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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 14. August 2018 um 8:04 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JK/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. #Aufstehen
  2. Sie leben in einer völlig anderen Welt
  3. Ein Kartell gegen die Steuerzahler
  4. Antisemitismuskampagne gegen Corbyn
  5. Die fatalen Folgen der Lehman-Pleite
  6. Wir waren nicht konsequent genug
  7. Dem Land droht ein Zahnärztemangel
  8. Hartz-IV heißt in Italien jetzt Grundeinkommen
  9. Eine Unterschicht unterhalb aller Unterschichten
  10. Fachkräftemangel in der Pflege? Gute Bezahlung hilft!
  11. Fliegen ist nur so billig, weil andere die Kosten tragen
  12. Griechenland und die Krise – Wenn Du Dein Haus verlierst
  13. Korrektur einer soziologischen Fehldiagnose
  14. Neue Sanktionen gegen Russland
  15. So mordete die Wehrmacht im “Rassekrieg” mit
  16. TPP, TTIP und TISA sind «politische Verträge, die unser demokratisches System abschaffen sollen»
  17. Jünger der Torheit
  18. Wir brauchen eine große Sozialstaatsreform

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. #Aufstehen
    1. Aufstehen! Aber wofür?
      Noch ist nicht klar, für was die neue Sammlungsbewegung #aufstehen genau steht. Makroskop macht schon mal einen Vorschlag, für was wirtschaftspolitisch ein Aufstehen sinnvoll wäre.
      Anfang September geht #aufstehen an den Start, die linke Sammlungsbewegung, die maßgeblich von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine geprägt wird. Bisher gibt es kein Programm und die programmatischen Äußerungen auf der homepage sind äußerst vage. Die Wirtschaft müsse auf den Menschen ausgerichtet sein und nicht auf maximalen Profit, heißt es da oder Flaschen sammeln dürfe keine Lösung sein. Man lässt eine kleine Gruppe von Bürgern zu Wort kommen, die in einem Einspielvideo sagen, was sie jeweils für wichtig halten.
      Es wird interessant zu sehen sein, ob die Bewegung sich traut, wirtschaftspolitisch heiße Themen anzusprechen und so zu besetzen, dass eine wirkliche Alternative zu den Alt-Parteien entstehen kann. Als Hilfe für diejenigen, die hinter den Kulissen an einem solchen Papier sitzen, hat sich die Redaktion vom Makroskop schon einmal Gedanken gemacht und einen Entwurf produziert.
      Deutschland befindet sich in einer wirtschaftlichen Scheinblüte, während im Rest Europas Resignation und Zorn wegen eines verlorenen Jahrzehnts herrschen. Seit dem Ausbruch der Euro-Krise im Zuge der globalen Finanzkrise vor zehn Jahren blockiert Deutschland trotz seiner unbestreitbaren Schuld an der europäischen Misere eine progressive Wirtschafts- und Finanzpolitik für die Eurozone. Im Gegenteil, die von Deutschland maßgeblich geprägte Sanierungspolitik in einigen südlichen Ländern in Form von Austeritätspolitik und Lohnkürzungen hat die Krise verlängert und verschärft.
      Die deutsche Scheinblüte ist entscheidend geprägt von den deutschen Überschüssen im Außenhandel. Ohne diese Überschüsse gäbe es weder die schwarze Null noch die im Vergleich zu den europäischen Partnern gute Lage am Arbeitsmarkt. Die Überschüsse erlauben es Deutschland, die notwendigerweise mit dem Sparen einiger Sektoren verbundene Schuldenaufnahme anderer Sektoren vollständig auf das Ausland abzuschieben.
      Anzuerkennen, dass diese merkantilistische Vorgehensweise nicht nur für die europäischen Partner untragbar ist, sondern auch weltweit bei den Handelspartnern an Grenzen stößt und zu Recht deren Gegenreaktionen provoziert, ist absolut zentral für jede neue politische Initiative.
      Quelle: makroskop
    2. Dann lieber Liegenbleiben
      Über die Enttäuschten wird oft gesprochen, als sei ihnen Unrecht widerfahren: Ihre Erwartungen wurden nicht erfüllt. Als sei nur der schuld, der erfüllt, und nie derjenige, der erwartet. Lafontaine und Wagenknecht wollen die Enttäuschten ködern, „die sich von der Politik nicht mehr vertreten sehen“. Eine Aussage von schier schlangenmenschlicher Biegsamkeit, sind Lafontaine und Wagenknecht doch selbst Teil „der Politik“: Sie verdienen ihr Geld als Fraktionsvorsitzende in Landtag beziehungsweise Bundestag.
      Doch die Enttäuschten können sich einreden, dass der Sprecher nebensächlich ist, solange der Spruch stimmt; so wie beim Millionär Trump, der über hohe Chefgehälter schimpft. Wagenknecht verspricht denen, die sich im Stich gelassen fühlen, einen Aufbruch.
      Die Frage ist, wie der aussehen soll. Wenn die Enttäuschten wirklich aufbrechen wollten, warum haben sie es all die Jahre nicht getan? Manche haben ja. Der Juso-Chef Kevin Kühnert war enttäuscht, dass die SPD-Spitze eine große Koalition wollte. Also dirigierte er eine Kampagne dagegen. Die Mehrheit in der Partei stimmte dafür. Kühnert twitterte: „Sind angetreten, um zu gewinnen. Daher erstmal: Enttäuschung.“ Na und? Kühnert tauchte nicht ab in seiner Enttäuschung, stattdessen arbeitet er jetzt daran mit, dass die SPD erfolgreicher wird.
      Quelle: FAZ

      Anmerkung JK: Wie gesagt, der offizielle Start von #Aufstehen ist erst am 4.September aber die Angriffe von allen Seiten gehen munter weiter. Dass aus der Ecke der wirtschaftsliberalen FAZ nicht unbedingt Lobeshymnen gesungen werden war klar. Würden aus dieser Richtung keine Ablehnung erfolgen müssten sich die Initiatoren allerdings fragen ob sie etwas falsch gemacht haben. Den Verweis auf Kühnert, der außer seiner Kampagne gegen die erneute große Koalition inhaltlich bisher überhaupt nichts zu Wege gebracht hat, muss man wohl unter unfreiwillige Komik einordnen.

