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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 3. Februar 2021 um 8:47 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (WM/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Das zerbrochene Narrativ – Nawalny und die deutschen Medien
  2. Moskau: Schauprozess mit Schauprotest
  3. Krokodilstränen im Westen
  4. FFP2: Zur Zuzahlung kommen noch sechs Euro über Steuern
  5. Die Berufsunfähigkeitsrente der gesetzlichen Rentenversicherung ist seit 20 Jahren weg
  6. Ob Trump oder Biden, die Europäer sind immer noch Uncle Sam´s Vasallen
  7. Putsch in Myanmar
  8. “Alles oder nichts”: Chile zwischen Verfassungsreform, Aufstand und einer Pandemie
  9. Analyse: Tracking-Regulierung – ein Kampf voller Missverständnisse
  10. Nicht nur in der zweitgrößten Stadt des Libanon:
  11. Bangladesch siedelt Rohingya auf entlegene Insel um
  12. Wenn nur noch Online-Almosen helfen
  13. Keine Frage der Mehrheit
  14. »In der Demokratie heißt Zensur, Informationen zu verschweigen«
  15. Rechtsdrehende Windungen
  16. „Wir wollen einen Kurs der Politik der Mitte verfolgen“
  17. So verkommt Journalismus zur Politposse
  18. Im Gegensatz zur ARD baut der öffentlich-rechtliche Rundfunk Frankreichs sein Kulturangebot aus

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Das zerbrochene Narrativ – Nawalny und die deutschen Medien
    Die deutschen Medien berichten einseitig. Europaweit gab es in der vergangenen Woche Proteste. Berichtet wurde vor allem über jene in Russland. Dabei wird sichtbar: Der deutsche Journalismus hat seine aufklärende Funktion aufgegeben und stützt Verschwörungstheorien.
    Es war eine interessante Woche, denn in vielen Ländern Europas wurde demonstriert. Gehört haben viele sicher von den Protesten in Russland am Sonntag. Wer sich aufmerksam durch die Gazetten gekämpft hat, hat vielleicht noch von den Demonstrationen in Frankreich und Polen gelesen. Die Proteste gegen die Grundrechtseinschränkungen durch die Corona-Maßnahmen in Brüssel, Wien und Berlin haben es nur ganz am Rand in die Nachrichten geschafft. Auch die Landwirte, die fast eine ganze Woche in Berlin protestiert haben, waren den großen Medien ihrer Republik kaum eine Meldung wert. Den Landwirten ging es um faire Preise für ihre Produkte.
    Eigentlich ein wichtiges Thema, das uns alle betrifft. Doch im Ranking der medialen Aufmerksamkeit findet sich das Anliegen der deutschen Landwirte ganz weit hinten. Das Anliegen des Bloggers Nawalny steht dafür ganz weit vorn. Es lautet, möglichst viele Menschen auf die Straßen der russischen Städte zu bringen – wofür oder wogegen bleibt dabei weitgehend unklar. Es geht insgesamt gegen Putin, das reicht dem deutschen Mainstream für eine ganz breite Berichterstattung aus.
    Quelle: Gert Ewen Ungar auf RT Deutsch

    Lesen Sie dazu auch auf den NachDenkSeiten: Nawalny, Proteste und die Doppelstandards der Medien.

  2. Moskau: Schauprozess mit Schauprotest
    Verfahren gegen Oppositionellen Nawalny wird zu Polit-Event. Behörden fordern reguläre Haft. Westliche Diplomaten bei Verhandlung. Parallelen zu Fall Assange […]
    Die FSIN hatte sich mit Unterstützung der Staatsanwaltschaft zuvor bereits dafür ausgesprochen, die Bewährungsstrafe aus einem Prozess im Jahr 2014 angesichts der Verletzung der Bewährungsauflagen in eine reguläre Haftstrafe umzuwandeln. In diesem Fall drohen dem Kritiker der Regierung von Präsident Wladimir Putin noch zweieinhalb Jahre Haft, sagte sein Anwalt. Einen Teil der Haftzeit habe Nawalny schon in Hausarrest verbüßt.
    Nawalny konnte die Meldepflichten bei Behörden nicht erfüllen, weil er nach einem Giftanschlag nach Deutschland ausgeflogen und in der Berliner Universitätsklinik Charité behandelt wurde. Unklar ist, ob er sich in dieser Zeit bei der Botschaft hätte melden können oder sollen. Die russischen Behörden jedenfalls hatten seine Ausreise genehmigt. Nun warfen sie ihm vor Gericht vor, in Berlin Sport getrieben und sich erholt zu haben, statt seinem gerichtlichen Meldeauflagen nachzukommen. […]
    Für Unmut in der russischen Politik sorgt die offenen Unterstützung Nawalnys durch EU-Diplomaten. So kritisierte der stellvertretende Sprecher der Staatsduma, Piotr Tolstoi, die massive Präsenz westlicher Diplomaten bei dem Prozess. “Die Tatsache, dass westliche Diplomaten heute zum Moskauer Stadtgericht gefahren sind, belegt, dass sie Navalny als einen der Ihren unterstützen. Sie kamen dorthin, um ihm ihre Solidarität zu zeigen”, so Tolstoi gegenüber dem staatlichen Fernsehsender Kanal Eins.
    Tatsächlich wirft die deutliche Positionierung von EU-Vertretern und hiesigen Medien Fragen auf. Für weit weniger Aufsehen sorgt hier nämlich die Inhaftierung des Journalisten Julian Assange in London. Auch Assange wird seit nunmehr zwei Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsch festgehalten – weitgehend in Isolationshaft und trotz massiver Proteste des UN-Sonderberichterstatters für das Thema Folter, Nils Melzer. Die Begründung der britischen Behörden: Assange habe gegen Bewährungsauflagen verstoßen.
    Quelle: Harald Neuber auf Telepolis
  3. Krokodilstränen im Westen
    Natürlich sind das keine schönen Bilder, wenn die russische Polizei Festgenommene zwingt, sich mit dem Gesicht in den Schnee zu legen, oder Demonstranten zusammenknüppelt. Aber Alexej Nawalny und seine Leute streben den Regimewechsel an – da erstaunt es nicht, dass das »Regime« diese Herausforderung annimmt.
    Im Übrigen gehört das Produzieren von Opfern zu den Kernstrategien »bunter Revolutionen«, um den Gegner moralisch ins Unrecht zu setzen. Und bevor jetzt jemand von »Relativierung der Gewalt« redet: Haben nicht die von den Regierungen »demokratischer« EU-Länder zu verantwortenden Polizeieinsätze beim Hamburger G-20-Gipfel, zuvor in Genua, in den Schatten gestellt, was die russische Polizei an Gewalt zumindest bislang gezeigt hat?
    Da werden im Westen derzeit sehr viele Krokodilstränen vergossen. In Wahrheit wissen sie auch in Berlin und Brüssel aus eigener Praxis: Damit muss rechnen, wer sich mit einer Staatsmacht anlegt, die nicht beabsichtigt, Kritiker zu politischer Wirkung kommen zu lassen. Nawalnys Stabschef Leonid Wolkow hat sich anscheinend nach Berlin abgesetzt. Einerseits verständlich – die Rolle des Märtyrers ist schon besetzt. Aber, um den alten Schiller zu zitieren: Vom sichern Port lässt sich’s gemächlich raten und zu neuen Protesten aufrufen.
    Derweil vollführt Bundesaußenminister Heiko Maas neue diplomatische Akrobatenstücke. Nach einem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen vor einigen Tagen erklärte er, neue Sanktionen könne Russland vermeiden, wenn es Nawalny nach seinem Haftprüfungstermin freilasse. Geht’s noch? Auf der einen Seite Rechtsstaatlichkeit in Russland einfordern – und auf der anderen Seite verlangen, dass das Gericht, das über Nawalnys Haft zu entscheiden hat, sich gefälligst an Vorgaben aus Brüssel halten solle?
    Quelle: Reinhard Lauterbach in junge Welt

