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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 14. Juli 2021 um 8:33 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Haben wir unter Corona vergessen, dass es ein Leben vor dem Tod gibt?
  2. Friedliche Lösung bevorzugt
  3. Aus heißer Luft geschürft
  4. Warum die unbezahlte „Sorge- und Versorgungsarbeit“ nicht ins BIP gehört
  5. Nach Erfolg der isländischen 4-Tage-Woche: SPÖ will Pilotprojekt für Österreich
  6. Gemeinsamer Appell von Arbeitgeberpräsident Dr. Rainer Dulger und dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann
  7. Macron: Gesundheitspass für (fast) alle und Impfflicht für medizinisches Personal
  8. Bundesregierung muss Kritik an Atomwaffenverbotsvertrag revidieren
  9. Zwischen den Fronten des Kalten Kriegs
  10. Wieso verbreitet Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble Fake News über Russlanddeutsche und RT?
  11. OPCW-Bericht deckt deutsche Lügen im Fall der angeblichen Vergiftung von Nawalny auf
  12. Ungarische Aufrüstungspolitik
  13. Demonstrationen und Gegen-Kundgebungen in Kuba
  14. Geplünderte Supermärkte, brennende Barrikaden
  15. Wie Kleinparteien klein gehalten werden
  16. Katja Kipping und ihre Liebe zum Sturmgeschütz des Neoliberalismus
  17. Grüne Lügen
  18. Droht den Sozialdemokraten das Schicksal der Dinosaurier, Professor Schroeder?

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Haben wir unter Corona vergessen, dass es ein Leben vor dem Tod gibt?
    Oder sollen wir jetzt bei jeden größeren Event nur noch an Tod und Verderben denken? Ein Zwischenruf
    (…) Selbst bei kurzfristigen Vergnügungen lauerte am Ende der Tod. Eine zutiefst traurige Gesellschaft also und die Pfaffen der verschiedenen Konfessionen predigten entweder Erlösung oder ewige Verdammnis im Jenseits.
    Überall nur Gefahr, Krankheit und Tod
    Es war ein nicht zu unterschätzendes Verdienst von Aufklärern, die Menschen daran zu erinnern, dass es ein Leben vor dem Tod gibt. Manchmal scheint es, als hätten das viele Menschen wieder vergessen…
    Man muss sich schon fragen, was es mit den Menschen macht, wenn jedes größere Event mit möglicher Krankheit und Tod in Verbindung gebracht wird. Wenn immer gleich die Frage aufkommt, wie viele Menschen sich dort mit einer Krankheit infiziert haben.
    (…) Moralkampagnen statt Gesellschaftskritik
    … dass die regelmäßigen Moraldebatten, die durch das linksliberale Feuilleton laufen, auch mit dem Verschwinden einer Gesellschaftsanalyse in Verbindung stehen. Dass kann man an der Fixierung auf Konsumenten statt auf Konzerne sehen, wenn in bürgerlichen Kreisen über die Klimakrise diskutiert wird, aber auch sehr gut an der Regenbogenkampagne im Zusammenhang mit der Fußball-EM, die für einige Tage die Medien in Deutschland erregte, um auch ganz schnell vergessen werden…
    Quelle: Telepolis
  2. Friedliche Lösung bevorzugt
    von Daniela Dahn
    Die Chancen auf einen Politikwechsel durch eine grün-rot-rote Koalition im Bund sind gering. Das Zerwürfnis über die Frage von Kriegseinsätzen scheint unüberwindbar, will man seine Grundsätze nicht aufgeben. Dem soll hier widersprochen werden. Der gemeinsame Nenner liegt auf der Hand: die UN-Charta. Sie erlaubt unter strengen Voraussetzungen militärische Interventionen. Will die kleine Linke mit ihrer grundsätzlichen Ablehnung etwa moralischer sein als die große Weltgemeinschaft?
    (…) Das Völkerrecht sieht jedenfalls nicht vor, die US-dominierte Nato als Exekutivorgan von UN-Beschlüssen zu nutzen.
    Seit 1953 haben die USA mit illegalen Putschen und Kriegen im Iran, in Guatemala, Panama, Grenada, Ägypten, Vietnam, Laos, Kambodscha, Chile oder Nicaragua arrogant demonstriert, was sie vom Völkerrecht halten. Nach Auflösung des Warschauer Pakts und der Sowjetunion wurde die Existenzberechtigung des Verteidigungsbündnisses berechtigt infrage gestellt. Die völlig neue Strategie der Nato machte sie zum Weltpolizisten, der die Partikularinteressen seiner Mitglieder offensiv vertritt. Es ging um die erklärte Absicht, die „humanitäre Intervention“ als Ausnahme vom geltenden Gewaltverbot als Gewohnheitsrecht durchzusetzen. Die sogenannte Schutzverantwortung gegenüber Völkermord wurde in den Feuilletons der westlichen Wertegemeinschaft als Triumph der Menschenrechte gegenüber dem geltenden Völkerrecht gefeiert…
    Annalena Baerbock und die Regeln des Völkerrechts
    Die Definition von Genozid ist seit Jahrzehnten umstritten und offensichtlich instrumentalisierbar. Keine einzige „Schutzverantwortung“ hat Schutz gebracht, keine „Humanitäre Intervention“ Humanismus…
    Was bleibt, ist das Dilemma, dass man den weltweiten Verstößen gegen Menschenrechte nicht tatenlos zusehen kann. Weshalb die Kanzlerkandidatin der Grünen weiter militärisch intervenieren will. Die Regeln des Völkerrechts sollen geändert werden, sodass auch gegen das Veto einer Großmacht mit Waffengewalt eingegriffen werden kann. Doch keine Großmacht wird dann Mitglied bleiben. Allein die Pseudoalternative Krieg oder Nichtstun zeigt die gewollte Fantasielosigkeit.
    Kriege sind Klimakiller und Sozialkiller
    Die strikte Ablehnung von Militäreinsätzen im Ausland ist unter den jetzigen Bedingungen vom Völkerrecht nicht nur gedeckt, sondern geboten. Könnte eine solche gemeinsame Haltung nicht zur dringend benötigten Attraktion in der grün-rot-rosanen Wählerschaft werden? Rüstung, Militärstützpunkte, Manöver und Kriege sind mit Abstand die größten Klimakiller, sie machen alle guten Absichten zunichte. Und sie sind genauso der größte Sozialkiller…
    Die SPD drückt sich in dem Entwurf ihres Wahlprogramms ganz um den Stolperstein Auslandseinsätze und ist womöglich für Argumentationshilfe aufgeschlossen. „Die Linke ist die Stimme der Friedensbewegung im Bundestag“, heißt es in ihrem Wahl-Programmentwurf…Als einzige Partei lehnt sie es ab, sich an einer Regierung zu beteiligen, die die Bundeswehr zu Kampfeinsätzen ins Ausland schickt. Damit gilt sie für alle anderen Parteien als nicht regierungstauglich, ja, wird von den Konservativen gar aus dem Spektrum demokratischer Parteien aussortiert. Was aberwitzig ist, zeugt doch gerade ihre Haltung von einem missbräuchlichen Verhältnis zum Recht.
    Nun hat sie angekündigt, bei dem heiklen Thema diskussionsfähig zu sein, was hellhörig gemacht hat. Möge sie konsequent bleiben und zugestehen: Auslandseinsätze nur dann, wenn zuvor sämtliche Bedingungen der UN-Charta erfüllt sind. Also Friedensdienst ausschöpfen, Strategie und Kommando bei der Uno, nicht der Nato oder den USA und ein Mandat nur an Kombattanten, die sich zuvor der Rechtsprechung des IGH unterworfen haben.
    Tipp an Frau Baerbock: Völkerrecht ist unteilbar. Wer es ganz akzeptiert, kann bis auf Weiteres keinem Auslandseinsatz der Bundeswehr zustimmen.
