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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 1. April 2010 um 7:57 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich:

Heute unter anderem zu folgenden Themen: Arbeitsmarkt im März 2010; Bankenabgabe; billige Steuer-CD; IWF bestraft Isländer; in den Klauen der Spekulanten; EU contra Export-Politik; kürzere Arbeit rettet Jobs; 105 Milliarden Miese; Solidarität im Steuerstaat; Rot-rot will entstaatlichen; Internetsperren; ELENA; Prügel-Vorwürfe gegen Mixa; rechtsum bei der Bundeswehr; Hochschulpakt; Schulpolitik; NRW-Wahl; SPD; Wirtschaftsjournalismus; Serbischer Kniefall; Vermögensverteilung. (WL)

  1. Arbeitsmarkt im März 2010
  2. Bankenabgabe
  3. Die Bank gewinnt immer
  4. 200 Millionen Euro Einnahmen durch Steuer-CD aus Liechtenstein
  5. Wer falsch abstimmt, den bestraft der IWF
  6. Bankentribunal: In den Klauen der Spekulanten
  7. EU-Kommission torpediert deutsche Export-Politik
  8. Kürzere Arbeitszeit rettet Jobs in der Krise
  9. Preise außer Kontrolle – Politik gegen Pharmaindustrie
  10. 105 Milliarden Euro Miese
  11. Solidarität im Steuerstaat: ein Auslaufmodell?
  12. »Rot-rot« will entstaatlichen
  13. Zähmen, Gängeln, Wegsperren
  14. Offener Brief der Arbeitnehmerkammer Bremen wegen Heinsohn
  15. Neues in „Sozialpolitik aktuell in Deutschland“
  16. Mobben und bespitzeln – Unternehmen gegen Betriebsräte
  17. Niemand hat die Absicht, Internetsperren zu errichten
  18. Elena und Datenschutz: Die Regierung zittert vor der Klage dieses Anwalts
  19. Prügel-Vorwürfe gegen Mixa – ”Warte nur, bis der Stadtpfarrer kommt”
  20. Bundeswehr: Und rechts, zwo, drei, vier
  21. Zweiter Bericht zur Umsetzung des Hochschulpakts 2020
  22. Rettet das Gymnasium
  23. Hessisches Kultusministerium: Schulen müssen 45 Millionen sparen
  24. Bürger wollen Schulpolitik dem Bund übertragen
  25. NRW-Wahl
  26. SPD: Das Ziel ist Nichts
  27. Wirtschaftsjournalismus: Lemminge statt Wachhunde
  28. Serbischer Kniefall
  29. Zu guter Letzt: Kleine Darstellung der Vermögensverteilung

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Arbeitsmarkt im März 2010
    1. 63,9% der Arbeitslosen sind im Rechtskreis SGB II (Hartz IV) registriert
      Im März 2010 wurden von der Statistik der BA insgesamt 3,568 Millionen Arbeitslose registriert,
      18.000 bzw. 0,5% weniger (!) als im März 2009. Von diesen 3,568 Millionen Arbeitslosen waren 1,288 Millionen (36,1%) im Rechtskreis SGB III und 2,280 Millionen (63,9%) im Rechtskreis SGB II (Hartz IV) registriert.
      Als Arbeitsuchende waren im März 2010 insgesamt 6,041 Millionen Frauen und Männer registriert, 139.000 (2,4%) mehr (!) als im März 2009. Die von der Statistik der BA ermittelte „Unterbeschäftigung ohne Kurzarbeit“ betrug im März 2010 4,731 Millionen, 143.000 (3,1%) mehr (!) als im März 2009.
      Nach vorläufigen, hochgerechneten Daten hatten 1,295 Millionen (arbeitslose und nicht arbeitslose) Frauen und Männer Anspruch auf das beitragsfinanzierte Arbeitslosengeld (SGB III) und 5,016 Millionen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Bereinigt um die Zahl der etwa 130.000 sog. Aufstocker (gleichzeitiger Bezug von Arbeitslosengeld und Arbeitslosengeld II) hatten im März 2010 etwa 6,180 Millionen erwerbsfähige Frauen und Männer Anspruch auf Arbeitslosengeld (SGB III) bzw. Arbeitslosengeld II, „160.000 mehr als vor einem Jahr“ (BA-Monatsbericht, S. 20).
      Quelle: Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe e.V. (BIAJ) [PDF – 467 KB]
    2. DIE LINKE listet die tatsächliche Arbeitslosigkeit im März 2010 auf
      – also ohne die inzwischen durchgeführten „statistischen Bereinigungen“ – und kommt auf 4,78 Millionen tatsächlich Arbeitslose.
      Quelle: DIE LINKE [PDF – 82 KB]
    3. Arbeitsmarkt: Die aktuellen Trends im Detail
      Die Arbeitslosigkeit ist im März aufgrund der Frühjahrsbelebung, aber auch konjunkturbedingt gesunken. Erstmals seit längerem liegen die Zahlen wieder etwas niedriger als vor einem Jahr. Dagegen ist die Unterbeschäftigung binnen Jahresfrist gestiegen. Sie erfasst auch Erwerbslose und Jobsuchende, die nicht in der Arbeitslosenstatistik berücksichtigt sind. Schon diese Zusammenfassung der Bundesagentur für den Monat März zeigt, dass Licht und Schatten derzeit am Arbeitsmarkt dicht beieinander liegen. Die Unterbeschäftigung hat von Januar 2009 bis Januar 2010 um 13 Prozent auf 4,78 Millionen Frauen und Männer zugenommen. Rund 6,18 Millionen Menschen in Deutschland waren zuletzt auf Sozialleistungen angewiesen (plus drei Prozent). Darunter 1,36 Millionen Erwerbstätige, deren Lohn nicht zum Lebensunterhalt ausreicht.
      Quelle: FR

      Anmerkungen unseres Lesers G.K.: Die Medienberichterstattung zu den März-Arbeitsmarkdaten ist über weite Strecken wieder einmal geprägt von unkritischen Jubelberichten.
      Zuzüglich zur offiziell ausgewiesenen Arbeitslosigkeit in Höhe von 3,568 Millionen Personen beträgt die in der Unterbeschäftigung versteckte Arbeitslosigkeit 1,163 Millionen Personen, so dass die um die Unterbeschäftigung erhöhte Arbeitslosenzahl 4,731 Millionen Personen beträgt.
      Zwei ergänzende Aspekte, die das von vielen Medien hinausposaunte “Jobwunder”-Bild in Zweifel ziehen, sind zu berücksichtigen:

      • Die Bundesagentur für Arbeit teilt mit, dass die Arbeitslosigkeit im Jahre 2010 aus demografischen Gründen im Jahresdurchschnitt um 147.000 Personen unter dem Vorjahreswert liegt. Diese Reduktion tritt ein, ohne dass Politik oder Wirtschaft auch nur einen einzigen Finger rühren müssen. Die Arbeitsmärkte Frankreichs oder Skandinaviens profitieren demgegenüber nicht vom Demografie-Effekt. Dieser Effekt, die immer noch hohe, aus der Kurzarbeit resultierende, verdeckte Arbeitslosigkeit, die zunehmende Qualitätsverschlechterung der Arbeitsplätze (und die damit verbundene Ausweitung des Niedriglohnsektors) sowie die Aufhübschung der Beschäftigungs- und Arbeitslosendaten durch die Aufteilung von Vollzeitstellen in Teilzeitstellen sind zu berücksichtigen, wenn unsere Medien über die angeblich deutlich bessere Arbeitsmarktsituation in Deutschland fabulieren.
      • Des weiteren besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen der offiziell ausgewiesenen Arbeitslosenzahl in Höhe von 3,568 Millionen und den insgesamt 6,310 Millionen Arbeitslosengeldempfängern. Hierin enthalten sind auch jene “Arbeitsplatz”-Inhaber, deren Tätigkeit so schlecht entlohnt wird, dass das Einkommen über das Arbeitslosengeld 2 aufgestockt werden muss.
  2. Bankenabgabe
    1. Allein gegen die Schieflage
      Es war eine Premiere, die Routine ausstrahlen sollte. Alles sollte normal und wie selbstverständlich aussehen, als zum ersten Mal eine französische Ministerin an einer regulären deutschen Kabinettssitzung teilnahm. Solche Freundschaftsdemonstrationen sind nötig geworden in Europa, seit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Streit über Griechenland ihre Interessen wenig rücksichtsvoll durchsetzte. Auch bei anderen Sachthemen knirscht es. Erst recht zeigten sich inhaltliche Differenzen beim eigentlichen Anlass des Besuchs – Schäubles Bankenabgabe. Im Kabinett stellte er die Eckpunkte für ein späteres Gesetz vor, mit dem er jährlich eine bis 1,2 Milliarden Euro bei den Instituten einsammeln will. Die Einnahmen sollen in einen Fonds fließen, aus dem sich der Staat bedienen könnte, sollte er bei der nächsten Krise wieder einspringen müssen. Frankreich stützt zwar das Ziel, die Geldhäuser an den Kosten für weitere Rettungen zu beteiligen, versicherte Lagarde. Gleichwohl schlägt sie einen anderen Weg ein.
      Quelle: FR

      Anmerkung Orlando Pascheit: Noch im Dezember 2009 haben die Staats- und Regierungschefs der EU – sogar Gordon Brown – sich bei ihrem Gipfel in Brüssel für eine Finanztransaktionssteuer ausgesprochen. Es ist unbegreiflich, warum Angela Merkel jetzt ausgestiegen ist, man könnte auch sagen wortbrüchig geworden ist. Die EU ist doch jetzt erwachsen (und mächtig) genug, um eine Transaktionssteuer unabhängig von den USA beschließen zu können. Neben zusätzlichen Staatseinnahmen wird die aktuelle Spekulation gebremst und der Finanzmarkt stabilisiert, statt über Abgaben für ein sowieso viel zu geringes Polster bei zukünftigen Krisen zu sorgen. Die Finanzbranche jubelt, gibt Ihnen das nicht zu denken, Frau Merkel?

      Ergänzende Anmerkung WL: Wobei die Bankenabgabe, wenn sie nicht ohnehin nur als unerreichbare Fata Morgana vorgespiegelt wird, keinesfalls ein wirksames Mittel gegen den Casino-Betrieb und die Zockerei ist.

    2. Fahrlässige Vorsorge
      Die deutsche Finanzwirtschaft kommt glimpflich davon. Dies gilt insbesondere für die privaten Banken – allen voran die Deutsche Bank – und die Versicherungskonzerne. Letztere müssen nämlich gar nicht in den neuen Krisenfonds einzahlen, obwohl zum Beispiel auch der Allianz-Konzern munter mitgezockt hat bei den substanzlosen Geschäften, die die Weltfinanzkrise ausgelöst haben.
      Doch genau diese Fragen interessieren die Bundesregierung nicht. Ihr geht es – anders als zum Beispiel US-Präsident Obama – eben nicht darum, den Verursachern der Krise die Rechnung für ihre Rettung zu präsentieren und sich das Geld des Steuerzahlers zurückzuholen. Sie beschränkt sich allein auf die Vorsorge für die Zukunft.
      Wenn es bei diesen Peanuts bleibt, dauert es an die 500 Jahre, bis jene Summe erreicht ist, die die Regierung auf dem Höhepunkt der Krise für den staatlichen Rettungsfonds Soffin mobilisiert hatte.
      Quelle: taz
    3. Obama macht am meisten Druck
      Deutschlands Vorstoß ist nicht sehr weitgehend. Vor allem die USA sind bei der Finanzmarktreform viel weiter. Tatsächlich hatte Obama schon Ende des vergangenen Jahres eine Abgabe für die größten Banken des Landes eingeführt, um mit diesem Geld die Verluste aus dem Bankenrettungsprogramm zu decken. Zudem hegen er und sein Chefberater Paul Volker nach wie vor den Plan, den regulären Geschäftsbanken die Spekulation mit Finanzeinlagen auf eigene Rechnung sowie das Betreiben von Hedgefonds und Beteiligungsgesellschaften (Private Equity) zu untersagen. Vor allem die Großbanken will Obama auf ein Maß stutzen, das sie nicht mehr “too big to fail” (zu groß, um zu versagen) macht. Derzeit liegen dem Kongress Gesetzentwürfe zu höheren Kapitalforderungen und besserer Liquiditätsausstattung vor.
      Quelle 1: taz
      Quelle 2: Reuters
  3. Die Bank gewinnt immer
    Das ist doch mal eine Finanzkrise nach dem Geschmack des Finanzsektors. Ist die Bruttowertschöpfung der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften 2009 um 4,3 Prozent gefallen, hat jene der finanziellen Kapitalgesellschaften um 5,8 Prozent zugenommen – nach acht Prozent im Jahre 2008. Das sagen zumindest die Zahlen der US-Statistik, auf die wir uns einfach mal wieder deswegen beziehen, weil sie verfügbar sind. Im Ergebnis ist der Anteil des Finanzsektors an der nominalen Wertschöpfung der Kapitalgesellschaften Ende 2009 auf 16,2 Prozent gestiegen – einen einsamen neuen Rekord. Zehn Jahre zuvor waren es zwölf Prozent, Ende der 60er-Jahre 6,5 Prozent.
    Quelle: FTD

    Anmerkung Orlando Pascheit: “Die Mauern stehn sprachlos und kalt, Im Winde klirren die Fahnen.”