    Dazu: Russlands offizielle Reaktion auf die Vorwürfe aus dem Westen wegen der Navalny-Proteste vom Wochenende
    (…) Am Donnerstag hat die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharova, auf die Vorwürfe aus dem Westen reagiert, die nach den Demonstrationen vom Samstag laut geworden sind. Wie immer hat Sacharova mit spitzer Zunge und Argumenten geantwortet. Übrigens war die Reaktion des deutschen Außenministers so unfreundlich, dass Russland sie bewusst nicht einmal kommentieren will, wie Sacharova ausdrücklich sagte. Das sagt viel aus über das Verhältnis zwischen Russland und Deutschland unter dem Bundesaußenkasper Heiko Maas….
    Quelle: Anti-Spiegel

  4. FFP2: Zur Zuzahlung kommen noch sechs Euro über Steuern
    Man zahlt scheinbar wenig für die Masken auf Gutschein – aber in Wirklichkeit sehr viel
    Das Bundesgesundheitsministerium hat die Coronavirus-Schutzmasken-Verordnung (SchutzmV) vom Dezember geändert: Statt sechs Euro pro auf “Gutschein” eingelöster FFP2-Maske erhält ein Apotheker dafür ab dem 10. Februar nur noch 3,30 Euro aus der Steuerkasse. Dazu kommen wie bisher zwei Euro, die der Maskenbezieher selbst zuzahlen muss, wenn er den Gutschein einlöst.
    Warum kein Direktversand?
    Im Online-Handel bekommt er FFP2-Masken bereits für einen Stückpreis von 45 Cent. Die bringt ihm der Bote an die Haustür – und er muss dafür keine der nicht unbedingt virenfreien Medikamentenhandlungen aufsuchen. Den Bus dorthin, den er eventuell nehmen müsste, spart er sich ebenfalls. Berücksichtigt man, dass Bezieher nicht alle Gutscheine auf einmal zugeschickt bekommen und einlösen dürfen, sondern mehrmals zur Apotheke gehen sollen, summiert sich der eingesparte Aufwand.
    Viele Gutscheinempfänger fragen sich deshalb in Foren und Sozialen Medien, warum ihnen die Bundesregierung anstatt der von der Bundesdruckerei aufwendig fälschungssicher gestalteten Gutscheine nicht gleich die 15 Masken zuschickt, die bequem in ein Großbriefkuvert passen würden. […]
    Quelle: Telepolis

    Anmerkung Jens Berger: Es lebe die Apotheker-Lobby. Wenn man mal einen Einkaufspreis von 20 Cent pro Maske unterstellt, bekommen die Apotheken für jedes Sechserpack einen Erlös von 38 Euro, dem Kosten im Wert von 1,20 Euro gegenüberstehen. So einfach würde ich auch mal gerne Geld verdienen. Offenbar sind bei Spahn & Co. mittlerweile sämtliche Dämme gebrochen. Eine derart ungenierte Verschwendung von Steuergeldern ist selbst für die vom Lobbyismus verseuchte Gesundheitspolitik der Bundesregierung bemerkenswert.

  5. Die Berufsunfähigkeitsrente der gesetzlichen Rentenversicherung ist seit 20 Jahren weg
    Das Dilemma mit der Erwerbsminderungsrente wird immer größer
    Von den Nichtbetroffenen kaum bemerkt, ist im Rahmen der damaligen rot-grünen sozialen Kahlschlagpolitik schon seit 20 Jahren die Berufsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung verschwunden und das, obwohl jeder vierte Beschäftigte im Laufe seines Arbeitslebens berufsunfähig wird.
    Die Berufsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wurde zum 31.12.2000 abgeschafft und durch die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Erwerbsminderungsrente) ersetzt…
    Versicherungswissenschaftler behaupten, dass die damalige Regierung beim Zerfleddern der gesetzlichen Rente Verfassungsbruch begangen hat, denn das Sozialstaatsprinzip, das in Artikel 20 des Grundgesetzes verankert ist, wurde verletzt. Außerdem hat der Staat als Rechtsstaat auch seine – ebenfalls aus Artikel 20 resultierende – Gewährleistungsverantwortung verletzt.
    In einem Sozialstaat, so wie er bei uns auch noch genannt wird, gilt der Grundsatz, dass der Staat für eine hinreichende Grundversorgung im Bereich der Kranken-, Renten-, Berufsunfall- und Pflegeversicherung zu sorgen hat. Ein Teil der gesetzlichen Rentenversicherung war, das Risiko berufsunfähig zu werden, abzusichern. Die Berufsunfähigkeit ist genau genommen eine lang anhaltende, dauerhafte Erkrankung eines Menschen, durch die er seinen Beruf nicht oder zu einem erheblichen Teil nicht ausüben kann.
    Durch die Abschaffung dieser gesetzlichen Versicherung zum 31.12.2000 wurde das Sozialstaatsprinzip, das in Artikel 20 des Grundgesetzes verankert ist, verletzt. Außerdem ist der Staat als Rechtsstaat auch seine – ebenfalls aus Artikel 20 resultierende – Gewährleistungsverantwortung nicht nachgekommen. Mit der Gewährleistungsverantwortung des Staates ist gemeint, dass der Staat die Erfüllung politisch gewollter öffentlicher Aufgaben sicherstellt und er gewährleistet, dass diese Aufgaben erledigt werden. Der Staat ist zwar nicht verpflichtet, eine Vollversorgung vorzuhalten, aber eine Grundversorgung muss er bereitstellen.
    (…) So ist die Altersarmut schon vorprogrammiert.
    Letztendlich ist die private Berufsunfähigkeitsversicherung nur ein Geschenk an die Versicherungswirtschaft, bei der sie aussuchen kann, wen sie versichert und wen nicht. Das Modell der privaten Absicherung ist auch hier gescheitert…
    (…) Auf Druck der Sozialverbände und der Gewerkschaften hat die Bundesregierung vor vier Jahren versucht nachzubessern und eine unter bestimmten Bedingungen mögliche staatliche Förderung für Berufsunfähigkeitsversicherungen beschlossen.
    Aber derzeit gibt es keine einzige Versicherung, die ein solches Produkt auch anbietet.
    Hier wird wieder einmal deutlich, wie groß der Einfluss der Versicherungswirtschaft ist.
    Grundabsicherung für den Fall der Berufsunfähigkeit muss wieder Teil der gesetzlichen Renten- respektive Krankenversicherung werden…
    Quelle: Gewerkschaftsforum