  2. Sie leben in einer völlig anderen Welt
    Die Eliten entfernen sich immer weiter von der normalen Bevölkerung, sagt der Soziologe Michael Hartmann. Das verändere ihr Denken und nütze Rechtspopulisten.
    DIE ZEIT: Herr Hartmann, so schick wie Sie wohnt nicht jeder. Gehören Sie zur Elite?
    Michael Hartmann: Nein. Ich bin wohlhabend. Ob jemand zur Elite gehört, hängt aber von der Macht ab, die er besitzt. Als Wissenschaftler kann ich zwar mitunter auf die öffentliche Meinung einwirken. Aber ich habe keine Macht, gesellschaftliche Entwicklungen maßgeblich zu beeinflussen.
    ZEIT: So klar, wie Sie es formulieren, scheint der Begriff nicht zu sein. Mancher, der heute von “Elite” spricht, meint “die Intellektuellen”, “die Politiker”, “die Reichen” – oder alle zusammen.
    Hartmann: Als Elite gelten in der Öffentlichkeit oftmals schlicht “die da oben”. In der Wissenschaft ist der Begriff aber unumstritten. Wenn jemand Millionär ist und sein Geld bloß auf dem Sparbuch liegen lässt, gehört er nicht zur Elite. Wenn er es nutzt, um Einfluss zu nehmen, dann schon. Natürlich kann man darüber streiten, wie mächtig man sein muss, um dazuzugehören. In unserer letzten Elitestudie untersuchten wir nur die wichtigsten Machtpositionen: Konzernmanager, Ministerpräsidenten, Bundesrichter, einige Journalisten. Andere zählen auch die Oberbürgermeisterin von Köln dazu. Aber egal wie man rechnet: In Deutschland umfasst die Elite im Kern etwa 1000, breiter gefasst maximal 4000 Leute.
    ZEIT: Sie erforschen diese Menschen seit Jahrzehnten. In Ihrem neuen Buch schreiben Sie nun, sie hätten sich zu weit vom Rest der Gesellschaft entfernt. Was meinen Sie damit?
    Hartmann: Die Eliten in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, haben kaum noch eine Vorstellung vom Leben der breiten Bevölkerung. Sie leben in einer völlig anderen Welt: Viele wohnen in sozial homogenen Wohnvierteln. Sie haben einen anderen Alltag, andere Hobbys, andere Möglichkeiten.
    ZEIT: War das nicht schon immer so?
    Hartmann: Bei der Wirtschaftselite kann man das sagen. Zunehmend sieht man es aber auch in der wissenschaftlichen, der medialen und der politischen Elite. Die haben sich in den letzten zwei, drei Jahrzehnten weiter von der Masse entfernt.
    Quelle: Zeit

    Michael Hartmann war im letzten Jahr auch zu Gast beim Pleisweiler Gespräch. Hier finden Sie die Videoaufzeichnung vom äußerst interessanten Vortrag zum Thema.

  3. Ein Kartell gegen die Steuerzahler
    Toll Collect hat dem Staat bei der Lkw-Maut jahrelang Millionen Euro zu viel in Rechnung gestellt. Die Regierung stört das nicht. Sie ließ sich hereinlegen und lernt daraus wenig.
    Mehr als 17.000 Seiten umfasst der Vertrag mit dem Maut-Betreiber. Nicht eine davon hat die Regierung veröffentlicht. Wie Toll Collect für seine Dienste bezahlt wird, können die Bürger nicht nachvollziehen.
    Dabei gibt es zwischen dem Unternehmen und dem Staat seit Jahren Streit um Summen, zu denen sich die Millionen von Joachim Wedler im Vergleich recht klein ausnehmen. Wegen unzähliger Streitpunkte hatten der Bund und Toll Collect sich auf Milliarden Euro verklagt. 14 Jahre lang lief die Auseinandersetzung, quasi von Vertragsbeginn an. Ausgetragen wurde der Streit hinter verschlossenen Türen, vor einem privaten Schiedsgericht. Zuletzt forderte der Bund von Toll Collect 9,6 Milliarden Euro. Im Mai dieses Jahres gab es einen Vergleich, auch er ist nicht öffentlich. Es handele sich um “die bestmögliche Lösung für den Steuerzahler”, verkündete Andreas Scheuer, der Verkehrsminister von der CSU. Doch wie soll die Öffentlichkeit das beurteilen, wenn fast alles unter Verschluss gehalten wird? Und steht nicht zu befürchten, dass viel mehr im Argen liegt, wenn Mitarbeiter wie Wedler höhere Kosten abrechnen sollen, als angefallen sind?
    Seit Juli 2018 sind alle Autobahnen und Bundesstraßen mautpflichtig. 2005 war die Maut auf Autobahnen eingeführt worden, 2012 und 2015 kamen insgesamt rund 3.000 Bundesstraßenkilometer hinzu. Quelle: Bundesanstalt für Straßenwesen
    Tatsächlich gibt es viele Gründe, Toll Collect und seinen Managern zu misstrauen, zumal das Verkehrsministerium in den vergangenen Jahren nicht den Eindruck machte, die Interessen der Steuerzahler gegen das Unternehmen durchzusetzen. Dieses Bild ergibt sich aus Dokumenten, die die ZEIT, ZEIT ONLINE und das ARD-Magazin Panorama ausgewertet haben.
    Quelle: Zeit

    Anmerkung JK: Ein langer Beitrag aber lesenswert bis zum Ende und ein weiterer schlagender Beweis, dass es bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben und Güter zu allerletzt um die Interessen der Bürger geht, sondern allein um die Interessen der Finanzinvestoren. Wer als politisch Verantwortlicher dennoch weiter die Privatisierung öffentlichen Eigentums propagiert ist entweder dumm oder korrupt oder beides. Zudem einer von vielen Gründen endlich aufzustehen.