    Siehe dazu schon 2007 Albrecht Müllers Fragen zur „Wertschöpfung“ des Finanzsektors.

  4. 200 Millionen Euro Einnahmen durch Steuer-CD aus Liechtenstein
    Von den 2008 angekauften Steuerdaten mit Angaben zu Kunden einer liechtensteinischen Bank sind bisher ein Drittel ausgewertet worden. Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort (17/1074) auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion (17/836) mitteilt, hat die zuständige Staatsanwaltschaft Bochum in bisher 588 Fällen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Davon seien 191 Fälle bereits abgeschlossen. Gezahlt worden seien 200 Millionen Euro Steuern, Geldauflagen und Bewährungsauflagen, schreibt die Bundesregierung. Sie habe aber keine Angaben darüber, wie hoch der Wert der von deutschen Steuerpflichtigen gegenüber den deutschen Finanzbehörden geheim gehaltenen Geldanlagen im Ausland ist.
    Zum Ankauf von Steuerdaten heißt es in der Antwort grundsätzlich, dass die Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzbehörden bei Sachverhalten im Ausland an ihre Grenzen stoßen würden. Wenn es keinen automatischen Informationsaustausch zwischen den Staaten gebe und ausländische Steuerbehörden auch sonst keine Auskünfte erteilen würden, könnten unvollständige oder falsche Angaben eines deutschen Kapitalanlegers grundsätzlich nicht aufgedeckt werden. ”Der Ankauf von Daten über ausländische Kapitalanlagen, die die Steuerpflichtigen bei gehöriger Erfüllung ihrer steuerlichen Mitwirkungspflichten selbst hätten mitteilen müssen, ist in diesen Fällen das einzige Mittel, um Steuerhinterziehung durch Kapitalanlagen in nicht auskunftsbereiten Ländern aufdecken zu können“, schreibt die Bundesregierung.
    Im Hinblick auf die geschätzten steuerlichen Auswirkungen erscheine der Preis für jüngst angekaufte Steuerdaten in Höhe von 2,5 Millionen Euro angemessen, heißt es in der Antwort weiter.
    Quelle: Deutscher Bundestag
  5. Wer falsch abstimmt, den bestraft der IWF
    Da hatten sich doch tatsächlich 93 % der Bevölkerung Anfang März in Island getraut, beim Referendum dagegen zu stimmen, dass mit Steuergeldern britische und niederländische Sparer entschädigt werden. Es geht dabei um fast vier Milliarden Euro aus geplatzten Konten der abgestürzten isländischen Icesave-Bank. Dabei handelte es sich um die Direktbank der verstaatlichten Landsbanki.
    Nun blockiert der Internationale Währungsfonds (IWF) die Auszahlung weiterer Tranchen aus dem vereinbarten Hilfspaket in einer Höhe von 2,1 Milliarden US-Dollar. Bisher wurde nur eine Milliarde zugeteilt. Für das notwendige Review der Staatsfinanzen gebe es in der Führung des IWF keine Mehrheit, sagte IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn.
    Quelle: Telepolis
  6. Bankentribunal: In den Klauen der Spekulanten
    Viele Rohstoffe werden immer knapper, vorneweg Erdöl. Aber auch das Angebot von Kupfer oder neuer Stoffen wie dem in der Mikroelektronik benötigten Tantal oder Coltan ist knapp.
    Der Einstieg der Zocker in die Rohstoffmärkte ging mit einem starken Preisanstieg einher. Denn die Preise werden jetzt nicht mehr allein durch die Fundamentals der Rohstoffmärkte (Nachfrage, Lagerhaltung, Höhe der Reserven, Investitionen in Fördertechnik etc.) bestimmt. Vielmehr kommen jetzt die “Fundamentals” der Finanzmärkte ins Spiel: Wechselkursschwankungen, Zinsdifferenzen, riskante Derivate, Portfolio- und Risikomanagement und Herdentrieb. So war der enorme Preisanstieg von Öl und Nahrungsmitteln im Sommer 2008 zum größten Teil spekulationsbedingt. Zigtausende Menschen starben damals den Hungertod…
    Das Hinüberwuchern der Finanzbranche in den Rohstoffsektor – von seinen Protagonisten neutral als “Finanzialisierung” bezeichnet – bedeutet nichts anderes, als die Rohstoffpreise an die Logik und Dynamik des Finanzmarktkapitalismus zu ketten.
    Quelle: FR
  7. EU-Kommission torpediert deutsche Export-Politik
    Frankreichs Wirtschaftsministerin Christine Lagarde hatte kürzlich die Exportstärke der deutschen Wirtschaft für das Hinterherhinken schwacher Euro-Länder verantwortlich gemacht und dafür harsche Kritik einstecken müssen. Doch jetzt erhält sie Unterstützung von höchster Stelle für ihre Kritik.
    Die deutsche Wirtschaft muss einer Analyse der EU-Kommission zufolge ihre Exportlastigkeit durch stärkere Inlandsnachfrage überwinden.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung WL: Da könnte man zunächst denken, die EU-Kommission hätte einen Paradigmenwechsel von der Angebots- zur Nachfrageorientierung vorgenommen. Doch weit gefehlt: „Die Kommission hält deshalb starke Lohnerhöhungen, wie sie Lagarde und auch Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker gefordert hatten, nicht für angemessen. Doch sei die hohe Ersparnis von Verbrauchern und Unternehmen ein Grund für die große Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom Export. Strukturelle Reformen des Arbeitsmarktes, eine Stärkung des Dienstleistungssektors und Inlandsinvestitionen der Unternehmen sind darauf nach Ansicht der Kommission die richtige Antwort“, heißt es da. Die Erhöhung der Dosis der altbekannten neoliberalen Rezepte also.
    Hätte sich die EU-Kommission doch nur einmal genauer angesehen, wer in Deutschland hohe Ersparnisse hat: Die Sparquote in der Bundesrepublik ist hoch (über 11%). Doch nur wenig Deutsche legen so viel Geld zurück, wie die Statistik suggeriert.
    Bei Haushalten mit einem Nettoeinkommen von weniger als 900 Euro im Monat liegt die Quote laut Statistischem Bundesamt bei minus zwölf Prozent. Das heißt: Wer sehr wenig verdient, kann in Deutschland nicht auf Erspartes zurückgreifen, er muss vielmehr meist auf Pump leben. Bei einem Einkommen bis 1300 Euro ist der Wert mit minus 0,5 Prozent immer noch negativ, erst bei einem Nettoverdienst zwischen 1300 und 1500 Euro erreicht die Quote mit plus 0,5 Prozent positives Terrain. Danach steigt die Sparquote mit wachsendem Einkommen rapide an: von 4,5 Prozent bei einem Verdienst zwischen 2000 und 2600 Euro über neun Prozent (2600 bis 3600 Euro) bis zum Spitzenwert von knapp 22 Prozent bei einem Nettoeinkommen zwischen 5000 und 18.000 Euro.
    Warum sollten also gerade die Besserverdiener, die in den vergangenen Jahren jeden fünften Euro, den sie verdienen, zur Seite legen konnten, nun gerade jetzt ihr Geld verkonsumieren?
    Oder noch ein Beleg für die Polemik der EU-Kommission gegen Lohnerhöhungen:
    Bei Anrechnung aller Verbindlichkeiten verfügte das wohlhabendste Zehntel der erwachsenen Bevölkerung im Jahr 2007 über 61,1 Prozent des privaten Vermögens. 2002 waren es noch 57,9 Prozent. Auf das reichste Hundertstel konzentrieren sich allein knapp 23 Prozent des Nettovermögens. Dagegen besaßen die weniger wohlhabenden 70 Prozent der Erwachsenen 2007 nur knapp neun Prozent des gesamten Nettovermögens – rund 1,5 Prozentpunkte weniger als 2002.
    Nach Berechnung der Wissenschaftler am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) haben etwa zwei Drittel der erwachsenen Bevölkerung netto kein oder nur ein geringes Geld- oder Sachvermögen. 27 Prozent aller Erwachsenen besitzen netto gar kein Vermögen, oder sie haben unter dem Strich sogar mehr Schulden als Eigentum.
    Im Übrigen, warum sollten die Unternehmen ihre Ersparnisse gerade jetzt im Inland investieren, wo sie doch – auf Steuerzahlers Kosten für die Bankenrettung – schon jetzt wieder auf den Finanzmärkten viel bessere Gewinne erzielen können?