    Quelle: Das Blättchen
  3. Aus heißer Luft geschürft
    Stephan Schulmeister
    Blase Bitcoins legen derzeit wilde Kurskurven hin. Wie hängt das mit der Finanzspekulation zusammen? Wie profitiert China? Und geht das ewig so weiter?
    Was für ein Wertzuwachs! Seit Mai 2016 stieg der Preis eines Bitcoins von 500 US-Dollar auf 40.000 (Stand 15. Juni), das ergibt eine Rendite von 140 Prozent pro Jahr!… Der Kurs der Kryptowährung Bitcoin gleicht einer Achterbahnfahrt.
    Genau das aber macht kurzfristige Spekulation extrem verlockend. Dazu braucht man keine digitale Bitcoin-Brieftasche („wallet“), man kann einfach per Smartphone und Internetbroker statt mit Bitcoins mit Bitcoin-Derivaten handeln, also mit Terminkontrakten auf steigende oder fallende Kurse wetten…
    Erwacht aus neoliberalen Träumen stellt sich des Rätsels Lösung einfach dar: Beim Bitcoin handelt es sich lediglich um ein simples Geschäftsmodell, das aber perfekt in das Zeitalter von Finanzkapitalismus und Digitalisierung passt, ökonomisch ebenso wie ideologisch. Ökonomisch deshalb, weil sich im Finanzkapitalismus seit den 1970er Jahren das Profitstreben auf das Ausnutzen von Bewertungsdifferenzen von bestehenden Vermögen konzentriert, also Wertpapieren, Derivaten, Rohstoffen, Immobilien oder Ähnlichem. Das unterscheidet den Finanzkapitalismus von etwas, das wir Realkapitalismus nennen können: also eine Wirtschaftsweise, in der die Schaffung realer Vermögen die wichtigste Profitquelle ist, so wie das in Europa in den 1950er und 1960er Jahren oder zwischen 1890 und 1914 der Fall war. Um den Unterschied an einem Beispiel zu verdeutlichen: Im Realkapitalismus kauft man Aktien primär, um sich an einem Unternehmen zu beteiligen und dessen Realinvestitionen zu finanzieren, im Finanzkapitalismus primär, um von erwarteten Kurssteigerungen zu profitieren.
    Ideologisch legitimiert wird der Finanzkapitalismus durch den Neoliberalismus. Für diesen würde nach der Deregulierung der Finanzmärkte die Schaffung von Geld durch den Markt einen seiner größten Träume erfüllen; es kann also nicht verwundern, dass Neoliberale Bitcoins gut finden…
    Im Allgemeinen gleicht die Dynamik von Kryptowährungen dem Tanz um das goldene Kalb, allerdings ist dieses nicht aus Gold, sondern aus heißer Luft. Zum Ausgleich wächst das Kalb, je mehr getanzt und je fester der Glaube wird, das Kalb gebäre ein neues Geldsystem…
    Es bleibt das Fazit: Bitcoin und andere Kryptowährungen stellen nicht digitales Geld dar, sondern die Vollendung von „fiktivem Kapital“ (Karl Marx). Sie vereinigen wesentliche Komponenten des Finanzkapitalismus und werden deshalb wohl mit ihm verschwinden.
    Quelle: Der Freitag

    Dazu: Peking dreht jetzt den Strom ab
    Regulierung Bis zu drei Viertel aller Bitcoins kamen zuletzt aus China. Das ist vorbei – die Regierung will das Klima schützen und alle Finanzströme kontrollieren.
    Es sind Schlagzeilen, die noch vor wenigen Jahren niemand verstanden hätte: „Schürfer verlassen China wegen Krypto-Crackdown“. Dabei kommen die jüngsten Schritte der chinesischen Regierung nicht unerwartet: Nach dem Verbot von Krypto-Handelsplattformen vor vier Jahren wird nun auch den „Minern“, also den Schürfern von Bitcoins, in immer mehr Provinzen der Strom abgestellt. Nun fliehen viele Unternehmen aus der Volksrepublik und suchen nach neuen Standorten im Ausland.
    (…) Chinas junge Bitcoin-Industrie hat es so weit getrieben, dass sie zuletzt laut einigen Schätzungen in der Spitze allein so viel Strom verbrauchte wie ganz Italien. Das will Peking nicht länger zulassen. Denn der ausufernde Stromverbrauch wird als Gefahr für die ambitionierten Klimaziele der zweitgrößten Volkswirtschaft gesehen, die Präsident Xi Jinping persönlich vorgegeben hat…
    Quelle: Der Freitag

  4. Warum die unbezahlte „Sorge- und Versorgungsarbeit“ nicht ins BIP gehört
    Es ist absolut notwendig, geschlechtsspezifische Ungleichheiten in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und bei den Einkommen weiter abzubauen. Die Arbeit im eigenen Haushalt wie Erwerbsarbeit zu betrachten oder sogar zu bezahlen zu wollen, würde dagegen keinen Sinn machen. Eine Replik von Ralf Krämer. […]
    Frauen leisten etwa 61 Prozent dieser unbezahlten Arbeit, täglich 4:10 Stunden, Männer 2:45 Stunden. Die Erwerbsarbeit wird zu etwa 60 Prozent von den Männern erbracht, täglich 3:19 Stunden, bei den Frauen sind es 2:19 Stunden. Sie beträgt im Gesamtdurchschnitt 2:43 Stunden am Tag, also 24 Minuten weniger als die unbezahlte Arbeit. Die Erwerbsarbeit macht danach 44 Prozent der gesamten Arbeit aus, die unbezahlte Arbeit 56 Prozent (jeweils einschließlich Wegezeiten). Der Anteil der Frauen an der Arbeit insgesamt beträgt 52 Prozent, pro Tag arbeiten sie im Durchschnitt 15 Minuten länger als die Männer.
    Am größten ist der Abstand mit etwa 50 Minuten bei Rentner:innen und Pensionär:innen, wo die Hauptzuständigkeit der Frauen für den Haushalt fortwirkt und nicht mehr durch die Erwerbsarbeit kompensiert wird. Nur daraus resultiert auch die um 24 Minuten höhere durchschnittliche Gesamtarbeitsbelastung der Frauen bei den Paaren ohne Kinder im Haushalt. […]
    Eine schlichte „Integration in das BIP“ würde den wesentlichen und grundlegenden Unterschied zwischen unbezahlter und bezahlter Arbeit verdecken und das BIP nicht aussagekräftiger machen, sondern eher verzerren […]
    Die Einbeziehung der unbezahlten Arbeit im Haushalt wäre ein Fremdkörper in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, eine Zurechnung fiktiver Einkommen und Konstruktion fiktiver Transaktionen, die real gar nicht stattfinden und die keine monetär zu bewertenden Ansprüche hervorbringen. Weil es keine echten Preise gibt, wäre man auch weiter auf umstrittene Schätzungen und Bewertungen angewiesen, so wie es bei den schon vorliegenden Satellitenrechnungen auch der Fall ist. Die ganze Operation wäre eher irreführend und würde in der Sache nichts ändern. Sinnvoller wäre, die Zeitverwendungserhebung und die darauf beruhende Satellitenrechnung zur Haushaltsproduktion häufiger durchzuführen und weiterzuentwickeln.
    Quelle: Ralf Krämer auf Makroskop
  5. Nach Erfolg der isländischen 4-Tage-Woche: SPÖ will Pilotprojekt für Österreich
    Seit 46 Jahren hat es in Österreich keine Arbeitszeitverkürzung mehr gegeben, das ist zu lange her, meinen die SPÖ-Vorsitzende und Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner und der Bauholz-Gewerkschaftschef und SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. Wenn Österreich jetzt nicht auf den Zug der 4-Tage-Woche aufspringe, werde das die Arbeitslosigkeit und den Fachkräftemangel verschärfen. Die SPÖ will den Sommer für Gespräche mit Parteien, Gewerkschaft und Wirtschaft nutzen, um im Herbst ein Pilotprojekt zur Arbeitszeitverkürzung zu beschließen.