    Dazu: Verstaatlichung von Toll Collect – und was wird aus den Milliardenforderungen an die Telekom und Daimler?

  4. Antisemitismuskampagne gegen Corbyn
    1. The goal of propaganda is a population that polices itself…
      …or why the attacks on Jeremy Corbyn are not what they seem…
      Propaganda has reached its zenith when each member of the target population thinks the same; when they are afraid to think differently. At this point ‘leadership’ may commit whatever atrocities it sees fit…in the certainty that the population will either not ‘see’ it, or will view the expression of criticism as a more heinous crime than the act being observed. This is achieved through cementing a ‘false equivalence’ in the mind of the group. Such a false equivalence is being cemented in the UK right now – the idea that criticism of Israel’s persecution of Palestinians is an act of anti-Semitism.
      The propagandist seeks to bend the ‘group mind’. Thoughts and actions consistent with the ‘narrative’ are deemed to be socially acceptable & politically correct…ones that challenge it are regarded as socially UN-acceptable & politically IN-correct. Overtime this is reinforced through a dynamic that exists within every human grouping, and many species of mammal – fear of disapproval. Ergo, the propagandist is employing a form of ‘crowd control’.
      When the fear of disapproval becomes so strong that one’s sense of belonging, or even physical survival, depend on adherence to the narrative…when failure to comply with it attracts immediate rebuke from other members of the group…then the population can be said to be policing itself. That is how ‘cults’ function, and more frequently than you might imagine…it’s how intelligence agencies and other governmental figures attempt to work through the media.
      Quelle: OffGuardian
    2. Statement von Professor Annabelle Sreberny
      Quelle: Twitter

      Anmerkung unseres Lesers A.D.: Es gerät in Deutschland angesichts des vorauseilend gehorsamen Mitlaufens im Syrienkrieg zunehmend in Vergessenheit, dass es ein liberales Judentum jenseits der mörderischen rechtsextremen israelischen Regierung von Netanyahu und Lieberman gibt.

  5. Die fatalen Folgen der Lehman-Pleite
    Im September 2008 ging die Investmentbank Lehman Brothers Pleite und löste eine fatale Kettenreaktion an den Finanzmärkten aus. Und trotz milliardenschwerer Hilfsprogramme wirkt sich die Finanzkrise bis heute auf die Weltwirtschaft aus.
    Schwarzer Montag für die Aktienmärkte weltweit: Der US-Leitindex Dow Jones verzeichnete den stärksten Tagesverlust seit den Terrorattacken am 11. September 2001, weltweit gingen Aktienkurse in die Knie, alleine an den Börsen wurden in wenigen Stunden Börsenwerte in Billionenhöhe vernichtet. Holger Bahr, Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung der Deka Bank:
    “Ganz offenkundig kann man das an der Börse auch ablesen, was Unternehmen dann wert sind beziehungsweise weniger wert sind, wenn Kurse um 20 bis 30 Prozent oder mehr zurückgehen; und natürlich auch eine Reihe von Unternehmen komplett Pleite gegangen und quasi dann auch mehr oder weniger vom Kurszettel verschwinden können.”
    Betroffen sind aber auch andere Anleger: Gutgläubige, oft ältere Menschen hatten auf Anraten ihrer Bank und Sparkassenberater ihr Erspartes in vermeintlich sichere Lehman-Zertifikate gesteckt. In Deutschland mussten quasi über Nacht rund eine halbe Millionen Menschen plötzlich um ihr Erspartes sorgen. Doch trifft es vor allem die, die es am besten hätten wissen müssen: Banken. Nun zeigten die gepriesenen globalen Verflechtungen der Finanzindustrie ihre hässliche Seite. Denn auf den Zusammenbruch von Lehman folgte die Kettenreaktion: Weitere Banken gingen pleite oder drohten unter zu gehen.
    Die unglaublichen Dimensionen der Kosten wurden wenige Tage nach der Lehman-Pleite ansatzweise klar: Die US-Regierung kündigte ein Rettungspaket für die Finanzbranche an, Volumen: fast 800 Milliarden Dollar. Einige Wochen später zieht die Bundesregierung nach und verkündet ein Bankenrettungspaket in Höhe von 500 Milliarden Euro. Nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds mussten Banken alleine in Amerika und Europa 3000 Milliarden, also drei Billionen Dollar an Krediten abschreiben – existenzbedrohend. Das Vertrauen war zerstört – Banken liehen sich untereinander kein Geld mehr und gaben auch kaum mehr Kredite an Unternehmen aus. Die Welt stürzte in eine Rezession, wie sie sie seit Jahrzehnten nicht erlebt hatte.
    Quelle: Deutschlandfunk

    Anmerkung JK: Man muss es sich immer wieder ins Gedächtnisrufen, die „Schudenkrise“ war und ist eine Folge der Bankenrettung mit der letztendlich die Vermögen der Superreichen geschützt wurden.