  8. Kürzere Arbeitszeit rettet Jobs in der Krise
    Die Verkürzung der Arbeitszeiten im Abschwung hat einen massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert. Wissenschaftler empfehlen, auch künftig die Arbeitsstunden besser zu verteilen. Es werde noch etwa zwei oder drei Jahre dauern, bis das Wirtschaftsniveau von 2008 wieder erreicht ist. Da es in dieser Zeit weiter technischen Fortschritt und organisatorische Rationalisierungen geben werde, könne das Bruttoinlandsprodukt mit geringerem Arbeitseinsatz erstellt werden als zuletzt. “Entweder werden dann ­weniger Beschäftigte oder weniger Arbeitsstunden je Beschäftigtem benötigt”, so die Studie. Entlassen die Unternehmen Personal, dann gefährden sie ihre Marktposition im nächsten Aufschwung.
    Quelle: Böckler Impuls [PDF – 217 KB]
  9. Preise außer Kontrolle – Politik gegen Pharmaindustrie
    Als Contergan war der Wirkstoff Thalidomid einst gefürchtet wegen seiner Folgewirkungen. Doch längst ist der umstrittene Arzneistoff als Krebsmittel wieder auf dem Markt – und ist damit gleich um ein Vielfaches teurer. Experten und Kassenvertreter kritisieren die Preispolitik des Konzerns als “skandalös” und “unethisch”. Sie werfen dem Staat vor, den Pharmaunternehmen “freien Lauf” bei der Preisgestaltung zu lassen. Denn die können in Deutschland den Preis für ein neues Medikament nach Belieben bestimmen.
    Quelle 1: ZDF Frontal21
    Quelle 2: ZDF Frontal21 (Peter Sawitzki im Interview)

    Dazu:

    Röslers Handyschwindel
    Aus den angekündigten Preissenkungen für Medikamente dürften tatsächlich Preissteigerungen werden.
    Quelle: Telepolis

  10. 105 Milliarden Euro Miese
    In der Wirtschaftskrise haben die öffentlichen Haushalte noch mehr Schulden gemacht als bisher. Im vergangenen Jahr kletterte das Defizit auf das gut 20fache des Vorjahreswerts. 2008 hatte sich das Minus von Bund, Ländern und Kommunen noch auf 5,2 Milliarden Euro belaufen, 2009 waren es 105,5 Milliarden.
    Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, stiegen die Ausgaben um 6,7 Prozent auf 1,126 Billionen Euro. Dem standen Einnahmen von 1,021 Billionen Euro gegenüber, ein Rückgang um 2,8 Prozent. Das Bundesamt führt den Einnahmerückgang vor allem darauf zurück, dass weniger Steuern in die öffentlichen Kassen flossen.
    Beim Bund sanken die Einnahmen aus Steuern und steuerähnlichen Abgaben um 3,1 Prozent auf 252,9 Milliarden Euro und bei den Ländern um 8,8 Prozent auf 189,4 Milliarden. Die kommunalen Steuereinnahmen gingen mit einem Minus von 11,4 Prozent auf 62,4 Milliarden Euro noch stärker zurück. Grund sind deutlich rückläufige Gewerbesteuereinnahmen.
    Auch die Sozialversicherung, deren Einnahmen und Ausgaben ebenfalls zu den öffentlichen Haushalten dazugezählt werden, schrieb tiefrote Zahlen. Sie meldete 2009 ein Minus von 14,7 Milliarden Euro. Dafür war vor allem die Bundesagentur für Arbeit verantwortlich, die hohe Kosten für Kurzarbeit und steigende Arbeitslosigkeit tragen musste.
    Quelle 1: Spiegel Online
    Quelle 2: Statistisches Bundesamt

    Anmerkung WL: Und für die Bundesregierung ist das Konzept zur Bekämpfung der Defizite: Steuersenkungen. Wie schreibt doch die FAZ so (ideo-) logisch: Es gilt das Wort des verstorbenen Ökonomen Milton Friedman, nach der jede Zeit eine gute Zeit für Steuersenkungen ist.

