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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 1. September 2010 um 9:47 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Arbeitsmarkt im August 2010; der allmähliche Rückzug des Sozialstaats; Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im rentennahen Alter; Tariftreue und EU-Rechtsprechung; warten auf den zweiten Einschlag; Ungereimtheiten bei Hypo Alpe-Adria; Aufbruch im Autoland; Diagnose: Bedingt lebensfähig; Menschen mit Migrationshintergrund; zu den Sarrazinaten; Stuttgart 21; NRW-Kabinett beschließt Abschaffung der Studiengebühren; Ghadhafi rettet Europa und verlangt dafür Geld; Kampf gegen Taliban in «letzter Phase» (KR/WL)

  1. Arbeitsmarkt im August 2010
  2. Der allmähliche Rückzug des Sozialstaats
  3. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im rentennahen Alter 2009
  4. WSI: Tariftreue – “Schock nach EuGH-Urteil überwunden”
  5. Wolfgang Münchau – Warten auf den zweiten Einschlag
  6. Hypo Alpe-Adria: Die Finanzaufsicht stieß bereits 2007 auf massive Ungereimtheiten
  7. BaFin sortiert Aufsichtsräte von Banken aus
  8. Aufbruch im Autoland
  9. Medizinischer Fortschritt – Diagnose: Bedingt lebensfähig
  10. Oskar Lafontaine: “Logisch, dass die SPD Fehler korrigiert”
  11. Menschen mit Migrationshintergrund stellen fast ein Fünftel der Bevölkerung
  12. Zu den Sarrazinaten
  13. Stuttgart 21
  14. NRW-Kabinett beschließt Abschaffung der Studiengebühren zum WS 2011/12
  15. Ghadhafi rettet Europa und verlangt dafür Geld
  16. Kampf gegen Taliban in «letzter Phase»

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Arbeitsmarkt im August 2010
    • 5,729 Millionen “Arbeitslosengeld-Empfänger/innen” (SGB III und SGB II)
    • 4,892 Millionen Arbeitslosengeld II-Empfänger/innen – 31.500 (0,6%) weniger als im August 2009
    • Im August 2010 wurden von der Statistik der BA insgesamt 3,188 Millionen Arbeitslose registriert, 283.000 bzw. 8,2% weniger als im August 2009. Von diesen 3,188 Millionen Arbeitslosen waren 1,031 Millionen (32,3%) im Rechtskreis SGB III und 2,157 Millionen (67,7%) im Rechtskreis SGB II (Hartz IV) registriert. (August 2009: 65,0%)
    • Als Arbeitsuchende waren im August 2010 insgesamt 5,638 Millionen Frauen und Männer registriert, 409.000 (6,8%) weniger als im August 2009.
    • Die von der Statistik der BA ermittelte „Unterbeschäftigung ohne Kurzarbeit“ betrug im August 2010 4,257 Millionen, 309.000 (6,8%) weniger als im August 2009.
    • Nach vorläufigen, hochgerechneten Daten hatten 4,892 Millionen (arbeitslose und nicht arbeitslose) Frauen und Männer Anspruch auf das beitragsfinanzierte Arbeitslosengeld (SGB III) und 0,933 Millionen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Bereinigt um die Zahl der etwa 97.000 sog. Aufstocker (gleichzeitiger Bezug von Arbeitslosengeld und Arbeitslosengeld II) hatten im August 2010 etwa 5,729 Millionen erwerbsfähige Frauen und Männer Anspruch auf Arbeitslosengeld (SGB III) bzw. Arbeitslosengeld II, 235.000 weniger als vor einem Jahr (BA-Monatsbericht, S. 19).

    Quelle: Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe e.V. (BIAJ) [PDF – 463 KB]

    Dazu auch:

    Ökonomen entzaubern deutsches Jobwunder
    Nicht nur die Kurzarbeit, auch der demografische Wandel hat die Unternehmen veranlasst, Mitarbeiter zu halten. Gleichzeitig sind um die hunderttausend Personen im vergangenen Jahr aus der Erwerbslosenstatistik verschwunden, schlicht weil sie in Rente gingen. Das ist alles andere als Zauberei, sieht in der Bilanz der Bundesagentur aber gut aus. Genauso wie die Zehntausende, die aus der Statistik herausfielen, weil die Behörde sie einfach nicht mehr mitzählte. So wurden die von privaten Vermittlern betreuten Arbeitssuchenden früher noch eingerechnet. Inzwischen werden sie einfach nicht mehr ausgewiesen. Ohne diese Änderung und andere müsste die Zahl der Arbeitslosen heute deutlich höher sein.
    Das vermeintliche Arbeitsmarktwunder ist also gar keins. Demografie und Statistiktricks haben einen gehörigen Anteil an der positiven Entwicklung der Erwerbslosenzahlen. Vielleicht fällt der Jubel in Regierung und Arbeitsagentur auch deshalb so bescheiden aus. Vielleicht ist aber auch die Angst vor einem Rückschlag zu groß.
    Quelle: Spiegel Online

