Ermittler des LKA hinterher nicht nur über die unerträgliche Langsamkeit des Zolls. Auch der Bericht der sogenannten Financial Intelligence Unit (FIU) im Zoll, den sie in diesem eiligen Fall nach Wochen endlich erhalten hätten, sei voller Schreibfehler, unvollständiger Sätze und inhaltlicher Ungereimtheiten gewesen. In Schulnoten ausgedrückt sagt das LKA über den Zoll: sechs, setzen!
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung Christian Reimann: Kaum vorstellbar dürfte sein, dass der ehemalige Bundesfinanzminister und derzeitige Präsident des Deutschen Bundestages, Herr Schäuble, von der Überforderung des Zolls durch diese Aufgabe nichts wusste. Er und sein Ministerium hatten außerdem die Einführung eines Immobilienregisters verhindert. Bitte lesen Sie zum Thema Geldwäsche auch „Gangster’s Paradise“ – Deutschland wird zur Hochburg für Geldwäsche.

    Da könnte der Eindruck entstehen als wollte Herr Schäuble die Geldwäsche nicht bekämpfen, sondern fördern. Steht es eigentlich gegenwärtig um den Zoll besser oder sollte (oder müsste?!) insbesondere der neue “Herr der schwarzen Null”, Herr Scholz dafür sorgen, dass der Zoll personell und technisch seinen Aufgaben entsprechend ausgestattet ist/wird?

    dazu: “Das ist eine tickende Zeitbombe”
    Monatelang hat die Zoll-Einheit FIU eilige Verdachtsmeldungen nicht weitergeleitet – in manchen Fällen ging es um mögliche Terrorfinanzierung. Die Opposition spricht von einer “tickenden Zeitbombe”.
    “Verhinderung, Aufdeckung und Unterstützung bei der Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung” – das Selbstverständnis der FIU (Financial Intelligence Unit), so wie es in einer internen Präsentation steht, klingt in der Theorie gut. In der Praxis ist die Anti-Geldwäsche-Einheit des Bundes diesem Anspruch bisher nicht gerecht geworden.
    BR Recherche und “Spiegel” haben bei allen Landeskriminalämtern (LKA) in Deutschland abgefragt, ob die FIU ihnen Meldungen über verdächtige Finanztransaktionen verzögert zugestellt hat. Das Ergebnis: Mehrere Behörden gaben an, von der Anti-Geldwäsche-Einheit des Bundes verspätet informiert worden zu sein, auch über besonders heikle und damit eilbedürftige Fälle.
    Die als bundesweite Zentralstelle eingerichtete Einheit wurde vor rund einem Jahr strukturell neu aufgestellt und ist seitdem nicht mehr beim Bundeskriminalamt, sondern beim Zoll angesiedelt. Ihre Aufgabe: Sie soll unter anderem von Banken und Immobilienmaklern übermittelte Meldungen über verdächtige Finanztransaktionen sammeln, filtern und nach einer ersten Bewertung an die vor Ort zuständigen Strafverfolgungsbehörden weiterleiten.
    Quelle: Tagesschau

    dazu auch: Keine Ahnung oder gelogen?