    Dazu passt:

    Deutschland: Schwebend vor dem Abgrund
    Schulen, Schwimmbäder und Theater werden geschlossen, an allen Ecken und Enden wird gekürzt. Dennoch geht die Überschuldung vieler deutscher Städte unaufhaltsam weiter. Ein Besuch in Wuppertal – einer ganz normalen Stadt mit zwei Milliarden Euro Schulden.
    Quelle: Wochenzeitung

  11. Solidarität im Steuerstaat: ein Auslaufmodell?
    Die zweite Ausgabe des Debattenmagazins GEGENBLENDE widmet sich der lauten Debatte um Solidarität im Sozialstaat. Sarrazin, Sloterdijk und Westerwelle eröffneten in den letzten Monaten derartig merkwürdige Diskurse, dass die mediale Aufmerksamkeit gewiss war. Ob Hungermahlzeiten für Bedürftige, die Modernität der karitativen Gebührengesellschaft oder Zwangsarbeit für Nichtstuer – die steilen Thesen und ihre Willkommenheit machen einem Sorgen. GEGENBLENDE nimmt sich dem Tiefgang dieser Thesen an und lenkt den Blick auf die wahren Ursachen des Sparstaates.
    Susanne Uhl hat in einem historischen Beitrag für GEGENBLENDE interessante Etappen des “Steuerstaates” beschrieben, die Sloterdijks Argumente äußerst antiquiert erscheinen lassen.
    Frank Nullmeier widmet sich in seinem Beitrag für GEGENBLENDE der Logik des unsolidarischen Sparstaates, der sich nicht um Einnahmen (Steuerflüchtlinge) bemüht und stattdessen soziale Ausgaben beschneidet.
    Weitere Beiträge zur “Staatsdiskussion” von Jörg Reitzig und Christian Christen reflektieren auch die Motive des neoliberalen Umbaus. Diese Debatte wird uns noch einige Zeit begleiten, schließlich macht sie Eines deutlich: Vormals geglaubte Selbstverständlichkeiten werden gegenwärtig radikal in Frage gestellt.
    Quelle: DGB Gegen Blende
  12. »Rot-rot« will entstaatlichen
    Bund der Strafvollzugsbediensteten kritisiert Berliner Pläne zur Teilprivatisierung im Strafvollzug. Vorwurf: Alternativen werden aus »politischen Gründen« nicht geprüft. Ein »entscheidender Grund« sei dabei offenbar der politische Wille der Berliner Landesregierung, »ein teilprivatisiertes Gefängnis nach dem Vorbild der hessischen JVA Hünfeld« zu errichten. »Dabei sollte doch gerade dieses Beispiel abschreckend wirken«, betont Bachl. »Als Hauptargument für die Teilprivatisierung der JVA Hünfeld galt seinerzeit die Aussicht auf deutliche Kostenersparnisse bei zumindest gleicher Qualität. Die erwartete Kostenreduzierung wurde mit 660000 Euro pro Jahr beziffert.« Trotz des Einsatzes von »Billigpersonal« der privaten Betreiberfirma Serco seien diese Zielsetzungen »bislang immer deutlich verfehlt worden«. Zudem sei Hünfeld »nicht nur betriebswirtschaftlich … ein Flop«, auch die »überproportional hohe Personalfluktuation bei dem privaten Dienstleister« bilde »ein schweres Handikap für eine sachgerechte, behandlungsorientierte Aufgabenwahrnehmung«.
    Quelle: junge Welt
  13. Zähmen, Gängeln, Wegsperren
    Der französische Soziologe Loïc Wacquant untersucht in seiner Studie «Bestrafen der Armen» das enorme Erstarken des US-amerikanischen Straf- und Gefängnisstaats.
    Quelle: Die Wochenzeitung WOZ
  14. Offener Brief der Arbeitnehmerkammer Bremen wegen Heinsohn
    Anlässlich der Veröffentlichungen des Bremer Wissenschaftlers Gunnar Heinsohn, der in mehreren Publikationen für die Begrenzung von Hartz IV auf fünf Jahre geworben hat und dabei insbesondere kinderreiche Familien, die auf Hartz IV angewisen sind, diffamiert, hat der Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer, Dr. Hans Endl, den dieser Mail angehängten Offenen Brief an die Wissenschaftssenatorin sowie an den Rektor der Universität geschickt.
    Quelle: Arbeitnehmerkammer Bremen
  15. Neues in „Sozialpolitik aktuell in Deutschland“
    Im März 2010 neu eingestellte Dokumente finden Sie in den Politikfeldern:

    1. „Arbeitsmarkt, Arbeitsmarktpolitik, Arbeitslosigkeit“
    2. „Alter, Alterssicherung, Rentenversicherung“
    3. „Einkommen, Einkommensverteilung, Armut“
    4. „Finanzierung und ökonomische Grundlagen des Sozialstaats“
    5. „Gesundheitswesen, Kranken- und Pflegeversicherung“
    6. „Europa und Internationales“

    Quelle: Sozialpolitik aktuell in Deutschland Uni Duisburg Essen

    Anmerkung WL: Eine wahre Fundgrube für alle, die nach Dokumenten auf dem Feld der Sozialpolitik suchen.