    „Es ist Zeit, den ersten Schritt zu setzen. Andere Länder zeigen bereits vor, wie es geht“, sagt SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner zur 4-Tage-Woche in Österreich und verweist auf den Pilotversuch in Island…
    So will es auch das SPÖ-Modell: Das AMS soll in der Pilotphase Kooperationsunternehmen auswählen, in denen die Arbeitszeit um 20 Prozent, also auf 32 Stunden in der Woche, gesenkt werden. Die wegfallenden 20 Prozent sollen zur Hälfte vom AMS bezahlt werden und jeweils zu 25 Prozent vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer. So bliebe mit einer Viertagewoche ein Bruttolohn von 95 Prozent, rechnet Rendi-Wagner vor. Dazu kommt ein Beschäftigungseffekt: Wenn vier ArbeitnehmerInnen im Viertagewochen-Modell arbeiten, soll eine zusätzliche Arbeitskraft angestellt werden…
    Breiter Diskussionsprozess bis zum Herbst
    Die SPÖ will über den Sommer in einen breiten Dialog von Gewerkschaften, über Parteien bis zum Arbeitsminister treten. Im Herbst will sie dann im Parlament einen Antrag einbringen für ein Pilotprojekt mit wissenschaftlicher Begleitung…
    Quelle: kontrast at.

    Anmerkung Marco Wenzel: zum Pilotprojekt Arbeitszeitverkürzung in Island siehe Näheres hier: Island setzt auf 4-Tage-Woche: Fast 9 von 10 IsländerInnen können jetzt kürzer arbeiten.

    Dazu: Nach dem Erfolgsmodell in anderen Ländern: Irland testet die 4-Tage-Woche
    Nachdem einige Länder und Unternehmen die 4-Tage-Woche erfolgreich ausprobiert haben, startet nun auch Irland mit einer sechsmonatigen Testphase. In dieser Zeit soll die Umsetzbarkeit einer generellen 4-Tage-Woche überprüft werden.
    Die Vorteile einer 4-Tage-Woche sind vielfach belegt: Die Produktivität im Betrieb steigt, die Angestellten sind gesünder und haben mehr Zeit für Familie und Freunde. Außerdem entstehen mehr Arbeitsplätze, psychische Störungen, lange Krankenstände und Burn-out nehmen ab. Eine Arbeitszeitverkürzung würde also nicht nur die Angestellten entlasten, sondern auch das gesamte Gesundheitssystem. Pilotprojekte in Island und Schweden haben die Vorteile der 4-Tage-Woche gezeigt, Spanien startet mit einem Projekt für 500 Firmen…
    Joe O’Connor, Vorsitzender der Four Day Week Ireland, stellt fest, dass wir im letzten Jahr eine radikale Veränderung der Arbeitswelt erlebt haben. Die flexibleren Arbeitsformen haben sich nun endgültig durchgesetzt. Um auf diesen Wandel zeitgemäß zu reagieren, braucht es die 4-Tage-Woche ohne jegliche Lohneinbußen. Nur so bietet das Modell das Potenzial einer besseren Zukunft für ArbeitnehmerInnen, ArbeitgeberInnen und sogar für die Umwelt, da der CO2-Ausstoß pro Kopf sinkt. Was für viele Iren zunächst als radikales Konzept erschien, stößt nun auf Begeisterung und wird als eine vernünftige Lösung begrüßt…
    Quelle: kontrast. at

  6. Gemeinsamer Appell von Arbeitgeberpräsident Dr. Rainer Dulger und dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann
    Hier ein historisch wertvolles Dokument zur Sozialpartnerschaft:
    Die Sozialpartnerschaft ist ein Anker in Krisenzeiten. Auch in der Corona-Pandemie hat sich unsere Sozialpartnerschaft bewährt. Gewerkschaften und Arbeitgeber haben frühzeitig an der Verwirklichung von hohen Hygienestandards in den Betrieben, an verlässlichen Teststrategien und einer raschen Umsetzung von Impfungen mitgewirkt. Wir sind Teil der Lösung.
    Aus tiefer Sorge, dass wir das Erreichte verspielen, wenden wir uns nun gemeinsam an alle Arbeitgeber und Beschäftigte in Deutschland. Seien Sie weiter umsichtig und verantwortungsvoll. Wirken Sie weiter mit, die Menschen in den Betrieben vor Ansteckung zu schützen. Nehmen Sie die Impfangebote an. Lassen Sie beim Testen nicht nach und ermöglichen Sie, wo es möglich und sinnvoll ist weiterhin Home-Office.
    Wir appellieren an Arbeitgeber – wo immer dies möglich ist – ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern betriebliche Impfungen und Testungen anzubieten. Gleichzeitig appellieren wir an die Beschäftigten, die Impf- und Testangebote anzunehmen und so zu einer hohen Durchimpfungsrate und einem hohen Schutzniveau beizutragen.
    Wirksame Schutzimpfungen sind der Königsweg aus der Pandemie. Es stehen mehrere gute, sichere und wirksame Impfstoffe in zunehmenden Mengen zur Verfügung. Bis zum Erreichen einer hohen Durchimpfungsrate trägt ein breites Testangebot zur Erhöhung der Sicherheit vor Ansteckungen und Eindämmung der Pandemie bei.
    Wir wissen, dass Impf- und Testangebote für viele Unternehmen insbesondere eine organisatorische, aber auch eine finanzielle Belastung darstellen können. Für Beschäftigte ist es wichtig, eine gute und informierte Impfentscheidung freiwillig treffen zu können. Wir sind zuversichtlich, dass wir mit einer gemeinsamen Anstrengung der nationalen Impfkampagne zum Erfolg verhelfen und ein hohes Schutzniveau erreichen können. Damit leisten wir einen aktiven Beitrag zu einer Normalisierung des wirtschaftlichen und des privaten Lebens.“
    Quelle: Gewerkschaftsforum

    Kommentar dazu vom Gewerkschaftsforum: Jeglicher Kommentar erübrigt sich!

  7. Macron: Gesundheitspass für (fast) alle und Impfflicht für medizinisches Personal
    In ein paar Wochen sollen nur mehr Personen mit einem “Gesundheitspass” Zugang zu Einkaufszentren bekommen. Hinein darf, wer eine vollständige Impfung nachweisen kann oder einen aktuellen Test, der bestätigt, dass Königin oder König Kunde nicht mit dem Corona-Virus infiziert ist. Der PCR-Test wird aber bald nicht mehr kostenlos sein. Diejenigen, die ihren Status als “Gesunde” nachweisen müssen, müssen ihn selbst bezahlen. Außer sie sind doppelt geimpft.
    Ab 21. Juli ist der Nachweis von Impfungen – oder einem aktuellen, bald kostenpflichtigen Testergebnis – im “passe sanitaire” Voraussetzung für einen Besuch kultureller Veranstaltungen oder von Freizeitangeboten. Ab Anfang August gilt diese Vorgabe auch für Cafés, Restaurants, Einkaufszentren, Krankenhäuser, Altenheime und Zug- oder Busreisen “longue distance”.
    Ab 15. September dürfen alle Pflegekräfte und Angehörige des medizinischen Personals, die nicht geimpft sind, nicht mehr arbeiten und sie bekommen auch kein Geld mehr. Es wird Kontrollen geben, ob die Impfpflicht eingehalten wird, sowie Strafen, kündigte Macron in seiner gestrigen feierlichen Ansprache an die “lieben Compatriotes” an. Die Rede war wie so oft von Macrons Willen, Dynamik zu zeigen, und einer stärkeren Dosis Autorität gezeichnet.