  2. Der allmähliche Rückzug des Sozialstaats
    Auf den ersten Blick ist die Idee der “Tafel” faszinierend: Viele freiwillige Helfer verteilen überschüssige Lebensmittel an Bedürftige. Den sozial Benachteiligten wird so geholfen, die Lebensmittel müssen nicht entsorgt werden. Der Soziologe Dr. Stephan Lorenz von der Universität Jena hat jedoch einen zweiten Blick auf die Idee der Tafel geworfen und kritische Befunde erhalten.
    “Die Frage steht im Raum, ob die Tafeln Teil der Lösung oder nicht eher Symptom des Problems einer zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung sind”, sagt Lorenz. Beweist ihre Arbeit doch das Vorhandensein massenhafter Überschüsse. Aber eben auch, dass viele Menschen sehr weitgehend von Arbeit und Konsum ausgeschlossen sind. Menschen, die in der Überflussgesellschaft im täglichen Überlebenskampf stehen. Zudem bestehe die Gefahr eines weitergehenden Rückzuges des Sozialstaats: “Die Tafeln übernehmen faktisch sozialstaatliche Aufgaben, ohne dass ein Rechtsanspruch auf ihre Leistungen besteht.”
    Eine Million Menschen nutzen in Deutschland die Angebote der Tafeln
    Die Idee der Tafeln kommt aus den USA. Dort entstanden die ersten Initiativen in den 1960er Jahren. …”Inzwischen gibt es bundesweit ungefähr 900 Tafeln und ungezählte ähnliche Initiativen”, sagt Lorenz… Ungefähr eine Million Menschen nutzen in Deutschland die Angebote der Tafeln regelmäßig.
    Mit den Änderungen der Arbeitsmarktpolitik im Zuge der Agenda 2010 sei die Verantwortung für Arbeitslosigkeit verstärkt den Einzelnen selbst zugeschrieben worden, konstatiert Stephan Lorenz. “Obwohl schlicht die Stellen fehlen, wirft man Arbeitslosen jetzt eher Leistungsverweigerung oder fehlende Motivation vor”, sagt der Soziologe von der Universität Jena. Um den Erwerbslosen Anreize zu bieten, sich wieder um eine Anstellung zu bemühen, wurden die sogenannten Ein-Euro-Jobs geschaffen. So kommt es sogar zu der kuriosen Situation, dass Ein-Euro-Jobber inzwischen vielerorts helfen, den reibungslosen Betrieb der Tafeln aufrecht zu erhalten.
    Gemeinsam mit zahlreichen Autoren und Jenaer Kolleginnen hat Stephan Lorenz jetzt das Buch “TafelGesellschaft. Vom neuen Umgang mit Überfluss und Ausgrenzung” vorgelegt. Es vereint Aufsätze von Wissenschaftlern mit Statements aus Politik, Kirche, Gewerkschaft und sozialer Bewegung.
    Quelle: Friedrich-Schiller-Universität Jena
  3. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im rentennahen Alter 2009

    Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im rentennahen Alter 2009

    Kurz gefasst: Die Vollzeitbeschäftigtenquoten im rentennahen Alter (in % der jeweiligen Bevölkerung) liegen Ende 2009 bei

    • 18,9% für die ArbeitnehmerInnen im Alter 62 Jahre,
    • 12,5% für die ArbeitnehmerInnen im Alter 63 Jahre und
    • 5,7% für die ArbeitnehmerInnen im Alter 64 Jahre.

    Hintergrund

    In der Auseinandersetzung um das Pro und Contra der „Rente mit 67“ (vgl. dazu Kontrovers – Das aktuelle Thema: Altersgrenze 67?) ist es üblich, nach der Erwerbsbeteiligung von Älteren in Deutschland zu fragen: Gibt es einen Trend zu einer höheren Erwerbstätigenquote im Alter, und in welchem Ausmaß reicht diese Erwerbstätigkeit an die gegenwärtigen und zukünftigen Altersgrenzen in der Rentenversicherung heran?
    Die empirischen Befunde zur Erwerbstätigkeit lassen auf den ersten Blick einen Trend steigender Alterserwerbstätigkeit erkennen. Allerdings gibt es keinen Anlass zur Euphorie. In der Altersgruppe von 60 bis 65 Jahren, die ja für die Beurteilung der Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre entscheidend ist, waren 2008 (neuere Daten liegen noch nicht vor) nur 41,6 Prozent der Männer und gerade einmal 25,1 Prozent der Frauen erwerbstätig. Diese Durchschnittszahlen verdecken darüber hinaus, dass in den Altersgruppen 63 und 64 Jahre die „Luft nochmals erheblich dünner wird“. Männer und Frauen mit dem Lebensalter 64 weisen nur noch eine Erwerbstätigenquote von 28 Prozent und 14,5 Prozent auf (vgl. Abbildung [PDF – 96 KB]).
    Es ist aber zu kurz gegriffen, die gegenwärtige Situation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt allein mit dem Merkmal „Erwerbstätigkeit“ beschreiben zu wollen. Denn in den skizzierten, auf den Ergebnissen des Mikrozensus beruhenden Zahlen wird nach dem sog. ILO-Konzept unter „Erwerbstätigkeit“ jede Form der Erwerbsbeteiligung verstanden. Erwerbstätige sind nach dem ILO-Konzept alle Personen im Alter von 15 und mehr Jahren, die in der Berichtswoche zumindest eine Stunde gegen Entgelt (Lohn, Gehalt) oder als Selbstständige bzw. als mithelfende Familienangehörige gearbeitet haben. Keine Rolle spielt dabei, ob es sich bei der Tätigkeit um eine regelmäßige oder nur um eine gelegentlich ausgeübte, eher marginale Tätigkeit handelt. Aus der ILO-Definition der Erwerbstätigkeit folgt also, dass auch Personen mit einer Beschäftigung im unteren und untersten Stundenspektrum und im Status einer „geringfügigen Beschäftigung“ als Erwerbstätige erfasst werden.
    Bei der Bewertung der Arbeitsmarktsituation kann insofern nur dann eine Erwerbstätigkeit im Alter als angemessen angesehen werden, wenn sie qualitativen Mindestmaßstäben entspricht. Eine Heraufsetzung der Altersgrenzen, die zu einer Beschäftigung im Alter unter schlechten, prekären Bedingungen führt, erfüllt diese Maßstäbe nicht. Von einer qualitativ hinreichenden Erwerbstätigkeit im Alter kann nur dann gesprochen werden, wenn es sich um ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis mit einem Einkommen oberhalb der Niedriglohnschwelle handelt. Nur so lassen sich weitere nennenswerte Rentenanwartschaften erwerben. Analysiert man die vorliegenden Daten aus diesem Blickwinkel, so ist unübersehbar, dass die Beschäftigungszahlen und -quoten (sozialversicherungspflichtig) im Vergleich zur Erwerbstätigkeit allgemein deutlich niedriger ausfallen: So sind in der Altersgruppe 60-65 Jahren 2009 etwa eine Millionen Personen versicherungspflichtig beschäftigt. Dies entspricht – weit entfernt von den Zielvorgaben der EU – einer Beschäftigtenquote von 24,2 Prozent.
    Auch hier handelt es sich wiederum nur um Durchschnittswerte für die gesamte Altersgruppe; in den Altersgruppen 63 und 64 Jahre, die in der Nähe der Regelaltersgrenze liegen, stürzt die versicherungspflichtige Beschäftigung geradezu ab. Nur noch etwa 200.000 ArbeitnehmerInnen lassen sich in diesen beiden Altersgruppen zählen, davon zu 31% Teilzeitbeschäftigte. Die Vollzeitbeschäftigtenquote sinkt auf 12,5% (63 Jahre) und 5,7% Prozent (64 Jahre).
    Als sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden bei diesen Zahlen auch noch die ArbeitnehmerInnen gezählt, die sich in der Freistellungsphase der Altersteilzeit nach dem Block-Modell befinden, also faktisch nicht mehr berufstätig sind. In der Altersgruppe 60-65 Jahre sind waren dies (Zahlen für 2008) mehr als ein Drittel (35,9 Prozent) der versicherungspflichtig Beschäftigten.
    Quelle: Sozialpolitik aktuell in Deutschland [PDF – 130 KB]

