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Titel: Der Spiegel kritisiert Lisa Fitz und stolpert dabei über seine eigenen Füße

Datum: 24. Dezember 2021 um 12:00 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
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Der Spiegel „berichtet“ über einen von den Medien kritisierten Auftritt von Lisa Fitz und versucht dabei, der Kabarettistin zu erklären, was sie darf und was nicht – dumm dabei ist: Florian Diekmann, der Verfasser der „Meldung“, verletzt dabei selbst journalistische Regeln. Die Grenze zwischen Meldung und Kommentar ist aufgelöst, Einseitigkeit ersetzt Ausgewogenheit. Von Marcus Klöckner.

Lesen Sie dazu bitte auch: Eine lesenswerte Leserzuschrift zur Kampagne gegen Lisa Fitz

Der Spiegel setzt sich in einem Beitrag, der nicht namentlich gekennzeichnet ist, mit einem aktuellen Auftritt von Lisa Fitz auseinander. Unter dem „Beitrag“, der als „Bericht“ oder als „Meldung“ angelegt ist, findet sich das Namenskürzel des Verfassers, „fdi“. „fdi“ steht, wie ein Blick ins Impressum verrät, für Florian Diekmann.

Unter der Überschrift „Lisa Fitz verbreitet falsche Zahlen zu Corona-Impftoten – SWR spricht von Meinungsfreiheit“ schildert der Redakteur, was sich im Hinblick auf den Auftritt der bayerischen Kabarettistin zugetragen hat.

Kurz: Fitz war in dem Comedyformat „Spätschicht“, das der SWR am 10. Dezember ausstrahlte, aufgetreten. Dabei hatte sie sich kritisch zur Corona-Impfung geäußert und unter anderem gesagt, in der EU sei der Impfstoff für 5.000 Menschen tödlich gewesen.

Die Zahl geht letztlich auf den Sicherheitsreport der europäischen Arzneimittelagentur EMA zurück, die Verdachtsfälle über Impfnebenwirkungen und Todesfälle sammelt. Derzeit heißt es etwa, dass für die Impfstoffe von BioNTech und Pfizer 471.824 Verdachtsfälle gemeldet sind. Die Betonung liegt auf: „Verdachtsfälle“. Das heißt: Ob sich der Verdacht in all diesen Einzelfällen erhärtet, ist derzeit nicht bekannt. Fitz hatte also den Fehler gemacht, die Zahl der 5.000 Verdachtstodesfälle als tatsächliche „Todesfälle“ zu bezeichnen.

Das darf man der Kabarettistin ankreiden – wenn man denn unbedingt der Überzeugung ist, auch Kabarettisten müssten so akkurat inhaltlich vortragen wie Journalisten, die zu einer wahrheitsgemäßen Berichterstattung durch ihr Berufsethos verpflichtet sind. Das politische Kabarett lebt von dem geistreichen Zusammenspiel zwischen der Kritik an Missständen und der Art und Weise, wie der Kabarettist vorträgt, das heißt: Gelingt es ihm durch Mimik, Gestik, Semantik, ja auch durch die Tonalität, kurzum, sein komplettes Auftreten, seine kritischen Botschaften an die Zuschauer zu bringen? Darum geht es.

Ob bei kabarettistischen Auftritten der Inhalt immer zu 100 Prozent sitzt, ob jede Information „wahr“ ist und einer knallharten „Faktenprüfung“ standhält, sollte eigentlich eher Nebensache sein. Ob es 5.000 tatsächliche Impftote oder 5.000 Verdachtsfälle im Zusammenhang mit der „Corona-Impfung“ gegeben hat, ist in dem veranschlagten Kontext gar nicht so wichtig. Fitz wollte einen Punkt machen, der lautet: Die Impfung ist gefährlich! Und dieser Ansicht darf man sein – selbst wenn man nur die offiziellen Zahlen betrachtet.

Wer meint, man müsse an das politische Kabarett journalistische Maßstäbe anlegen, ist vermutlich auch der Auffassung, dass bei einem Kinderspiel das Kind im „Kaufladen“ eine „falsche“ Rechnung ausgestellt habe, weil diese den formalen Vorgaben, wie sie die Finanzbehörden verlangen, nicht erfülle.

Der Spiegel jedenfalls kritisiert Fitz mit den Worten, sie habe „eine unhaltbare und von den Fakten nicht gedeckte Falschinformation“ verbreitet.

Festzustellen ist: Der Verfasser kann knallhart kritisieren. Aber wie sieht es im Hinblick auf jene Maßstäbe aus, die er selbst als Journalist einhalten sollte?

Die „Meldung“ beginnt mit den folgenden Zeilen:

Mit einiger Verspätung gerät der Südwestrundfunk (SWR) wegen eines Auftritts der Kabarettistin Lisa Fitz in der Comedysendung »Spätschicht« unter Druck. Fitz hatte in der bereits am 10. Dezember im SWR ausgestrahlten Ausgabe behauptet, allein in der EU seien »die Folgen durch die Covid-19-Impfstoffe« für 5000 Menschen tödlich gewesen.