    (…) Seine gestrige Ankündigung wirft viele Fragen auf. Ob und wie eine solche Verpflichtung zum Impfen und zu einem Gesundheitspass etwa mit der Verfassung zu vereinbaren ist? Macron plant einen neuen Gesetzesentwurf, der dem Conseil constitutionel vorgelegt werden sollte.
    Dazu kommen Fragen nach der praktischen Umsetzung. “Was mache ich, wenn eine Gruppe mit fünf Personen zu mir ins Café kommt und eine Person hat keinen Ausweis dabei, wie setze ich mich durch”, fragt ein Gastwirt. Wer kontrolliert in den Zügen den Gesundheitspass?…
    Quelle: Telepolis
  8. Bundesregierung muss Kritik an Atomwaffenverbotsvertrag revidieren
    Als Deutschland im April 2019 und im Juli vergangenen Jahres jeweils für einen Monat den Vorsitz des UN-Sicherheitsrates innehatte, warb Außenminister Heiko Maas (SPD) vor allem für die Abschaffung von Atomwaffen. Die Bundesregierung wolle “den Stillstand in der nuklearen Abrüstung überwinden”, hieß es damals aus dem Berliner Außenamt.
    Als dann aber im Januar dieses Jahres der größte Schritt seit Jahrzehnten hin zu einer atomwaffenfreien Welt gemacht wurde, indem mit dem Beitritt des 51. Mitgliedsstaats der UNO der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) in Kraft trat, war Deutschland nicht dabei und Heiko Maas schwieg (“Konkrete Abrüstungsverpflichtungen”).
    Der Grund ist einfach: Würde die SPD-Unions-Regierung den AVV unterzeichnen, müsste sie den Abzug von US-Atombomben anordnen, die auf dem rheinland-pfälzischen Fliegerhost Büchel für den Einsatz durch die Nato vorgehalten werden (80-mal Hiroshima in der Eifel).
    Das bestätigte Regierungssprecher Steffen Seibert im Oktober vergangenen Jahres freimütig. Man könne nicht ignorieren, dass nukleare Waffen von einigen Staaten weiterhin als Mittel der militärischen Auseinandersetzung betrachtet werden: “Solange das so ist (…), besteht aus unserer Sicht die Notwendigkeit zum Erhalt einer nuklearen Abschreckung vor.” Dies leiste die Nato.
    So offen wollen Vertreter der Bundesregierung ihre Ablehnung des AVV, der entgegen dem älteren Nichtverbreitungsvertrag (NVV) auf eine gänzlich atomwaffenfreie Welt abzielt, nicht immer begründen. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion erklärte die Bundesregierung, der AVV unterlaufe “die Bemühungen der Staatengemeinschaft um Abschluss und Inkraftsetzung ausstehender Zusatzprotokolle und um Universalisierung des heute maßgeblichen Verifikationsstandards”.
    Keine Schwächung der Rüstungskontrolle durch Verbotsvertrag
    Wie genau diese behauptete Unterminierung eines Zusatzprotokolls der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) zum NVV mit aussehen soll – das blieb ein Rätsel. Und tatsächlich musste die Bundesregierung diese wiederholt vorgebrachte Argumentation nun auf eine parlamentarische Frage der Linken-Obfrau im Auswärtigen Ausschuss, Sevim Dagdelen, hin revidieren…
    (…) Angesichts dieser Erkenntnisse könne die Bundesregierung “ihre Schauermärchen über angeblich schlechtere Kontrollstandards des Atomwaffenverbotsvertrags nicht aufrechterhalten”, sagte Dagdelen, gegenüber Telepolis. Die abrüstungspolitische Sprecherin der Linksfraktion ist sich sicher: “Die Ausflüchte der Bundesregierung zum Boykott des historischen Atomwaffenverbotsvertrages sind nichts als billige Täuschungsmanöver, um an der Politik der nuklearen Teilhabe in der Nato und der weiteren Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland festhalten zu können.”
    Daher bestehe ihre Fraktion – “wie der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung” – auf den Beitritt zu dem historischen Abrüstungsvertrag und dem Abzug der US-Atombomben aus Deutschland.
    Quelle: Telepolis
  9. Zwischen den Fronten des Kalten Kriegs
    Washington weitet vor Besuch der Bundeskanzlerin seine Chinasanktionen aus. Beijing startet Gegenmaßnahmen. Deutsche Firmen sehen ihr Chinageschäft bedroht.
    (…) Das neue Antisanktionsgesetz
    Noch größeres Aufsehen hat in deutschen Wirtschaftskreisen Chinas neues Antisanktionsgesetz erregt, das am 10. Juni beschlossen wurde. Sein wichtigstes Element besteht darin, dass es – darin dem Blocking Statute der EU nachempfunden, das diese zum ersten Mal 1996 verhängt und 2018 erneuert hat – Personen und Unternehmen in China untersagt, Zwangsmaßnahmen von Drittstaaten gegen die Volksrepublik umzusetzen. Demnach muss, wer etwa den derzeitigen US-Sanktionen Folge leistet, damit rechnen, in China vor Gericht gestellt und bestraft zu werden. Für deutsche Unternehmen bedeutet dies im Grundsatz, dass sie sich den US-Sanktionen verweigern müssten; dann hätten sie freilich mit Strafverfolgung in den Vereinigten Staaten zu rechnen. “Europäische Firmen drohen dadurch zum Spielball geopolitischer Machtpolitik zu werden”, lässt sich die stellvertretende Generaldirektorin des Unternehmerverbandes Business Europe, Luisa Santos, zitieren; letztlich könnten sie gezwungen sein, ihr Chinageschäft komplett aufzugeben. “Das Anti-Sanktionsgesetz ist die erwartbare, klare Antwort Chinas auf die jüngste US-amerikanische Sanktionspolitik”, urteilt der Präsident des Außenhandelsverbandes BGA, Anton Börner; man müsse “fairerweise sagen, dass die Chinesen im Grunde nichts anderes tun als die Europäer mit ihrer Blocking-Verordnung”. Börner dringt darauf, “die Spirale nicht weiter eskalieren zu lassen”.
    Quelle: German Foreign Policy
  10. Wieso verbreitet Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble Fake News über Russlanddeutsche und RT?
    Bundestagspräsident Wolfang Schäuble warnt in einem Interview mit der BILD-Zeitung vor dem Einfluss Russlands auf Russlanddeutsche. Diese bildeten “AfD-Hochburgen” und stünden unter dem Einfluss des “Propaganda-Senders” RT. Dabei hat eine Studie seine Behauptungen längst widerlegt.
    Wolfgang Schäuble (CDU), Präsident des Deutschen Bundestages, sieht nach eigenen Angaben Anzeichen, dass Russland den Wahlkampf in Deutschland gezielt beeinflussen wolle. In einem Interview mit dem Springerblatt Bild sagte der frühere CDU-Vorsitzende: „Über den TV-Sender Russia Today versucht Moskau, gezielt Deutsche mit russischen Wurzeln zu manipulieren.” Diese hätten früher konservativ gewählt. “Bezirke”, in denen Russlanddeutsche laut Schäuble leben, seien heute zu Hochburgen der AfD geworden. Bezüglich des “Propaganda-Senders” RT (In Schäubles Worten Russia Today) müsse man mit Russland ein “ernstes Wort” sprechen…
    n der Vergangenheit war es immer wieder zu Verdächtigungen gegen Spätaussiedler gekommen, beispielsweise im Spiegel. In einem Artikel von 2017 war mit Bezugnahme auf die Russlanddeutschen sowohl von einem sogenannten “Rechtsruck” als auch ihrem angeblichen “Hang zu Verschwörungstheorien” die Rede…
    Durch seine Äußerungen griff Schäuble nicht nur klischeehafte Vorstellungen über Russlanddeutsche auf. Er verbreitete auch bereits widerlegte Annahmen über das Wahlverhalten dieser sozialen Gruppierung.
