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Titel: Die Fleisch-Wasser-Lüge

Datum: 13. Februar 2022 um 11:45 Uhr
Rubrik: Ressourcen
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Wer Fleisch isst, schädigt das Klima. Weil die Tiere Treibhausgas produzieren, weil für die Produktion von Fleisch gewaltige Mengen Wasser verbraucht werden, weil auf den Äckern statt Futter auch Lebensmittel angebaut werden könnten, die die Menschen direkt ernähren. Das stimmt alles – so nicht! Von Florian Schwinn.

Ich sag’ es mit den Worten eines befreundeten Biobauern: „Neunzig Prozent der Narrative über die Landwirtschaft stimmen nicht oder sie stimmen so nicht.“ Im letzteren Fall sind die Fakten irgendwie korrekt, aber die Schlüsse, die aus ihnen gezogen werden, sind falsch oder unsinnig. So ist es auch mit dem Wasser, das die Produktion von Rindfleisch angeblich verbraucht.

Virtuelles Wasser

Um den Methanausstoß der Rinder, der ja soo klimaschädlich ist, habe ich mich hier im Blog und auch im Podcast schon gekümmert, sicher nicht zum letzten Mal. Hier soll es jetzt aber um das Wasser gehen, das angeblich für die Fleischproduktion draufgeht. Seit Jahren geistert dieses Datum nun schon durch diverse Veröffentlichungen, taucht in vielen Artikeln und Beiträgen der Medien auf, wird von Moderatoren wie Markus Lanz nachgeplappert und von seinen Gästen als gegeben abgenickt: Die Produktion eines Kilos Rindfleisch verbraucht über 15.000 Liter Wasser.

Jede Umweltorganisation hat das wohl schon mal behauptet, und das steht ja auch so im „Fleischatlas“, den die grüne Heinrich-Böll-Stiftung herausgibt. Man kann das nachlesen. Ich habe die Heinrich-Böll-Stiftung übrigens schon vor längerer Zeit gebeten, mir bitte mal zu erzählen, wie die Daten in den Fleischatlas gekommen sind. Keine Antwort – ist auch eine Antwort. Die Angabe hat es jedenfalls geschafft, zum Allgemeinwissen zu avancieren. Und das, obwohl, oder vielleicht sogar, weil sie genauso wenig stimmt wie die ganzen Generationen bekannte „Tatsache“, dass Spinat besonders viel Eisen enthält. Die Ursache des hypergesunden Gemüses ist ein falscher Vergleich. Der Physiologe Gustav von Bunge hatte 1890 den Eisengehalt getrockneten Spinats festgestellt: 35 Milligramm in hundert Gramm Spinattrockenmasse. Und der für uns Menschen übrigens gar nicht verwertbare Eisengehalt im Spinat wurde dann später dem frischen Gemüse angedichtet. So entstand die jahrzehntelang erfolgreiche Comicfigur des spinatvertilgenden Matrosen Popeye mit den eisenharten Fäusten.

Die Ursache des immensen Wasserverbrauchs bei der Fleischproduktion ist eine Studie aus dem Jahr 2010 von Mesfin Mergia Mekonnen von der University of Nebraska und Arjen Hoekstra von der Universität Twente in den Niederlanden. Auch hier wird Wissenschaft also immerhin schon über ein Jahrzehnt lang falsch oder zumindest falsch verstanden kolportiert.

Im Original heißt die Studie: „The green, blue and grey water footprint of farm animals and animal products.” Es geht hier also um grünes, blaues und graues Wasser. Nun ist Wasser farblos, auch das Wasser, das Nutztiere saufen. Die Studie kann es dennoch einfärben, es handelt sich nämlich um „virtuelles Wasser“, das benutzt wird, um den Wasser-Fußabdruck zu berechnen, also alles Wasser, was gebraucht wird, um ein Nutztier aufzuziehen. Das heißt mitnichten, dass dieses Wasser nachher fort ist. Es ist nicht verbraucht, es wurde nur gebraucht, unter anderem, um die Wiese wachsen zu lassen, auf der die Rinder weiden. Niemand würde dem Gras, dem Klee und den Kräutern auf der Wiese vorwerfen, sie hätten Wasser „verbraucht“. Den Rindern aber schon. Dabei haben die Pflanzen das Wasser genauso wieder abgegeben wie das Tier. Ob verdunstet oder ausgeatmet, rausgeschwitzt, weggepisst – wo ist der Unterschied? Am Ende ist das Wasser wieder im Kreislauf der Natur. Und das Kilo Fleisch enthält bei Erwachsenen zwischen sechzig und siebzig Prozent Wasser, das Blut mitgerechnet. Das gilt für Rinder genauso wie für Menschen. In einem Kilo Rindfleisch steckt am Ende ein halber Liter Wasser. Wie hat das Rind zu Lebzeiten dann die restlichen 14.999,5 Liter Wasser „verbraucht“?