  6. Spahns `Weiter so´ gefährdet die Versorgungsqualität in Krankenhäusern
    Ein weiteres Mal werden die unhaltbaren Zustände an deutschen Krankenhäusern deutlich, wenn das Sterberisiko beispielsweise bei einer Bauchaorten-OP davon abhängig ist, wie und in welchem Krankenhaus operiert wird. Eine der Möglichkeiten zur Verbesserung wäre, bundesweit einheitliche Standards für die Pflegequalität an Krankenhäusern einzuführen, die Bundesregierung schreibt jedoch den Ist-Zustand einfach fort“, erklärt Harald Weinberg, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, anlässlich der heutigen Vorstellung des Barmer-Krankenhausreports 2018. Weinberg weiter:
    „Spahn verkündete Anfang Juli: `Wir haben verstanden, was in der Pflege los ist. Und machen etwas dagegen!´. Damit steht er bei den Pflegekräften und den Patienten im Wort. Die Änderungen im Kabinettsentwurf zum Pflegepersonalstärkungsgesetz sorgen aber nur für eine Fortschreibung des Ist-Zustands, statt den Krankenhäusern Vorgaben bezüglich der Personalausstattung zu machen. Die Maßnahmen sind untauglich und sollten aus dem Gesetz entfernt werden.
    Ein Prozent Zuwachs an Pflegekräften reicht nicht aus, um die Qualität zu verbessern. Ein ‚Weiter so‘ gefährdet die Versorgungsqualität, das Ruder muss dringend rumgerissen und der richtige Kurs eingeschlagen werden. Überfällig ist ein pflegewissenschaftlich erstelltes Personalbemessungssystem, das Vorgaben in Form von Pflegekraft-Patienten-Verhältniszahlen je Station und Schicht enthält.“
    Quelle: DIE LINKE. im Bundestag
  7. Italien nimmt liberale Arbeitsmarktreformen zurück
    Die neue Regierung in Italien hat ihr erstes großes Projekt durchs Parlament gebracht. Durch die neuen Gesetze sind Kündigungen und Zeitarbeit erschwert.
    Die neue italienische Regierung hat die Arbeitsmarktreformen der Vorgängerregierung teilweise wieder rückgängig gemacht. Nach dem Abgeordnetenhaus stimmte auch der Senat für ein Gesetzespaket, das die Befristung von Arbeitsverträgen einschränkt, Lockerungen beim Kündigungsschutz zurückzieht und Abgaben für Unternehmen vorsieht, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Es ist das erste große Projekt der Koalitionsregierung aus Links- und Rechtspopulisten. […]
    Unternehmerverbände kritisierten die Einschränkungen bei Zeitverträgen. Bei den Wählern erfahren sie Umfragen zufolge Zustimmung. “Das ist das erste Gesetz seit Jahrzehnten, das nicht von Lobbyisten und Interessengruppen diktiert wurde”, sagte Di Maio. “Letztlich hat das einfache Volk einen Punkt gewonnen.”
    Italien hat in den vergangenen Jahren mehrfach versucht, den Arbeitsmarkt zu liberalisieren, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Viele ältere Arbeitnehmer haben unbefristete Arbeitsverträge mit einem starken Kündigungsschutz, während die meisten jungen Arbeitnehmer nur noch Zeitverträge bekommen oder leicht gekündigt werden können. In den zwölf Monaten bis Juni wurden rund 394.000 befristete Jobs geschaffen. Die Zahl unbefristeter Jobs ging um 83.000 zurück.
    Quelle: Zeit Online

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Unverschämt, diese Populisten! Erst geben sie Wahlversprechen, und dann halten sie diese auch noch!!! Ganz im Ernst hört sich das für mich eher nach einer geringfügigen Einschränkung der Befristung von Arbeitsverträgen an, aber vielleicht ist schon die Tendenz – ein bisschen zurück zu mehr Arbeitsplatzsicherheit – in dieser wirtschaftsliberalen EU bemerkenswert. Noch interessanter finde ich den anderen Teil: Unternehmen müssen bei Produktionsverlagerung ins Ausland Zuschüsse zurückzahlen. Ganz schön nationalistisch, aber möglicherweise (wenn die Regelung nicht unterlaufen wird) auch ganz schön wirkungsvoll und ganz sicher nicht zugunsten einer unbeschränkten Herrschaft des Kapitals. Minimale Landgewinne, aber es geht.