    Quelle: RT

    Anmerkung unseres Lesers M.H.: Es ist einfach unglaublich, mit welcher Penetranz gewisse Einflußagenten –hier der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble! -, sich als Kalte Krieger wenige Wochen nach der 80. Wiederkehr des Überfalls auf die UdSSR hervortun.

    Der ach so christlich orientierte Unionspolitiker hat diesen traurigen, geschichtlichen Anlass genutzt, um eine Gedenkveranstaltung im Deutschen Bundestag zu verhindern. Anstatt für Frieden und gute Nachbarschaft zu werben, so wie es Willy Brandt einmal gemacht hat, müssen Propagandameldungen aus Berlin die Welt verschmutzen; aber das politische Berlin kennt es ja nicht anders und auch ein Herr Schäuble ist offenbar geschichtsvergessen.

    Eine Friedenspolitik und eine Generationengerechtigkeit sieht jedenfalls völlig anders aus Herr Bundestagspräsident!

  11. OPCW-Bericht deckt deutsche Lügen im Fall der angeblichen Vergiftung von Nawalny auf
    Vom 6. bis zum 9. Juli fand eine Tagung der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) statt, bei der der Jahresbericht der Organisation präsentiert wurde. Er enthält schwarz auf weiß die Bestätigung dafür, dass die Bundesregierung bei der angeblichen Vergiftung von Nawalny gelogen hat.
    Vom 6. bis zum 9. Juli hat die OPCW den Mitgliedsländern ihren Jahresbericht für 2020 vorgelegt. Dieser Bericht enthält nicht nur den Beweis dafür, dass die deutsche Regierung in Sachen „Nawalny-Vergiftung“ gelogen hat, er beweist auch, dass die Bundesregierung von Nawalnys angeblicher Vergiftung mit einem chemischen Kampfstoff wusste, bevor Nawalny vergiftet wurde.
    In dem ersten Kapitel des Berichts (Überprüfungen) kann man unter Punkt 1.41 (Technische Unterstützung für ein Mitgliedsland) lesen:
    „Auf Ersuchen Deutschlands entsandte das Sekretariat am 20. August 2020 ein Team zur Durchführung eines technischen Unterstützungsbesuchs (TAV) im Zusammenhang mit der vermuteten Vergiftung eines russischen Staatsbürgers. Der TAV beschränkte sich auf die Entnahme von biomedizinischen Proben. Die Proben wurden an zwei von der OPCW benannte Labore geschickt…
    Die Ereignisse vom 20.August 2020
    Nawalny ist am 20. August 2020 in einem russischen Flugzeug zusammengebrochen und nach einer Notlandung in ein russisches Krankenhaus in Sibirien gebracht worden. Das Team von Nawalny hat in sozialen Medien sofort von einer angeblichen Vergiftung berichtet, obwohl zu dem Zeitpunkt noch gar nichts bekannt war. Selbst wenn aber an dem Tag bereits eine Vergiftung mit einem chemischen Kampfstoff bekannt gewesen wäre, hätte Deutschland erst nach der Einlieferung Nawalnys in das russische Krankenhaus eine Bitte um Unterstützung an die OPCW schicken können. Das bedeutet, das wäre gegen Mittag des 20. August gewesen.
    Das ist in der Realität kaum möglich, denn solche Anfragen müssen von Fachleuten geschrieben werden, das geht nicht in fünf Minuten. Aber selbst, wenn – Nehmen wir an, Deutschland hätte seine Anfrage schon gegen Mittag fertig gehabt und abgeschickt. Die OPCW hätte sie bearbeiten müssen, so etwas dauert Tage. Aber selbst, wenn – Nehmen wir an, die OPCW hätte das in einer Stunde erledigt. Dann muss aber immer noch ein Team von Spezialisten zusammengestellt und auf die Reise geschickt werden, die sitzen ja nicht auf Abruf in der Kantine der OPCW bereit.
    Trotzdem berichtet die OPCW, sie habe das Team bereits am 20. August 2020 nach Berlin geschickt.
    Wie kann das sein?
    Dafür gibt es nur eine plausible Erklärung: Man wusste in der deutschen Bundesregierung schon Tage (oder noch länger?) vor der angeblichen Vergiftung Nawalnys davon und hat auch das Technische Sekretariat der OPCW bereits vorher informiert, sodass das Team am 20. August bereitstand und nach Berlin geschickt werden konnte, um auf Nawalny zu warten…
    Quelle: Anti-spiegel
  12. Ungarische Aufrüstungspolitik
    Deutschland als zentraler Partner
    (…) Während sich deutsche Politiker*innen in der Rolle der Verteidiger*innen der Rechte von homo- und transsexuellen Menschen sonnen – unabhängig davon, wie ihre konkrete Politik aussieht–, sind die deutsche Rüstungsindustrie und die Bundeswehr zentrale Partner der ungarischen Armee, die sich aktuell in einem historischen Modernisierungs- und Aufrüstungsprozess befindet.
    Zrínyi 2026 – Programm zur Aufrüstung
    Seit 2017 betreibt Ungarn ein massives militärisches Aufrüstungsprogramm mit dem Titel “Zrínyi 2026”. Mit einem Neunjahresplan sollen die ungarischen Streitkräfte (Magyar Honvédség) von einer Armee auf dem Stand der Warschauer-Pakt-Staaten in den 1980er Jahren auf das Niveau einer hochmodernen NATO-Armee katapultiert werden. Nach rund 15 Jahren der Schrumpfung soll die Armee wieder um fast 10.000 Soldat*innen auf dann knapp 40.000 anwachsen. Zudem wird aktuell eine Reserve aufgebaut, die künftig 20.000 Dienstposten umfassen soll.
    Neben dem Umbau der Führungsstrukturen und der Anpassung der Ausbildung wurden auch diverse Gesetze mit Bezug zum Militär geändert. Darunter auch eine Verschiebung der Befugnisse.
    Nach einer durch die „Flüchtlingskrise“ 2015 motivierten Gesetzesänderung von 2017 ist es explizite Aufgabe der ungarischen Armee, auch für den Grenzschutz und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, sprich für Polizeiaufgaben, bereitzustehen.
    Die zusätzlichen Finanzmittel aus der geplanten Verdopplung des Rüstungshaushalts – auch Ungarn strebt das 2%-Ziel der NATO an – sollen maßgeblich in die vollständige Modernisierung des gesamten Materials der Streitkräfte investiert werden. Von der Uniform über Handwaffen und Fahrzeuge bis hin zu Panzern, Flugzeugen und Flugabwehrsystemen soll künftig alles den neusten NATO-Standards entsprechen. Entscheidender Partner für diese massiven Aufrüstungsbestrebungen, insbesondere im Bereich der Landstreitkräfte, ist Deutschland. 2019 schaffte es Ungarn sogar auf der Liste der Staaten mit den höchsten Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter aus Deutschland den ersten Platz zu belegen.
    (…) Übergeben wurden die ersten von insgesamt 56 deutschen Leopard 2 Kampfpanzern, die Ungarn 2019 bei der deutschen Rüstungsschmiede Krauss-Maffei Wegmann (KMW) bestellt hatte. Teil des Pakets waren zudem 24 Panzerhaubitzen 2000, die wie die Leopardpanzer ebenfalls von der Bundeswehr genutzt werden.
    Seit 2018 sind Rüstungsbestellungen aus Ungarn im Wert von deutlich über vier Milliarden Euro bei deutschen Rüstungskonzernen eingegangen. Darunter der besagte Panzerdeal, eine weitere Bestellung von 218 Schützenpanzern des Typ Lynx von Rheinmetall, die Order für 20 Hubschrauber des Typs H145M von Airbus Helicopters, die im bayrischen Donauwörth gefertigt werden, sowie weitere kleinere und mittlere Aufträge.