    Anmerkung WL: Auf Sozialpolitik aktuell finden Sie eine Vielzahl von im August neu eingestellten Studien und Daten zur Sozialpolitik.

  4. WSI: Tariftreue – “Schock nach EuGH-Urteil überwunden”
    Tariftreue-Regelungen erleben Comeback – neun Bundesländer haben oder planen neue Gesetze.
    Tariftreue-Regelungen, nach denen der Staat nur Anbieter beauftragen darf, die sich an die örtlichen Tarifverträge halten, erleben ein Comeback. Die meisten Bundesländer wollen die Vergabe öffentlicher Aufträge wieder an die Einhaltung von Tarifstandards koppeln. Einige Länder legen darüber hinaus auch vergabespezifische Mindestlöhne fest. Eine aktuelle Übersicht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung stellt die neue Entwicklung dar.
     “Die meisten Bundesländer haben den `Rüffert-Schock´ überwunden”, sagt Dr. Thorsten Schulten, Tarifexperte im WSI. Im so genannten Rüffert-Fall hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im April 2008 überraschend die Tariftreue-Vorschriften des damaligen niedersächsischen Vergabegesetzes als Verstoß gegen die europäische Dienstleistungsfreiheit gewertet.
    Um ihre Gesetzesnovellen europarechtskonform zu gestalten, setzen die Länder an drei unterschiedlichen Punkten an:

    • Mindestlöhne nach dem Entsendegesetz…
    • Sonderregel Verkehrssektor…
    • Vergabespezifischer Mindestlohn…

    Quelle: WSI

    Anmerkung WL: So erfreulich dieses „Gegenbewegung“ sein mag, die Konstruktionen zeigen jedoch, wie kompliziert es ist, Arbeitnehmerrechte gegen die wirtschaftsliberalen Prinzipien der EU-Verträge zu verteidigen. Siehe dazu die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes – Dienstleistungsfreiheit steht über nationalen Arbeitnehmerrechten.

  5. Wolfgang Münchau – Warten auf den zweiten Einschlag
    Da die globalen Ungleichgewichte wieder auftreten werden, ist es völlig legitim, sich mit diesen instrumentalen Fragen zu befassen. Die Finanzmärkte sind das Bindeglied zwischen Ungleichgewichten und Krise. Und nach all dem, was wir jetzt wissen, werden sie diese Rolle wieder wahrnehmen. Die Krise des vergangenen Jahrzehnts wurde im amerikanischen Immobilienmarkt ausgelöst. Die nächste Krise wird mit großer Wahrscheinlichkeit anderswo stattfinden. Es ist schwer zu prognostizieren, wo genau das sein wird. In der vergangenen Woche vermutete ich, dass wir eventuell in den Rohstoffmärkten Probleme bekommen oder in den Aktienmärkten der Schwellenländer. Aber wer weiß? Anstatt die letzte Krise zu beenden, ist es jetzt wichtig, das Risiko insgesamt zu begrenzen. Dabei gibt es zwei Prioritäten.
    Die erste sollte sein, das Schattenbankensystem so weit wie möglich auszuhebeln und in den Bankensektor zu integrieren. Das wird nicht passieren. Große Teile des globalen Finanzsektors werden auch weiterhin außerhalb jeglicher Aufsicht existieren, wie etwa der gesamte Markt für Swaps – Zinsswaps, Devisenswaps, Kreditausfallswaps und deren exotische Varianten. Die zweite Priorität ist die Rekapitalisierung des Bankensektors. Hier geht es nicht nur um eine Erhöhung der Eigenkapitalquoten. Viel wichtiger noch ist die Neudefinition von Kapital. Gerade deutsche Banken stecken voller Hybridkapital, das für Regulierungszwecke zwar offiziell als Kernkapital zugelassen, unter ökonomischen Gesichtspunkten aber witzlos ist. Es geht schließlich darum, dass Kapital auftretende Verluste absorbiert. Wer in Deutschland aber Genussscheine oder stilles Kapital besitzt, sieht dessen Funktion allerdings etwas anders. Das deutsche Bankensystem hat schlichtweg nicht genug Kapital, um externe Schocks zu verkraften. Da künftig mehr solcher Schocks zu erwarten sind, ist eine Stärkung echten risikoabsorbierenden Kapitals notwendig.
    Quelle: FTD