  16. Mobben und bespitzeln – Unternehmen gegen Betriebsräte
    Die Betriebsräte einer Chemiefirma aus Karlsruhe fühlen sich verfolgt. Sie hatten von ihrem Arbeitgeber Aufklärung wegen gesundheitsgefährdender Stoffe in der Laugenproduktion gefordert. Danach wurden sie von Detektiven beschattet, mit Klagen überzogen, zur Kündigung gedrängt. Der Nervenkrieg dauert bis heute an- und hat die Betriebsräte, die jahrelang unbescholten in der Firma arbeiteten, zermürbt.
    Quelle: ZDF Frontal21
  17. Niemand hat die Absicht, Internetsperren zu errichten
    Natürlich wollen auch die Zensurgegner mit allen erdenklichen Mitteln gegen Kinderpornographie vorgehen – nur dass die Zensurgegner das Löschen justiziabler Inhalte und die Strafverfolgung in den Mittelpunkt stellen, während die Zensurbefürworter den Fokus auf die Sperrung von Internetseiten richten. Gesperrte Inhalte sind allerdings immer noch physisch vorhanden und die geplanten Sperren lassen sich von jedem auch nur halbwegs technikaffinen Pädophilen kinderleicht umgehen. Doch um sachliche Argumente geht es bei dieser Diskussion offensichtlich auch nicht. Es geht darum, die technische Infrastruktur für ein umfassendes Sperrsystem zu etablieren, das bei Bedarf auch auf andere Bereiche ausgeweitet werden kann.
    Quelle: Spiegelfechter
  18. Elena und Datenschutz: Die Regierung zittert vor der Klage dieses Anwalts
    Er bringt die Regierung bei den Bürgerrechten zur Weißglut: Heute reicht Meinhard Starostik beim Bundesverfassungsgericht eine Massenklage gegen den Elektronischen Entgeltnachweis Elena ein. Vor wenigen Wochen erst schrieb der Anwalt Rechtsgeschichte.
    Quelle: Welt
  19. Prügel-Vorwürfe gegen Mixa – ”Warte nur, bis der Stadtpfarrer kommt”
    Ehemalige Heimkinder erheben schwere Vorwürfe gegen den Augsburger Bischof Walter Mixa. Das Bistum spricht von Diffamierung.
    In eidesstattlichen Erklärungen, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, berichten die ehemaligen Heimkinder von Ohrfeigen, von Fausthieben auf den Oberarm und von Schlägen auf das Gesäß mit Teppichklopfer oder Stock.
    Die Vorwürfe, Mixa habe in Schrobenhausen Kinder geschlagen, bezeichnet das Bistum Augsburg in einer schriftlichen Stellungnahme als “absurd, unwahr und offenbar in der Absicht erfunden, den Bischof persönlich zu diffamieren”.
    Quelle: SZ
  20. Bundeswehr: Und rechts, zwo, drei, vier
    Lange wurde die Studie über die politischen Ansichten der deutschen Offiziersanwärter unter Verschluss gehalten, vor wenigen Tagen wurde sie nun endlich veröffentlicht. Das Ergebnis: Zwar steht die überwältigende Mehrheit der Befragten auf dem Boden des Grundgesetzes und nur vier Prozent sehen ihre politische Heimat bei der NPD, der DVU oder den Republikanern. Allerdings fanden die Forscher des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr bei 13 Prozent klare Sympathien mit der Ideologie der Neuen Rechten. Für die Untersuchung befragten sie im Jahr 2007 an den Bundeswehruniversitäten in München und Hamburg 2.300 Studenten. Die Ende der Sechzigerjahre entstandene “Neue Rechte ist”, so schreiben die Verfasser der Studie, ein “komplexes, dabei eher loses Netzwerk aus Verlagen, Instituten, Seminaren, Burschenschaften sowie Einzelpersonen”. Das ideologische Spektrum umfasse antiparlamentarische, demokratiefeindliche, antiliberale, ausländerfeindliche und völkisch-nationale Elemente. Letztlich, so der Verfassungsschutz, wollten die neurechten Aktivisten den demokratischen Verfassungsstaat delegitimieren und das politische System grundlegend verändern.
    Zur Ehrenrettung der Offiziersanwärter führen die Autoren eine Vergleichsstudie unter jungen Zivilisten an, bei denen die Sympathie mit der Neuen Rechten noch deutlich höher liege. Gleichwohl ist die Zustimmung zu einzelnen politischen Zielen der Neuen Rechten auch unter den Offiziersanwärtern erschreckend hoch. So stimmen 44 Prozent von ihnen der Aussage zu, dass deutsche Interessen gegenüber dem Ausland “hart und energisch durchzusetzen” seien; 38 Prozent wollen dafür sorgen, “dass Deutschland wieder von einer starken Elite geführt wird”. Und ein Viertel will die “Zuwanderung von Ausländern nach Deutschland stoppen”.
    Quelle: taz

    Dazu:

    Merkels rechte Hand
    Erich Vad ist Angela Merkels wichtigster Militärberater. Ein Text für ein neurechtes Blatt rückt ihn ins Zwielicht. Im Jahr 2008 musste in Thüringen der CDU-Politiker Peter Krause auf das Amt des Kultusministers verzichten, weil bekannt geworden war, dass er zehn Jahre zuvor für eine kurze Zeit als Redakteur für die Junge Freiheit gearbeitet hatte. Dass der General in spe Erich Vad nun ähnlich große Schwierigkeiten bekommt, ist kaum zu erwarten. Dafür ist er für Merkel zu wichtig.
    Quelle: TAZ

  21. Zweiter Bericht zur Umsetzung des Hochschulpakts 2020
    Mit dem Hochschulpakt 2020 fördern Bund und Länder mit Wirkung vom 1.1.2007 die Aufnahme zusätzlicher Studienanfänger (Artikel 1) und die Finanzierung von Programmpauschalen für von der DFG geförderte Forschungsvorhaben (Artikel 2). Der vorliegende Bericht erfasst gem. Artikel 1 § 6 der Verwaltungsvereinbarung vom 20. August 2007 die Berichterstattung über die Durchführung des Programms zur Aufnahme
    zusätzlicher Studienanfänger im Studienjahr 2008, Stichtag 30.10.2009.
    Quelle: Gemeinsame Wissenschaftskonferenz [PDF – 179 KB]

    Anmerkung WL: Ein typisches Selbstlob der politisch Verantwortlichen. Da unterliegen zwei Drittel aller Bachelor-Studiengänge einer Zulassungsbeschränkung, da hat sich an den Betreuungsrelationen kaum etwas verändert, da hat sich die Qualität der Lehre nicht verbessert, da sind die Mittel pro Studienplatz deutlich zu niedrig angesetzt usw., aber die Bundesbildungsministerin und die Wissenschaftsminister loben sich gegenseitig ob ihrer kolossalen Anstrengungen. 275.000 Studienplätze zusätzlich, das war das ursprüngliche Ziel, bis die wegen G 8 doppelt großen Abiturientenjahrgänge kommen. Nun feiert man, dass die Zahl der Studienanfänger seit 2005 um 34.726 gestiegen ist (28.744 an Fachhochschulen und 5.982 an den Universitäten). Man lobt die Erhöhung des Frauenanteils bei Professuren von 14,3% auf 17,4%. Man türkt die Schaffung von mehr Personal, dabei hat sich vor allem die Zahl der (gering bezahlten) Lehrbeauftragten erhöht (nämlich um 18,5%). Wenn man dieses Papier liest, bekommt man den Eindruck, an unseren Hochschulen sei alles gold.