    Diverse Rüstungsdeals im Rahmen von “Zrínyi 2026” gehen damit einher, dass europäische Rüstungsfirmen Produktionsstätten in Ungarn aufbauen. Die ungarische Regierung will damit neben den Streitkräften auch die heimische Rüstungsindustrie modernisieren…
    Quelle: IMI
  13. Demonstrationen und Gegen-Kundgebungen in Kuba
    Schwierige Versorgungslage führt zu Unmut. Proteste aber auch Solidaritätsdemonstrationen in mehreren Städten. Präsident sucht Gespräche vor Ort
    Havanna. Am vergangenen Sonntag hat es um die Mittagszeit in der kubanischen Gemeinde San Antonio de los Banos nahe Havanna Proteste gegeben. Offensichtlich machten sich damit Frustration und Unmut Luft über die sich deutlich verschlechternde Versorgungslage und den derzeitigen Rekordanstieg von Covid-Infektionen mit der neuen Delta-Variante.
    Die Wirtschaft schrumpfte letztes Jahr um 10,9 Prozent und bis Juni 2021 um zwei Prozent. Die daraus resultierende Geldknappheit hat zu Engpässen geführt, die die Kubaner häufig zwangen, stundenlang für grundlegende Güter…
    Der Staatspräsident und erste Sekretär der kommunistischen Partei Kubas, Díaz-Canel suchte umgehend das Gespräch mit den protestierenden Bürgern in San Antonio gemeinsam mit weiteren Vertretern der Regierung und lokalen Funktionsträgern. Im Fernsehen wurde gezeigt, wie zahlreiche Bewohner mit kubanischen Fahnen den Präsidenten auf seinem Rundgang durch die Straßen dieser Stadt begleiteten und unterstützten. Das Staatsoberhaupt tauschte sich mit der Bevölkerung über die Vorfälle vom Sonntag und ihre Sorgen und Probleme aus. Wie es hieß, rief Díaz-Canel dazu auf, ruhig zu bleiben und sich nicht provozieren zu lassen. “Wir werden nicht zulassen, dass irgendein abgehalfterter Konterrevolutionär, der Geld von US-Agenturen erhält, Destabilisierung im Land verursacht“, betonte der Präsident.
    Im Anschluss wandte er sich in einer landesweit übertragenen Fernsehansprache an die Bevölkerung. Diaz-Canel sagte, viele der Demonstranten seien aufrichtig, und er verstehe ihren Unmut über die schwierige Versorgungslage. Aber manche Aktivitäten seien direkt und mittelbar provoziert worden durch orchestrierte Kampagnen in den sozialen Medien und durch “Söldner” vor Ort, die von den USA nachweislich unterstützt und gesteuert würden. “Diejenigen, die diese Demonstrationen fördern, wollen nicht das Wohlergehen des Volkes, sondern die Privatisierung von Gesundheit und Bildung, den Neoliberalismus”, erklärte der Präsident und bezeichnete die Anstiftung zu dieser Art von Unruhen unter den Umständen der Pandemie als “Grausamkeit”. Er warnte, dass weitere “Provokationen” nicht toleriert würden, und rief die Mitglieder der kommunistischen Partei, die Basisorganisationen und die Bevölkerung auf, sich den Provokationen entgegenzustellen, wo immer sie auftauchen würden. Tausende folgten dem Aufruf im ganzen Land.
    Indes warnten Spitzenbeamte der USA die Regierung Kubas vor einem gewaltsamen Vorgehen gegen die Demonstranten…
    Die Vorsitzende des Netzwerks Cuba in Deutschland, Angelika Becker, verwies darauf, dass im Zuge der immensen sozioökonomischen Probleme durch die Covid-Pandemie in allen Staaten eine Krise, und in den USA sogar gewaltsame Proteste aufkamen. Doch Probleme in Kuba würden zusätzlich durch die andauernde und verschärfte US-Blockade sowie wegen der Subversion gegen Kuba in massiver und unerträglicher Weise eskaliert. “Und daher sind diese aktuellen Proteste und Kundgebungen in Kuba eigentlich gegen die US-Regierung und ihre brutale, völkerrechtswidrige Blockade gerichtet, mit der die fundamentalen Menschenrechte der elf Millionen Kubaner und das Existenzrecht des sozialistischen Kuba verletzt werden.” Bundesregierung, Europäische Union und Vereinte Nationen hätten nach ihrer Einschätzung bislang nichts spürbar gegen diese andauernden US-Aggressionen unternommen.
    Quelle: Amerika 21
  14. Geplünderte Supermärkte, brennende Barrikaden
    In einigen Provinzen Südafrikas herrscht nach der Inhaftierung des früheren Präsidenten Jacob Zuma Ausnahmezustand. Präsident Cyril Ramaphosa hat angekündigt, das Militär einzusetzen. Das könnte die Lage weiter eskalieren.
    (…) Staatspräsident Cyril Ramaphosa kündigte in einer kurzfristig angesetzten Fernsehansprache an die Nation am Montagabend an, das Militär zur Unterstützung der völlig überforderten Polizei einzusetzen. Es seien öffentliche Gewalttaten, „wie sie sich in der Geschichte unserer Demokratie selten ereigneten“. Der 79 Jahre alte frühere Präsident Zuma ist vom Verfassungsgericht in der vorvergangenen Woche wegen Missachtung der Justiz zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt worden…
    Ultimatum von Zumas Tochter
    Viele Menschen konnten wegen der chaotischen Lage und aus Sicherheitsgründen nicht zur Arbeit gehen. Einige Anwohner in den betroffenen Regionen berichteten, die Polizei sei kaum zu sehen gewesen. Es ging das Gerücht um, die Polizei unterstütze die Proteste indirekt durch Untätigkeit. In den Medien hingegen gab es Aufnahmen von Polizisten, die mit Gummigeschossen gegen Protestierende vorgingen.
    Eine Tochter Zumas sowie Anhänger des früheren Staatspräsidenten hatten die Proteste auf Twitter zusätzlich angeheizt. „Ramaphosa, wir geben dir drei Tage, um Zuma freizulassen“, schrieb die 37 Jahre alte Duduzile Zuma. „Das Land wird sonst niederbrennen, ich verspreche es.“ Später schrieb sie, sie werde ihren Vater auch in dunkelsten Zeiten unterstützen. Die Interims-Generalsekretärin der Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress, Jessie Duarte, verurteilte die Aussagen. Duduzile Zuma und die anderen müssten die Tweets und ihr Ziel erklären.
    Ein Ende der Ausschreitungen ist derzeit nicht in Sicht. Auf Twitter hatten Gruppen für Dienstag und Mittwoch einen „massiven Streik und Shut-Down“ in mehreren Städten in der Provinz Ostkap angekündigt…
    Derweil laufen die Verhandlungen vor dem Verfassungsgericht über Zumas Gefängnisstrafe weiter. Seine Anwälte hatten nach Verkündung des Urteils einen Antrag auf Aufhebung der Strafe gestellt, den das Verfassungsgericht zur Überraschung einiger Rechtfachleute angenommen hatte. Die Anwälte argumentierten, angesichts des fortgeschrittenen Alters und des Gesundheitszustands werde der frühere Staatspräsident die Haft nicht überleben.
    Quelle: FAZ
  15. Wie Kleinparteien klein gehalten werden
    Getroffen hat es 43 Kleinparteien ganz unterschiedlicher Ausrichtung, als der Bundeswahlausschuss vergangene Woche entschied, wer die formellen Voraussetzungen erfüllt, um zur Bundestagswahl anzutreten und wer nicht. Der konservativen Zentrumspartei half es nicht, dass sie nach eigenen Angaben die älteste Partei Deutschlands ist – sie wurde genau wie die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) nicht zur Wahl zugelassen; die ultrarechten Republikaner (REP) ebenfalls nicht – dafür schaffte es unter anderem die offen neofaschistische Kleinpartei “Der III. Weg”.