    Anmerkung Orlando Pascheit: Der ehemalige Chefredakteur der FTD hat lange Zeit das angelsächsische Modell, wie Wirtschaft, Gesellschaft und Politik aufgebaut sein sollten, auch als beispielhaft für Deutschland angesehen. Angesichts der weltweiten Finanzkrise hat sich Münchau im Gegensatz zu vielen eindeutig vom Finanzkapitalismus angelsächsischen Typs distanziert, umso bedrückender seine Prognose: “Die Schlussfolgerung dieser Serie ist, dass es erst nach der nächsten Krise zu einer grundlegenden Umorientierung kommen wird. Das heißt aber auch, dass diese neue Krise zunächst kommen wird. Was sie so gefährlich macht, ist unser schwächlicher Allgemeinzustand. Genauso wie es in Europa erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer grundlegenden politischen Neuordnung kam, ist es auch mit den Finanzkrisen. Die jetzige Krise war offensichtlich nicht destruktiv genug. Aus der nächsten wird man ohne Illusionen hervorgehen.”
    Bislang steht zu befürchten, dass er recht behält, nur dass der Preis des nächsten Kollapses für die bereits geschwächten Volkswirtschaften nicht mehr mit den Maßstäben der jetzigen Krise gemessen werden kann.

  6. Hypo Alpe-Adria: Die Finanzaufsicht stieß bereits 2007 auf massive Ungereimtheiten
    Die Justiz wähnt jetzt massive Unregelmäßigkeiten bei zwei Kapitalerhöhungen 2004 und 2006. Die Finanzaufsicht weiß davon seit Jahren – und ließ die verantwortlichen Banker stets unbehelligt. Das Protokoll einer beispiellosen Schlamperei.
    Quelle: Profil

    Anmerkung Orlando Pascheit: Peinlich, peinlich, wie die bayerische Landesbank über den Tisch gezogen wurde, wenn nicht gar noch Schlimmeres anzunehmen ist. Sowohl die österreichische Nationalbank als auch die Finanzmarktaufsicht (FMA) wussten bereits Mitte 2006, dass die Hypo Alpe-Adria Kapital in den Büchern führte, das es schlicht nicht gab – also lange bevor die bayerische Landesbank für 1,7 Milliarden Euro im Jahr 2007 die Hypo Alpe Adria übernahm (Mehrheitseigentümer). So wird auch verständlich, warum sich Kärnten weigerte, die Hypo Alpe Adria finanziell zu unterstützen, obwohl das Land immer noch Anteile hielt. Stattdessen ließen Haider & Co die Bayern bis Ende 2009 nach und nach weitere zwei Milliarden nach Kärnten überweisen.

    Dazu:

    “Das ist fahrlässig”
    Professor Manuel Theisen, Lehrstuhlinhaber für Betriebswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilian-Univerität München, bewertet die Verträge des Kaufs der Hypo Group Alpe Adria (HGAA) seitens der BayernLB als “krass abgewichen” von anderen Vertragsverhandlungen dieser Dimension. Offenbar sei der Kauf der HGAA aufgrund von politischem Druck zu Stande gekommen. Nach Auffassung von Theisen dürfte der Milliarden Euro schwere Schaden selbst bei einer Verurteilung der Verantwortlichen weiter zu Lasten der Steuerzahler gehen.
    Quelle 1: ZDF Frontal 21: „Das ist fährlässig“
    Quelle 2: ZDF Frontal 21: „Stoiber ist größenwahnsinnig gewesen“