  22. Rettet das Gymnasium
    Die Hamburger Initiative »Wir wollen lernen!« kämpft mit allen Mitteln gegen die geplante Schulreform und längeres gemeinsames Lernen. Den bestehenden Zustand will nicht nur das Hamburger Bildungsbürgertum erhalten. Für dieses Ziel sind der Initiative um den Rechtsanwalt Scheuerl alle Mittel recht. Vor einigen Wochen veröffentlichte die Initiative Lebensläufe von leitenden Beamten, die an der Reform beteiligt sind. Prompt titelte die Bild-Zeitung: »Ex-Kommunist soll Schul-Reform durchpauken«.
    Quelle: Jungle World
  23. Hessisches Kultusministerium: Schulen müssen 45 Millionen sparen
    Das hessische Kultusministerium muss im nächsten Jahr 45 Millionen Euro einsparen. Diese Zahl bestätigte das Ministerium am Montag. SPD, Grüne und Linke protestierten ebenso wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Welche Schulen oder Lehrer betroffen sein könnten, verriet der Sprecher des Kultusministeriums nicht. Er sagte, es sei “zu früh, um Details benennen zu können. Derzeit prüfen wir eingehend, wo es Einsparpotenziale gibt”. Erst im Sommer werde eine endgültige Entscheidung fallen. Keine Bestätigung gab es für eine interne Liste, über die der Radiosender hr-info berichtete. Danach sollten bei Vertretungslehrern sieben Millionen Euro eingespart werden und bei Lernmitteln 1,5 Millionen Euro, meldete der Sender. Beim freiwilligen sozialen Jahr im Schulbereich sollten die Etatansätze des Jahres 2010 um mehr als 50 Prozent gekürzt werden. Die Europaschulen müssen mit einer Kürzung um ein Drittel rechnen.
    Quelle: FR
  24. Bürger wollen Schulpolitik dem Bund übertragen
    Seit der Föderalismusreform 2006 ist die Zuständigkeit des Bundes im Bildungsbereich gesunken. 61 Prozent der Befragten prangern dies an. Sie fordern überall in Deutschland die gleiche Qualität von Schulen und Unterricht. Mit der Schulpolitik der Landesregeriungen sind sie mehr als unzufrieden.
    Quelle: Welt
  25. NRW-Wahl:
    1. In der Hand der Kleinen
      Sechs Wochen vor der Landtagswahl in NRW haben sich die Parteien auf ihre Wunschkoalitionen festgelegt. Dabei lassen die Umfragen vermuten, dass die Wahl die Koalitionskalküle über den Haufen wirft. Dass sie dennoch propagiert werden, hat Gründe: Die Parteien hoffen, so ihr Wählerpotential optimal ausschöpfen zu können.
      Ob es zur Großen Koalition kommt oder nicht, liegt in der Hand der kleinen Parteien. Es wird nicht ausreichen, dass sie bei der Wahl Ergebnisse erzielen, die rechnerisch alternative Koalitionen ermöglichen. Sie werden nach der Wahl politische Konzepte verhandeln müssen, die dem Druck zur Bildung einer Großen Koalition die Durchschlagskraft nehmen.
      Quelle: Post von Horn
    2. NRW-Grüne stellen Bedingungen
      Die Spitze der nordrhein-westfälischen Grünen hat von der CDU weitreichende Zugeständnisse für eine schwarz-grüne Koalition nach der Landtagswahl am 9. Mai gefordert. Vor allem bei den Themen Bildung, Energie und Klimaschutz gebe es große Differenzen. Die Grünen-Führung in NRW sah sich zuletzt der Kritik der Parteibasis ausgesetzt, zu stark auf eine mögliche Koalition mit der CDU zu setzen. Die Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann hatte Schwarz-Grün als „mögliche Zweitoption“ der Grünen bezeichnet.
      Quelle: Tagesspiegel

      Anmerkung Orlando Pascheit: Das alte Spiel: Die Führung und die Basis.

    3. Wahlprüfsteine Hochschulpolitik: Was die Parteien in Nordrhein-Westfalen wollen
      Den fünf im Bundestag vertretenen Parteien hatten wir Gelegenheit gegeben, sich zu insgesamt acht Fragen rund um Hochschulpolitik zu positionieren. Die teilweise sehr ausführlichen Antworten liegen inzwischen vor. Eine Zusammenfassung der wesentlichen Aussagen geben wir in diesem Artikel, jeweils mit einer kurzen Beschreibung, wie es beim jeweils angesprochenen Punkt bisher in NRW aussieht.
      Quelle: Studis Online
    4. Blattkritik: Rheinische Post
      Man mag es nicht glauben, wer so alles in diesem Land über dieses Land publizieren darf. Da hatte sich das Düsseldorfer CDU-Wahlkampfpostille Rheinische Post am Mittwoch erlaubt, die gesamte Titelseite für ein einziges Thema freizumachen: Rücktritt von Angela Merkel. Sorry. Nein, das war es nicht. Da haben wir uns verlesen. „Gelsengate“ hieß die Story. Eine Lokalgeschichte, die die knapp 400 000 Abonnenten der einstmals bieder-seriös-erzkonservativen-katholischen Zeitung als exklusive Topstory zum Frühstück kredenzt bekamen. Und sonst nichts.
      Quelle: Wir in NRW
  26. Das Ziel ist Nichts
    Die SPD versucht sich an einer Neuorientirung. Ihre jüngere Vergangenheit, von der sie sich lösen möchte, steht ihr dabei im Wege. Für eine Neuerfindung sozialdemokratischer Politik reicht eine Abmilderung der Hartz-Gesetze nicht aus – womöglich langt es noch nicht mal dafür, Hannelore Kraft und ihrem Landesverband ein Wahlergebnis deutlich über 30 Prozent zu verschaffen. Was aber wäre eine sozialdemokratische Neuerfindung? »Neuerfunden« hat sich die SPD seit dem Regierungsantritt Gerhard Schröders im Jahr 1998 permanent. Gebracht hat es ihr nichts, und ihrem einstigen Klientel erst recht nicht. Die letzte »Neuerfindung« müsste die Wende zurück sein, die Restauration der seit 1998 aufgegebenen Sozial- und Wirtschaftspolitik. Das Problem dabei ist: Diese Wende wurde schon woanders vollzogen. Es ist die Linkspartei, die heute die sozialdemokratischen Werte der Nachkriegsjahrzehnte vertritt. Darüber kann auch der von einigen Landesverbänden und trotzkistoiden Funktionären zur Schau gestellte Verbalradikalismus nicht hinwegtäuschen. Organisatorisch sind sich beide Parteien – bislang noch – spinnefeind, gesellschaftlich gesehen aber ist die Linkspartei ein Teil der Sozialdemokratie. Die Schmähreden, mit denen die SPD seit fünf Jahren die Linkspartei überzieht, um sie als »realitätsuntüchtig« zu stigmatisieren, kommen einem Unvereinbarkeitsbeschluss sich selbst gegenüber gleich. In der Linkspartei bekämpft die SPD ihre eigene Vergangenheit, oder um es mit Carl Schmitt zu sagen: »Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt.« – Die Politik der Schröder-Jahre und der Großen Koalition lässt sich nicht so einfach durch einen programmatischen Linksruck oder einen Austausch des Personals annullieren. Sich von Hartz IV abzuwenden, bedeutet für die SPD einen vollständigen Bruch mit dem ebenso autoritären wie totalitären Leitbild des Neoliberalismus.
    Quelle: Jungle World