  8. Iran / USA: Pulverfass am Persischen Golf
    Die Sanktionen gegen Iran schaden auch der europäischen Wirtschaft enorm. Kann sich die EU dem US-Diktat widersetzen?
    Jetzt sind die US-amerikanischen Sanktionen gegen Iran in einer ersten Stufe wieder Kraft – in der Form einer wirtschaftlichen Geiselnahme Europas. Das ist ja das Wesentliche: die Folgen für die Beziehungen zwischen Iran und Europa, nicht jene zwischen Teheran und den USA.
    Der Handelsaustausch zwischen den EU-Ländern und Iran erreichte letztes Jahr immerhin 10,8 Milliarden Euro im Export und 10,1 Milliarden beim Import. Airbus lieferte bis jetzt drei Passagierflugzeuge nach Iran, dem italienisch-französischen Konsortium ATR gelang es zwei Tage vor dem Zuschnappen der US-Sanktionen immerhin noch, mit fünf bestellten Turboprop-Maschinen nach Teheran zu fliegen.
    Mehr geht nicht, denn sowohl in den ATR-Flugzeugen als auch in den Airbus-Maschinen sind jeweils rund zehn Prozent Bestandteile mit US-Patenten eingebaut. Und was noch einschneidender ist: Beide Unternehmen sind essentiell auf den US-Absatzmarkt angewiesen – den würden sie verlieren, wenn sie sich der US-Tyrannei widersetzen. Umgekehrt verliert Boeing einen iranischen Auftrag über 17 Milliarden Dollar. Zu den grossen amerikanischen Verlierern zählen auch General Electric und Honeywell, zu den europäischen Total, Peugeot, Daimler, Siemens und Maersk und in der Schweiz Stadler Rail. In Iran verlieren Zehntausende Arbeiterinnen und Arbeiter in der Teppichbranche ihren Job, in der Landwirtschaft die Bauern auf den Pistazien-Feldern.
    Wie die iranische Öffentlichkeit den Rückschlag verkraftet, wird sich erst in einigen Wochen oder Monaten zeigen. Auf politischer und strategischer Ebene aber stehen die Zeichen auf Sturm. Einem Sturm, der sich am Persischen Golf zusammenbraut.
    Quelle: Infosperber
  9. Mehr Geld zum Verschleudern
    Die Gedenkstätte Hohenschönhausen soll fünf Millionen Euro zur Bekämpfung des „Linksextremismus“ bekommen. Geht’s noch?
    Es ist ein Coup, der den Ideologen von CDU und dem Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen da gelungen ist. Fünf Millionen Euro Fördergelder für Projekte gegen Linksextremismus erhält die Gedenkstätte allein in diesem Jahr, reingemogelt in den Bundeshaushalt ohne öffentliche Debatte.
    Das ist ein Vielfaches der Summe, die bislang insgesamt an Anti-links-Initiativen vergeben wurde und fernab jener 130.000 Euro Höchstfördersumme, für die sich Projekte beim Bundesprogramm „Demokratie leben“ bewerben können. Wer das tut, streitet normalerweise für eine demokratische Gesellschaft, engagiert sich gegen Rassismus, Antisemitismus oder Muslimfeindlichkeit, und nicht gegen Antikapitalisten, wie es die Gedenkstätte tut.
    Es ist ein Witz, dass eine Institution die Demokratie erhalten soll, die zuletzt selbst unter massiven Extremismusverdacht geraten ist: mit einem Gedenkstättenführer, der die AfD hofiert, einem Fördervereinsvorsitzenden, der für die Junge Freiheit schreibt, den Berliner AfD-Chef einbindet und nun auch noch den letzten Kritiker des Rechtskurses aus dem Verein werfen will. Dazu kommt Direktor Hubertus Knabe, dieser Anhänger der geschichtsrevisionistischen Gleichsetzung von DDR und Drittem Reich. Mit seinem Stil der Empörungsaufarbeitung trägt Knabe die Verantwortung dafür, dass die Gedenkstätte bereits ihrem eigentlichen Auftrag, der Aufklärung über DDR-Unrecht, nicht gerecht wird.
    Quelle: taz
  10. Jammern auf hohem Niveau
    #meTwo ist ein Elitendiskurs, geführt aus einer privilegierten Position heraus. Verteilungsfragen werden einfach ignoriert.
    Anstatt sich auf die Suche nach den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft zu machen und ihre Geschichten zu erzählen, verbreiten viele #MeTwo-ler lieber ihre eigenen vermeintlichen Traumata. Ist das wirklich die Aufgabe von Personen des öffentlichen Lebens, speziell von Journalisten? Oder wäre es nicht vielmehr vonnöten, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und auch denjenigen Gehör zu verschaffen, die sich nicht auf Twitter äußern können oder möchten?