Schon in den ersten Sätzen hätte eine redaktionelle journalistische Qualitätsprüfung eingreifen müssen. „Mit einiger Verspätung“? Und: „ (…) hatte bereits (…)“. Schmuggelt hier etwa der Redakteur seine Meinung gleich zu Beginn der „Meldung“ in den Beitrag? Wenn ein Zug anstatt um 11 Uhr um 12 Uhr im Bahnhof ankommt, lässt sich feststellen, dass der Zug objektiv verspätet eingetroffen ist. Aber im Zusammenhang mit den Aussagen einer Kabarettistin (die sich auf verschiedene Weise bewerten lassen), die offensichtlich von einigen Journalisten als kritikwürdig betrachtet werden, in einer Meldung zu schreiben, „mit einiger Verspätung“ und „bereits“ ist entlarvend.

Hier schiebt sich unter dem Gewand eines nachrichtlichen Beitrags die Ansicht des Redakteurs in den Text. Zwar lässt sich die Auffassung vertreten, dass der SWR „verspätet“ reagiert“ hat und das Adverb „bereits“ gebraucht werden sollte – nur eben in einem Kommentar und nicht in einer sauberen journalistischen Meldung. Zum Schluss der „Meldung“ wird deutlich, wie sehr das Format aufgebrochen und durch Meinung aufgeladen wird.

Mit der Meinungsvielfalt kann man also durchaus die meisten Aussagen von Lisa Fitz in der jüngsten »Spätschicht« verteidigen. Etwa das Geraune über die »ein Prozent Panikmacher, die 99 Prozent Lemminge steuern« – gegen die Wissenschaftler gerichtet, die vor den Corona-Gefahren warnen. Oder das Bild der Impfpflicht als »feuchter Traum der Pharma« – was im Kontext schon sehr nach bezahlter Politik klingt. Oder die Verballhornung der nächsten »Zombie-Variante«, die dann vielleicht aus »Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan und Dingswasweißichdann« käme – auch wenn darin die Verachtung für weit entfernte, ärmere Weltgegenden mitschwingt. Darüber kann man sich freuen oder ärgern, aufregen oder zustimmen, das kann man geschmacklos finden und auch höchst unverantwortlich. Aber es ist eine Meinung.

Diese Zeilen würde wohl jeder Lehrer, der eine Schülerzeitung betreut, den wackeren Jungjournalisten um die Ohren hauen. 2015 erklärte Spiegel Online aufgrund von Leserkritik, wonach das Nachrichtenportal nicht sauber zwischen Meldung und Kommentar trenne, Folgendes:

Wir kennzeichnen unsere Meinungstexte mit den Worten “Kommentar”, “Kolumne” oder “Debattenbeitrag” in der Autorenzeile. Doch das allein scheint nicht auszureichen. Daher haben wir uns dazu entschlossen, unsere Meinungsstücke jetzt noch deutlicher mit einem grafischen Element direkt am Anfang des Textes auszuweisen. (…) Bei ausgewiesenen Meinungstexten scheint eine klare Trennung also machbar – aber wie steht es um die ganz normalen Berichte auf SPIEGEL ONLINE? In der Redaktion unterscheiden wir zwischen Meldungen und Autorenstücken. Meldungen sind mit einem Namenskürzel am Ende des Textes gezeichnet und vermerken jeweils die Quellen, meist basieren sie auf Informationen von Nachrichtenagenturen. Hier zählen ausschließlich die Fakten. Autorenartikel sind mit vollem Namen gekennzeichnete Texte. Hier fließen die Expertise und die Einschätzungen der Kollegen ein, beispielsweise in Form einer Analyse oder einer Reportage.

Wie passen diese Ausführungen zu dem Artikel über Fitz? Doch es kommt noch schlimmer. Dem Artikel ist nicht nur vorzuhalten, dass Meinung und Meldung miteinander vermischt werden. Er ist zudem auch noch einseitig, unausgewogen. Diekmann betont, dass die Zahl der gemeldeten Impftoten lediglich eine Verdachtszahl sei. Das ist zwar richtig, aber letztlich suggeriert der Artikel, dass die Anzahl der Impftoten niedriger sein müsste, da sich, so die Annahme, wohl nicht alle Verdachtsfälle auch als tatsächliche Todesfälle bestätigen.

Allerdings: Mit keinem Wort geht der Verfasser auf die Dunkelziffer ein, die sowohl die Anzahl der Impfnebenwirkungen als auch Anzahl der Impftoten betrifft. Seit langem ist bekannt, dass die Erfassung der Impfnebenwirkungen sich vermutlich in einem Bereich zwischen drei bis fünf Prozent bewegt.

Anders gesagt: Selbst unter der (abenteuerlichen) Annahme, dass bei den Covid-Impfstoffen die Dunkelziffer der nicht erfassten Impfnebenwirkungen gering ist, wäre es aus journalistischer Sicht in der vorliegenden Meldung angebracht, dem Leser mitzuteilen, dass von einer Dunkelziffer ausgegangen werden muss und wie diese einzuschätzen ist.

Mittlerweile ist unter dem Spiegel-Artikel eine Anmerkung angebracht.

„In einer früheren Version wurde der SWR versehentlich als Südwestdeutscher Rundfunk bezeichnet. Wir haben die Stelle geändert.“

Ob „Südwestdeutscher Rundfunk“, Südwestrundfunk, ob Meldung, Kommentar, einseitig oder ausgewogen: Egal! Solange das Weltbild „richtig“ sitzt, passt alles.

Titelbild: Tupungato/shutterstock.com


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