    Anmerkung Orlando Pascheit: Felix Klopotek verkennt, dass das Kapital auch in der aktuellen Krise seine Interessen wahren kann, aber die neoliberale Staatsreligion ist bis weit in konservative Kreise hinein schwer erschüttert. Dass die SPD dem noch nicht Rechnung tragen kann, ist vor allem dem Umbruch von einer inhaltlich ausgelutschten Regierungspartei zu einer sich auf Identitätssuche befindlichen Oppositionspartei geschuldet und wird durch Personalfragen nicht erleichtert. Es war nicht zu erwarten, dass diese Umbruchphase schnell abgeschlossen sein würde.
    Klopotek macht es sich sehr einfach, indem er die Sozialdemokratie mit einem hübschen Wortspiel über ein Bernsteinzitat in das Ende ihrer Geschichte schickt. Er reduziert den so genannten Revisionismus der SPD, ob nun die Debatte von 1900 bis Weimar oder Godesberg oder gar die Schrödersche Wende, auf die Abwehr von “Kommunisten, aufmüpfigen Gewerkschaftern, marxistischen Akademikern, Öko-Utopisten, schließlich den eigenen Jusos”. Er verkennt dabei vollkommen das ewig revolutionäre, vormarxistische Leitmotiv des Citoyen: Liberté, Égalité, Fraternité. Wenn nun Bernstein oder Kautsky erstmals dieses gesellschaftliche Leitbild als Utopie erkannten und die SPD sich seitdem immer mehr als Weg zu diesem Ziel definierte, so ist das Ende dieses Weges noch lange nicht erreicht, nur weil der Weg manchmal auf einen Holzweg führt. Was macht man dann? Man kehrt um und sucht neue Wege.

  27. Wirtschaftsjournalismus: Lemminge statt Wachhunde
    Insbesondere seit den neunziger Jahren hat in der Wirtschaftsberichterstattung eine Angleichung der Selektions-, Interpretations- und Inszenierungslogiken an die Politikberichterstattung stattgefunden. Die neuen, auf Maximierung der Aufmerksamkeit der MedienkonsumentInnen ausgerichteten Medienlogiken konstruieren den Lauf der Dinge strikt entlang aktueller Ereignisketten und – wie die alte Geschichtsschreibung – als Produkt von HeldInnen und VersagerInnen, also als Ergebnis von Menschen und Taten und nicht von Verhältnissen, welche die Menschen, ihre Taten und deren Wirkungen jenseits blosser Fähigkeits- und Charakterurteile beschreiben können. Auf dieser Ebene erlahmte auch der publizistisch-politische Konflikt um die Bewertung von Ereignissen. Dies führte zu einer weitgehenden Gleichförmigkeit der Themen in der Wirtschaftsberichterstattung.
    Diese mangelnde Auseinandersetzung auf der Makroebene, also auf der Ebene der Wirtschaftpolitik, um das richtige Verhältnis von politischer Regulation und Markt ist auch darauf zurückzuführen, dass das führende Personal des Wirtschaftsjournalismus in dieser Wachstumsphase in seiner überwiegenden Mehrheit in ökonomischen Studiengängen sozialisiert wurde, in denen die Neoklassik zur alleinigen Wirtschaftstheorie erklärt wurde. Mit anderen Worten: Die Spezies der WirtschaftsjournalistInnen ist grossmehrheitlich konditioniert im Paradigma der unfehlbaren Selektions- und Entdeckungsfunktion des Marktes. Dieser Unfehlbarkeitsanspruch hat in den Wirtschaftswissenschaften der neunziger Jahre den Status einer weltanschaulichen Position zugunsten einer Wahrheitsaussage verloren.
    Quelle: WOZ

    Anmerkung WL: Siehe dazu eine Studie über die deutsche Medienlandschaft mit ganz ähnlichen vernichtenden Urteilen: Hans-Jürgen Arlt, Wolfgang Storz: „Wirtschaftsjournalismus in der Krise“.

  28. Serbischer Kniefall
    Die Belgrader Erklärung zu Srebrenica ist keine ausländische Auftragsarbeit. Hier geht es wirklich um Serbien, um das Selbstverständnis einer Nation, die sich zu ihrer Schuld bekennen kann. Der Text ist nicht so klar wie eine Anklageschrift, die Geste nicht so anrührend wie der Kniefall Willy Brandts vor den Opfern des Warschauer Ghettos. Entscheidend ist aber, dass die Erklärung keine argumentativen Hintertüren offen lässt und dass sie eine Mehrheit gefunden hat. Dass das Wort “Völkermord” nicht vorkommt, war ein Zugeständnis an die Sozialisten, die damals an der Macht waren und heute wieder mitregieren. Wichtiger ist, dass Serbien sich mit seiner Erklärung den Spruch des Internationalen Gerichtshofs aus dem Jahr 2007 zu eigen macht und dessen Darstellung des Massenmords ausdrücklich bekräftigt.
    Quelle: FR

    Anmerkung Orlando Pascheit: Allenthalben wird jetzt betont, dass die Resolution halbherzig bliebe, da der für Srebrenica maßgeblich verantwortliche General Ratko Mladic noch nicht gefasst sei. – Wir Deutschen sollten doch am besten wissen, wie schwierig die Aufarbeitung von Vergangenheit ist, und die Klappe halten. Man denke z.B. daran, dass die Aufhebung der Verjährung für Mord und Völkermord 1979 mit nur 255 zu 222 Stimmen vom Bundestag beschlossen wurde.

  29. Zu guter Letzt: Kleine Darstellung der Vermögensverteilung
    Darstellung der Vermögensverteilung
    Quelle: Duckhome


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