    Dazu: Allianz senkt Rentenfaktor bei Privatrenten-Verträgen
    Die Allianz senkt den Rentenfaktor in Tarifen der Privat-Rente. Fast ein Drittel weniger garantierte Rente erhalten künftige Neurentnerinnen und -rentner: Das ist ein massiver Einschnitt. Der Versicherer begründet dies mit dem Kundeninteresse.
    Die Allianz Leben senkt ihren garantierten Rentenfaktor bei Tarifen der Privat-Rente von 1,75 auf 1,25 Prozent. Betroffen sind rund 750.000 Kundinnen und Kunden, bei denen im März 2021 die Auszahlungsphase beginnt, so berichtet die „Süddeutsche Zeitung“ am Montag. Der Konzern habe den Schritt bestätigt.
    Konkret bedeutet dies, dass die betroffenen Sparerinnen und Sparer deutlich weniger garantierte Rente erhalten. Der Rentenfaktor ist jener Faktor, mit dem die Versicherer zu Rentenbeginn das gebildete Kapital in eine lebenslange Rente umrechnen. Die SZ nennt Zahlen: Hat ein Allianz-Kunde 100.000 Euro angespart, erhielt er mit Rentenfaktor 1,75 Prozent eine garantierte Jahresrente von 1.750 Euro im Jahr bzw. 146 Euro. Mit dem niedrigeren Faktor werden es nur noch 1.250 Euro Jahresrente (104 Euro im Monat) sein.
    Zur Rente hinzu komme ein Betrag aus der Überschussbeteiligung, sagt ein Allianz-Sprecher der „Süddeutschen Zeitung“. Dieser kann aber komplett wegfallen, wenn sich die Kapitalmärkte nicht wie gewünscht entwickeln. Denn garantiert ist sie dem Kunden nicht.
    Niedrigzins und Lebenserwartung
    Das Stuttgarter Unternehmen begründet den Einschnitt mit niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt sowie einer gestiegenen Lebenserwartung. Und gibt vor, ganz im Sinne der Kunden zu handeln…Also kann der Versicherer auch die Rentenhöhe nicht genau garantieren. Stattdessen nennt er eine theoretische Größe, mit der das angesparte Kapital zu Beginn der Auszahlungsphase in eine Rente umgerechnet wird: den sogenannten Rentenfaktor…
    Quelle: Versicherungsbote

    Anmerkung unseres Lesers S.N.: Unsere Bundesregierungen schauen tatenlos zu, wie sich die private Versicherungswirtschaft sukzessive aus den angeblich so tollen privaten Vorsorgeprodukten zurückzieht. Und anstatt jetzt endlich die viel zu niedrigen Gesetzlichen Renten massiv zu erhöhen, wird weiter viel Steuergeld Geld in teure und bürokratische private Vorsorgeprodukte gesteckt.

  6. Ob Trump oder Biden, die Europäer sind immer noch Uncle Sam´s Vasallen
    (…) Die Europäische Union hat diese Woche ein unhöfliches Memo erhalten, das darauf hinweist, dass in Washington zwar ein neuer Präsident residiert, es aber immer noch die gleiche amerikanische Politik ist, sie wie Vasallen zu behandeln.
    Der demokratische Präsident Joe Biden mag mehr transatlantische Finesse und Sensibilität besitzen als der ungehobelte Republikaner Donald Trump. Aber unterm Strich fühlt sich Biden genauso berechtigt wie sein Vorgänger, die Europäer wie einen Haufen Lakaien herumzukommandieren. Vielleicht nicht mit der gleichen prägnanten Rhetorik, aber doch mit der gleichen überheblichen Haltung.
    Deutlich wurde dies in der Erklärung der Biden-Administration zum Erdgasprojekt Nord Stream-2, das demnächst zwischen Russland und Europa realisiert werden soll. “Präsident Biden denkt, dass dies ein schlechter Deal für Europa ist”, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses Jan Psaki mit einem Hauch von Endgültigkeit in dieser Angelegenheit….
    Die neue Nord Stream-Leitung wird die bestehende Erdgasmenge, die von Russland nach Deutschland und in den Rest der Europäischen Union geliefert wird, verdoppeln. Die Steigerung des Verbrauchs von sauberem Erdgas ist entscheidend für die deutschen Pläne, von schmutziger Kohle und Atomkraft wegzukommen. Russisches Gas ist auch viel wirtschaftlicher als alternative Quellen, wie z. B. die Pläne der Amerikaner, verflüssigtes Erdgas auf dem Seeweg zu exportieren…
    Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das Engagement ihrer Regierung für die Fertigstellung des Nord Stream-2-Projekts bekräftigt. Auch deutsche Wirtschaftsverbände haben die strategische Bedeutung der Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung mit Gas für das künftige Wirtschaftswachstum unterstrichen. Die Energiekosten sind sowohl für die exportorientierte deutsche Wirtschaft als auch für die Begrenzung der Kosten für die privaten Haushalte von größter Bedeutung…
    (…) Doch so dumm sind die Deutschen nicht. Sie wissen ganz genau, dass ein Verzicht auf Nord Stream-2 gleichbedeutend damit ist, ihre Wirtschaft in beide Beine zu schießen. Daher hält Berlin trotz des Aufruhrs um Nawalny an Nord Stream-2 fest.
    Auftritt Joe Biden. Der Präsident maßt sich an, den Europäern zu sagen, was seiner Meinung nach gut oder schlecht für sie ist. Ein amerikanisches Staatsoberhaupt von der anderen Seite des Atlantiks schreit den europäischen Staaten zu, dass die Lieferung von günstigem russischem Gas “kein gutes Geschäft” sei…
    Bidens arroganter Widerstand gegen Nord Stream-2 ist nicht nur eine Fortsetzung der Politik der Trump-Administration. Auch in den früheren Obama-Administrationen (2008-2016), in denen Biden als Vizepräsident diente, war es Politik, sich gegen das ehrgeizige Gasprojekt zu stellen, das 2011 begann…
    (…) Jede Vorstellung von einer neu entdeckten amerikanischen Wertschätzung der europäischen Verbündeten sollte entzaubert werden. Bidens Anmaßung, den Europäern zu sagen, dass Nord Stream-2 ein schlechter Deal ist, zeigt, dass die Europäer letztlich als nicht souverän angesehen werden, wenn es um die Festlegung ihrer Energiepolitik geht. Uncle Sam weiß wie immer das Beste für seine kleinen europäischen Vasallen.
    Quelle: Antikrieg
  7. Putsch in Myanmar
    Der Westen zieht nach dem Putsch in Myanmar Sanktionen in Betracht. Hintergrund ist der Machtkampf gegen China.
    Berlin/Naypyidaw (Eigener Bericht) – Nach dem Putsch am Montag in Myanmar ziehen EU und USA neue Sanktionen gegen das Land in Betracht. Man werde die Wiedereinführung von Zwangsmaßnahmen umgehend prüfen, hatte US-Präsident Joe Biden schon am Montag mitgeteilt. Die EU gab gestern bekannt, sie werde “alle ihr zur Verfügung stehenden Optionen in Erwägung ziehen”, um dafür zu sorgen, “dass sich die Demokratie durchsetzt”. Die Bundesrepublik hatte im Kalten Krieg aus geostrategischen Gründen lange eng mit Myanmars Militärregime kooperiert – Rüstungsexporte inklusive; nach 1990 hatte sie sich, wie der Westen insgesamt, zunächst von dem Land abgewandt und sich erst wieder um bessere Beziehungen bemüht, als China dort geostrategisch wichtige Vorhaben in die Wege leitete – den Bau eines Transportkorridors aus dem Indischen Ozean nach Südwestchina, der es ermöglicht, die von Washington leicht zu sperrende Straße von Malakka zu umgehen. Der Versuch, Beijing in Naypyidaw auszubooten, ist gescheitert; die gestern von den Militärs entmachtete De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi hat die Kooperation mit China zuletzt weiter intensiviert…
    Quelle: German Foreign Policy