    Womöglich würden sie von ärmeren Menschen mit Migrationshintergrund auch ganz andere Klagen zu hören bekommen als die über peinliche „Komplimente“. Etwa über die Aussicht auf schmale Rente (über 40 Prozent der Migranten waren 2013 von Altersarmut bedroht), niedrige Löhne (35 Prozent arbeiten im Niedriglohnsektor) und Hartz IV (die Hälfte der ALG-II-Empfänger hat einen Migrationshintergrund). Doch für solche Verteilungsfragen interessiert sich die Twitter-Elite kaum – etwa weil sie selbst nicht betroffen ist? Ist das der Grund dafür, warum sich Linke für Menschen mit Migrationshintergrund stets nur als Opfer von Rassismus interessieren und nur selten als Opfer der herrschenden Wirtschaftsverhältnisse? Womöglich auch deshalb, weil sie selbst Nutznießer dieser Verhältnisse sind?
    Die Überhöhung des Opferstatus bestimmter Minderheiten sorgt jedenfalls nicht dafür, dass antirassistische Forderungen gesellschaftlich anschlussfähig werden – höchstens bei einer vermeintlich progressiven wohlsituierten Mittelschicht, die sich längst von Verteilungsfragen abgewendet hat und ihren Wohlstandsscham affirmativ auf Minderheiten projiziert, anstatt gegen Hartz IV und für gerechtere Löhne ins Feld zu ziehen.
    Quelle: taz
  11. Die Fakten und die Toten: Wie Tichys Einblick mit einer abstrusen Zahl über ertrunkene Flüchtlinge Stimmung macht
    Das Thema private Seenotrettung und die Todes- und Vermisstenfälle im Mittelmeer ist komplex und emotional aufgeladen. Nicht erst seit der Debatte um das Pro&Contra in der Zeit. Umso mehr sollten Medien verantwortlich mit dem Thema umgehen. Ein Beispiel, wie man mit mindestens verwirrender Interpretation einer Statistik potenziell Schaden anrichten kann, lieferte jetzt die Website Tichys Einblick.
    Der Artikel, um den es hier geht trägt die Überschrift “Private ‘Seenotretter’ in Erklärungsnot: Weniger Tote auf dem Mittelmeer” und stammt von Alexander Wallasch, Autor bei Tichys Einblick. Oben drüber stand mal “Licht ins Dunkel”, ein selbst formulierter Anspruch, dem der Text nicht gerecht wird. Wallasch stellt die These auf, dass es einen “möglichen Trend” gibt, dass durch das momentan faktische Ausbleiben der privaten Seenotrettung (die Schiffe der NGOs sind größtenteils festgesetzt und können wenn überhaupt nur noch sehr eingeschränkt operieren) weniger Menschen bei Fluchtversuchen im Mittelmeer sterben als zum Zeitpunkt, als die Seenotretter noch aktiv waren. Er stellt hier einen möglichen Kausal-Zusammenhang zwischen dem Fortbleiben der NGO-Schiffe und sinkenden Todeszahlen her.
    Das ist eine gewagte Schlussfolgerung, um das Mindeste zu sagen. In zahlreichen Medien war zuletzt zu lesen, dass zwar die Zahl an Fluchtversuchen über das Mittelmeer deutlich zurückgeht, die Anzahl der Todes- und Vermisstenfälle aber prozentual deutlich höher liegt als zuvor. Will heißen: Weniger Menschen unternehmen den gefährlichen Fluchtversuch über das Mittelmeer. Von denen, die es trotzdem wagen, sterben aber mehr als früher.
    Wallasch dagegen entwirft bei Tichys Einblick ein Szenario, bei dem die Seenotretter “schuld” an der Zahl der Ertrunkenen sein könnten.
    Quelle: Meedia
  12. Sammelbewegung „Aufstehen
    Sammelbewegung “Aufstehen”. Was bedeutet eine linke Sammelbewegung im Hinblick auf die politische Atmosphäre in Deutschland? Wie will die Bewegung ihre Themen im Diskurs verankern? Wir haben nachgehakt.
    Quelle: 3sat

    Anmerkung unseres Lesers F.B.: „Aufstehen wofür“, lautet die Überschrift zu dem kurzen Beitrag in Kulturzeit kompakt von 3sat zur Sammelbewegung „Aufstehen“. Die wurde sogleich als linke Sammelbewegung „eingeordnet“. Und beim Zuschauen und Zuhören klappen einen die Ohren zusammen angesichts des Untertons. Bloß populistische Stimmungsmache, fragen die Macher. Einen Journalisten wie Alan Posener dann so zu Wort kommen zu lassen, in einem öffentlich-rechtlichen Sender, was soll das bewirken? Es ist schlicht der Versuch, eine gerade begonnene Aktivität zu diskreditieren. „Bewegungen statt Parteien und Koalitionsarbeit“ wird gesagt und Aufstehen eingenommen und runtergemacht. Böse.


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