  7. BaFin sortiert Aufsichtsräte von Banken aus
    Die Finanzaufsicht geht gegen inkompetente oder unzuverlässige Aufsichtsräte von Banken vor. In insgesamt zehn Fällen nutzt die Aufsichtsbehörde ihre neuen Kompetenzen sogar dazu, Kontrolleure aus dem Amt zu entfernen. Die Kontrolle der Aufseher durch die BaFin ist ein Novum: Erst im vergangenen Sommer hatte der Bundestag das Kreditwesengesetz entsprechend verschärft – als Lehre aus der Finanzkrise. Bis dahin wurden sie überhaupt nicht überwacht. In der Krise war die Arbeit der Aufsichtsräte stark kritisiert worden. Die Kontrolleure hatten nicht verhindert, dass Banken sich in riskante Geschäfte stürzten, Milliardenverluste erlitten und vom Steuerzahler gerettet werden mussten. Für die jetzt eingeleiteten Verfahren gibt es verschiedene Gründe: In einem Fall wirft die Behörde dem betroffenen Aufsichtsrat vor, zu wenig vom Bankgeschäft zu verstehen. In drei Fällen bemängelt sie, dass Aufsichtsräte zu viele Kontrollmandate haben. Bei sechs Aufsichtsräten zweifelt die BaFin an deren Zuverlässigkeit. Dies sei etwa dann der Fall, wenn ein Aufsichtsrat zugleich Kunde der Bank ist, sein Kredit aber ausfallgefährdet oder sogar ausgefallen ist, sagte Crüwell. “Dann besteht ein Interessenkonflikt.” Seit August 2009 muss die BaFin auch die Ernennung neuer Aufsichtsräte absegnen. Diese müssen anhand ihrer Lebensläufe nachweisen, dass sie “Sachkunde” mitbringen. Das Kreditwesengesetz schreibt unter anderem vor, dass sie in der Lage sein müssen, die Geschäfte der Bank zu verstehen und Risiken zu beurteilen. Beobachter gehen davon aus, dass die Eigentümer von Banken sich wegen der neuen Kompetenzen der BaFin künftig genauer überlegen werden, wen sie in den Aufsichtsrat berufen.
    Quelle: FTD
  8. Aufbruch im Autoland
    Elektrofahrzeuge sollen einmal den mehr als 100 Jahre alten Verbrennungsmotor ersetzen. Dem Automotive Cluster um Stuttgart stehen schwierige Zeiten bevor. Wie dramatisch sich der Umstieg vom Verbrennungs- zum Elektromotor einmal auswirken könnte, zeigt der Blick auf das Mercedes-Stammwerk in Stuttgart-Untertürkheim, ein klassisches Aggregatewerk mit Gießerei und rund 20 000 Beschäftigten. Was sie entwickeln, an Einzelteilen herstellen und schließlich zu Vier-, Sechs- und Achtzylindermotoren montieren – Zylinderköpfe, Kurbelgehäuse, Pleuel -, dazu Getriebe und Achsteile, ist in einem Elektroauto schlicht überflüssig. “Deshalb diskutieren wir sowohl im Betriebs- und Gesamtbetriebsrat als auch mit dem Management sehr intensiv darüber, wie aus grüner Technologie neue Beschäftigungsfelder entstehen könnten”, sagt der Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Nieke. beim Elektroantrieb, sagen die meisten Experten, dauere es noch viele Jahre, bis auch nur wenige Prozent der konventionellen Motoren ersetzt werden könnten. “Wenn man 2020 den Schalter vom Verbrennungs- zum Elektromotor umlegen würde, müsste es einem Himmelangst werden, aber das wird nicht so sein”, sagt Nieke. “Zwischen 2020 und 2040 werden sich die Beschäftigungseffekte beider Technologien irgendwie aneinander vorbeischieben.” Das klingt nach sehr viel Zeit. Aber je entfernter der Horizont, umso mehr Unbekannte gibt es im Wettrennen der Automobilkonzerne um den richtigen Alternativantrieb.
    Es gibt viele gute Gründe, sich zu sorgen, aber viele Betriebsräte und Manager sprechen das nur aus, wenn sie anonym bleiben.”Bei den Automobilherstellern fragt man sich hinter vorgehaltener Hand längst, womit man künftig seine Tausende von Mitarbeitern im Motorenbau beschäftigen soll”, sagt einer angesichts der Tatsache, dass die Fertigung des Elektromotors im Vergleich zum Verbrennungsmotor etwa zwei Drittel weniger arbeitsintensiv ist. Dabei ist völlig ungewiss, ob wenigstens das restliche Drittel in der Region bleibt: “Das Produktionsthema wird hier am Standort immer schwieriger. Die große Motorisierung in China und Indien werden wir hier nicht produzieren. Wenn wir gut sind, schaffen wir es, die Forschung und Entwicklung hier zu halten.” “Zu dem heißen Eisen, wo die Produktion sein wird, will ich lieber gar nichts sagen.” “Der Worst Case wäre, dass der Elektro-Antriebsstrang nicht in der Region produziert wird, weil keine rentable Fertigung hier möglich ist. Dann sieht es ganz düster für die großen Werke im Neckartal und Umgebung aus.”
    Quelle: Hans-Böckler Stiftung

    Anmerkung Orlando Pascheit: Die Annahme eines Zeitraums 2020 bis 2040, in dem wir Zeit hätten, allmählich von Verbrennungsmotoren auf Elektromotoren umzusteigen, ist reichlich optimistisch. Die Internationalen Energie Agentur (IEA) geht davon aus, dass wir 2010 täglich 85,7 Mio. Barrel Erdöl verbrauchen werden, was derzeit anscheinen noch recht problemlos gefördert werden kann, wenn man von „kleinen Unfällen“ wie im Golf von Mexiko absieht. Aber wie sieht es für das Jahr 2020 aus? Für das Jahr 2020 wird nur eine geringe Steigerung auf ein globales Fördermaximum von 90 Mio. Barrel geschätzt. Sollte sich allerdings der Verbrauchstrend wie bisher weiterentwickeln, kann aufgrund des steigenden Verbrauchs vor allem in den asiatischen Schwellenländern von einem täglichen Rohölbedarf von rund 120 Mio. Barrel im Jahre 2020 ausgegangen werden.
    Das heißt aber, dass die verfügbare Zeit einer Umstellung auf Elektromobilität, viel knapper sein wird – ganz abgesehen davon, dass diese Umstellung mit einem enormen Ressourceneinsatz verbunden sein wird, mit z.T. auch wieder knappen Ressourcen wie Lithium als Batteriegrundlage. Wir müssen dabei von Elektrofahrzeugen einfachster Art ausgehen, jenseits von Aircondition u. ä. Die Regierungen dieser Welt, wie auch die Wirtschaft scheinen immer noch von einer Art Unendlichkeit der Erdölvorkommen auszugehen oder darauf zu vertrauen, dass der Markt auftretende Knappheiten schon regeln würde.- Dann träumt mal schön!