    Da die Fünf-Prozent-Hürde für die meisten Kleinparteien kurz- und mittelfristig unüberwindbar scheint, ist für Außenstehende schwer nachvollziehbar, warum sie überhaupt Wert auf die Teilnahme an der Bundestagswahl legen, und – wie aktuell die DKP – gegen ihre Nichtzulassung vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Erst einmal bekannter zu werden, sich stärker in der Zivilgesellschaft zu verankern und sich für den Umgang mit bürokratischem Klein-Klein coachen zu lassen, wäre schließlich auch eine Option – wenn die Entscheidung nicht viel weitreichendere Folgen hätte, als im Herbst auf ein voraussichtlich sehr bescheidenes Wahlergebnis verzichten zu müssen.
    Finanzielles Desaster und Verlust eines Schutzstatus
    Denn die Nichtzulassung bedeutet eben auch den Verlust des Parteienstatus, der das Überleben der Kleinparteien als politische Organisationen sichern hilft…
    Für die Organisationen selbst ist der Parteienstatus wichtig, um sichtbar zu bleiben und ihre Reichweite zu erhöhen – des halb spricht die DKP von einem “kalten Parteiverbot”, obwohl sie weiß, dass sie bei der Bundestagswahl im September keine realistische Chance auf Mandate gehabt hätte. Theoretisch könnte eine Partei, die aktuell keine Chance hat, bei der übernächsten Wahl den Nerv der Zeit treffen, wenn ihre Arbeit bis dahin nicht erschwert würde. Bei Wahlergebnissen ab 0,5 Prozent hätten sie immerhin Anspruch auf staatliche Zuschüsse von 0,83 Cent pro Stimme.
    Eher ständisches Instrument als demokratischer Schutzwall
    Für die meisten Wahlberechtigten ist es aber auch wichtig, ihre Stimme nicht zu “verschenken”, wenn sie die Partei wählen, mit deren Programm sie sich am ehesten identifizieren können. Die Entscheidung, für eine Partei zu stimmen, die laut Umfragen realistische Chancen hat, im nächsten Bundestag vertreten zu sein, ist daher nicht immer “erste Wahl”. Die Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien ist groß; auch wenn sie sich weigern, den hohen Anteil der Nichtwählerinnen und Nichtwähler als Indiz dafür zu sehen…
    Für die Nichtzulassung der DKP hatten allerdings alle im Bundeswahlausschuss vertretenen Parteien mit Ausnahme der Grünen gestimmt – auch Die Linke beziehungsweise deren Vertreterin Constanze Portner. Begründet wurde die Entscheidung mit nicht fristgerecht abgegebenen Rechenschaftsberichten…
    Allerdings erklärten mittlerweile sowohl einzelne Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke, darunter Ulla Jelpke und Andrej Hunko, als auch die Kommunistische Plattform der Partei ihre Solidarität mit der DKP.
    Quelle: Telepolis
  16. Katja Kipping und ihre Liebe zum Sturmgeschütz des Neoliberalismus
    Die ehemalige Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, sieht sich bemüßigt, bei ihrer Kritik an Negativzinsen für Bankguthaben die Europäische Zentralbank (EZB) ausdrücklich in Schutz zu nehmen. Diese erstaunlich naive Zuneigung zu einem Sturmgeschütz des Neoliberalismus in Europa ist leider nicht untypisch für Linkspolitiker.
    Negativzinsen seien Diebstahl, hatte Kipping provokant getwittert und diese Provokation dann zum Thema einer längeren Kolumne auf dem Nachrichtenportal n-tv.de gemacht. Darin betont sie, dass ihre Kritik sich nicht auf die EZB erstrecke, die diesen Trend zu Negativzinsen auf Bankeinlagen herbeigeführt hat. Schon indem sie schreibt, „die Negativzinsen, die Banken gegenüber Privaten erheben, hängen auch mit der Niedrigzinspolitik beziehungsweise Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zusammen“, relativiert sie die Rolle der EZB. Es gibt keinen in seiner Bedeutung vergleichbaren zweiten Grund für die Negativzinsen. Das „auch“ ist beschönigend. Weiter schreibt sie:
    „Rein ökonomisch betrachtet dient die Niedrigzinspolitik in Zeiten einer wirtschaftlichen Krise dazu, Unternehmen und öffentlichen Haushalten Anreize zu geben, Geld zu investieren anstatt anzulegen. Und diese Investitionen beziehungsweise Ausgaben können die schwächelnde Wirtschaft ankurbeln. Diese Politik ist richtig und notwendig.“
    Das mit den Anreizen für Unternehmen und öffentliche Haushalte zu investieren ist im Prinzip richtig, aber es ist nur eine Nebenwirkung der Niedrigzinsen, jedenfalls wenn man „investieren“ als „investieren in Produktionsanlagen“ versteht. Es gibt noch eine andere Bedeutung von investieren, die bei dieser gebräuchlichen Rechtfertigung der EZB-Politik ausgeblendet wird, nämlich Finanzanlagen in Aktien, Anleihen, Immobilien, Gold, Kunst, Bitcoin etc. (…)
    Man braucht aber nicht einmal solche volkswirtschaftlichen Zusammenhänge zu durchdringen, um zu sehen, dass die EZB eine Feindin der Arbeitnehmerinteressen ist. Nachdem sie nichts getan hatte, die gefährliche Immobilienblase in Spanien, Griechenland, Italien, Irland und anderen Ländern zu verhindern, tat sie alles, um dafür zu sorgen, dass die Banken teuer vom Staat gerettet wurden und dass den Arbeitnehmern die Kosten in Form von Rentenkürzungen, zusammengestrichenen Sozialleistungen und Abbau von Arbeitnehmerrechten aufgebürdet wurden.
    Regierungen, die das nicht mitmachen wollten, erpresste die EZB, indem sie entweder ihren Banken den Geldhahn zudrehte (Griechenland), damit drohte (Irland), oder indem sie den Regierungen brieflich androhte, deren Anleihen von EZB-Kaufprogrammen auszunehmen und dadurch einen Käuferstreik der Anleiheinvestoren zu provozieren, der diese Regierungen in den Ruin getrieben hätte.
    Schön, dass Katja Kipping so besorgt ist, diese Institution von jeglicher Kritik freizuhalten. In eine Linke, die zwar eine sozialere Politik fordert, aber davor zurückscheut, eine der mächtigsten Verhinderer sozialer Politik in Europa zu kritisieren, braucht man keine Hoffnung zu setzen.
    Quelle: Norbert Häring
  17. Grüne Lügen
    Wer das Klima retten will, muss auch die Systemfrage stellen
    (…) Es ist der ganz normale Wahnsinn in einer Welt, in der die kapitalistische Produktionsweise vorherrschend ist. Auf der Suche nach Profiten bohren Konzerne tief in die Erde, suchen nach seltenen Metallen, verbrauchen Unmengen an Wasser, roden Wälder oder verpesten den Boden. Staaten und Unternehmen treten dabei in unterschiedlichem Maße aggressiv auf, doch im Grunde arbeiten sie nach dem gleichen Prinzip: Es muss sich lohnen. Und solange es sich lohnt, im Meer nach Gas oder Öl zu bohren, wird auch weitergebohrt, wird es weiter zu Unfällen kommen.