  6. Wir waren nicht konsequent genug
    Die Rendite der Aktionäre sei noch immer wichtiger als das Interesse der Allgemeinheit. Zehn Jahre nach der Finanzkrise sei man in Fragen der “Demokratisierung der Wirtschaft” nicht weitergekommen, kritisiert der frühere IG-Metall-Chef Berthold Huber.
    Dieter Kassel: Als im Jahr 2008 die Finanzkrise begann, da war Bertold Huber als erster Vorsitzender der IG Metall noch ziemlich frisch im Amt. Von November 2007 bis November 2013 bekleidete er dieses Amt, war in dieser Zeit Vertrauter der Bundeskanzlerin und Herausgeber eines Buches mit dem Titel “Kurswechsel für Deutschland – Die Lehren aus der Krise”. Das Buch mit Beiträgen unterschiedlicher Autoren erschien bereits im Jahr 2010. Ich habe jetzt Bertold Huber acht Jahre später gefragt, was wir denn wirklich bis heute aus der Wirtschafts- und Finanzkrise gelernt haben.
    Berthold Huber: Zu wenig. Sie haben zwar die Krise in Deutschland, die ja keine deutsche Krise ist, sondern eine globale Finanzkrise war und teilweise heute noch ist. Wir haben die zwar ganz gut hingekriegt, wir haben über verschiedene Maßnahmen – die Verlängerung der Kurzarbeit einschließlich Weiterbildungsmöglichkeiten in dieser Zeit, wir hatten den Bürgschaftsrahmen erweitert bekommen für Unternehmensfinanzierungen, wir haben die Umweltprämie für Altautos auf den Weg gebracht, wir haben Investitionspakete 1 und 2 durch die Politik verabschiedet bekommen mit einem Volumen über 60 Milliarden zusammen.
    Das hat alles geholfen, dass man sozusagen relativ schnell aus der akuten Krise rausgekommen ist, die ja bedrohlich war für extrem viele Unternehmen und Arbeitsplätze, aber haben wir das überwunden? Ich glaube nicht. Wir haben nach wie vor eine laxe Eigenkapitalfinanzierung der Unternehmen, eine laxe Eigenkapitalfinanzierung der Banken, wir haben nach wie vor in manchen Banken das Thema Investmentbanking und, wenn ich darauf hinweisen darf, viele Risiken sind ja danach in dieser Zeit vor zehn Jahren ausgelagert worden in sogenannte Bad Banks, und alle beten zum lieben Gott, dass das nicht mal, wie soll ich sagen, zum Platzen kommt.
    Quelle: Deutschlandfunk Kultur
  7. Dem Land droht ein Zahnärztemangel
    Die Zahnarztversorgung steht vor dem Umbruch. Während auf dem Land der Nachwuchs knapp wird, drängen Finanzinvestoren auf den Markt.
    Für Wolfgang Eßer stellt sich nicht weniger als die Systemfrage. „Wir stehen an einem Scheideweg“, sagt der Chef der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV). Entweder die ärztliche Versorgung werde „an renditeorientierte Groß- und Finanzinvestoren“ verkauft, oder die „wohnartnahe und qualitativ hochwertige Versorgung durch freiberuflich tätige Ärzte und Zahnärzte“ bleibe erhalten. „Beides ist nicht miteinander vereinbar.“
    Mit großem Unbehagen verfolgen Eßer und die KZBV einen Trend, der den rund 26 Milliarden Euro schweren deutschen Dentalmarkt erfasst. Finanzstarke Investoren kaufen reihenweise Praxen auf und gründen sogenannte Zahnmedizinische Versorgungszentren (ZMVZ). Zugleich zeichnen sich vor allem im ländlichen Raum Engpässe bei der zahnmedizinischen Versorgung ab.
    Für Eßer ist die Sache klar: Er macht die Investoren mit ihrer Kettenbildung dafür verantwortlich. Die Investorengruppen halten dagegen, dass ihre Praxen die flächendeckende Versorgung in Zukunft erst sichern würden. Schon heute würden viele niedergelassene Zahnärzte niemanden finden, der ihre Praxis nach dem Ruhestand übernimmt.
    „Fakt ist, dass die Kollegen im ländlichen Raum in allen Bundesländern heute sagen, dass ihre Praxen nicht mehr verkäuflich sind“, sagt auch Eßer. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern gebe es besonders viele Zahnärzte im Alter von über 50 Jahren, bundesweit seien dies insgesamt knapp 50 Prozent aller Zahnärzte. Diese Generation geht nach und nach in Rente.
    Eigentlich, meint der KZBV-Chef, wäre das kein Problem, da ausreichend junge Zahnmediziner ausgebildet würden. Die im städtischen Raum konzentrierten Großpraxen der Investoren würden aber wie ein Staubsauger den Nachwuchs aus der Fläche abziehen.
    Bis 2015 mussten medizinische Versorgungszentren in Deutschland fachübergreifend geführt werden, dann ermöglichte eine Gesetzesänderung arztgruppengleiche Großpraxen.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung JK: Der Kampf gegen die Finanzindustrie sollte sicher ganz weit oben auf der Agenda einer progressiven linken Politik stehen.