    Anmerkung KR: Elektroautos der zurzeit diskutierten Art (d.h. mit Akkus an Bord) können Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren nur in Ausnahmefällen ersetzen (siehe „Schmutzige Innovation“ sowie ebendort der Beitrag von Wilhelm Hahne: „E-Mobil-Wirkungsgrad: Reden wir mal über 12 Prozent“). Und zum Thema „Peak Oil“ ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, siehe z.B. der Abschnitt „Positionen zu Risiken und Lösungsmöglichkeiten“ im Wikipedia-Artikel „Globales Ölfördermaximum“.

  9. Medizinischer Fortschritt – Diagnose: Bedingt lebensfähig
    Das Drama um die drei verstorbenen Frühgeborenen in der Mainzer Universitätsklinik enthüllt die Systemfehler einer von Personalnot und Sparzwängen ausgezehrten Medizin.
    Im Umgang mit derart empfindlichen High-Tech-Geräten findet die fortgeschrittene Diskounterisierung des Medizinbetriebes ihr augenfälliges Ende, ganz zu schweigen von den sekundären Folgekosten eines unprofessionellen und unachtsamen Umgangs mit derart hoch präzisen und extrem teuren chirurgischen Bestecken und Gerätschaften. Heute scheint nicht mehr das in vielen Jahren von der Ausbildung erworbene und lebenslang erweiterte und gepflegte ärztliche Wissen und Können, sondern die ökonomische Logik zum Maß aller Dinge zu werden. Fallpauschalen, Diseasemanagement, Controlling, Benchmarking, Cost-Benefit und Cost-Utility scheinen die Wegmarken einer fortgeschrittenen Ökonomisierung der modernen Medizin darzustellen. Moderne Ärzte stehen unter dem Diktat planwirtschaftlichen Vorgaben, die sie nach wirtschaftlichen Prinzipien erfüllen sollen – eine irrsinnige Quadratur des Kreises, die nicht gelingen kann.
    Quelle: FAZ
  10. Oskar Lafontaine: “Logisch, dass die SPD Fehler korrigiert”
    Frage: Die SPD will den Einstieg in die Rente mit 67 um drei Jahre verschieben. Freuen Sie sich über diesen Kursschwenk?
    Lafontaine: Das ist nur eine bescheidene Korrektur. Die SPD-Beschlüsse ändern nichts daran, dass massive Altersarmut vorprogrammiert ist. Das Rentenniveau wird durch verschiedene Faktoren, die mit der Rente mit 67 gar nichts zu tun haben, in den nächsten Jahren um 33 Prozent gekürzt. Wer heute 1000 Euro im Monat verdient, hat nach 45 Arbeitsjahren einen Rentenanspruch von 400 Euro.
    Frage: Wie sollte die Politik denn auf die steigende Lebenserwartung reagieren?
    Lafontaine: Die Löhne sollten wieder der Produktivität folgen. In Deutschland war die Lohnentwicklung in den letzten Jahren um 30 Prozent schwächer als in Luxemburg. Wenn die Löhne steigen, werden auch höhere Renten gezahlt. Dann würden es die Arbeitnehmer auch gut verkraften, wenn der Rentenbeitrag um ein oder zwei Prozentpunkte angehoben wird. Wer den Rentnern wirklich helfen will, muss das deutsche Lohndumping beenden.
    Quelle: Zeit Online
  11. Menschen mit Migrationshintergrund stellen fast ein Fünftel der Bevölkerung
    Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund beträgt in der Bundesrepublik fast ein Fünftel der Bevölkerung. Dies geht aus dem als Unterrichtung durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Maria Böhmer (CDU), vorgelegten ”Achten Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland“ (17/2400) hervor. Danach hatten von den 82,1 Millionen Einwohnern im Jahr 2008 insgesamt 15,6 Millionen Menschen einen Migrationshintergrund. Damit seien 19 Prozent der Gesamtbevölkerung seit 1950 nach Deutschland zugewandert oder Nachkommen von Zuwanderern. Mit 7,3 Millionen Menschen ist laut Bericht weniger als die Hälfte der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ausländischer Staatsangehörigkeit, während 8,3 Millionen einen deutschen Pass haben.
    Am größten ist der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung den Angaben zufolge in den jüngeren Altersstufen. So hätten inzwischen 34,4 Prozent der Kinder unter 5 Jahren einen Migrationshintergrund, bei den Kindern unter 10 Jahren seien es 32,7 Prozent. In der Altersgruppe bis 35 Jahre betrage der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund 27,3 Prozent. Demgegenüber machte der Migrantenanteil in der Altersgruppe über 65 Jahre nur 8,5 Prozent aus.
    Quelle: Deutscher Bundestag

    Anmerkung WL: In dem Bericht [PDF – 2.3 MB] heißt es u.a.:

    Eine Differenzierung zwischen deutschen Staatsangehörigen einerseits und „Ausländerinnen und Ausländern“ andererseits wird der sozialen Realität in Deutschland nicht mehr gerecht… Insbesondere die Integrations-, Bildungs- und Arbeitsmarktprobleme dieser Generationen müssen gemeinsam mit den Migrantinnen und Migranten angegangen werden.
    Nach Erkenntnissen der Studie leben rund 4 Millionen Muslime in Deutschland…Etwa 45 Prozent der Muslime mit Migrationshintergrund sind Deutsche, rund 55 Prozent haben eine ausländische Staatsangehörigkeit. Zwischen 2,5 und 2,7 Millionen der in Deutschland lebenden Muslime sind türkischstämmig, dies entspricht einem Anteil von rund 63 Prozent.
    Die Befragungsergebnisse belegen, dass von der regionalen Herkunft nicht immer auf die Religionszugehörigkeit geschlossen werden kann. Zuwanderer aus muslimischen Herkunftsländern fühlen sich teilweise keiner Religionsgemeinschaft zugehörig (z. B. 40 Prozent der Zuwanderer aus dem Iran), teilweise gehören sie einer nicht-muslimischen Minderheit an (z. B. Christen aus dem Irak). Knapp drei Viertel der Muslime in Deutschland entstammen sunnitischen Glaubenstraditionen, 13 Prozent der Muslime ordnen sich den Aleviten zu, 7 Prozent den Schiiten.
    Die muslimische Bevölkerung in Deutschland ist regional sehr ungleich verteilt. 98,4 Prozent der Muslime leben in den alten Bundesländern und Berlin, nur 1,6 Prozent haben ihren Wohnsitz in den neuen Bundesländern. In Nordrhein-Westfalen wohnt rund ein Drittel aller Muslime in Deutschland.
    In der Untersuchung geben 36 Prozent der befragten Muslime an, „sehr stark gläubig“ zu sein, weitere 50 Prozent halten sich selbst für „eher gläubig“. Insgesamt tragen 72,4 Prozent und damit die deutliche Mehrheit der muslimischen Frauen in Deutschland kein Kopftuch.
    Unter den sehr religiösen Musliminnen tragen mit 43,3 Prozent ebenfalls weniger als die Hälfte der Frauen ein Kopftuch. Das Tragen eines Kopftuchs nimmt – entgegen der öffentlichen Wahrnehmung – in der zweiten Generation deutlich ab. Die Studie zeigt auch, dass die fehlende Teilnahmebereitschaft von Musliminnen und Muslimen am gemischtgeschlechtlichen Sportunterricht sowie an Klassenfahrten in der öffentlichen Diskussion überbewertet wird.

  12. Zu den Sarrazinaten
    1. Gibt es ein jüdisches Gen? Kann man Völker genetisch unterscheiden?
      Ist Intelligenz erblich?
      Interview mit dem Biologen und Wissenschaftsjournalisten Michael Lange zu den Behauptungen Sarrazins.
      Quelle: DLF [Podcast]

      Anmerkung unseres Lesers O.F.: Die Zwillingsforschung wird beispielsweise grundsätzlich in Frage gestellt von: Christoph Mai und Hendrik van den Bussche: Methodenkritik der Zwillingsforschung, in: Hendrik van den Bussche: Medizinische Wissenschaft im ‘Dritten Reich’, Berlin/Hamburg 1989, S. 171- 206.