    Dazu: Dark days for Myanmar
    After weeks of growing concern and speculation about a possible coup in Myanmar, the country’s military — the Tatmadaw — finally did it. With the putsch led by the armed forces’ commander-in-chief, Senior General Min Aung Hlaing, Myanmar has effectively returned to repressive military rule, ending its process of democratisation.
    According to reports yesterday, the military conducted a pre-dawn raid and detained the country’s de facto leader Aung San Suu Kyi, along with other leaders of her National League for Democracy (NLD) party. Vice President Myint Swe, a former army general and close ally of ex-junta leader Than Shwe, was then appointed as acting president.
    The military cited “grave errors” in the Nov 8 election — in which the NLD won more than 80% of the vote to capture 396 out of the 476 seats in both houses of parliament — as the reason for the putsch.
    It was only Myanmar’s second election after it emerged from military rule that lasted nearly 50 years.
    The military disputed the poll results even though the Union Election Commission was adamant that the allegations were false.
    Previously, some critics had noted that while the Nov 8 polls, which took place amid a surge of novel coronavirus cases in Myanmar, may have had flaws, but its results were legitimate.
    (…) Prior to yesterday’s power grab, both sides had engaged in a protracted power struggle to settle the election dispute at the negotiating table. Unfortunately, these efforts proved futile.
    Before the early morning raid, Ms Suu Kyi issued a pre-emptive statement calling on the people to “not to accept a coup”, according to a post on the NLD’s chairperson’s official Facebook page.
    The move has drawn global condemnation, with the United States and other democracies stepping up calls to restore democratic rule in Myanmar. Asean, meanwhile, is trapped by its principle of “non-interference”, while China’s concerns were carefully worded.
    While under authoritarian rule between 1962-2011, Myanmar experienced losses for decades because of international sanctions. The country, despite being abundant in natural resources, lagged behind most of its Asean neighbours in term of socio-economic development. Yesterday’s unfortunate move brought back memories of those times.
    The strongman should avoid actions which could trigger sanctions, as it will only lead the country and its people back into hardship. Instead, he must free Ms Suu Kyi and others, guarantee their safety, and set up a dialogue, so Myanmar can finally move on.
    Quelle: Bangkok Post