  8. Hartz-IV heißt in Italien jetzt Grundeinkommen
    Das Gegen-Projekt “decreto dignità” der neuen Regierung ist allerdings so verwässert, dass die Kapitalfraktionen und auch die EU-Gremien nicht mehr wirklich beunruhigt sind. Die Italienkorrespondentin der Wochenzeitung Jungle World Catrin Dingler fasst Propaganda und Realität dieses Sozialgesetzes so zusammen:
    Di Maio hatte in seiner Funktion als Arbeits- und Sozialminister mit seinem “decreto dignità” (Dekret der Würde), das vorige Woche von der Abgeordnetenkammer verabschiedet wurde, kämpferisch ein “Waterloo für die Prekarisierung” angekündigt und mit großer Emphase die Rettung der “Würde” aller prekär Beschäftigen versprochen.
    Tatsächlich werden die bestehenden Möglichkeiten zur befristeten Beschäftigung nur unwesentlich eingeschränkt, auf Druck der Lega für die Bereiche Tourismus und Landwirtschaft sogar ausgeweitet. Auch auf die im Wahlkampf versprochene Wiedereinführung des Kündigungsschutzes hat der M5S im Interesse des Koalitionspartners verzichtet, Unternehmen sollen zukünftig für ungerechtfertigte Entlassungen nur eine unwesentlich erhöhte Abfindung bezahlen.
    Schon der Begriff “Dekret der Würde” zeigt an, dass es bei dem Gesetzentwurf eher um Ideologie als um reale Verbesserungen geht. Der Begriff der Würde hat mittlerweile in vielen Bewegungen Konjunktur und ist oft ein reines Surrogat.
    Quelle: Telepolis
  9. Eine Unterschicht unterhalb aller Unterschichten
    Denn zwischen den Menschen, die es als Bürger fremder Staaten respektiert, und den Flüchtlingen, die es nunmehr rigoros abweist und also ihrem Schicksal überlässt, wie grausam das auch immer ausfallen mag, ist eine dritte Gruppe von Migranten entstanden: Die “irregolari” (“Irregulären”). Sie leben in Italien, und das oft schon seit vielen Jahren. Fast alle arbeiten. Aber sie sind Gesetzlose, nicht im Sinn des amerikanischen “Outlaws” – denn ein solcher hat die Gesetzlosigkeit selbst gewählt -, sondern in einer negativen Bedeutung, insofern sie nämlich zu einem Leben außerhalb der staatlichen Ordnung gezwungen sind. Der elementare Schutz von Person und Eigentum, den ein moderner Staat seinen Bürgern gewährt, bleibt ihnen vorenthalten. Die Nachteile, die in einem Dasein als Rechtssubjekt liegen, was etwa heißt, Gegenstand der Strafverfolgung werden zu können, dürfen sie hingegen in vollem Umfang genießen.
    Das wirtschaftliche System, in dem diese Migranten leben, trägt auf Italienisch den Namen “caporalato”: Vermittlung von Schwarzarbeitern. Seine Agenten sind die “caporali” (“Korporale”), selbst oft ehemalige Flüchtlinge. In den frühen Morgenstunden fahren sie zu einem Ort, an dem sich die “irregolari” versammelt haben, laden so viele Arbeiter ein, wie in den Kleinbus hineinpassen, und bringen diese auf ein Feld, wie zuvor mit einem Arbeitgeber (oft Genossenschaften eher fiktiven Charakters, die nur lose an das Arbeitsrecht gebunden sind) vereinbart. Für diesen Dienst kassieren sie eine Vermittlungsgebühr sowie von jedem der Arbeiter eine Transportkostenpauschale. Ein Arbeitstag bringt zwanzig bis dreißig Euro (manchmal gibt es auch weniger) und dauert bis zu zwölf Stunden, was insgesamt auf weniger als die Hälfte der Summe hinauslaufen dürfte, die ein Landwirt einem legal eingestellten, ungelernten Arbeiter mindestens zu zahlen hätte (874,60 Euro pro Monat).
    Quelle: SZ
  10. Fachkräftemangel in der Pflege? Gute Bezahlung hilft!
    Die Koalition will, dass in der Pflege flächendeckend nach Tarif bezahlt wird – doch die Arbeitgeber lehnen eine politische Regelung ab. “Offensichtlich fürchtet man, eine faire Bezahlung der Pflegekräfte könne die Rendite der privaten Pflegekonzerne schmälern”, kritisiert DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach.
    In der Pflege fehlen Fachkräfte. Um den Beruf attraktiver zu machen will die Bundesregierung durchsetzen, dass in der Branche mehr Tarifverträge gelten. Der Arbeitgeberverband, der nach eigenen Angaben die umsatzstärksten privaten Altenpflege-Unternehmen vertritt, warnt vor Kostensteigerungen, die dadurch entstehen.
    Dazu sagt Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des DGB: “Es ist befremdlich, dass der Arbeitgeberverband Pflege fordert, die Politik möge sich doch bitte aus der Bezahlung der Pflegekräfte raushalten. Während bei kommunalen und kirchlichen Trägern zu 90 Prozent tariflich bezahlt wird, gibt es bei den privaten Anbietern stationärer Pflege – immerhin 40 Prozent – keine mit den Arbeitnehmern vereinbarte Regelung für eine adäquate Bezahlung.
    Wer nicht bereit ist, mit Gewerkschaften zu verhandeln, darf sich über eine politische Lösung des Problems ‘Fachkräftemangel in der Altenpflege’ weder wundern noch beklagen. Offensichtlich fürchtet man, eine faire Bezahlung der Pflegekräfte könne die Renditen der privaten Pflegekonzerne schmälern.
    Doch umgekehrt wird ein Schuh daraus: Nur wenn die physisch und psychisch hoch anspruchsvolle Arbeit in den Pflegeheimen entsprechend bezahlt wird, stehen künftig ausreichend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung, die diese wertvolle Arbeit übernehmen wollen. Deshalb ist der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg richtig, eine flächendeckende tarifliche Bezahlung in der Altenpflege anzustreben.”
    Quelle: DGB
  11. Fliegen ist nur so billig, weil andere die Kosten tragen
    Am Streik bei Ryanair sind die Passagiere auch selbst schuld: Sie genießen die billigen Tickets und machen sich um die Ausbeutung von Mensch und Umwelt keine Gedanken.
    Klar nervt das, wenn schon der pünktliche Start in den Urlaub nicht klappt. Weil heute der Flug gestrichen wurde, sich am Flughafen die Massen knubbeln und keiner einem sagt, wann das nächste Flugzeug startet. Aber mal ganz ehrlich: Sind wir an diesem Schlamassel nicht auch selbst mit schuld?