    2. Sarrazins Quellen: Nichts macht die Gesellschaft dümmer als Biologismus
      Als hätte es alle Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts nicht gegeben: Im Innersten seines Buches hat Thilo Sarrazin eine vulgärdarwinistische Gesellschaftstheorie versteckt. Der Autor verschleiert die Terminologie und geht fahrlässig mit seinen Quellen um. Von Frank Schirrmacher.
      Quelle: FAZ
  13. Stuttgart 21
    1. Bund will mehr Geld von Land und Bahn
      Denn in Ramsauers Haus reift offenkundig die Erkenntnis, dass der Bau der 60 Kilometer langen ICE-Strecke durch die Schwäbische Alb zum finanziellen Sprengsatz für den Bundesetat werden könnte. Für die Hälfte der 60 Kilometer langen Trasse müssen Tunnelröhren durch löchrigen Karst gebohrt werden. Experten erwarten daher – wie bei vergleichbaren Bahnprojekten – weitere Kostensteigerungen und rechnen vor, dass die Strecke unter fünf Milliarden Euro nicht zu haben sei. Behielten die Kritiker Recht, würde der Bundesanteil an der ICE-Trasse, der sich bereits auf fast 1,8 Milliarden Euro verdoppelt hat, auf fast vier Milliarden steigen. Das wiederum wäre ein Gutteil der Summe, die Ramsauer bis 2020 voraussichtlich bundesweit für alle Schienenneubauprojekte zur Verfügung steht.
      Kein Wunder also, dass der Minister jetzt prüfen lässt, wie “die Finanzierung der Mehrkosten sichergestellt” werden kann.
      Der Bund wolle Land und Bahn in die Finanzierung der Mehrkosten “einbinden”, heißt es. Im Klartext: die Partner sollen mehr Geld zuschießen als vertraglich vereinbart.
      Das aber widerspräche den Finanzierungsverträgen. Auf diese beruft sich auch Wolfgang Drexler (SPD), Projektsprecher von Stuttgart 21, wenn er das Schienenprojekt für “unumkehrbar” erklärt.
      Quelle: Stuttgarter Zeitung
    2. Reuter: Politisch Verantwortliche müssen “sorgfältiger auf die Menschen” zugehen
      Ehemaliger Daimler-Vorstand fordert, Argumente für und wider Stuttgart 21 zu prüfen.
      Die Mehrheit der Bevölkerung opponiere mit sehr ernsthaften Argumenten und friedlichen Mitteln gegen das Projekt 21 in Stuttgart, sagt Edzard Reuter, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG. Die Politik müsse sich der Situation stellen und gegebenenfalls eine Volksbefragung durchführen.
      Quelle: Deutschlandfunk
    3. “Aufgrund der Brisanz der vorliegenden Resultate ist absolutes Stillschweigen erforderlich.”
      Analyse des bisher unveröffentlichten sma-Bericht an die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg NVBW vom 3.6.2008 vom Fahrgastverband PRO BAHN, vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und vom Verkehrsclub Deutschland (VCD)
      Quelle: K 21
  14. NRW-Kabinett beschließt Abschaffung der Studiengebühren zum WS 2011/12
    Das nordrhein-westfälische Kabinett hat in seiner heutigen Sitzung beschlossen, die Studiengebühren zum Wintersemester 2011/2012 abzuschaffen. Gleichzeitig sieht der beratene Gesetzesentwurf zur Verbesserung der Chancengleichheit am Hochschulzugang vor, den Hochschulen dauerhaft das bisherige Aufkommen aus Studienbeiträgen zu garantieren, damit sie weiterhin Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung in Lehre und Studium finanzieren können.
    Als Ausgleich für die Studiengebühren sollen die Hochschulen Kompensationsmittel in Höhe von 249 Millionen Euro jährlich zusätzlich zum Landeszuschuss erhalten, die zweckgebunden für die Verbesserung der Studienqualität eingesetzt werden sollen. Diese Mittel werden nach dem Prinzip “Geld folgt Studierenden” nach der Anzahl der Studierenden in der Regelstudienzeit auf die öffentlich-rechtlichen Hochschulen verteilt. Das Gesetz stellt sicher, dass diese Mittel nicht zu einer Erhöhung der Aufnahmekapazität führen, sondern für zusätzliches Personal wie zum Beispiel Lehrkräfte und Tutoren verwendet werden können. Die Studierenden sollen an der Entscheidung, wofür diese Gelder eingesetzt werden, mitwirken und im Rahmen einer mindestens hälftig mit Studierenden besetzten Qualitätssicherungskommission die Qualität ihrer Bildung umfassend einfordern können. Der Gesetzesentwurf wird nun in den Landtag eingebracht.
    Die Vorgängerregierung hatte zum Wintersemester 2006/2007 den NRW-Hochschulen die Möglichkeit eingeräumt, Studiengebühren von bis zu 500 Euro pro Semester zu erheben. Davon hatten 31 der 36 öffentlich-rechtlichen Universitäten und Fachhochschulen Gebrauch gemacht und überwiegend den Höchstsatz verlangt. Im Jahr 2009 hatten die Hochschulen entsprechend ihrer Jahresabschlüsse Nettoeinnahmen von 249 Millionen Euro aus Studiengebühren.
    Quelle 1: Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung NRW
    Quelle 2: Gesetzentwurf [PDF – 101 KB]
  15. Ghadhafi rettet Europa und verlangt dafür Geld
    Der libysche Revolutionsführer Ghadhafi stellt Rechnung für die Unterbindung des Migrantenstroms von Afrika nach Europa. Ohne seine Hilfe könne Europa «schon morgen zu einem zweiten Afrika werden», sagte er in Rom.
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Eine Übersicht über die reale Einbindung Libyens und anderer Drittstaaten in das Migrations- und Sicherheitsregime der Europäischen Union an ihren Außengrenzen bietet der Aufsatz von Alain Morice und Claire Rodier: Europas Mauern.

    Dazu passt:

    Gegen die Sanduhr
    Vor 41 Jahren putschte sich Muammar al Gaddafi an die Macht, propagierte dann einen arabischen Sozialismus, isolierte sein Land, verschleuderte Geld. Nun reichen Öl und Gas nur noch 30 Jahre – und Libyen sucht den Weg zurück in die Welt. Es baut. Alles groß und alles gleichzeitig
    Quelle: Tagesspiegel

    Anmerkung Orlando Pascheit: Vor dem Hintergrund, dass Libyens Öl- und Gasreserven nur noch für 30 Jahre reichen, bekommt Gaddafis Forderung von “jährlich mindestens fünf Milliarden Euro” für den Kampf gegen illegale Einwanderer aus Afrika einen leicht rationalen Anstrich.

  16. Kampf gegen Taliban in «letzter Phase»
    Demnächst wird die Zahl der ausländischen Soldaten in Afghanistan mit 150’000 Mann ihren Höchststand erreicht haben. General Petraeus sieht die vermehrten Angriffe der Taliban als Folge des erhöhten Drucks der internationalen Truppen. Nach Angaben der unabhängigen Internet-Seite icasualties.org sind in diesem Jahr bereits 485 Angehörige der internationalen Streitkräfte getötet worden. Im gesamten vergangenen Jahr waren es 521 gewesen. Die vom amerikanischen Präsidenten Barack Obama im Dezember angekündigte Truppenverstärkung um 30’000 Soldaten erhöhe nun den Druck auf die Aufständischen, sagte Petraeus. «Ich habe als Zeuge im vergangenen Jahr mehrfach gesagt, dass es erst schwieriger und dann einfacher werden wird», fügte er hinzu. «Das liegt in der Natur derartiger Unterfangen.»
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Man kann die vermehrten Angriffe der Taliban auch ganz anders deuten. Trotz Truppenverstärkung gelingt es den ausländischen Truppen nicht, das Land zu befrieden.


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