  8. “Alles oder nichts”: Chile zwischen Verfassungsreform, Aufstand und einer Pandemie
    Gespräch mit Francisca Fernandez, “La Pancha”, Mitglied der Bewegung für das Wasser und die Territorien und des feministischen Bündnisses Coordinadora Feminista 8M
    Wie hat sich die aktuelle Krise auf Chile ausgewirkt? Welche Konflikte durchziehen heute das neoliberale Chile, gegen das die Bewegungen Widerstand leisten?
    Was wir heute erleben, ist sowohl eine verstärkte Sichtbarkeit als auch eine Verschärfung der Krise. Aus historischer Sicht hat sich der Kapitalismus Krise um Krise gehalten. Nun folgt eine weitere, in der außerdem der strukturelle Charakter der Gewalt und der Prekarisierung sichtbar wird.
    In einem derart neoliberalisierten Land wie Chile sind die grundlegenden Hygienemaßnahmen, wie Zugang zum Gesundheitswesen oder zum Wasser, privatisiert. 1981 wurde das Wassergesetz verfasst, das zur Privatisierung und zum Aufbau eines Wasserhandels führte, sodass Wasserrechte ge- und verkauft, verpachtet und sogar mit einer Hypothek belastet werden können. Also stell‘ dir diesen Widerspruch vor – was ist die Hauptkampagne der Regierung? “Wasch dir die Hände”. 137 Kommunen in Chile haben kein Wasser. Darüber hinaus stehen Hygienemaßnahmen in einem Kontext, in dem das öffentliche Gesundheitssystem hochgradig prekarisiert und das private Gesundheitswesen privilegiert ist. Die Krise, die in Folge der Krankenhauseinweisungen entstanden ist, spiegelte zusätzlich den Zustand der Prekarität und Privatisierung der Krankenhäuser in Chile wider…
    Quelle: Amerika 21
  9. Analyse: Tracking-Regulierung – ein Kampf voller Missverständnisse
    Die Politik hat endlich das Thema Werbetracking entdeckt – um das Problem zu lösen, muss sie jedoch tief bohren, meint Torsten Kleinz.
    (…) Das GAFA-Missverständnis
    Verschiedene politische Lager haben mittlerweile ein gemeinsames Feindbild entdeckt: GAFA – kurz für: Google, Amazon, Facebook, Apple. Das Motto: Wenn man die Silicon-Valley-Konzerne kleinbekommt, dann wird auch die Überwachung allenthalben abnehmen. Dieses Missverständnis wird gezielt gefördert, tritt aber auch immer wieder spontan in netzpolitischen Diskussionen auf.
    Tatsächlich gibt es keinen Grund, dies zu vermuten. Die Konzerne mögen zwar das System der Werbeprofile und der Werbeauktionen marktwirtschaftlich perfektioniert haben. Doch die Tracking-Techniken sind inzwischen außerhalb ihrer Kontrolle. Längst ist das Geschäft in einen Branchen-Standard verwandelt worden: das OpenRTB-Protokoll. Damit ist es quasi jedem Player mit eher geringen Marktschwellen möglich, eigene Marktplätze einzurichten, auf denen Werbenetzwerke, Adtech-Anbieter und Publisher aufeinandertreffen.
    Die notwendigen Daten liefern Dutzende Konzerne gerne zu, gesammelt werden sie ja sowieso. Wer sich durch die Cookie-Banner einer gewöhnlichen Website klickt, wird hunderte von Firmen entdecken, die Nutzerdaten, sammeln, auswerten, neu zusammenstellen und weiterreichen. Da kleinere Firmen deutlich weniger im Fokus der Regulierer stehen, können sie oft über Jahre unbemerkt schalten und walten wie sie wollen – was sie auch tun…
    (…) Regulieren, aber richtig
    Ist es wegen all dieser Probleme sinnlos, den Werbemarkt regulieren zu wollen? Nein, absolut nicht. Sogar Google hat erkannt, dass die eigene Datenflut außer Kontrolle ist und versucht das eigene Geschäftsmodell in eine neue regulatorische Welt zu retten, von der noch niemand genau weiß, wie sie aussehen soll. Die Politik muss nun Ziele festsetzen, die sie erreichen will und dann mit einer kompetenten Analyse beginnen, die sich nicht auf plumpe Slogans und Feindbilder beschränkt. Letztlich sind auch Mittel wie Fusionskontrolle, gerechte Besteuerung und Algorithmen-Ethik Felder, die zu mehr Datenschutz und zu mehr Wettbewerb führen können.
    Medien müssen sich zum Beispiel drauf einstellen, dass die Werbefinanzierung nie wieder so lukrativ werden wird, wie sie es im Print-Zeitalter war. Und die Online-Nutzer werden mit immer höheren Paywalls leben müssen. Wie man dennoch ein Informationsumfeld sicherstellt, das Information vor Verschwörungstheorie, Debatte vor Clickbait setzt – das ist eine Frage, die die Politik wohl noch in einem Jahrzehnt beschäftigen wird.
    Quelle: Heise
  10. Nicht nur in der zweitgrößten Stadt des Libanon:
    Der Aufstand der Armen soll zusammengeschossen werden
    Einst galt der Libanon – die erste sogenannte Dienstleistungsökonomie des Nahen Ostens – als ein Land, wohin man fuhr, wenn genügend Geld da war, um sich medizinisch betreuen zu lassen. Wegen gut ausgestatteter Krankenhäuser und gut ausgebildetem Personal. Lang ist es her, denn die jahrelange Krise hat beides verändert – und die grundlegenden Strukturen ebenfalls. Die Situation im Gesundheitswesen angesichts der Epidemie war ein wesentlicher Grund für den heftigsten Lockdown, der in einem Land der Region bisher verhängt wurde – der vom 14. Januar bis zum 8. Februar (ursprünglich bis zum 25. Januar, inzwischen verlängert) andauern soll. Wie sehr sich der Libanon in der kapitalistischen Krise verändert hat, zeigen bereits UNO-Statistiken, denen zufolge über die Hälfte der Menschen im Libanon heute unterhalb der offiziellen Armutsgrenze leben müssen. Wenn dann die Regierung – im Unterschied zu den vorherigen Malen – einen Lockdown verhängt, ohne irgendetwas über finanzielle Unterstützung für die Menschen zu beschließen oder auch nur zu sagen, ist es naheliegend, genau das zu erwarten, was nun vor allem eben in Tripoli, längst aber auch schon in anderen Städten geschieht: Die Rebellion der Hungerleider. Die in Tripoli (arabisch: Trablus – in der Heimatsprache auch weniger zu verwechseln mit dem libyschen Tripolis, Tarablus) seit Tagen vor allem von den jüngeren Menschen der Stadt betrieben wird, mit ununterbrochenen militanten Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht. Und denen die Repressionsorgane dieser reaktionären Staatsmacht von Beginn an mit Gewalt begegnet sind – seit Mittwoch wird auch scharf geschossen, was alleine in dieser Nacht zu weit über 100 teilweise schwer Verletzten führte – und trotzdem die Proteste nicht beenden konnte. Siehe dazu eine kleine Materialsammlung vom 28. Januar 2021 über die aktuelle Entwicklung der Proteste nicht nur in Tripoli und einigen Beiträgen zu den Hintergründen, sowohl, was die Situation im Gesundheitswesen betrifft, als auch zur sozialen Lage der Protestierenden, insbesondere der massiven Erwerbslosigkeit…
    Quelle: Labournet
  11. Bangladesch siedelt Rohingya auf entlegene Insel um
    Daniela Gschweng / Die Insel Bhasan Char ist womöglich nicht so sicher, wie die Regierung weismachen will. Ob alle freiwillig gehen, ist zweifelhaft.
    Der anonyme Schreiber ist einer der ersten Rohingya, die von den Flüchtlingslagern bei Cox’s Basar in Bangladesch auf die Insel Bhasan Char transportiert wurden.
    Die einstöckigen Gebäude sähen alle gleich aus. Es gebe einige höhere Häuser, deren obere Stockwerke Flüchtlinge nicht betreten dürften, ausser bei einem Sturm. «Vielleicht denken sie, wir würden uns umbringen?», schreibt der Autor oder die Autorin.
    Ein ebenfalls anonymer Fotograf hat den Brief mit tristen Schwarzweiss-Bildern illustriert, die lange Gebäudereihen und leere Strassen zeigen. Andere Medien zeigen das Gleiche in Farbe. Das klingt nicht gerade ermutigend und viel Information ist es nicht.
    Öffentlichkeit ist unerwünscht
    Bald dürfte es lebhafter werden. Bangladesch hat Anfang Dezember 2020 angefangen, Rohingya aus den Flüchtlingslagern an der burmesischen Grenze auf die abgelegene Insel Bhasan Char umzusiedeln. Zwischen 1500 und 2000 Rohingya wurden bereits auf das flache Eiland im Golf von Bengalen gebracht, 100’000 sollen insgesamt umsiedeln.
    Die Geheimniskrämerei ist kein Zufall. Öffentlichkeit ist nicht erwünscht.
    (…) Ab auf die Insel im Überflutungsgebiet
    Die Vertreter der Vereinten Nationen haben dabei vor allem Sicherheitsbedenken. Bhasan Char entstand erst vor rund 20 Jahren aus Sedimenten, die der Fluss Meghna in den Golf trug.
    Die 60 Kilometer vom Festland entfernte Insel liegt in einem Gebiet, in dem immer wieder Zyklone auftreten, die aller Wahrscheinlichkeit nach in Zukunft an Heftigkeit und Häufigkeit zunehmen werden.
    An der dauerhaften Bewohnbarkeit der Insel gibt es erhebliche Zweifel. In Notfällen und bei schlechtem Wetter ist der Weg zum Festland zu weit. Dazu ist unklar, ob die umgesiedelten Flüchtlinge die Insel verlassen können, wenn sie wollen…
    Quelle: Infosperber
  12. Wenn nur noch Online-Almosen helfen
    GoFundMe wurde 2010 als Spendenplattform für karitative Zwecke gegründet. Gemeinnützige Organisationen – aber auch Privatpersonen – können dort Fundraiser für alle möglichen Zwecke organisieren. Insgesamt mehr als 150 Millionen Spenden mit zusammen mehr als zehn Milliarden Dollar wurden bereits abgewickelt. Nach der Ermordung des Schwarzen George Floyd durch einen weißen Polizisten in Minneapolis sammelte etwa eine Initiative fast 15 Millionen Dollar für die Familie des Verstorbenen. 25 Millionen Dollar sammelten Donald-Trump-Anhänger für den Mauerbau zwischen den USA und Mexiko. Inhaltlich setzt die Plattform kaum Grenzen.
    Doch schon seit Langem wird GoFundMe vor allem genutzt, um Menschen zu helfen, die durch die Maschen des dürftigen sozialen Systems der USA fallen. Menschen, die in Abwesenheit einer allgemeinen Krankenversicherung ihre Krebsbehandlungen oder ihr Insulin nicht bezahlen können; Menschen, die zu arm sind, um die Beerdigung ihrer Verwandten zu finanzieren. Die täglich publizierten Spendenaufrufe dokumentieren die sozialen Abgründe einer Gesellschaft, die ihre Schwächsten kaum unterstützt.
    Quelle: Zeit Online