    Wenn an diesem Freitag die Piloten von Ryanair streiken und viele Menschen nicht wie geplant abfliegen können, hat das auch etwas mit unserem Kaufverhalten zu tun. Mit einer Geiz-ist-geil-Mentalität, die sich einen Dreck um die Folgen dieses Konsumverhaltens schert. Mit Passagieren, denen egal ist, für welche Löhne die Leute arbeiten, die sie durch die Luft fliegen, die ihnen das eingeschweißte Sandwich verkaufen oder zwischen Start und Landung noch schnell mal ein Parfum andrehen müssen. Und denen noch egaler ist, welche Wirkung das viele Fliegen auf die Umwelt hat.
    Deutsche würden für ein billiges Ticket über Scherben kriechen, soll der Ryanair-Chef Michael O’Leary mal gesagt haben. An dem Satz stimmt wahrscheinlich nur eines nicht: Billigfliegen ist kein deutsches Phänomen. Längst ist überall in Europa eine Generation herangewachsen, die nicht mehr weiß, dass Fliegen für sie nur so billig ist, weil andere die Kosten tragen. Und deren Eltern das vergessen und verdrängt haben. All die werden jetzt durch die Streiks daran erinnert: Hey, wir sind auch da und wir wollen anständig bezahlt werden. Denn genau darum geht es den Ryanair-Piloten: um bessere Gehälter und mehr soziale Sicherheit – und das zu Recht. Leute, die einen sicher in die Luft und wieder runter bringen, sollten dafür anständig bezahlt werden. Sowohl Pilotinnen als auch Flugbegleiter.
    Quelle: Zeit
  12. Griechenland und die Krise – Wenn Du Dein Haus verlierst
    Mieten werden nicht bezahlt, Kredite nicht bedient – viele Griechen haben nach Jahren des harten Sparkurses Probleme, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Die Folge: Immer mehr Häuser werden zwangsversteigert und die Bewohner landen auf der Straße.
    Noch vor wenigen Monaten hätten Dimitris, Georgia und ihre Mitstreiter die Zwangsversteigerung gestürmt oder den Eingang zum Amtsgericht blockiert. Tatsächlich waren solche Proteste landesweit erfolgreich und bewirkten, dass die Notare sich eine Zeit lang weigerten, Versteigerungen überhaupt durchzuführen.
    Die Notare gingen erst wieder an die Arbeit, als die Regierung auf ein Online-Verfahren umstellte und Polizisten vor den Notar-Büros postierte. Dort protestieren sie noch manchmal, erzählt Georgia. Denn der Kampf gegen die Sparauflagen sei mit dem Ende des Reformprogramms noch nicht vorbei. Aber wegen der vielen Polizisten kämen immer weniger Teilnehmer. Dass die Zwangsversteigerungen nun online stattfinden, beschleunige das Ganze.
    “Jetzt geht alles viel schneller: Früher, als die Zwangsversteigerungen noch am Amtsgericht stattfanden, kamen vielleicht eine oder zwei Immobilien am Tag unter den Hammer. Jetzt können per Tastendruck 50 oder 100 Versteigerungen gleichzeitig durchgeführt werden.”
    Kein Wunder, dass die Geldgeber diejenigen waren, die die Umstellung auf das Online-Verfahren gefordert haben, erzählt der 55-jährige Gymnasiallehrer Nikos. Er selbst habe zwar keine Eigentumswohnung, doch er fühlt mit den Betroffenen mit, sagt er. Mit seinen 800 Euro Monatsgehalt habe er selber oft Schwierigkeiten, die Miete zu bezahlen. Er könne jederzeit auf der Straße landen – auch ohne Kredit:
    “Die Gesellschaft befindet sich im Ausnahmezustand. Wir sehen Leute, die im Athener Stadtzentrum auf den Parkbänken und vor den Hauseingängen schlafen und im Abfall nach Essen suchen. In Griechenland ist das ein neues Phänomen. Und doch ist es mittlerweile normal geworden.”
    Quelle: Deutschlandfunk
  13. Korrektur einer soziologischen Fehldiagnose
    Nachdem realitätsferne Sozialwissenschaftler mit Sitz in der Schweiz vergeblich versucht hatten, den Nachweis dafür zu erbringen, dass sich die Lebensverhältnisse in Ost und West qualitativ angeglichen hätten (Blättchen Nr. 12/2018), legte jetzt die Bundesagentur für Arbeit Zahlen vor, die eine andere Sprache sprechen. Im Unterschied zum Befund der Schweizer Soziologen, der unterstellt, dass man nicht so viel rechnen dürfe, sondern vom subjektiven Befinden der Menschen ausgehen müsse, stützt sich die jetzige Analyse auf offizielle Daten zur Einkommens- und Vermögenssituation in Ost- und Westdeutschland. Danach differieren die Verdienste der Arbeitnehmer auch im 28. Jahr der deutschen Einheit regional immer noch sehr stark und liegen die Löhne und Gehälter im Osten „klar unter dem Niveau“ der Löhne und Gehälter im Westen. So lag der mittlere Bruttoverdienst von sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten 2017 im Westen bei 3339 Euro, im Osten aber nur bei 2600 Euro im Monat. Das Ostniveau beträgt danach derzeit 77,9 Prozent des Westniveaus. Die tatsächlichen Einkommen differieren noch weit stärker, da im Osten ein größerer Anteil der Arbeitnehmer prekär beschäftigt und der Anteil der besser verdienenden Selbstständigen und Beamten geringer ist als im Westen. Von einer Angleichung der Lebensverhältnisse kann also, sofern auf die Einkommensentwicklung rekurriert wird, überhaupt keine Rede sein. (…)
    Quelle: Das Blättchen
  14. Neue Sanktionen gegen Russland
    Die Sanktionspolitik der USA gegen Russland, die nach dem Regierungswechsel in Washington sogar noch forciert wurde, schädigt die westeuropäischen Staaten, insbesondere Deutschland, in erheblichem Maße. Es geht aber nicht nur gegen Russland, auch Länder wie Syrien, Iran oder Venezuela werden seit Langem mit dem Ziel eines „Regime-Change“ derart sanktioniert und stranguliert, dass ihre Wirtschaft vor dem Kollaps steht und große Teile der Bevölkerung unterversorgt sind.
    Nachdem weitere Sanktionen unter dem Vorwand des dubiosen Giftanschlags auf den britisch-russischen Doppelagenten Skripal gegen Russland beschlossen worden sind, hat der Vorsitzende des Außenausschusses im Föderationsrat, Konstantin Kossatschow, den USA vorgehalten, sie führten sich wie ein Polizeistaat auf. Der Beschuldigte werde bedroht und gefoltert und schließlich „wie in den schlimmsten Traditionen der Lynchjustiz“ bestraft. Offenbar handelt es sich diesmal um einen Versuch der Kriegstreiber, die Annäherung Trumps an Moskau zu verhindern. Es zeigt zudem, dass der US-Präsident nur beschränkt handlungsfähig ist.
    Quelle: Wolfgang Bittner auf KenFM
  15. So mordete die Wehrmacht im “Rassekrieg” mit