Säuft ein Rindvieh am Tag über 11.000 Liter Wasser weg? Das wäre die Summe, auf die man kommt, wenn man das Schlachtgewicht eines Bullen bei einer Mastdauer von achtzehn Monaten mit den 15.000 virtuellen Litern zusammenrechnet, die angeblich in jedem Kilo Rindfleisch stecken. Das Tier müsste, bei einem Schlachtgewicht von vierhundert Kilo, in seinem kurzen Leben über sechs Millionen Liter Wasser saufen. Jeder Milchviehhalter weiß, dass eine Kuh, die sagen wir dreißig Liter Milch am Tag gibt, dafür rund hundert Liter Wasser braucht; wenn es warm ist etwas mehr, wenn es kühl ist weniger. Dreißig Liter davon gibt sie sofort wieder ab, die stecken in der Milch. Ein Mastbulle von fünfhundert Kilo Lebendgewicht säuft weniger als die Hälfte.

Verschwundenes Wasser

Wo ist also der Rest des Wassers hingeraten? Nirgendwohin. Er ist immer noch da, wenn das Rind geschlachtet ist. Wirklich verbraucht wäre nur das, was verschmutzt wäre und nicht mehr zu reinigen. Für Verschmutztes steht in der Studie mit dem vielfarbigen virtuellen Wasser das graue. Das ist das, was bei der Produktion zum Beispiel zur Reinigung verwendet wird. Das wären dann pro Kilo Rindfleisch angenommene 450 Liter, wobei auch dieses Wasser nachher ja nicht fort ist. Es muss vielleicht nur einmal durch die Kläranlage. Und das blaue Studienwasser ist das, was aus Gewässern oder Grundwasser entnommen wird. Das wären bei unserem Kilo Rindfleisch rund 550 Liter. Aber auch dieses Wasser steckt nicht dauerhaft im Rind. Es ist nachher noch immer im Wasserkreislauf vorhanden. Wobei 550 Liter Wasser nur in den riesigen Tieren etwa der Fleischrasse Charolais zwischengespeichert sein müssten, denn nur die bringen so viel Gewicht auf die Waage, dass ihre Körper so viel Wasser enthalten können. Und nicht alles davon haben sie im Stall aus der Tränke gesoffen. Wenn es Weidetiere sind, dann haben sie das meiste Wasser wohl mit dem Kleegras aufgenommen, dem wir ja nicht vorwerfen, dass es Wasser „verbraucht“. Also nehmen wir mal den größten Charolais-Bullen, dem ich bisher gegenübergestanden bin. Er soll knapp zwölfhundert Kilo gewogen haben und war so mächtig, dass ich ihn ungern zur Waage geführt hätte. Aber auch dieser riesige Rinderkörper enthielt dann nur rund achthundert Liter Wasser. So viel wie zwölf bis fünfzehn Menschen, je nach Gewicht.