    Anmerkung unserer Leserin A.F.: Es ist zu befüchten, dass nach diesen ganzen wahnwitzigen Maßnahmen auch hierzulande das Sozialsystem kollabiert.

    Dann werden wir auch solche Zustände hier haben, für viele sind sie auch jetzt schon Realität.

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Der fast vollständige Verzicht auf ein Sozialsystem (abgesehen von der Social Security, der Umlagerente) ist einfach eine absolute Katastrophe. Und zwar nicht für Einzelne, sondern für zig Millionen, wie der Artikel erwähnt. Und ehe die Deutschen wieder mal mit dem Finger auf die USA zeigen: diesen Wahnsinn haben noch vor 15 Jahren unter dem irreführenden Label “Eigenverantwortung” unsere großen Parteien, die Union, die SPD, die Grünen und die FDP sowieso, als Zukunft für Deutschland angepriesen. Momentan hängt das noch an einem seidenen Faden, sind wir (vielleicht) noch den mickrigen Hartz-IV-Satz und die zu niedrigen KdU von diesen Zuständen entfernt – aber vielleicht auch nicht mehr. Im Grunde genommen ist Deutschland schon auf halbem Weg in diese gesellschaftliche Hölle angekommen.

  13. Keine Frage der Mehrheit
    Endlich hat mal wieder jemand nachgefragt: Die meisten Menschen wollen Klimaschutz, hat eine Umfrage des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen ergeben, wie so viele schon vor ihr. Öffentliche Meinung scheint in der Klimapolitik aber keine große Rolle zu spielen. (…)
    Die aktuelle Version der Umweltbewusstseinsstudie kam im Frühjahr 2019 heraus und ergab genau dieses Bild. Die von Fridays for Future organisierten Massenproteste malten es eindringlich weiter aus.
    Trotzdem traute sich die Bundesregierung im selben Jahr, ein derart schwaches Klimapaket vorzulegen, dass nicht nur Klimaaktivist:innen, sondern auch die allermeisten Klima- und Energieforscher:innen es in der Luft zerrissen.
    Fairerweise muss man sagen, dass die öffentliche Zustimmung bei Umfragen meist umso größer ist, je weniger Konsequenzen für die eigene Lebensweise zu erwarten sind. Auch die UNDP-Erhebung zeigt das wieder. Hohe Zustimmung gab es am ehesten für Aussagen, gegen die im Grunde niemand etwas haben kann.
    Waldschutz? Klar! Erneuerbare Energien? Super! Mein Verhalten umstellen? Nein, danke. Nur 30 Prozent der Befragten befürworteten zum Beispiel die Förderung einer pflanzenbasierten und damit klimafreundlicheren Ernährung – damit die unbeliebteste Maßnahme, nach der gefragt wurde.
    Quelle: klimareporter
  14. »In der Demokratie heißt Zensur, Informationen zu verschweigen«
    Über Medien in Spanien, deren Berichterstattung zu Kuba, Venezuela und anderen Ländern sowie alternative Informationspolitik. Ein Gespräch mit Pascual Serrano
    In mehreren Ihrer Bücher weisen Sie nach, dass Medien Unwahrheiten über Länder wie Kuba verbreiten. Wie hat man vor diesem Hintergrund in Spanien über die Kontrolle der Pandemie auf der Insel und über den kubanischen Impfstoff »Soberana« berichtet?
    Die großen Medien in Spanien wie in der westlichen Welt insgesamt schweigen, wenn etwas in Ländern besser funktioniert, die nicht als Vorbilder gelten. Im Falle Kubas ist das nicht anders, denn das Land bewegt sich in Fragen der öffentlichen Gesundheitsversorgung auf einem sehr hohen Niveau. Kuba ist zum Vorbild geworden, hat als erstes sogenanntes Entwicklungsland einen Impfstoff entwickelt. Auch von anderen gesellschaftlichen Bereichen lässt sich viel Positives berichten: Bildung und Pflege beispielsweise. Wer jedoch permanent den Eindruck erzeugen will, der Sozialismus funktioniere dort nicht, darf über solche Errungenschaften nicht sprechen. (…)
    Geraten die Dinge bei »Verbündeten« in Schieflage, spricht man selbstverständlich nicht von »Failed State«. Wie bewerten Sie den Umstand, dass Twitter den Account von Donald Trump gesperrt hat?
    Ich finde, hierbei handelt es sich um eine Falle. Wenn wir zulassen, dass große Konzerne wie Twitter oder Facebook darüber befinden, wer sich äußern darf und wer nicht, wäre das ein großer Fehler. Selbst wenn man die Mitteilungen von Trump als gefährlich erachtet, bin ich nicht der Meinung, dass es gut wäre, Twitter diese Macht zu geben. Oft empören sich die Menschen darüber, dass Staaten gegen falsche Informationen, gegen Fake News, vorgehen wollen. Aber wenn das ein Unternehmen wie Twitter oder Facebook tut, applaudieren viele. Das ist ein verhängnisvoller Präzedenzfall. Wir können nicht die Entscheidung darüber, ob etwas stimmt oder nicht, ob man sich mitteilen darf oder nicht, an solche Firmen delegieren. Dafür sind die Gerichte da. (…)
    Wie haben die spanischen Medien über den Fall Assange berichtet, wie über den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny? Lässt sich das vergleichen?
    Sicher, der Vergleich ist zulässig. Wir erkennen daran sehr deutlich die herrschende Doppelmoral. Die Medien haben damals Julian Assanges Enthüllungen ausgeschlachtet, den Krimi um seine Auslieferung aber sportlich ignoriert. Dabei war der Vorgang von allergrößtem öffentlichen Interesse. Er berührte Fragen der Pressefreiheit, es ging um Folter und Staatsverbrechen. Dieselben Medien, die eine Verbreitung der Informationen von Wikileaks verteidigt haben, haben die Person, die das ermöglicht hat, igno­riert. Ganz anders im Fall Nawalny: Wochenlange Berichterstattung über die Vergiftung des Mannes, und der Schuldige, der russische Staat, war von Anfang an ausgemacht.
    Quelle: junge Welt
  15. Rechtsdrehende Windungen