    Zwei Männer, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, blicken in die Kamera. Einer mit Schirmmütze, Schal und verschmutzter Jacke bekleidet, auf deren rechter Seite ein Stern aufgenäht ist, der ihn als Juden brandmarkt.
    Schräg hinter ihm in einiger Entfernung ein anderer im weißen Hemd und Krawatte, die Haare streng zur Seite gescheitelt: Hans Biebow, Leiter der Verwaltung des Ghettos Litzmannstadt, wie die deutschen Besatzer das polnische Łódź nannten. …
    Im Ghetto Łódź hatte der “Judenälteste” Chaim Rumkowski versucht, das Überleben der verfolgten Juden durch unentbehrliche Arbeitsdienste, etwa für die Wehrmacht, zumindest so lange zu sichern, bis das Ghetto durch die schnell vorrückende Rote Armee befreit werden würde. Doch er rechnete nicht mit der Entschlossenheit der Deutschen, gerade angesichts der drohenden militärischen Niederlage den Judenmord voranzutreiben und sogar auszuweiten.
    Im August 1944 wurde das Łódźer Ghetto liquidiert und seine Insassen, unter ihnen auch Rumkowski, nach Auschwitz deportiert.
    In den Jahren zuvor hatten gerade die “erfolgreichen Feldzüge” der Wehrmacht im Westen wie im Osten, im Norden wie im Süden Europas, Millionen von der nationalsozialistischen Ideologie als Juden definierte Menschen unter die Herrschaft der Deutschen gebracht und aus deren Sicht eine physische “Endlösung der Judenfrage” überhaupt notwendig gemacht.
    Auch wenn alle zivilisatorischen Schranken erst mit dem “Unternehmen Barbarossa” fielen, als der Krieg zum “rassenideologischen Vernichtungskrieg” eskalierte, so Kundrus, setzte die Entrechtung und Vertreibung der Juden unter deutscher Besatzung bereits unmittelbar nach Beginn des Krieges in Polen im September 1939 ein.
    Die Wehrmacht fungierte dabei als “Teil der Vernichtungspolitik”, wie Kundrus unterstreicht. Anfangs noch in einer Beobachterrolle schufen die deutschen Soldaten mit ihren Eroberungen die Voraussetzungen für die Judenverfolgung, später ließen sich viele “aktiv” in das Mordgeschehen einbinden.
    Quelle: SZ
  16. TPP, TTIP und TISA sind «politische Verträge, die unser demokratisches System abschaffen sollen»
    Zeit-Fragen: Welche Bedeutung haben die Freihandelsverträge wie TPP, TTIP oder TiSA für das Zusammenleben der Völker, besonders unter völkerrechtlichen Aspekten?
    Prof. Dr. Alfred de Zayas: Es gibt eine «gewisse Mythologie des Marktes». Diese wird von Joseph Stiglitz, dem Nobelpreisträger für Ökonomie, als Marktfundamentalismus bezeichnet, als ein Kult um den Markt. Es ist beinahe eine religiöse Angelegenheit, wobei die Menschen schwören, dass der Freihandel das Wohl sowie Fortschritt und Entwicklung der gesamten Menschheit bewirken würde. Empirisch nachgewiesen hat das bis jetzt noch niemand, denn da sind Beispiele von Fortschritten, aber auch Rückschlägen, Finanzkrisen und Arbeitslosigkeit. Ausserdem kann man «Fortschritt» nicht nur in Geld messen – sondern in Zufriedenheit und Frieden und sozialer Gerechtigkeit. Diese Handels- und Investment-Verträge gehen zurück vor allem auf die Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges. Die meisten bilateralen Verträge für Investitionen (BIT), wovon es über 3000 gibt, wurden seinerzeit mit viel Enthusiasmus angenommen, weil die Staaten sich etwas davon versprachen. Sie haben allerdings nicht bemerkt, dass in diesen Verträgen verschiedene Trojanische Pferde versteckt waren. (…)
    Das ist absurd. Was ist zu tun?
    Ich habe zwei Hauptanliegen. Es muss erkannt werden, dass die Uno-Charta weltweit anerkannte Massstäbe festsetzt. Die Uno-Charta garantiert die Souveränität des Staates. Die Uno ist überhaupt auf der Basis der Souveränität von Staaten aufgebaut worden. Die Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten, das heisst, die Möglichkeit des Staates über die Höhe und den Gebrauch der Steuern zu bestimmen und zu entscheiden, sind ontologische oder wesentliche Aufgaben des Staates. Diese Dinge werden in Artikel 1 und 2 der Uno-Charta festgeschrieben. Artikel 55 und 56 schreiben die Menschenrechte fest. Wenn ein Vertrag diese Artikel verletzt oder dieser inkompatibel mit diesen ist, hat die Charta den höheren Rang. Man sagt auf Englisch, «it trumps» (sticht) alle anderen Verträge. Im Artikel 103 der Uno-Charta steht geschrieben, wenn es einen Konflikt zwischen der Uno-Charta oder irgendeinem Vertragswerk gibt, muss die Uno-Charta angewendet werden und nicht der Vertrag. Das muss gerichtlich festgehalten werden.
    Was heisst das jetzt konkret für diese unlauteren Verträge, die gegen die guten Sitten, Treu und Glauben, das demokratische Prinzip und damit gegen das Gemeinwohl sowie die Menschenrechte verstossen?
    Die Lösung liegt im Internationalen Gerichtshof. Die Staaten, die in der Generalversammlung sitzen, müssen vom internationalen Gerichtshof in Den Haag verlangen, dass ein Gutachten erstellt wird, das genau das erkennt und dann deutlich den Staaten sagt, dass sie keine Verträge eingehen können, die gegen die Uno-Charta verstossen. Alle diese bilateralen und multilateralen Handelsverträge, TTP, TTIP usw. sowie die 3000 bilateralen Verträge, die schon existieren, müssen fallen, beziehungsweise jene Teile, die gegen die Charta verstossen, müssen abgeschnitten werden (Prinzip der Severability). Aber das muss initiiert werden. Der Internationale Gerichtshof wird nicht motu proprio aktiv, er beginnt keinen Prozess von sich aus. Jemand muss die Initiative ergreifen und die Dinge dem internationalen Gerichtshof vorgelegen.
    Wer könnte das tun?
    Die Uno-Generalversammlung nach Art. 96 der Charta, aber nicht ausschliesslich. Es gibt noch andere Gremien, die genau dieselbe Möglichkeit haben wie zum Beispiel die Internationale Arbeitsorganisation, die ILO, die Weltgesundheitsorganisation, die WHO, das Kinderhilfswerk, die Unicef, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Uno, die FAO, und weitere. Alle diejenigen, die die Konsequenzen schon heute erkennen können.
    Quelle: Zeit-Fragen