    Seit einigen Jahren jedoch – und durch die globale Klimabewegung beschleunigt – kommen immer mehr zu der Einsicht, dass diese Art Kapitalismus, die auf fossilen Brennstoffen beruht, nicht ewig überlebensfähig ist…
    Es ist der rationale Teil eines ansonsten irrationalen und anarchischen Systems. Um weiter Profit zu machen, kommen Unternehmen nicht darum herum, sich mindestens grün zu geben, wenn nicht gar tatsächlich ihre Produktion umzustellen. Denn sobald sich der Kampf um die endlichen Ressourcen zuspitzt, möchte niemand das Nachsehen haben…
    Dennoch haben weder einzelne Unternehmen noch einzelne Konsumentinnen die Möglichkeit, durch eigene Entscheidungen an diesem System etwas zu verändern. Solange es Abnehmer für Erdöl oder Schweineschnitzel gibt, wird es einen Markt geben, der diesen Bedürfnissen nachkommt. Erst wenn kollektiv entschieden würde, darauf weitgehend zu verzichten, bliebe das Öl in der Erde oder die Massentierhaltung wäre abgeschafft. Das ist allerdings unrealistisch in einer Welt, die nicht gerade auf kollektiven und rationalen Entscheidungen fußt, sondern auf den Interessen einiger weniger.
    Wirklich klimaneutral zu werden, würde für die Industriegesellschaften einen massiven Umbau der Industrie, der Energiegewinnung bedeuten, ein Umdenken in der Landwirtschaft, im Verkehr, beim Wohnen und in unserer ganzen Lebensweise. Wer glaubt, diese Mammutaufgabe den Marktkräften überlassen zu können, glaubt auch an den Trickle-Down-Effekt. In Wahrheit ist es jedoch so, dass jede soziale wie klimapolitische Errungenschaft im Kapitalismus hart erkämpft werden muss…
    Einen Kapitalismus, der nicht seine eigenen Grundlagen irgendwann untergräbt, gibt es nicht. Deshalb ist der grüne Kapitalismus ein Widerspruch in sich, wenn er nicht nur bedeuten soll, grün angemalt zu werden. Wenn grün wirklich nachhaltig und überlebensfähig bedeuten soll, dann ist das im Kapitalismus nicht zu machen, selbst wenn wir die fossilen Brennstoffe hinter uns lassen sollten…
    Naomi Klein stellte uns deshalb schon 2016 vor die Entscheidung: Kapitalismus versus Klima. Ihre Zuspitzung baut auf der Tatsache auf, dass wir das Klima und damit uns nur retten können, wenn wir uns gegen den Kapitalismus stellen. Nicht plump, sondern mit einem Plan, der die bestehenden Ressourcen besser einsetzt und trotzdem die Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum stellt. Wie diese Vision heißt, ist nachrangig. Ihr muss die Einsicht vorangestellt sein, dass der grüne Kapitalismus eine Lüge ist….
    Quelle: Der Freitag
  18. Droht den Sozialdemokraten das Schicksal der Dinosaurier, Professor Schroeder?
    Die SPD hat derzeit einen schweren Stand, und in anderen Ländern ist die Lage der Sozialdemokratie kaum besser. Gibt es überhaupt noch Hoffnung für die Genossen? Wir fragen den Parteienforscher Wolfgang Schroeder – und er glaubt: ja!
    Bei der Bundestagswahl vor vier Jahren schafften es die Sozialdemokraten mit Ach und Krach über die Zwanzig-Prozent-Marke. Es war das schlechteste Ergebnis für die Bundes-SPD überhaupt und die aktuellen Umfragen deuten nicht darauf hin, dass die Wahl am 26. September für sie zu einem strahlenden Wiederaufstiegserlebnis werden könnte. Die Landtagswahlen der vergangenen Monate gaben hingegen ein gemischtes Bild ab: Zwei endeten desaströs für die SPD: In Baden-Württemberg, einem der dynamischsten Wirtschaftsstandorte Deutschlands, erhielt die SPD lediglich elf Prozent der Stimmen und in Sachsen-Anhalt stürzte die Partei auf 8,4 Prozent ab. In Niedersachsen, Hamburg und Rheinland-Pfalz dagegen konnten die Sozialdemokraten ihren Platz an der Regierungssonne verteidigen; der Amtsbonus von Ministerpräsidentin Malu Dreyer und deren persönliches Ansehen zahlten sich aus. Ansonsten haben Sozialdemokraten im Moment allerdings einen schweren Stand. Und das in vielen europäischen Ländern.
    In Frankreich und in den Niederlanden, zum Beispiel, ist nicht mehr viel geblieben vom früheren Glanz, mögen die Sozialisten bei den französischen Regionalwahlen auch ein Lebenszeichen von sich gegeben haben. Die niederländische Partei der Arbeit ist zur Kleinpartei unter vielen anderen Kleinparteien geschrumpft. Zugleich gibt es regionale Ausnahmen, die sich durchaus sehen lassen können: Auf der Iberischen Halbinsel und in Skandinavien gehören die Sozialdemokraten weiterhin zu den führenden politischen Kräften und stellen das leitende Regierungspersonal. In Schweden allerdings haben sie längst nicht mehr die hegemoniale Stellung von einst inne.
    Dass die SPD nach der Bundestagswahl den Kanzler stellt, glauben nach den jüngsten Erfahrungen und angesichts der aktuellen Stimmungslage vermutlich nicht einmal die treuesten Parteiloyalisten. Setzt sich der Abstieg der deutschen Sozialdemokratie also fort? […]
    Es ist ein vielschichtiges Bild, das Wolfgang Schroeder, Spezialist für das politische System der Bundesrepublik an der Universität Kassel, zeichnet. Da sind die – über Deutschland hinausgreifenden – sozialstrukturellen Veränderungen, welche die traditionelle Basis angegriffen haben. Gleichzeitig habe sich die Sozialdemokratie nach dem Krieg als fähig erwiesen, sich an neue sozialstrukturelle Bedingungen anzupassen und neue soziale Gruppen in die Wählerbasis einzuweben. „Das hat eine Metamorphose der eigenen Klientel und die Einbettung neuer Gruppen ermöglicht.“ Gleichwohl sei der alte Markenkern der SPD geschrumpft: Es habe eine Verschiebung der materiellen, verteilungspolitischen Themen, die in der Achse Staat/Markt angelegt seien, hin zu der Achse autoritär/libertär, materiell/postmateriell gegeben – und damit „ist eine strukturelle Schwächung sozialdemokratischer Anziehungen und Attraktivitäten einhergegangen“. Womit wir bei dem Spagat zwischen alter und neuer SPD angelangt wären.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Auf vier Seiten Gerede von “sozialstrukturellen Bedingungen”, “es gibt keine klassischen Arbeiter mehr”, “Verschiebung von materiellen zu postmateriellen Themen”, aber tatsächlich keine einzige Andeutung davon, dass die SPD einen harten neoliberalen Schwenk vollzogen und ihre eigene Klientel verraten hat – dass der Abstieg der SPD von ihr selbst verursacht wurde. Im ganzen Text wird die “Agenda 2010” nicht einmal *erwähnt*, als wäre sie unwichtig und als hätte der drastische Absturz in den Umfragen nicht schon unter Schröder begonnen, und zwar im direkten Zusammenhang mit der Agenda 2010. Ja, Schröder hat bei der BTW 2005 noch mal gute 34,2 Prozent geholt, aber nur, weil mit Merkel eine noch radikalere Verschärfung des neoliberalen Kurses drohte. Kein Wort zur “Rente mit 67”, die Müntefering 2007 eingeführt hat; kein Wort zu den herben Rentenkürzungen seit 2001. Spätestens Kurt Becks Rücktritt als Parteichef (2008) und mit Steinmeiers 23 Prozent bei der BTW 2009 war der Abstieg der SPD besiegelt, aber kein Wort zu den Ursachen. Diese Pseudo-Analyse, die alles Wesentliche verdrängt, ist wertlos. Und im Übrigen sind die Dinosaurier infolge eines Meteoriteneinschlags ausgestorben, während im Gegensatz dazu die SPD sich mit ihrer neoliberalen Wende das eigene Grab geschaufelt hat, auch wenn dieser Professor Schroeder das nicht wahrhaben will.


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