    Unter der Kappe der Grünen-Stiftung wurde kürzlich eine Ergebenheitsadresse an den neuen Präsidenten in Washington gesandt, prominent unterzeichnet von Ellen Ueberschär, einer der beiden Vorständler der Heinrich-Böll-Stiftung, sowie 18 weiteren Transatlantikern, darunter ein Generalleutnant a.D. und ein Brigadegeneral a.D. der Bundeswehr sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Atlantik-Brücke, des Aspen-Instituts, des German Marshall Fund und der Brookings Institution…
    Im Kern geht es jedoch um zweierlei. Zum einen wird das derzeit obligate Feindbild Russland gepflegt. Das Land habe eine „Konfliktstrategie“ und „sein wachsendes militärisches Potential“ verlange ein „amerikanisches Gegengewicht“… man möchte mit US-amerikanischen Truppen Druck auf Russland ausüben. Zum anderen wird auch hier das Feindbild China gepflegt. Es gewinne wirtschaftlich, zunehmend aber auch militärisch und politisch an Einfluss. Es sei aber „nicht nur eine machtpolitische, sondern vor allem eine ideologische“ Herausforderung für den Westen…
    (…) Am 22. Januar 2021 trat der in der UNO ausgearbeitete Vertrag zum Verbot der Atomwaffen in Kraft. Gleichwohl wird in dem transatlantischen Papier postuliert, der „nukleare Schutzschirm der USA ist für alle nicht nuklearen NATO-Staaten in Europa unverzichtbar“, und zwar „solange es Nuklearwaffen gibt“. Das ist eine sich selbst bestätigende Konstruktion: da Deutschland, die USA und die gesamte NATO sowie die anderen Nuklearwaffenstaaten sich weigern, den Vertrag zum Verbot der Atomwaffen zu unterzeichnen oder zumindest untereinander in Verhandlungen einzutreten, wie man ihn umsetzen könnte, sind die Atomwaffen auf absehbare Zeit auf Dauer gestellt. Und solange das so ist, soll Deutschland an der „Nuklearen Teilhabe“ festhalten. Das bedeutet, US-Atomwaffen sollen weiterhin und unbefristet in Deutschland lagern, und für die Bundeswehr sollen neue atomwaffentaugliche Kampfflugzeuge beschafft werden…
    Kurz nach Veröffentlichung dieses transatlantischen Papiers der Böll-Stiftung wurde die Frage gestellt, ob nicht bei der Linken ebenfalls die parteinahe Stiftung, hier die Rosa-Luxemburg-Stiftung, solche rechtsdrehenden Windungen unternehmen könnte, um den Kurs der Partei zu verändern…
    Die Antwort jetzt in Bezug auf Die Linke war, dass von der Stiftung so etwas nicht zu erwarten ist. Schon deshalb, weil die Linkspartei das in aller Regel selbst besorgt. Der Bundestagsabgeordnete Matthias Höhn hat kürzlich ein Papier mit der Überschrift: „Linke Sicherheitspolitik“ präsentiert…
    Nun ist Höhn gewiss nicht als „neoliberaler Ideologe“ zu adressieren. Dennoch schwebt nach wie vor im Raum, was Egon Bahr einst an die Adresse der Linken gesagt hatte: „Wer in Deutschland auf Bundesebene mitregieren will, muss drei Bedingungen erfüllen: ein positives Verhältnis zu den USA, zur EU und zur NATO.“ Das bemüht sich Höhn in die Partei zu bringen, weil es ohne dies eine Koalition mit der SPD und den Grünen nicht geben wird…
    Quelle: Das Blättchen
  16. „Wir wollen einen Kurs der Politik der Mitte verfolgen“
    Ab durch die Mitte: Franziska Giffey gibt kein Bekenntnis zu Rot-Rot-Grün ab – und betont, wie wichtig die Wirtschaft sei.
    Was das Spitzen-Duo an diesem Montagmorgen vorträgt, hört sich kaum nach rot-rot-grüner Politik an. Die beiden SPD-Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh stellen in der Parteizentrale in Wedding ihr Wahlprogramm vor. Der Hashtag „#HerzenssacheBerlin“ steht drauf, 100 Seiten lang ist das Papier. Am Sonnabend sei das Programm im Landesvorstand diskutiert worden, es habe „große Einigkeit“ gegeben, die Partei stehe hinter dem Entwurf, betont Raed Saleh. Trotzdem hört man an diesem Morgen andere Töne, als man sie bislang aus dem Senat, der Koalition und von großen Teilen der Berliner SPD gewohnt war.
    (…) „Wir wollen einen Kurs der Politik der Mitte verfolgen“, sagt Giffey. Sie betont, dass die Wirtschaft Partner der Politik sei – und kein Gegner. „Wir wollen eine aktive Ansiedlungspolitik“, sagt die Spitzenkandidatin. Berlin-Brandenburg werde „Tesla-Region“, 20.000 neue Ladepunkte für E-Autos sollen in den nächsten zehn Jahren entstehen. Den Wohnungsbau will Giffey zur Chefinnensache machen, 200.000 neue Wohnungen bis 2030 stehen im Programm.
    Ohne privaten Wohnungsbau sei das kaum zu schaffen. Der Mietendeckel ist für Giffey nur eine Übergangslösung und kein Dauermodell, das hat die Familienministerin schon häufiger betont. „Wir brauchen eine starke Wirtschaft, damit wir das Soziale bezahlen können“, sagt Giffey…
    So sehr Saleh betont, dass der Landesvorstand hinter dem Programm steht, das in einem breiten Beteiligungsprozess erstellt wurde und entsprechend ausgewogen ist: Giffeys sehr pragmatische Positionierung dürfte den traditionell eher linken Landesverband noch vor Herausforderungen stellen.
    Allein das Thema Sicherheit nimmt 15 Seiten im Wahlprogramm ein. Giffey ist das wichtig, sagt sie, weg von der Ideologie und hin „zum Anpacken vor Ort“. Giffey will sich damit allem Anschein nach absetzen von den in der SPD oft als „ideologisch motiviert“ verbrämten Initiativen der Grünen und Linken. Auch Sätze wie „Linksextremist:innen, die den Staat und die Demokratie bekämpfen, tritt die SPD entschlossen entgegen“ gehörten bislang nicht unbedingt zum Standardprogramm eines jeden Berliner Sozialdemokraten.
    Ein Bekenntnis zu Rot-Rot-Grün bleibt auf Nachfrage aus. „Wir werden uns nicht auf eine Koalition festlegen“, sagt Giffey. ..
    Quelle: Tagesspiegel
  17. So verkommt Journalismus zur Politposse
    Mehr und mehr Schweizerinnen und Schweizer sind, wenn sie nur Schweizer Zeitungen lesen, politisch miserabel informiert.