Und der ganze Rest der unsäglichen – um mal wissenschaftlich genau zu sein – 15.415 Liter Wasser, die das Kilo Rindfleisch verschlungen hat, ist natürlich vorkommendes Regen- und Bodenwasser. Das fließt durch die Äcker und Weiden oder regnet auf sie hernieder, auch wenn auf denen kein Viehfutter wächst und keine Rinder weiden. Stellen wir uns nur mal vor, was ein Feldhase oder ein Kaninchen an Wasser verbraucht, wenn wir ihm die zwei Hektar Weide allein überlassen, statt darauf fünf oder sechs Rinder grasen zu lassen. Oder, um zurück zu kommen zu Markus Lanz und seinem Studiogast Peter Wohlleben, dem bestsellernden Oberförster, der zum Beispiel in der Sendung am 27. Juli vergangenen Jahres für Wald statt Weiden plädierte: Auch der Wald, wenn er dort stünde, wo jetzt Weide ist oder Viehfutter wächst, „verbraucht“ dieses Wasser, so es denn herniederregnet. Oder um es mit dem Demeter-Bauern Dieter Euler aus Hessen zu sagen: „Auch ein Naturschutzgebiet verbraucht dieses Wasser.“ Nach der Logik des Fleischatlanten der Heinrich-Böll-Stiftung und anderer ähnlicher Veröffentlichungen, nach der wir ja Wasser sparen, wenn wir auf Fleisch verzichten, könnten wir auch Wasser sparen, wenn wir Naturschutzgebiete abschaffen.

Und, um auch das noch zu Peter Wohlleben zu sagen, der den Wald für den besten Wasserspeicher hält, der uns Flutwellen abmildern ließe wie die im vergangenen Jahr im Ahrtal: Nein, den meisten Humus bildet das Bodenleben unter einer intakten Weide, die auch wirklich beweidet wird und nicht gemäht. Und der Humus ist der beste Wasserspeicher des Bodens. Und die Weidelandschaft übertrifft den Wald auch noch an Biodiversität um ein Vielfaches. Wenn die Rinder nämlich nicht im Stall, sondern auf der Weide stehen, dann geben sie das zuvor gesoffene Wasser dort in Form von Urin und Kuhfladen wieder ab. Und dieses verschmutzte Wasser ist auf der Weide der eigentliche Nährboden der Biodiversität, aber das nur nebenbei bemerkt.

Welt versus Region

Zu guter Letzt noch ein Detail aus der Studie, die uns die Mär vom wasserzehrenden Rindfleisch verschaffte. Ein Detail, das gänzlich unterschlagen wird, wenn man nur mit dem Durchschnitt des virtuellen Wassergebrauchs hantiert. Die Idee der Arbeit von Mesfin Mekonnen und Arjen Hoekstra war eigentlich, den Wasserbedarf eines Produkts weltweit vergleichbar zu machen – und dabei nach Regionen und Klimaten zu differenzieren. Schon deshalb hat ein weltweiter Durchschnittswert keinen Sinn. Er widerspricht sogar dem Sinn der Studie, falls ein weltweiter Wassergebrauchsvergleich einen solchen hat. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass – um mal ein paar Extrema zu nennen – für das Kilo Rindfleisch in Äthiopien 34.182 Liter Wasser nötig wären, in Brasilien 19.488 Liter, in Russland 17.220 Liter, in den USA 14.191 Liter und in Deutschland – Achtung: durchschnittlich 7.712 Liter. Wenn also irgendwo auf der Welt Rinder gehalten werden sollten, dann bei uns.

Aber – nochmals Achtung – hier kommt die nächste Absurdität: Wenn, dann sollten die Tiere im Stall stehen. Denn da würden nur 5.991 Liter Wasser pro Kilogramm Rindfleisch gebraucht. Auf der Weide sind’s mehr als doppelt so viel. Weil es auf der Weide halt häufiger regnet als im Stall.

Und, um das auch noch zu sagen: Nein, wir können auf den Weiden und Wiesen statt Fleisch nicht Gemüse oder Getreide produzieren, das wir direkt verspeisen könnten, statt über den Umweg der Nutztiere Lebensmittel herzustellen. Über sechzig Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Welt sind Grasland, das nicht als Acker genutzt werden kann und schon gar nicht zum Gemüseanbau. In Deutschland ist es immerhin noch ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche, die leider gar nicht zum Ackern taugt.

Ein Fazit, wie es Demeter-Rinderhalter Dieter Euler nennt, „mit schmunzelndem Fatalismus“: Virtuelle Wasser höhlen nicht den Stein, aber doch vielleicht die Köpfe.

Titelbild: symbiot/shutterstock.com


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