    Anmerkung Christian Reimann: Obwohl das Interview mit dem Völkerrechtler Alfred de Zayas einige Jahre alt ist, hat es an Aktualität kaum verloren.

  17. Jünger der Torheit
    Die »Alternative für Deutschland« hat sich eine Stiftung gegeben und sie nach dem Renaissance-Humanisten Erasmus von Rotterdam benannt. Mit den dabei zu erwartenden Staatsgeldern will sie ihren gesellschaftlichen Einfluss ausdehnen.
    »Mobilmachung – Waldgang – Weltstaat. Ernst Jüngers politische Philosophie«. Unter diesem Titel fand am 6. Juni 2018 eine Veranstaltung in den Räumen des Bundestages in der Wilhelmstraße 60 statt, zu der die AfD-Bundestagsabgeordneten Udo Hemmelgarn und Harald Weyel eingeladen hatten. Als Referent war Erik Lehnert angekündigt worden, seines Zeichens Geschäftsführer des »Instituts für Staatspolitik« (IfS) und gleichzeitig wissenschaftlicher Mitarbeiter eben jenes Harald Weyel. Veranstalter war jedoch nicht die AfD-Bundestagsfraktion, sondern die Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES).
    Mit einem Vortrag in den geschützten Räumen des Bundestages, dessen Besuch nur nach vorheriger persönlicher Anmeldung möglich war, zeigte die DES Flagge – noch vor der Entscheidung des AfD-Parteitages in Augsburg Ende Juni über die Anerkennung als parteinahe Stiftung. Ernst Jünger als intellektueller Bezugspunkt einer nationalistischen Rechten, das IfS als Stichwortgeber der völkischen Rechten innerhalb der AfD und die Räume des Bundestages als repräsentative Bühne – im kleinen setzte die DES damit einen Teil der Ziele um, die sie sich selbst gesteckt hat, um der AfD zu noch breiterer Außenwirkung, intellektueller Ausstrahlung und Reputation im konservativen Umfeld zu verhelfen.
    Dabei war der Weg bis zur Anerkennung durch die Partei nicht einfach, zahlreiche Hürden waren zu überwinden. Politisches Misstrauen, Flügelkämpfe, die prinzipielle Ablehnung des »Parteienstaates« – gegen all diese Widerstände hat sich die seit März 2018 amtierende Stiftungsvorsitzende Erika Steinbach schlussendlich durchgesetzt. Schließlich weiß die ehemalige Präsidentin des »Bundes der Vertriebenen« (BdV) wie man mit Lobbyarbeit, dem Aufbau konservativer Netzwerke und taktischem Geschick jenseits von direkter Parteiarbeit mit geschichtsrevisionistischen und reaktionären Positionen Terrain gewinnen kann. Ging es Steinbach mit dem BdV »nur« um die geschichtspolitische Etablierung eines deutschen Opfermythos, mit dem auch Deutschland und die Deutschen auf die Seite der »Opfer des Nationalsozialismus« gerückt werden sollten, so sollen mit der DES die politischen Koordinaten der Bundesrepublik nach rechts verschoben, letztlich geht es um eine andere Republik.
    Die Stiftung ist in den Augen ihrer Befürworter innerhalb der AfD ein wichtiger Baustein im Kampf um diese Neuausrichtung. Mit ihr soll der Aktionsradius der Partei weit über den engen Kreis der Anhängerinnen und Anhänger vergrößert werden. Und es geht um viel Geld, denn eine parteinahe Stiftung der AfD kann perspektivisch auf finanzielle Unterstützung in Höhe von mehr als 50 Millionen Euro jährlich setzen.
    Quelle: junge Welt
  18. Wir brauchen eine große Sozialstaatsreform
    Die nordrhein-westfälische SPD arbeitet laut einem Zeitungsbericht an der Abschaffung des Hartz-IV-Systems. Nach dem Willen von Fraktionschef Kutschaty soll dazu eine umfangreiche Sozialstaatsreform auf den Weg gebracht werden.
    “Wir brauchen eine große Sozialstaatsreform, die dann auch nicht mehr den Namen eines verurteilten VW-Managers tragen darf. Ich wünsche mir, dass aus der nordrhein-westfälischen SPD heraus dafür ein Modell entwickelt wird, das soziale Sicherheit und Leistungsgerechtigkeit endlich wieder in Einklang bringt”, sagte Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung
    Die Partei müsse sich ehrlich machen, forderte Kutschaty: “Die SPD kann bis heute nicht erklären, warum der 49-jährige Facharbeiter nach einem Jahr Arbeitslosigkeit genauso behandelt wird wie der 25-Jährige, der noch keinen Tag in seinem Leben gearbeitet hat. Das hat das Gerechtigkeitsempfinden unserer Anhänger tief verletzt.”
    Kutschaty, der im April gegen den Widerstand einflussreicher SPD-Größen in NRW zum Landtagsfraktionschef gewählt wurde, hatte schon beim Landesparteitag Ende Juni dazu aufgerufen, mit der Politik von Ex-Kanzler Gerhard Schröder zu brechen und dessen damalige Arbeitsmarkt-Reformen zu widerrufen. Angesichts der dramatischen Umfrage-Misere der SPD gilt die sozialpolitische Kehrtwende als Versuch, abgewanderte Stammwähler gerade im Ruhrgebiet zurückzugewinnen. SPD-Vizekanzler Olaf Scholz hatte sich dagegen mehrfach gegen die Abschaffung von Hartz IV ausgesprochen.
    Quelle: Rheinische Post

    Anmerkung JK: Wenn das keine Fake-News sind, dann muss man sagen: Diese Einsicht kommt zu spät, sie wird die SPD nicht mehr retten und in der, fest dem neoliberalen Dogma verfallenen, Führungsriege der SPD sowieso auf taube Ohren stoßen.


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