    Frankreich ist eines unserer fünf Nachbarländer. Über 30 Prozent unserer Landesgrenze teilen wir mit Frankreich – mehr als mit Deutschland und Österreich zusammen. Jeden Tag kommen rund 190’000 Franzosen und Französinnen zur Arbeit in die Schweiz, Tendenz sogar steigend.
    Aber interessiert uns Frankreich überhaupt? Werden wir über Frankreich ausreichend informiert? Nicht wirklich. Seit Wochen wird in Frankreich gegen ein neues Sicherheitsgesetz demonstriert. Am letzten Wochenende haben erneut in über 60 Städten Frankreichs Demonstrationen mit Zehntausenden von Teilnehmern stattgefunden (das Innenministerium will diesmal 32’770 Demonstranten gezählt haben). Und die Polizisten brauchten auch an diesem Wochenende nicht nur ihre Schlagstöcke, sie setzten auch Tränengas und Gummigeschosse ein.
    Und was erfährt man in den deutschsprachigen Schweizer Tageszeitungen davon? In der Online-Ausgabe der NZZ fand man am letzten Sonntag immerhin eine kurze Agenturmeldung, in der gedruckten Montagausgabe aber nichts mehr. Nichts. In den CH Media-Zeitungen (Aargauer Zeitung, Luzerner Zeitung, St. Galler Tagblatt etc.) gab’s weder online noch in den gedruckten Montagausgaben eine Meldung. Keine zehn Zeilen! Was interessiert uns schon unser direktes Nachbarland Frankreich?
    Nicht-westliche Länder sind viel interessanter …
    Ganz anders ist es mit Russland, wo am Sonntag ebenfalls demonstriert wurde. Und wie wird darüber berichtet?
    In der Montagausgabe der NZZ schon auf der Frontseite der größte von drei Artikeln, ein zweispaltiger Aufmacher rechts oben: «Russlands Polizei unterdrückt Protest». Und in den CH Media-Zeitungen? Auf der Frontseite ein dreispaltiges, seitendominierendes Bild – in dieser Form schon zum dritten Mal innerhalb acht Tagen! Zusätzlich, ebenfalls auf der Frontseite, der Kommentar eines Auslandsredaktors. Und zusätzlich, im Innern der Zeitung, eine dreiviertelseitige Reportage aus Moskau. Der Inhalt des Bildes auf der Frontseite, der Inhalt des Kommentars auf der Frontseite und der Inhalt der Reportage im Innern : mutige Protestler, brutale Polizei.
    Was aber erfährt der Leser, die Leserin noch mehr, als dass Putins Polizei brutal gegen die Demonstranten vorgegangen ist? Nichts.
    Wie wäre es, wenn die Ausland-Redaktionen der NZZ und der CH Media-Zeitungen auch einmal über die Person Alexej Nawalny informieren würden? Zum Beispiel über seine Finanzquellen im In- und im Ausland? Oder über seine diversen Gesinnungswechsel, je nach dem Publikum, das er gerade zu mobilisieren versuchte? Oder darüber, dass er sich jetzt in den sozialen Medien als alleiniger Oppositionsführer feiern lässt, dass aber diese «seine» Opposition aus mehreren, politisch weit auseinander liegenden Lagern zusammengesetzt ist, von rechtsextremen Nationalisten bis zu den Kommunisten am anderen Ende des politischen Spektrums? Oder endlich einmal über sein heutiges Polit-Programm, inhaltlich, was er beabsichtigt, außer dass er Putin stürzen will?
    So informieren große Schweizer Zeitungen heute: Über Frankreich, unser direktes Nachbarland, nichts. Nichts! Über Russland aber viel, sogar sehr viel, zumindest was den Platzbedarf und die Platzierung der «Information» im Blatt anbelangt. Und inhaltlich? Es hätte auf einer Zeile Platz: böser Putin, brutale Polizisten.
    Es ist nur noch peinlich.
    Quelle: Infosperber
  18. Im Gegensatz zur ARD baut der öffentlich-rechtliche Rundfunk Frankreichs sein Kulturangebot aus
    Nach Informationen der FAZ steht ein Budget von fünf Millionen Euro zur Verfügung. Wie die Intendantin Delphine Ernotte informierte, soll der Sender jeden Abend eine Theateraufführung oder ein Konzert übertragen. Auch die darstellende Kunst soll gepflegt werden. Rund um die Inszenierungen werden Berichte und Live-Interviews mit Darstellern, Autoren und Kritikern ausgestrahlt. Wie Delphine Ernotte gegen über der FAZ sagte, habe die zuständige Ministerin „voller Begeisterung“ zugestimmt. Das Kulturangebot soll solange ausgestrahlt werden, bis der Kulturbereich wieder öffnet. Aber auch danach, so verspricht die Intendantin, werde man „fünfmal mehr Zeit“ als bisher für die Kultur zur Verfügung stellen. Während in Paris der Start der Kulturbox bekannt gegeben worden ist, teilte der federführende ARD-Sender MDR mit, dass die geplante ARD-Kulturplattform, vorerst nicht entwickelt werde. Für dieses digitale Angebot hatte die ARD einen Etat in Höhe von fünf Millionen Euro veranschlagt. …. Ohne die Beitragserhöhung würde der ARD das Geld dafür fehlen, erklärte Buhrow damals gegenüber der „Berliner Zeitung“. Diese Drohgebärde und Entscheidung gegen die durch die Corona-Pandemie stark leidende Kultur, ist ein Armutszeugnis für die ARD. Dem französischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk stehen jährlich 3,2 Milliarden Euro zur Verfügung. … Doch leider passt der Stopp der Kulturplattform zu einer Vielzahl von Meldungen der letzten Wochen aus den Landesrundfunkanstalten wie NDR oder WDR, Kulturangebote einzustellen oder zu reduzieren. France Télévisions will nach der Corona-Krise „fünfmal mehr Zeit“ als bisher für die Kultur zur Verfügung stellen. Für die ARD anscheinend eine utopische Vorstellung. Im Gegenteil, der ARD-Vorsitzende hat ja bereits Programmreduzierungen angekündigt, die anscheinend zuerst die Kultur treffen könnten. Die Länder, die ja nun eine baldige Reform des Auftrages der öffentlich-rechtlichen Sender angekündigt hatten, sollten den kulturellen Auftrag quantitativ eindeutiger fassen als bisher.
    Quelle: Medienpolitik


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